Kirche

Kirche

Kirche bezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synagogen der Juden das der christlichen Gottesverehrung geweihte Gebäude (s. Kirchenbaukunst), dann bald die Gemeinschaft der christlichen Gläubigen im Gegensatz zu andern Religionsgenossenschaften, bald den äußerlichen Organismus derselben, wie er sich in bestimmten Gesellschaftsformen, Kultus und Verfassung darstellt, bald ganz allgemein die ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform selbst, in welchem Sinn auch von einer jüdischen, mohammedanischen etc. K. gesprochen werden kann, bald auch wieder die zum Christentum sich bekennende Bevölkerung eines einzelnen Landes oder Staates (Landeskirche) in Hinsicht auf ihre besondere Verfassung etc., bald endlich eine einzelne Partei der Christen, sofern sie als eine besondere, durch Glaubenssymbole und Rechte, auch wohl Zeremonien von andern sich unterscheidende größere Religionsgesellschaft angesehen wird, so römisch-katholische, griechisch-katholische, lutherische, reformierte K. im Gegensatz zu Sekte. Die Etymologie des seit etwa 700 Jahren nachweisbaren Wortes ist streitig, wenngleich jetzt die meisten Gelehrten den Ursprung desselben auf das griechische Kyriakón (Herrenhaus), d. h. Haus, in dem sich die Gemeinde des Herrn zu seinem Dienst versammelt, zurückführen.

I. Lehre von der Kirche.

Wenn die Religion ein wesentliches Moment in dem geistigen Gesamtleben der Menschheit ist, so wird es auch als eine dem Menschengeist innewohnende allgemeine Notwendigkeit bezeichnet werden müssen, daß er sich behufs Lösung dieses Teils seiner Aufgabe eine eigne, also ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform schafft, im Unterschied zu politischen, sozialen, wissenschaftlichen, künstlerischen Gemeinschaftsformen. In diesem rein idealen Sinn ist die K. der Organismus des religiösen Lebens der Menschheit überhaupt. Wirklich vorhanden ist diese »Ekklesia« (s. d.) immer nur in einer Gemeinde, wie Staat und Volk immer nur in einer Nationalität mit bestimmter Staatsform. Während aber in der vorchristlichen Zeit das religiöse und das politische Leben der Menschheit ununterscheidbar zusammenfallen und ineinander ausgehen, hat das Christentum eine über die nationalen Gegensätze übergreifende, den geistigen Zusammenschluß der Menschheit bezweckende, rein religiöse Gemeinschaft eingeführt, und es ist daher kein Zufall, daß dem Wort K. trotz seiner allgemeinen Bedeutung doch eine spezifische Beziehung auf die christliche Religion anhaftet (s. Christentum). Der leitende Gedanke bei der theoretischen Durchbildung des Begriffs der K. ist der eines gesellschaftlichen Wunders, das dem Wunder der Person Christi als des Mensch gewordenen Gottessohnes entspricht und seine Fortsetzung darstellt. In diesem Sinne führen die Briefe an die Epheser und Kolosser das sonst von Paulus gebrauchte Bild vom Leib, darin Christus der Geist ist, dahin weiter, daß die K. als eine die irdische und überirdische Welt umfassende Gemeinschaft der Geister erscheint, deren Haupt der im Himmel erhöhte Christus ist. Damit war die Vorstellung eines sinnlich-übersinnlichen Organismus gegeben, der sein eigentliches Wesen in der überirdischen Welt, seine irdische Erscheinung aber in den einzelnen Gemeinden und in der Gesamtheit aller dieser einzelnen Gemeinden hat. In dieses Schema haben alle christlichen Religionsgenossenschaften und Lehrbegriffe ihre eigentümlichen Auffassungen vom Wesen der K. hineingezeichnet, indem sie bald mehr das eine, bald mehr das andre Moment hervorheben und ihre Sonderstellung durch die Eigentümlichkeit der Verbindung beider Momente bezeichnen. Diese Verbindung als ein Verhältnis fast durchgängiger Einerleiheit aufzufassen, ist von jeher der hervorstechende Charakterzug des Katholizismus (s. d.) gewesen. Dieser versteht unter K. unmittelbar die irdische Erscheinung selbst, die mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt ausgestattete, angeblich von Christus selbst gestiftete Heilsanstalt, deren wesentliche Organe die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sind. Die K. ist ihm die christliche Gesellschaft schlechthin. Daß außer ihr, die am liebsten unter dem Bild einer Mutter oder einer Arche Noah, eines Schiffleins Christi gedacht wurde, keine Rettung zu finden, in ihr aber die Fülle des Heils sei, wurde sowohl den Heiden als den Häretikern gegenüber einstimmig behauptet. Cyprian und Augustin sind die Hauptschöpfer dieses Kirchenbegriffs, auf dessen Ausbildung namentlich das Aufblühen der K. unter dem Schutz des Staates sowie der Sieg des Augustinismus über die Lehre der Pelagianer, Manichäer und Donatisten einwirkten. Im Streit mit den letztern erkannte Augustin in der K. die Gesamtheit aller Getauften und beförderte durch kühne Vereinerleiung des in der Wirklichkeit gegebenen Organismus mit dem Reiche Gottes die katholische Weltanschauung, die, von der Theologie der römischen Bischöfe auf den dortigen Primat ausgedehnt, die Hierarchie des Mittelalters vorbereiten und vollenden half. So ist dem Katholizismus die K. die unmittelbar gegenwärtige Erscheinung der überirdischen Ordnung Gottes, begabt mit sichtbarem Oberhaupt, unfehlbarer Lehre, wunderbaren Gnadenmitteln, über alle sonstigen Ordnungen des Menschenlebens so erhaben wie der Geist über das Fleisch, aus himmlischen Regionen herabgesenkt auf die Erde, um möglichst viele Menschen auf Erden kraft der Sakramente zu retten und in die übersinnliche Welt emporzuheben. In diesem vom römischen Katechismus aufgenommenen Unterschied von streitender und triumphierender K. begegnet uns die letzte schwache Spur einer Unterscheidung von Wirklichkeit und Ideal. Aus der notwendigen Unterscheidung im Gegenteil eine Trennung zumachen, die ideale Gemeinschaft loszureißen von der empirischen K., war der gemeinsame Gedanke aller reformatorischen, aber auch aller schwärmerisch aufgeregten Sekten des Mittelalters. Der Gegensatz zwischen äußerlicher und innerlicher Auffassung des Begriffs K. trat in den Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus in der Weise hervor, daß nach römisch-katholischer Ansicht die K. in der sichtbaren, unter dem Papst als ihrem Oberhaupt vereinigten Gemeinschaft der auf ein äußerliches Bekenntnis und auf ein und denselben Gebrauch der Sakramente hin Getauften, also in der empirischen rechtlichen Abgrenzung der Glaubensgemeinschaft, nach protestantischer Ansicht aber vornehmlich in der »Gemeinschaft der Heiligen« (s. d.) besteht, an die, als an die der Erlösung durch Christus entsprechende Gesamtwirkung, man glaubt, die man aber nicht sieht. Doch protestiert schon die Apologie der Augsburgischen Konfession gegen den »Traum eines platonischen Staates«, und demgemäß lenkt die protestantische Dogmatik rasch genug vom absoluten Idealismus ein, indem sie unsichtbare und sichtbare K. unterscheidet und beide im Zusammenhang miteinander hält durch die Lehre von den Merkmalen der wahren K. Als solche gelten, zumal dem Luthertum, reine Lehre und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Die »Gemeinschaft der Heiligen« wird stetig erzeugt und die unsichtbare K. am meisten gefördert, wo in einer sichtbaren das Wort Gottes unverfälscht gelehrt, die Sakramente einsetzungsgemäß verwaltet werden. Die reformierte Lehre unterscheidet sich davon nur durch Aufnahme ethischer Merkmale und disziplinarer Bestimmungen, überhaupt durch größere Betonung der anstaltlichen Seite an der sichtbaren K. Gegen die Anknüpfungspunkte, die dieser protestantische Kirchenbegriff im katholischen fand, bildeten zunächst wieder die Mystiker und Enthusiasten in ähnlicher Weise wie die mittelalterlichen Sekten eine fortwährende Opposition. Anderseits offenbarte allmählich der Protestantismus eine grundsatzmäßig auf Umsetzung des Christentums aus der kirchlichen in die weltliche Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst sing an, sich von der Theologie zu emanzipieren, und es fiel der K. immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenz in sich zu tragen. Die Periode der Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staate gegenüber etwas Hierarchisches. Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker regte, und so entstanden Kirchlein in der K., z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart verzweifelnd, die K. eines neuen Jerusalem in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten. Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der K. zu bearbeiten und es von der Erkenntnis aus, daß das Produkt der Erlösung nicht sowohl in einzelnen Gläubigen, als vielmehr in einem christlichen Gesamtleben bestehen muß, über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt. Vgl. Löhe, Drei Bücher von der K. (Stuttg. 1845; 3. Aufl., Gütersloh 1883); F. Delitzsch, Vier Bücher von der K. (Dresd. 1847); Kliefoth, Acht Bücher von der K. (Schwerin 1854, Bd. 1); J. Köstlin, Das Wesen der K. (2. Aufl., Gotha 1872); Krauß, Das protestantische Dogma von der unsichtbaren K. (das. 1876); A. Dorner, K. und Reich Gottes (das. 1883); Issel, Der protestantische Begriff der K. und sein Verhältnis zum Reich Gottes (Karlsr. 1889).

II. Geschichtliche Entwickelung der Kirche.

(Vgl. hierzu die Textbeilage; »Zeittafel der Kirchengeschichte«.)

Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.

Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtliche Tatsache voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach denen die großen Epochen der religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin getan und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, den wir kennen. Die christliche K. ist im eminenten Sinne des Wortes »das Ding mit den vielen Ursachen«, davon die Philosophie weiß, und es bedarf einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster Linie, darum aber doch keineswegs in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man K. nennt. Im Gegenteil war es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer Seite, daß die Entstehung der K. mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei. Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines »Himmelreichs«, abbildeten, von seinen Weissagungen, die demselben Reich ein »Kommen mit Macht« noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht stellten, zehrten diese Gemeinschaften. Die eigne Produktionskraft aber tat sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus, der Inspiration, der Prophetie und Apokalyptik, das sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit an die Autorität des Alten Testaments nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen, mannigfaltig nuancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus ablehnend gegenüber.

Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischern Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation, die sich die »Großkirche«, die »allgemeine«, die »katholische K.« (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh. steht diese K. wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns als ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist neben dem jüdischen zumeist griechisch-römischer Geist spürbar. Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt, der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine K. ist geworden, die nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft der Hoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, tatsächlich eine ganz eigentümliche Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, die sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen Weltreichs stritten, die Palme davonzutragen. Demnach stellte die »Großkirche« eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt für die Massen dar, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der katholischen K. dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die höchsten Güter des Christentums fortan unzugänglich geblieben wären. Die K. ist das für eine Rolle in der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der Weltherrschaft versehene, allerorts praktisch zurechtgelegte Christentum. Nichts ist begreiflicher, als daß das Römerreich nicht freiwillig abdankte zugunsten der sich anmeldenden geistigen Großmacht; es waren gerade die echtesten Erben und Fortleiter der alten Traditionen römischer Politik, die in der christlichen K. eine Todfeindin erkennen und sie bis aufs Blut bekämpfen zu müssen glaubten. Aber eigenste Kraft und eine Verkettung günstiger Umstände verhalfen letzterer zum Siege. Ein genialer Eroberer tat den kühnen Wurf; er stellte sich anfänglich über die Parteien, um je länger, desto mehr in der christlichen K. die eigentliche Trägerin aller zukunftsvollen Mächte zu erkennen und in ihrer bereits bestehenden Einheit die Unterlage einer erst herzustellenden Einheit des Reiches zu suchen. Die Bischöfe der K. sollten den wankenden Kaiserthron stützen, ihm im Glauben der Völker den eingebüßten Kredit wieder verschaffen. Was der römische Kaiser Konstantin (306–337) wollte, das war eine handliche Staatskirche. Aber nur in der östlichen Hälfte des Reiches konnte seine Idee Durchführung finden.

Zweite Periode: bis auf Karl den Großen.

Die zweite Periode hat ihr eigentümliches Gepräge zunächst an der Ausbildung der Kirchenlehre. Die Ansätze des dogmenbildenden Prozesses liegen schon in den ersten Jahrhunderten (s. Dogma, Dogmatik, Dogmengeschichte). In der Auseinandersetzung mit der Gnosis (s. d.) hat sich die kirchliche Theologie entwickelt. Sie hat in mildern, populärern Formen, in gemäßigtem Tempo wiederholt, was die Gnosis in kühnen Sprüngen gewagt hatte: eine Darstellung der neuen Weltanschauung mittels der Formen griechischer Religionsphilosophie und Mysterienweisheit. In den Wirren des mit der Gnosis geführten Kampfes erfuhr die K. erstmalig das Bedürfnis, ihre einfache Glaubensregel (s. d.) theologisch zu erläutern und gegen die Spekulationen der Weltweisheit sicherzustellen. Dieser Arbeit unterzogen sich die antignostischen Kirchenlehrer Justinus, Irenäus, Tertullian. Erst durch das Medium der als »Neues Testament« kanonisierten Schriften der apostolischen und nachapostolischen Epoche im Verein mit der Glaubensregel werden jetzt auch die treibenden Ideen des Urchristentums selbst in dieser K. eine wirksame Macht. Aber den gut christlichen Elementen, mit denen auf diesem Wege das Dogma ausgestattet wurde, halten die sich mehrenden griechischen die Wagschale. Hand in Hand mit der im Verlauf des 3. Jahrh. sich vollziehenden Umbildung der K. in einen heiligen Staat erfolgt eine Umsetzung der Glaubensregel in die hellenisch fundamentierte, aus der Stoa und aus dem Platonismus abzuleitende Religionsphilosophie eines Clemens und Origenes. Den Kristallisationspunkt für diesen Prozeß bildet die von Tertullian. Hippolyt u. a. in die Glaubensregel eingeführte Lehre vom Logos (s. d.), mit der der Kern der kirchlichen Weltanschauung ins Dasein getreten ist. Denn damit war die Anweisung gegeben, das Göttliche in Christus als die im Weltbau und in der Geschichte der Menschheit verwirklichte Vernunft Gottes zu denken; s. Christologie. Der Menschwerdung des Logos entspricht aber als ihr Erfolg schon bei Irenäus die Vergöttlichung des Menschen. Je länger, desto mehr rückt dieser Gedanke in den Mittelpunkt der Theologie der Kirchenväter (s. d.), und in gleichem Maß wird der einfach religiöse und sittliche Inhalt des Evangeliums durch einen dicken Überwurf von Metaphysik und Theosophie verdeckt. Mysteriöse, aber reale Umbildung des Menschen in unvergängliches Wesen, abgebildet in den geheimnisvollen Naturvorgängen der Sakramente (s. d.) und bewerkstelligt durch ihren Genuß, sollte die Gabe Gottes in Christus sein. Dieser symbolischen Magie eines zum guten Teil den heidnischen Mysterien nach gebildeten Kultus entsprach ein Erlöser, der in seiner Person die menschliche Natur mit der göttlichen vereinigt, genauer jene vergottet hat. Dies führt auf Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater, auf Doppelnatur Christi, kurz, auf alle jene Formeln, die seit dem Konzil von Nicäa (325) dem eigentlich dogmenbildenden Zeitalter einleuchtend und annehmbar erschienen, um die höchste Anschauung vom Werte der christlichen Religion und der durch sie vermittelten Heilsgüter auszudrücken. S. Arianischer Streit, Nicäisches, Nicäisch-konstantinopolitanisches, Chalcedonisches Glaubensbekenntnis.

Bei der Durchsetzung dieser Formeln ist übrigens der kaiserliche Einfluß stark beteiligt gewesen. Daß die nicäische Formel siegreich wurde, ist dem persönlichen Eingreifen Konstantins wie später des Theodosius zu verdanken. Ebenso hatte im Nestorianisch-Eutychianischen Streit bereits der Monophysitismus den Sieg in den Händen, als er ihm nachträglich auf der vierten ökumenischen Synode zu Chalcedon (451) durch das im Bund mit dem römischen Bischof erfolgende Einschreiten der Kaiserin Pulcheria wieder entwunden wurde Der Rückschlag, der auf der fünften ökumenischen Synode zu Konstantinopel (553) ein trat, ist das persönliche Werk Justinians und Theodoras gewesen. Der monotheletische Streit ist durch die Politik des Kaisers Heraklios hervorgerufen und in seinem Verlauf durch die Kaiser Constans und Constantinus Pogonatus maßgebend beeinflußt worden. Den Bilderstreit haben erstmalig und endgültig die beiden Kaiserinnen Irene und Theodora abgeschlossen. Im Abendland haben die trinitarischen und christologischen Fragen eigentliche Streitigkeiten nicht hervorgerufen; doch hat auf die dogmatischen Formulierungen zu Nicäa und Chalcedon abendländischer Einfluß, dort in der Person des Hosius von Corduba (s. d. 1), hier im Lehrbrief Leos des Großen, bestimmend eingewirkt. Was das Abendland Selbständiges auf dogmatischem Gebiet leistete, liegt in der Entwickelung der Sünden- und Gnadenlehre. Der Streit zwischen Augustinismus und Pelagianismus ist hier nur in bedingter Weise zum Austrag gelangt, sofern die K. von den harten augustinischen Sätzen nur das in ihre Praxis hinübernahm, was sie tragen zu können glaubte. Das Verhältnis zum Morgenland wurde durch diese Streitigkeiten kaum berührt.

Während so der Streit um die Glaubensbegriffe K. und Staat zugleich in fieberhafter Erregung erhielt, wurde das klassische Heidentum systematisch vernichtet, vielfach unter Anwendung derselben brutalen Mittel, die in der vorkonstantinischen Zeit gegenüber der jungen Pflanzung in Anwendung gekommen waren, die den großen Bau des Weltreichs zu durchwuchern und zu zersprengen drohte. Statt dessen hat sie dieses Weltreich in den letzten Jahrhunderten seines Bestandes, wenigstens von außen, mit einem neuen Blätter- und Blütenschmuck umgeben; sie hat es mit ihrem Duft erfüllt, aber seinen Zerfall schließlich nicht aufzuhalten vermocht, eine Tatsache, die seit der Eroberung Roms durch Alarich schon den Kirchenvätern zu denken gab. Außerdem war das Christentum so sehr identisch mit der römischen Staatsreligion, es war so sehr Reichsreligion geworden, daß es in dem mächtigsten Staat, der noch neben dem Imperium bestand, in Persien, wo es weit um sich gegriffen hatte, gerade aus nationalen und politischen Gründen unterdrückt und so seiner Ausdehnung im Osten schon vor den Zeiten des Islam ein Ziel gesetzt wurde. Dieser hat dann über die ganze Christenheit des Morgenlandes, soweit er sie nicht einfach vernichtete, ein Leichentuch gebreitet, unter dem sie einen langen, vielleicht ewigen Winterschlaf angetreten hat. S. Griechische Kirche.

Die Schicksale des Christentums sollten sich im Abendland entscheiden. Alles hing davon ab, ob das Schiff der K. den Zusammenprall der alten römischen und der neuen germanischen Strömung der Weltgeschichte, wie solcher in der Völkerwanderung erfolgte, aushalten, oder ob es, wie das staatliche Fahrzeug, darin zerschellen würde. In der Tat vollzog sich der Übergang in das neue Fahrwasser aufs glücklichste. Ja, es schien, als ob die K. erst in den germanischen, bez. romanischen, in zweiter Linie auch in den slawischen Völkerschaften, die sich jetzt vor dem Kreuz beugten, den richtigen und entsprechenden Naturboden gefunden habe, auf dem ihre Saaten ein unverkümmertes und dabei zugleich auch wieder verhältnismäßig originelles Gedeihen finden sollten. An die Stelle der Hellenisierung des Christentums trat jetzt seine Germanisierung. Nicht bloß wuchsen aus dem altgermanischen Heidentum zahlreiche Anschauungen und Sitten hinüber in den christlichen Glaubens- und Kultuskreis (darunter namentlich mancherlei Teufels- und Hexenspuk), sondern auch germanische Rechtsbräuche erwiesen sich wirksam wie in der Dogmatik (z. B. Versöhnungslehre des Anselmus), so auch in der Ausbildung des Kirchenrechts (z. B. Ehewesen); auch was dem Christentum in bezug auf Hebung und Wertung des weiblichen Geschlechts nachgerühmt wird, ist wenigstens teilweise zur germanischen Erbschaft zu schlagen.

Inzwischen ist auch die schon früher angebahnte Entmündigung der Gemeinde gegenüber der Priesterschaft zur Tatsache geworden. Diese allein stellt die K. im aktiven Sinne dar; die Laien sind bloß Objekt des priesterlichen Handelns. Nur Priester können der Lehre und Sakramente warten; alles Heil für die Welt ist daher an das Priestertum geknüpft und außer der K. überhaupt kein Heil. Das ursprüngliche Wahlrecht der Gemeinden war schon vor Konstantin vielfach erschüttert; selbst nachher wurden jedoch noch Stimmen gehört, die von einem allgemeinen Priestertum aller Christen vor Gott wußten. Je länger, je mehr beschränkte sich jedoch die Laientätigkeit in den obern Schichten auf Beteiligung an byzantinischen Hofkabalen und Palastrevolutionen, in den untern auf gelegentliches Tumultuieren und Losschlagen im Interesse irgend eines geistlichen Zugführers. Aber es gab auch ernstere Geister in dieser Laienwelt, und die urchristliche Idee der Weltentsagung und Weltfeindschaft schuf sich, als ihr von seiten eines von den Lasten des Staates befreiten, in Glanz und Machtfülle gekleideten Klerus immer weniger entsprochen wurde, bald eine neue Form christlicher Lebensführung im Kloster (s. d.). Von Haus aus galten die Mönche durchaus als Laien; sie vertraten jene der Welt abgewandte Seite des Christentums, jene urchristliche »Vollkommenheit«, die nicht bloß das in seiner Masse stets unvollkommene Kirchenvolk, sondern auch der in die Geschäfte dieser Welt immer tiefer verwickelte Klerus nicht mehr darstellen und verwirklichen konnte. Bald aber empfingen die Klosteräbte die Priesterweihe, und es singen die Klöster an, Pflanzschulen des Klerus zu werden, wie das wenigstens in bezug auf die höhere Geistlichkeit in der griechischen K. bis auf den heutigen Tag so geblieben ist. Tatsächlich hat der Klerus die anfänglich bedenklich erscheinende Konkurrenz des Mönchtums rasch, wenn auch nie vollständig besiegt. In den dogmatischen Kämpfen der Reichskirche sehen wir stets ganze Heere von Mönchen für das Ansehen dieses oder jenes Patriarchen ins Feld rücken. Die Kehrseite zu einer solchen akuten Betätigung des Mönchtums bildete im Orient die chronische Beschäftigung der Kontemplation, der klösterliche Quietismus, der sich bemühte, sich auf dem Weg ekstatischer Halluzinationen in wenigstens momentanen Vorgenuß eines rein jenseitigen Heils zu versetzen. Das edlere, kulturfreundliche Mönchtum dagegen, dem insonderheit Britannien und Deutschland ihre Christianisierung, ganze Schichten der Bevölkerung Belehrung und Unterweisung, Werke des klassischen Altertums Erhaltung, Wüsteneien Urbarmachung verdanken, ist eine Schöpfung des Abendlandes. Ganz besonders in den Anfangszeiten des Mittelalters erwiesen sich die Benediktiner (s. d.) als die praktisch wirksamsten Vertreter des christlichen Gedankens in den Formen, wie die Zeit ihn zu verstehen vermochte. Überall bildeten damals die Klöster die Mittelpunkte des kirchlichen Lebens, die Ausgangspunkte der Mission (s. d.), die Pflegestätten der Wissenschaft, die Herde auch aller weltlichen Kultur, bevor auf diesem letztern Gebiet einzelne gewaltige Herrscher, wie Karl d. Gr. und Alfred, mit selbständigem Programm vorangingen. Aber auch in solchem Fall war nachhaltige Wirksamkeit nur im engen Verein mit der K. möglich, deren Würdenträger im Rate der Großen saßen, deren Diener die ausübenden Organe lieferten auch für die Kulturmission des Staates, soweit eine solche zu den bewußt ergriffenen Aufgaben der Zeit gehörte.

Dritte Periode: bis auf Innozenz III.

Damit sind wir aus den Zeiten der alten K. in die des Mittelalters hinübergetreten. In der ersten Hälfte des Mittelalters bietet die abendländische K. vielleicht den befriedigendsten Anblick dar, den sie im ganzen Verlauf ihrer Existenz erreicht hat. Ihre Aufgabe und Stellung in der Welt war ihr ein für allemal gestellt und in Augustins Büchern »vom Staate Gottes« zum klassischen Ausdruck gekommen: als dem bereits gegenwärtigen Reiche Gottes, der Verwirklichung der obersten sittlichen Idee, dem höchsten Gut haben ihr sich alle andern Lebenssphären einfach unterzuordnen, und namentlich kann auch der Staat nur durch solche Unterordnung unter ein höheres Ziel Absolution für seine sündigen Ursprünge und niedrig menschlichen Zwecke finden. So kam die K. dazu, die Bewährung für ihre göttliche Mission bald genug im Siege über den Staat zu suchen. Zwar in den Jahrhunderten nach Karl d. Gr. erscheint auch sie vielfach in den allgemeinen Verfall hineingezogen, durch den die karolingischen Kulturansätze so rasch wieder verschüttet und begraben worden sind. Das dunkle Jahrhundert ist auch für die K. ein solches gewesen. Der Papst (s. d.), dessen Machtstellung bald den hervorragendsten Gradmesser für die Tiefe und Kraft der von der K. auf das Völkerleben ausgehenden Wirkungen darstellen sollte, erscheint zu Anfang dieses Zeitraums noch als Lehnsmann des Kaisers und wird auch im weitern Verlauf mehr als einmal von ihm ein- oder abgesetzt. Zugleich sah sich der Nachfolger St. Peters in alle die Parteihändel und blutigen Raufereien hineingerissen, die damals die Geschicke Italiens entschieden, und die Zeit der Pornokratie steht in der Geschichte da wie eine bittere Satire auf alle Heiligkeits- und Unfehlbarkeitsansprüche, die der römische Stuhl, ja die christliche K. überhaupt erheben mochte.

Aber die Not der Zeit, die das Übel geschaffen hatte, brachte auch die Heilung; sie stärkte den Einheitsdrang der K., und bald war diese Glaubens- und Verfassungseinheit dasjenige Ideal der Völker des christlichen Abendlandes, das der Verwirklichung am nächsten gebracht schien. Daneben war dem Mönchtum, aus dessen Schoß erst jenes stahlharte Papsttum hervorgegangen ist, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. der Sieg beschieden. Das karolingische Zeitalter kennt die Klöster zumeist als Lehen und Erben weltlicher Herren; die hohe Geburt und Stellung vieler Äbte, die Gelehrsamkeit, die in nicht wenigen Klöstern ihren Sitz aufgeschlagen hatte, die Reichtümer, die sich hier ansammelten, boten keine Entschädigung für die zunehmende Einbuße an innerm Gehalt. Aber jener Geist der Weltverachtung und Entsagung, daraus das klösterliche Leben ursprünglich hervorgegangen war, entsprach so manchen Neigungen auch der germanischen und romanischen Völker, die sich jetzt an der Spitze der Christenheit bewegten. Nimmermehr vermochte ein herabgekommenes, verwildertes Mönchtum auf die Dauer seinen Kredit zu behaupten. Daher eine lange Reihe von mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, dem Kloster seine Stellung und Bedeutung durch Erneuerung und Schärfung der Regel des heil. Benedikt zu sichern, endlich die energische Konzentration innerhalb des Ordens selbst durch die Kongregation von Cluny, daraus jener Hildebrand hervorgegangen ist, in dessen Persönlichkeit und Schöpfungen das mönchische Ideal der Weltverleugnung mit dem kirchlichen Ideal der Weltbeherrschung sich verbinden sollte. So hat von Cluny aus das Mönchtum sich des kirchlichen Regiments bemächtigt; es hat zuerst die Weltkirche dem eignen Vollkommenheitsideal angenähert und in dem Gedanken der Freiheit der K. vom Staat den Hebel geschaffen, mit dem ein Gregor VII. (1073–85) Kaiser- und Königtum aus den Angeln zu heben versuchte.

Die unter dem monarchischen Haupt zusammengefaßte K. war jetzt fragelos die erste Macht der Zeit. Sie allein spendete den Völkern des Abendlandes jahrhundertelang sämtliche geistige Nahrung und sittliche Bereicherung. Während auf staatlichem und bürgerlichem Gebiete die Christenheit sich möglichst differenzierte und nicht bloß jede Nation, sondern auch jeder Stand, jede Stadt, jede Genossenschaft danach strebte, möglichst für sich da zu sein, hielt die allenthalben in wesentlich gleichen Kultusformen zur Erscheinung kommende K. kraft derselben immer strenger hierarchisch zugespitzten Verfassung die auseinander strebenden Massen zusammen. In alle Verhältnisse des mittelalterlichen Staates ragte sie hinein, in alle Völkerkämpfe und Bürgerkriege mischte sie sich, oft genug nur, um ihr eignes Interesse zu wahren, aber nur selten, ohne in diesen zerrissenen Menschenhaufen die Ahnung erweckt und aufgefrischt zu haben, daß sie alle im Grunde Eine christliche Völkerfamilie zu bilden und gewisse Heiligtümer hochzuhalten und zu wahren haben, die der damaligen Menschheit ohne die einseitig religiöse Fassung, darein die K. sie gebracht hatte, nur allzu leicht verloren gegangen wären.

Vierte Periode: bis zur Reformation.

In der zweiten Hälfte des Mittelalters, von den Zeiten der kulminierenden Papstmacht an, treten Licht und Schatten sich schon viel schärfer entgegen. Der Glanz des abendländischen Priesterstaates wirkt blendender, zumal seit dem Siege über die Hohenstaufen; aber auch die Opposition nimmt weitere Dimensionen an, zeigt ein immer ernsteres und entschlosseneres Gesicht. Im Beginn der Periode tritt uns die K. auf dem großen Laterankonzil von 1215 unter Papst Innozenz III. (1198–1216) auf der höchsten Staffel der Machtvollkommenheit entgegen, die sie je erstiegen hat. Die von den Päpsten ins Leben gerufenen Kreuzzüge hatten das Ansehen des Statthalters Christi selbst im Orient befestigt. War auch Jerusalem wieder verloren gegangen, so war dafür in Konstantinopel das lateinische Kaisertum ausgerichtet, und der byzantinische Patriarch ward in Rom ernannt. Die gleichfalls von hier aus geleiteten Könige Europas verglich Innozenz mit dem Monde, der sein Licht von der Sonne, die in Rom strahlt, zu Lehen trägt. Der K. und ihrer Herrlichkeit dienten die Waffen der Völker; sogar das Rittertum nahm religiöse Farbe und Weihe an in den geistlichen Ritterorden. Der K. diente aber auch die Wissenschaft in der Scholastik. Hat die letztere sich auch nicht mehr produktiv auf dem Gebiete der Glaubenslehre erwiesen (es sei denn im Artikel von den Sakramenten, der erst im Verlauf des Mittelalters allseitige Durchbildung empfing), so bestand doch der höchste Triumph dieser spezifisch mittelalterlichen Schulgelehrsamkeit wie in einer vollendeten Technik des Denkens, so in der Dienstbarmachung und Ausbeutung dieser formalen Fertigkeit im Interesse der Kirchenlehre. Als Albert d. Gr. und Thomas von Aquino (1225 bis 1274) den großen Denker des Altertums, Aristoteles, der für das spätere Mittelalter die Summe alles erreichbaren menschlichen Wissens repräsentierte, glücklich vor den Triumphwagen der K. gespannt hatten, schien in der Geschichte des menschlichen Forschens, Wissens und Könnens ein Höchstes und Letztes erreicht, und es blieb nur der Wunsch übrig, die Sonne der katholischen Herrlichkeit möge dauernd im Zenit verharren. In den Bettelorden stellte eine neue Form des Mönchtums sich in den Dienst der K. als wirksamstes Organ der Mission, Volksbelehrung und nicht zuletzt der Ketzerbekämpfung.

Denn während man auf dem Laterankonzil einen allgemeinen Gottesfrieden heiligte, um die Kräfte der Christenheit wider den Islam zu sammeln, mußte man einen guten Teil dieser Kräfte hergeben, um die im eignen Lager aufgetauchte Opposition gegen Verweltlichung und Hierarchie niederzukämpfen. Mit Entsetzen erregender Wut und Grausamkeit wurden die Waldenser und Albigenser zertreten. Päpste und Synoden riefen die Inquisition ins Leben mit der furchtbaren und unentrinnbaren Härte ihres Gerichtsverfahrens, mit ihren dunkeln Mauerzellen und ihren Holzstößen. Immer furchtbarer traten seit jenen Tagen die menschenfeindlichen, dämonischen Züge im Angesicht derselben K. hervor, in der die christlichen Völker ihre gemeinsame geistige Mutter zu verehren gewohnt und verpflichtet waren. Was der alte Römerstaat in den drei ersten Jahrhunderten an der Christenheit gesündigt hat, das kommt kaum noch in Betracht gegenüber dem, was unter Innozenz III. und seinen Nachfolgern in Südfrankreich oder was später unter Karl V. und Philipp II. in den Niederlanden geschah. Dieser zunehmende Blutgeruch war es nicht zum wenigsten, was edlere Geister der K. entfremdete, vorher noch der bei gesteigertem äußern Glanz immer greller in die Augen stechende Kontrast zwischen der Hoffart und Machtstellung des Klerus und dem nie ganz erloschenen Gedächtnis an den ursprünglichen Sinn der Stiftung Jesu. Das »arme Leben Jesu«, die »Nachfolge Jesu«, wie sie in der Person des volkstümlichsten Heiligen, Franz von Assisi (s. d.), am lichtvollsten in die Erscheinung trat, das waren untötbare Vorstellungen und Forderungen, die den nachhaltigsten Impuls lieferten zum Verdruß über diese, Völker und Fürsten bald mit List, bald mit Gewalt bändigende, alles im Himmel wie auf Erden dem eignen Vorteil opfernde Hierarchie. Schon jetzt hätten die Kaiser und Könige in ihrem Kampf gegen die Übergriffe des Papsttums viel ausrichten können, wenn sie die gärende Empörung in den Volksgeistern entfesselt oder wenigstens hätten gewähren lassen. Aber ihnen waren diese Mächte, in deren Auftreten eine neue Zeit von fern sich ankündigte, fast noch unheimlicher als den Päpsten selbst. Die Besten machen davon keine Ausnahme. Friedrich I. Barbarossa inaugurierte seine Kirchenpolitik damit, daß er den gefährlichsten und geistesmächtigsten Feind, den das Papsttum während des ganzen Mittelalters in Italien zu bekämpfen hatte. dem Blutgerichte des Papstes auslieferte: Arnolds von Brescia (1155) Schicksal war typisch. Mitten in seinem Krieg mit Gregor IX. (1227–41) gab Friedrich II. das furchtbare Gesetz »über die Verbrennung der Ketzer«, in dessen Folge die Scheiterhaufen noch in der Reformationszeit rauchten. Bei einem so widerspruchsvollen Vorgehen verstand sich eigentlich die Niederlage der Staatsmacht von selbst; aber auch der Kurie ist ihr Sieg tödlich geworden. Wie die unbeschränkte Macht in Menschenhänden einst den Cäsarenwahnsinn erzeugt hatte, so ließ sie jetzt die Päpste vielfach jene Rücksichten vergessen, welche auch die auf schwindelnder Höhe stehenden Sterblichen, vor allem aber diejenigen, die ihre Stellung religiösen Motiven verdanken, den sittlichen Mächten schulden. Hatte früher die K. in nicht seltenen Fällen ihren Schild über das vergewaltigte Recht gehalten, war sie ein Hort der Schutzlosen und Geringen gegen den rohen Despotismus der Machthaber gewesen, hatte sie im Namen des göttlichen und menschlichen Rechts die Großen dieser Erde vor ihren Richterstuhl zitiert, so lag die Sache schon im 13. und 14. Jahrh. vielfach umgekehrt. Kaiser und Könige fanden gegenüber den Anmaßungen des römischen Stuhles ihren wirksamsten, nur leider in wenigen Fällen ganz ausgenutzten Beistand in dem bürgerlichen Selbstgefühl, in dem Sinn für nationale Ehre und Selbständigkeit, in dem unbestochenen Rechtsbewußtsein ihrer Untertanen. Seitdem vollends das Papsttum in Avignon zum Werkzeug der französischen Politik herabgesunken war, dann während des Schismas (1378–1409) das ganze Heilsbedürfnis der Christenheit nur deshalb da zu sein schien, um unter den raffiniertesten Vorwänden zweien Gegenpäpsten die Kassen zu füllen und die Mittel zu liefern, sich gegenseitig zu bekriegen, seitdem Reservationen, Präventionen, Devolutionen, Kommenden, Annalen und anderweitige Rechtstitel erfunden waren, um die Vergebung von Kirchenämtern zu einer unerschöpflichen Quelle von Reichtümern für den Stuhl Petri werden zu lassen, war der Glaube der Völker an diesen heiligen Stuhl nicht bloß, sondern auch an die vielen heiligen Stühle, die von dort aus an zahlungsfähige Bewerber vergeben wurden, erschüttert. Mächtiger erhob sich von Jahr zu Jahr der Ruf nach Reformation der K. an Haupt und Gliedern. Das Papsttum selbst mußte das aufgedrungene Programm vollziehen helfen, und so kam es zu den großen Reformkonzilen von Pisa, Konstanz, Basel, um deren Frucht freilich die Völker hinterher durch die schlaue Diplomatie der Kurie schmählich betrogen worden sind.

Fünfte Periode: bis zum Westfälischen Frieden.

Die Vorbedingungen zu der großen Wendung der Dinge, in deren Folge die abendländische Christenheit bis auf den heutigen Tag in zwei feindliche Heerlager geteilt erscheint, lagen nicht bloß auf dem negativen Gebiete der bittern Enttäuschung ob des Scheiterns der mit so großer Kraft und Zuversicht unternommenen Reformbestrebungen, der flammenden Empörung ob der ungescheut und offen zutage tretenden Entwürdigung aller Heiligtümer, die zuletzt in der Verkäuflichkeit der Gnaden gipfelte, des unabwendbaren Bankrotts der Scholastik, die sich längst schon, statt an der Beweisbarkeit der Glaubenswahrheiten, an deren schlechthiniger Unbeweisbarkeit ergötzte, um daraus den rein supernaturalen und unbegreiflichen Charakter des kirchlichen Wissensschatzes herzuleiten und mit Ausstellung der Lehre von einer doppelten Wahrheit, einer philosophischen und einer theologischen, zu enden. Zu den unverjährbaren Rechten des menschlichen Denkens, dem die scholastische Scheinwissenschaft zur Last und zum Ekel geworden war, kam das aus dem Grab jahrtausendelanger Vergessenheit wieder erwachende Altertum, der klassische Studiendrang, die Kunstblüte der Renaissance, eine geistige Bildung, die unabhängig von der K. dastand und bei ihrem ersten Auftreten sich dessen auch mit jugendlichem Übermut bewußt war und rühmte. Aber auch die Völker traten jetzt aus der gleichmäßigen Weise des Denkens und Strebens, zu der die mittelalterliche K. sie erzogen hatte, wieder hervor, grenzten sich gegeneinander ab und erzeugten nationale Sondergüter. Insonderheit war Deutschland in den Tagen des ersten Auftretens Luthers in einer mächtigen nationalen Bewegung begriffen, die, von den besten Geistern geleitet und befürwortet, von einem gewaltigen Zuge im Herzen des ganzen Volkes getragen, fähig gewesen wäre, die deutsche Frage zu lösen, wenn im entscheidenden Augenblick nicht in Kaiser Karl V. ein Mann ohne jegliches Verständnis für nationale und religiöse Freiheit an die Spitze des Reiches getreten wäre. Er, dem Deutschland nur eine Domäne war, und dem das Ziel der Weltgeschichte in der Errichtung einer allmächtigen habsburgischen Hausmacht zu liegen schien, ist hauptsächlich verantwortlich zu machen für das Unglück Deutschlands, dem dieselben glorreichen Tage der Erhebung, daraus die Reiche des Nordens ein politisch wie religiös geeintes Staats- und Volkswesen als bleibenden Gewinn davontrugen, nichts eingebracht haben als fortgesetzte Zerstückelung, heillose Zerklüftung und das ganze Elend, das sich an das Gedächtnis des Dreißigjährigen Krieges und seiner Folgen knüpft.

Wie wenig die Reformation (s. d.) eine Schöpfung einzelner neuerungssüchtiger oder eitler Geister gewesen ist, wie sehr sie einer unaufhaltsamen Geburt aus dem Schoß einer erfüllten Zeit glich, sieht man schon daran, daß sie gleichzeitig von zwei verschiedenen Ausgangspunkten aus unternommen, von zwei Männern ins Leben gerufen worden ist, die sich gegenseitig nicht kannten und nicht verstanden (s. Lutherische Kirche, Reformierte Kirche). In Deutschland war es noch einmal das Mönchtum, das seiner niemals ganz verleugneten oppositionellen und antiklerikalen Tendenz sich bewußt wurde. In der Klosterzelle zu Erfurt ist der reformatorische Gedanke geboren worden; er faßte sich zunächst in denjenigen Bestandteilen der Lehre teils des Apostels Paulus, teils des heil. Augustinus zusammen, die nur pro forma und gleichsam honoris causa von der kirchlichen Überlieferung mitgeführt, ihrem Geist und Wesen, nicht selten sogar auch ihrem Buchstaben nach verleugnet und unwirksam gemacht worden waren. Gleichwohl ist der Sinn, in dem Luther (1483–1546) diese Sätze (von der Alleinwirksamkeit Gottes, von dem allgenugsamen Heilswert des Leidens Christi, von der Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben allein etc.) geltend machte, ein durchaus neuer, weltbewegender. Er bedeutete die in der Gewißheit der göttlichen Gnade gegebene religiöse Selbständigkeit und sittliche Selbstverantwortlichkeit des Individuums, die Beseitigung der klerikalen Bevormundung und des Garantiensystems der K., die Anerkennung des Staates, der Wissenschaft, der Ehe, überhaupt des weltlichen Berufs als göttlicher Ordnungen, die Beseitigung des religiösen Wertes alles sittlich leeren Tuns, des Klosterlebens, der Wallfahrten etc. An die Stelle des doppelten Lebensideals, dafür die Existenz des Mönchtums Zeugnis ablegt, tritt ein einheitliches, das im Rahmen des geordneten Lebensberufs durch Gottvertrauen und Menschenliebe verwirklicht werden soll. Sofern damit eine gewisse Verweltlichung des Christentums im besten Sinne des Wortes gegeben, die einseitig religiöse Beurteilung und Erfassung der Lebensaufgabe zugunsten des sittlichen Moments aufgehoben und der Mensch zwar ganz direkt nur auf Gott verwiesen, aber eben damit zugleich auch wieder auf seine eignen Füße gestellt erschien, kam dieser neuen Theologie ein verwandter Zug im Humanismus entgegen. Vorwiegend humanistisch gebildet waren die andern Reformatoren, Zwingli voran, Melanchthon am gründlichsten, zugleich juristisch auch Calvin. Hatte die Reformation daher auch von Haus aus nichts gemein mit aufklärerischen Tendenzen, wie es an solchen selbst im Mittelalter nie ganz gefehlt hatte, so erschien sie doch im Bunde mit allen neuaufstrebenden geistigen Mächten, und insofern langt der Protestantismus (s. d.) selbst weit hinaus über die zunächst nur der Zurechtstellung und Sicherung religiöser Erfahrungen geltenden Reformation. Luther selbst war sich der Tragweite der von ihm hervorgerufenen Bewegung der Geister von Haus aus gar nicht und wohl niemals vollständig bewußt. Er glaubte ein treuer Sohn der K. zu sein, als er ihre Mißbräuche angriff, und bei ein wenig mehr Verständnis für das innere Recht seiner Sache, bei ein wenig mehr Achtung für das auf Luther hörende deutsche Volk, bei ein wenig mehr Geschmeidigkeit und Loyalität in der praktischen Behandlung der Sache wäre es der Kurie ein Leichtes gewesen, wenigstens die sächsische Reformation in Bahnen zu erhalten, die eine schließliche Wiedervereinigung so gut hätten erhoffen lassen, als solches zuvor gegenüber der hussitischen Reformation in Böhmen möglich gewesen war. Selbst noch zu Lebzeiten des später immer unversöhnlicher werdenden Reformators war man sich auf dem Religionsgespräch zu Regensburg ganz nahe gekommen. Aber jetzt erfolgte in Rom selbst der plötzliche Umschwung. An die Stelle der humanistisch angehauchten, ihre Stellung im europäischen Staatensystem lediglich nach den politischen Interessen des Kirchenstaates nehmenden Päpste traten andre, die ihre Aufgabe wieder im rein kirchlichen Sinne verstanden. Der abgefallene Teil der Christenheit sollte mit Gewalt zur Mutterkirche zurückgeführt, der treu gebliebene durch unübersteigliche Schranken von der protestantisch gewordenen Hälfte geschieden werden. In diesem Sinne sind die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545–63) ausgefallen; in diesem Sinne haben sich neue Orden, die Jesuiten voran, dem tridentinischen Katholizismus zur Verfügung gestellt; in diesem Sinn ist allenthalben in Europa die Gegenreformation (s. d.) eingeleitet worden.

Daß letztere so überraschend gute Geschäfte machte und namentlich halb Deutschland wieder zur Rückkehr in die alten Verhältnisse brachte, daran war außer der unglaublichen Rührigkeit und Rücksichtslosigkeit, welche die nunmehr alle ihre Aufgaben nur noch im Gegensatz zum Protestantismus erfassende K. an den Tag legte, die Unfähigkeit des Gegners schuld, mit dem diese K. es zu tun hatte. Einer kraftvollen und entschlossenen Zusammenfassung aller protestantischen Mächte in seinem Herrschaftsgebiet wäre schon Karl V. bei der großen Zersplitterung seiner Interessen und Kräfte nicht gewachsen gewesen. Daß es dazu nicht gekommen ist und nicht kommen konnte, dafür sorgte Luther, als er um seines »Est« willen in Marburg die dargereichte Bruderhand Zwinglis zurückstieß, als er alle politischen Pläne des Landgrafen von Hessen mit seiner Theorie von der Christenpflicht des leidenden Gehorsams durchkreuzte, als er nach allen Richtungen jene unheilvolle sächsische Politik einleitete, die selbst noch im Dreißigjährigen Kriege ihre Freundschaft sogar einem mit Feuer und Schwert wütenden Fanatiker auf dem Kaiserthron fast aufgedrungen hat. Dafür sorgten ferner die lutherischen Theologen, als sie, während die reformierten Christen in Italien, Frankreich und England Verfolgungen erlitten und eine glorreiche Heldenzeit feierten, diese selben Bekenner und Blutzeugen verketzerten, die Flüchtlinge verjagten, alle an Calvin sich annähernden Richtungen und Bestrebungen innerhalb der sächsischen K. mit barbarischer Roheit niedertraten, alle Gläubigen, die sich nicht an das 1000 Jahre zuvor entstandene dogmatische System des Byzantinismus gebunden erachteten, der bürgerlichen Obrigkeit zur Ausrottung mit Feuer und Schwert empfahlen. Die ganze Betriebsamkeit dieser Theologie ging während der zweiten Hälfte der Reformationszeit und auch durch das ganze 17. Jahrh. auf in widerwärtigen und unfruchtbaren dogmatischen Kämpfen, in innern und äußern Kriegen um die Herrlichkeit der »reinen Lehre«, wobei sich nicht selten zeigte, wie noch im Beginn des Dreißigjährigen Krieges der Hofprediger des Kurfürsten von Sachsen bezeugte, daß die K. des lautern Wortes sich viel eher mit den Katholiken vertragen könne als mit den »Calvinisten, die auf 99 Punkten mit den Arianern und Türken übereinstimmten«. Es gibt viele dürre Partien der Kirchengeschichte, aber wenige, wo das Treiben der offiziellen Vertreter des Christentums kläglicher, ja verächtlicher erschiene.

Man würde es insofern ein verdientes Schicksal nennen können, wenn der deutsche Protestantismus im Dreißigjährigen Kriege, in den er sich ebenso kopflos hineintreiben ließ, wie er ihn dann planlos und stets mit zersplitterten Kräften geführt hat, unterlegen wäre. In der Tat hat er seine Rettung allein dem Eingreifen der Kronen Schwedens und Frankreichs zu verdanken gehabt. Der Westfälische Friede (1648), der als die letzte unter den großen Epochen der Kirchengeschichte gilt, brachte dem Deutschen Reich eine zweifache Staatsreligion nach dem Grundsatz voller gegenseitiger Rechtsgleichheit, wobei die Reformierten den Katholiken gegenüber als Protestanten angesehen wurden. Aber nur notgedrungen, weil die Völker in Verzweiflung nach Frieden schrieen und alle Kriegsmittel erschöpft waren, erkannten beide Kirchen ihren Besitzstand gegenseitig an. Im Laufe des Krieges selbst waren allerdings fast nur noch politische Gesichtspunkte an die Stelle der ursprünglich wirksamen religiösen getreten, und die großen Kriege, die nach 1648 Europa erschüttert haben, finden ihre Erklärung im Widerstreit nicht mehr der konfessionellen, sondern der staatlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Interessen. Aber im Bewußtsein des Volkes sind doch die schlesischen Kriege Friedrichs d. Gr. und sogar noch der Deutsche Krieg von 1866 vorwiegend unter dem Gesichtspunkte des katholisch-protestantischen Antagonismus aufgefaßt worden. Der Papst hat seinen Protest gegen den Westfälischen Frieden im Protest gegen den Wiener Frieden fortgesetzt, und die Rede, daß der Dreißigjährige Krieg nur unterbrochen, nicht beendet sei, taucht im neuen Deutschen Reiche mit größerer Keckheit auf, als sie jemals im alten vernommen worden war.

Sechste Periode: bis zur Gegenwart.

Die das 17. Jahrh. füllende Periode der Orthodoxie läßt die treibenden Gedanken der Reformation, ihre Welt- und Lebensauffassung nur noch in äußerst verkümmerter Gestalt erkennen. Es war die Folge der aufgenötigten Streitlage wider die römische Kirche einerseits, wider den Anabaptismus und die radikale Reformation anderseits, es war aber nicht minder auch die Folge selbstgeschaffener Wirrsale und endloser, selbstmörderischer Lehrstreitigkeiten im Innern, wenn wenigstens die lutherische Kirche Deutschlands nur als Staats- und Landeskirche, richtiger als eine staatlich eingeführte und aufrecht erhaltene, die Laienwelt beherrschende theologische Schule Bestand gewonnen hatte. Nur in der erbaulichen Literatur, zumal im Kirchenlied, offenbarte sich noch etwas von der Ursprünglichkeit evangelischer Religiosität. Im übrigen schien sich die Kraft der reformatorischen Bewegung im Dogmatismus erschöpft zu haben; Erstarrung und Veräußerlichung bedrohten die neue Kirchenbildung, die dem Feinde Widerstand geleistet hatte, mit Verödung in sich selbst.

Nunmehr sind es zwei aufeinanderfolgende, sich gegenseitig aufhebende Schwingungen, die auf der Linie der kirchlichen Entwickelung von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrh. unterschieden werden können. Zunächst eine solche, welche die konfessionelle Spannung ermäßigt, teilweise aufhebt in der Richtung auf Wahrung der gemeinsamen Kulturgüter; dann eine solche, die unter mehr oder weniger grundsätzlicher Mißachtung der letztern auf Wiederherstellung des kirchlichen Bewußtseins bis in seine extremsten, unverträglichsten Spitzen hinaus losarbeitet. Die erstere Strömung erzeugte sich zuerst in England aus dem Widerwillen an den religiös motivierten Exzessen der Revolution und Reaktion; sie trug sich über nach Frankreich, wo im schroffen Gegensatz zu der erbarmungslosen Protestantenverfolgung Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. die bis zum Atheismus und Materialismus fortschreitende Aufklärung der Enzyklopädisten zu einer Großmacht heranwächst, die sich in der Revolution zeitweilig als nicht bloß im Grundsatz kirchenfeindlich, sondern auch tatsächlich kirchenzerstörend bewähren sollte. In Deutschland brachte der Rückschlag auf die Glaubenswut, der man den mörderischen Krieg verdankt hatte, zuerst die mildere Form des Pietismus (s. d.), nachher die Popularphilosophie und den Rationalismus (s. d.). Auf Einschläferung der konfessionellen Gegensätze wies aber auch die Tatsache hin, daß infolge schon der schlesischen, mehr noch der französischen Kriege besonders seit 1803 Territorien geschaffen wurden, die Katholiken und Protestanten in großer Zahl umfaßten, so daß an die Stelle des althergebrachten Staatskirchensystems mehr und mehr die Forderungen traten, die sich aus dem Wesen eines paritätisch gewordenen Staates ergaben. Zur vollen und reinlichen Durchführung ist dieses moderne System schon deshalb nicht gekommen, weil der Kampf gegen das je länger, desto unverhohlener wieder mit allen mittelalterlichen Ansprüchen auftretende Rom in beständigen Schwankungen verlief. Gewöhnlich mit viel Ungeschick und selten mit Glück geführt, hat dieser Kampf die besten Kräfte verzehrt, ohne daß Aussichten auf einen andern Frieden vorhanden wären als einen solchen, der mit gründlicher Unschädlichmachung der einen oder andern Partei verbunden wäre.

Aber nur als großes Kulturprinzip betrachtet, steht der Protestantismus in unbedingtem Gegensatz zu dem je länger, desto ausschließlicher rom isch (»ultramontan«) gewordenen, vom Geiste des Jesuitismus und vielfach auch von seinen Händen geleiteten Katholizismus. In theologischer Beziehung dagegen hat sich protestantischerseits wenigstens in der offiziellen Kirchlichkeit als Gegenschlag auf Aufklärung und Rationalismus, Revolution und Radikalismus zunächst unter den Auspizien der romantischen Geistesströmung und der auf die Napoleonische Ära folgenden Restaurationspolitik eine so weitgehende Rückbewegung vollzogen, daß die Lebensbedingungen beider Richtungen, der ultramontan-katholischen und der orthodox-protestantischen, vielfach dieselben geworden sind. Die nämliche Staatsräson begünstigte beide zugleich; dieselben einflußreichen Persönlichkeiten halfen beiden immer wieder auf, so oft auch Geschichte und Naturwissenschaften das Todesurteil über sie gesprochen haben mochten; dieselbe Trägheit und Stumpfheit der großen Massen ist es, worauf beide ihr Machtgefühl, ihre Siegesgewißheit, ihre Verachtung aller der mannigfachen Mächte gründen, die ihnen im geschulten und gebildeten Bewußtsein der Zeit unversöhnlich gegenüberstehen. Aber unter letztern Mächten ist eine, die schon jetzt der K. den Rang im Herzen der Völker streitig macht und ihr vielleicht auch auf die Dauer gewachsen bleiben dürfte: es ist der Drang nach nationaler Selbständigkeit, wie er seit der Losreißung Nordamerikas, seit der französischen Revolution, seit der italienischen und deutschen Staatenbildung zum Mittelpunkt aller Weltereignisse, zur Signatur der neuern Zeit geworden ist. Als eine der mächtigsten Wirkungen dieses Zuges der Zeit berührt die Auflösung des Kirchenstaates (1870) unsre unmittelbare Gegenwart. Aber auch der französische Klerus wird auf die Dauer seines Gallikanismus (s. Gallikanische Kirche) nicht vergessen können, und in. Deutschland wird sich immer wieder aufs neue die Frage stellen, wer Herr ist – Kaiser oder Papst.

Eine Gefahr von ganz andrer Art wieder hat die K. in jener unsichtbaren Macht vor sich, welche die verselbständigte, dem religiösen Gängelband angeblich oder wirklich entwachsene Sittlichkeit der modernen Menschheit, das mehr künstlerisch und wissenschaftlich als religiös gesättigte Kulturleben der Gegenwart, die alle Dogmatik im Grundsatz verwerfende neuere Philosophie und moderne Weltanschauung, der historische Sinn unsrer Zeit, der das Christentum im Zusammenhang mit der allgemeinen Geistesentwickelung des Geschlechts und nach Analogie andrer Weltreligionen zu verstehen sucht, darstellen. Tatsächlich wird die von Strauß aufgeworfene Frage: »Sind wir noch Christen?« von vielen Tausenden, die sich äußerlich zur K. halten, mit nein beantwortet, und ebenso sind ihrer Tausende, welche die Frage zwar aufrichtig bejahen, aber doch der Meinung sind, das Christentum werde die K. überleben, die K. des 19. und 20. Jahrh. sei nur noch der Mond, nicht mehr die Sonne, und zwar der Mond im abnehmenden Licht; sie müsse allmählich einige ihrer Funktionen an die staatliche, andre an die künstlerische Gemeinschaft abgeben etc. Wenn solche Stimmen recht behalten sollten, so ständen wir jetzt so ziemlich vor dem Ende der lebendigen Kirchengeschichte; künftige Jahrhunderte würden nur noch Verwesungsgeruch empfinden, wo frühere erquickenden Lebensduft atmeten. Zieht man jedoch diejenigen Triebe und Instinkte in Betracht, welche die ungeheure Mehrheit auch der zivilisierten Menschheit als zugkräftig empfindet, von denen sie sich tatsächlich bestimmen läßt, so erscheinen derartige Fragen wenigstens für jedwede für uns absehbare Zukunft doch nur fast als rein akademische Erörterungen. Die Zeiten des »Kulturkampfes« sind jedenfalls solche, die noch ganz und voll in die Kirchengeschichte hineingehören und ebenso reichlichen wie ernsthaften Anlaß bieten, diese Kirchengeschichte, die das Verständnis der Gegenwart eröffnet, sich recht genau anzusehen und ihre Weisungen verstehen zu lernen. – Über kirchliche Geschichtschreibung s. Kirchengeschichte.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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