Militärstrafgerichtsbarkeit

Militärstrafgerichtsbarkeit

Militärstrafgerichtsbarkeit (Militärjustiz). Inbegriff der den militärischen Organen zustehenden rechtlichen Befugnisse. Sie beruht auf der Militärgerichtsordnung nebst Einführungsgesetz und auf dem Disziplinargesetz für richterliche Militärjustizbeamte vom 1. Dez. 1898, in Kraft getreten 1. Okt. 1900. Mit diesem Tage traten die bisherigen militärstrafprozeßrechtlichen Vorschriften, also die preußische, die bayrische, die sächsische und die württembergische Militärstrafgerichtsordnung, außer Geltung.

A. Umfang der Militärstrafgerichtsbarkeit.

Der M. unterliegen: I. Für alle strafbaren Handlungen, d. h. für militärische wie für bürgerliche Verbrechen (hinsichtlich letzterer jedoch mit Ausnahme von Zuwiderhandlungen gegen Gesetze und Verordnungen über Finanzwesen, Polizei, Jagd und Fischerei, sofern die Handlung nur mit Geld und Einziehung oder einem davon bedroht ist), 1) die Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine; 2) die zur Disposition gestellten (Gegensatz: mit Pension verabschiedeten, die schon seit Reichsgesetz vom 3. Mai 1890 den bürgerlichen Gerichten unterstellt sind) Offiziere, Sanitätsoffiziere und Ingenieure des Soldatenstandes; 3) die Studierenden der Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen; 4) die Schiffsjungen, solange sie eingeschifft sind; 5) die in militärischen Anstalten versorgten invaliden Offiziere und Mannschaften; 6) die nicht zum Soldatenstand gehörigen Offiziere à la suite und Sanitätsoffiziere à la suite, wenn und solange sie vorübergehend Dienst tun; 7) die verabschiedeten Offiziere, Sanitätsoffiziere und Ingenieure des Soldatenstandes, wenn und solange sie als solche oder als Militärbeamte im aktiven Heer oder in der aktiven Marine vorübergehend verwendet werden; 8) das Kriegsgefolge, die beim kriegführenden Heer zugelassenen ausländischen Offiziere, die Kriegsgefangenen, die an Bord eines mobilen Kriegsschiffes Angestellten oder sonst dienstlich Eingeschifften; jedoch unterliegen nicht dem Offizierstand angehörige aktive Militärpersonen wegen solcher Amtsverbrechen und Amtsvergehen der M. grundsätzlich nicht, die sie bei einstweiliger Verwendung im Zivildienst des Reiches, eines Bundesstaats oder einer Gemeinde begehen.

II. Nur für gewisse strafbare Handlungen: 1) die Personen des Beurlaubtenstandes (nur für Zuwiderhandlung gegen Militärstrafgesetze, also nur für Militärverbrechen); 2) die dem Beurlaubtenstand angehörigen Offiziere, Sanitätsoffiziere und Ingenieure des Soldatenstandes wegen Zweikampfes mit tödlichen Waffen, wegen Herausforderung oder Annahme einer Herausforderung hierzu und (bisher nicht) wegen Kartelltragens; 3) die unter I, Nr. 6, Genannten, auch wenn sie nicht dienen, wegen in Militäruniform begangener Zuwiderhandlung gegen die militärische Unterordnung; 4) Ausländer und Deutsche wegen auf dem Kriegsschauplatz begangener Verbrechen (Militärstrafgesetzbuch, § 160, 161).

III. Aktive Militärpersonen unterliegen der M. auch wegen vor dem Dienstantritt begangener Handlungen, sofern sie deswegen nicht entlassen werden. War also vor dem Dienstantritt Eröffnung des Hauptverfahrens schon beschlossen, so muß militärgerichtlich erkannt werden. Die zum Dienst einberufenen Personen des Beurlaubtenstandes unterliegen wegen solcher Handlungen der M. nicht. Anderseits darf während der Dauer der Dienstleistung gegen sie hierwegen ohne Zustimmung der Militärbehörden Untersuchungshaft nicht verfügt, auch eine Hauptverhandlung nur abgehalten werden, wenn sie in derselben nicht zu erscheinen brauchen. Wegen der im Dienst begangenen Delikte können sie den bürgerlichen Gerichten übergeben werden, wenn es sich lediglich um Zuwiderhandlung gegen die allgemeinen Strafgesetze, also nicht um militärische Verbrechen handelt.

IV. Macht sich eine aktive Militärperson innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Dienstzeit wegen der ihr während derselben widerfahrenen Behandlung einer Beleidigung, Körperverletzung oder Herausforderung gegenüber einem frühern militärischen, noch aktiven Vorgesetzten schuldig, so ist hierfür, und wenn der Zweikampf stattfand, auch dieseswegen, die M. begründet, wegen Beleidigung jedoch nur, wenn sie im Verkehr mit dem frühern Vorgesetzten oder mit einer Militärbehörde begangen war.

V. Nach Landesrecht bestimmt sich, ob auch das Landgendarmeriekorps der M. untersteht (Einführungsgesetz, § 2).

VI. Auf die kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten wurde die neue M. ausgedehnt durch kaiserliche Verordnung vom 18. Juli 1900, erlassen auf Grund des Schutztruppengesetzes vom 7. Juli 1896. Auch für die Schutztruppen gilt hiernach während ihres Aufenthalts außerhalb Europas das vereinfachte (außerordentliche) Verfahren der Bordgerichte. Als Gerichtsherr der höhern Gerichtsbarkeit gilt der kommandierende General des Gardekorps mit den gerichtsherrlichen Befugnissen eines kommandierenden Generals (Oberkriegsgericht), in jedem Schutzgebiete der dort angestellte rangälteste Offizier, und zwar mit den Befugnissen eines Divisionskommandeurs. Das von ihm zu ernennende Kriegsgericht trägt den Namen Gouvernementsgericht, während das Standgericht Abteilungsgericht heißt.

VII. Für das ostasiatische Expeditionskorps trat sie schon vor dem 1. Okt. 1900, am Tage des Verlassens der heimischen Gewässer, in Kraft (kaiserliche Verordnungen vom 15. Juli mit nachträglicher Zustimmung des Bundesrats vom 1. Nov. 1900).

VIII. Für die zum Gouvernement Kiautschou gehörigen Militärpersonen gelten nach Reichsgesetz vom 25. Juni 1900 die Vorschriften über M. an Bord (s. unten, C. II.).

B. Verfassung der Militärgerichte.

Der Grundgedanke der Militärgerichtsverfassung ist: soweit als möglich Anlehnung der Gerichtsgewalt an die Kommandogewalt. Wer militärischer Befehlshaber ist, übt auch die Gerichtsbarkeit aus oder bestellt wenigstens die soviel wie möglich dann selbständig gestellten Gerichtsorgane (Untersuchungsführer, erkennende Gerichte, ja sogar Verteidiger), ein Prinzip, das sich daraus erklärt, daß die Kommandogewalt ohne Schädigung ihrer Autorität keine von ihr völlig unabhängige zweite Gewalt neben sich im Heeresorganismus dulden kann, und daß auf diese Weise sich die M. in Feld und an Bord am leichtesten durchführen läßt. Eine Ausnahme besteht nur für das Reichsmilitärgericht. Dasselbe ist völlig selbständig, an keine Kommandogewalt angelehnt. Hat der militärische Befehlshaber die M., so hat er um so mehr auch die Vertretung des Staates als Partei, als Inhaber des Strafanspruchs; er bestellt also insbesondere den Vertreter der Anklage.

Die M. ist eine niedere oder eine höhere. Die niedere M. umfaßt nur Personen ohne Offiziersrang und soweit 1) nur Übertretungen, mit Arrest bedrohte Vergehen und, sofern nach dem Ermessen des Gerichtsherrn neben einer etwaigen Einziehung keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder Geldstrafe bis zu 150 Mk., allein oder in Verbindung miteinander, zu erwarten steht, auch gewisse in § 16 aufgezählte höher bestrafte Vergehen (unerlaubte Entfernung etc.); 2) nur Fälle, wo keine Ehrenstrafe, im Feld und an Bord, d. h. im Landheer und in der Marine, Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes ausgenommen, zu erwarten steht (§ 14–16). Die höhere M. umfaßt alle andern unter M. stehenden Personen und alle andern strafbaren Handlungen, aber auch die unter die niedere M. fallenden Personen und Sachen, so daß, wer die höhere M. hat, auch die niedere über die zu seinem Befehlsbereich gehörenden Personen besitzt. Jedoch ist vorgeschrieben, daß der kommandierende General, abgesehen vom Verfahren im Feld und an Bord, die M. nur in der Rechtsbeschwerde- oder Berufungsinstanz ausübt und auch jeder andre Gerichtsherr der höhern Gerichtsbarkeit die ihm unmittelbar unterstellten Militärpersonen hinsichtlich der vor die Standgerichte gehörigen Sachen einem andern Gerichtsherrn, d. h. einem Gerichtsherrn der niedern M., für die Strafverfolgung zu unterstellen hat (§ 30 und 31).

Die M. wird durch die Gerichtsherren und die erkennenden Gerichte ausgeübt (§ 12). Gerichtsherren heißen die militärischen Befehlshaber, denen M. zusteht. Der Gerichtsherr ist, abgesehen von der Strafverfügung, wo er die M. ganz allein übt, 1) Staatsanwalt; er bestellt den Vertreter der Anklage in erster und zweiter Instanz vor den erkennenden Gerichten (§ 255, 273, 386), legt Berufung und Revision ein (§ 365) und ordnet die Strafvollstreckung an (§ 451); 2) Richter bis zur Hauptverhandlung; d. h. für die erste Instanz: er ordnet, sobald er von dem Verdacht einer militärgerichtlich zu verfolgenden Handlung Kenntnis erhält, das Ermittelungsverfahren an, das den Charakter der gerichtlichen Voruntersuchung des bürgerlichen Strafprozesses hat, und beauftragt hiermit einen Untersuchungsführer (dem Untersuchungsrichter im bürgerlichen Strafverfahren entsprechend), als welcher in standgerichtlichen Sachen ein Gerichtsoffizier, sonst ein Kriegsgerichtsrat bestellt wird (§ 157, 159), um dann, wenn er den Beschuldigten für hinreichend verdächtig hält, die Anklageverfügung zu erlassen, d. h. hier das Hauptverfahren zu beschließen. Die Anklageverfügung des Gerichtsherrn, die Erhebung der Anklage, ist hier nicht, wie die Anklageschrift des Staatsanwalts im bürgerlichen Strafprozeß, Antrag an das Gericht auf Eröffnung des Hauptverfahrens, sondern dieses eröffnender Richterbeschluß (s. unter C.). Nach Erhebung der Anklage muß die Sache von dem erkennenden Gericht zur Aburteilung gebracht werden; 3) er bildet und beruft das erkennende Gericht, d. h. das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung, d. h. die öffentliche mündliche Verhandlung der Sache, und die Aburteilung stattfindet; die erkennenden Gerichte sind also, vom Reichsmilitärgericht abgesehen, unständige, nur auf Berufung des Gerichtsherrn und nur für den einzelnen Fall zusammentretende Gerichte (§ 18), was für Feld und Bord sehr zweckmäßig ist.

Gerichtsherr der niedern M. ist: 1) im Heer der Regimentskommandeur (Name: Gericht des Xten Regiments), der Kommandeur eines selbständigen Bataillons, eines Landwehrbezirks, der Kommandant von Berlin, der Kommandant einer kleinen Festung; 2) in der Marine der Kommandeur einer Matrosen- oder Werftdivision, der Kommandeur eines selbständigen Bataillons oder einer selbständigen Abteilung. Gerichtsherr der höhern Gerichtsbarkeit (für erste und höhere Instanz) ist: 1) im Heer der kommandierende General, der Divisionskommandeur (nicht der Brigadekommandeur; Name: Gericht der Xten Division), der Gouverneur von Berlin, der Gouverneur oder Kommandant einer großen Festung (Festung, deren Gouverneur [Kommandant] mindestens Brigadekommandeursgehalt bezieht) sowie die Befehlshaber eines in Kriegszustand (Belagerungszustand) erklärten Ortes oder Distrikts; 2) in der Marine der Chef einer heimischen Marinestation, der Inspekteur des Bildungswesens, der Chef des ersten Geschwaders und der Chef des Kreuzergeschwaders. Durch Verordnungen des Kaisers im Krieg und allgemein für die Marine, sonst des zuständigen Kontingentsherrn, d. h. nach den Militärkonventionen regelmäßig des Königs von Preußen, kann M. auch andern Befehlshabern (z. B. Kommandanten größerer Residenzen) verliehen werden (§ 37 und Einführungsgesetz, § 7). Unter M. stehende Personen, für die ein Gerichtsherr nicht ausdrücklich bestimmt ist, sind der M. des Divisionskommandeurs unterstellt, in dessen Bezirk sie sich befinden oder die Tat verüben. In Berlin sowie in Festungen tritt die Zuständigkeit der Gouverneure oder Kommandanten ein. Für Generale, die nicht unter dem Befehl eines dem kommandierenden General unterstellten Gerichtsherrn stehen, bestimmt der zuständige Kontingentsherr, im Felde der Kaiser den Gerichtsherrn. Hat eine Festung mehrere Kommandanten, so steht die höhere M. dem ersten (Gouverneur), die niedere dem zweiten zu. Der Gouverneur und der Kommandant von Berlin sowie die Gouverneure und Kommandanten von Festungen haben die M. (Gouvernements- und Kommandanturgerichte) über alle unter M. fallende Personen, die a) eine strafbare Handlung gegen die allgemeine Sicherheit, Ruhe und Ordnung des Ortes, b) eine Zuwiderhandlung gegen eine besondere, in Beziehung auf die Festungswerke und Verteidigungsmittel bestehende Anordnung, c) eine strafbare Handlung im Garnisondienst begehen; der Befehlshaber eines in Kriegszustand erklärten Ortes hat M. über alle zur Besatzung gehörenden Militärpersonen. Detachierte Teile eines militärischen Verbandes können der M. eines andern Gerichtsherrn unterstellt werden (§ 21 bis 28).

Dem Gerichtsherrn der niedern M. stehen Gerichtsoffiziere (s. d.) zur Bestellung als Untersuchungsführer und Anklagevertreter vor den erkennenden Gerichten in standgerichtlichen Sachen, dem Divisionskommandeur Kriegsgerichtsräte (s. d.) zur Verwendung in Sachen der höhern M. als Untersuchungsführer, Vertreter der Anklage in erster oder zweiter Instanz, als Verteidiger (s. Verteidigung) und als Beisitzer im Kriegsgericht und als Hilfsorgane in Bestätigungssachen (s. Bestätigung) und in der Militärjustizverwaltung (s. d.) zur Seite; ebenso dem kommandierenden General Oberkriegsgerichtsräte (s. d.) zur Vertretung der Anklage vor dem Oberkriegsgericht, zur Verwendung im Oberkriegsgericht und in Sachen der Militärjustizverwaltung (s. d.). Die Zahl der den Gerichtsherren der höhern Gerichtsbarkeit zugeordneten Zahl von richterlichen Militärjustizbeamten (Kriegs- und Oberkriegsgerichtsräte) richtet sich nach dem Bedürfnis, bei den Gouvernements- und Kommandanturgerichten und andern höhern Gerichten danach, ob an dem betreffenden Ort solche Beamte vorhanden sind, die aushilfsweise auch bei ihnen verwendet werden können. Den Kriegsgerichtsräten kann der Amtssitz auch außerhalb der Garnison ihres Gerichtsherrn angewiesen werden. Entscheidungen und Verfügungen (z. B. die Anklageverfügung des Gerichtsherrn) sind, soweit der Gerichtsherr nach dem Gesetz nicht allein zu entscheiden hat (wie z. B. über Haftbefehl, d. h. Untersuchungshaft [s. d.]), von einem seiner Hilfsorgane (Gerichtsoffizier, bez. Kriegs- oder Oberkriegsgericht) gegenzuzeichnen, wodurch letzteres für die Gesetzlichkeit mitverantwortlich macht. Hält das Hilfsorgan die Verfügung oder Entscheidung oder eine ihm gewordene Weisung mit den maßgebenden Vorschriften für unvereinbar, so hat es Vorstellung zu erheben. Bleibt diese erfolglos, so ist der Weisung des Gerichtsherrn zu entsprechen, der alsdann allein verantwortlich ist, zugleich aber der Hergang aktenkundig zu machen und dem höhern erkennenden Gericht vorzulegen, dessen Beurteilung für die weitere Behandlung der Sache maßgebend ist (§ 97 und 102). Dadurch erhält indirekt auch der Gerichtsherr selbst eine gewisse Selbständigkeit nach oben. An sich ist ja der höhere Gerichtsherr, wenn er auch im übrigen in den Gang der Untersuchung nicht eingreifen darf, befugt, den Untergebenen anzuweisen, eine Untersuchung einzuleiten oder fortzusetzen (Anklage zu erheben) sowie ein Rechtsmittel einzulegen oder zurückzunehmen (§ 24); aber zur Befolgung solcher Weisung bedarf der untere Gerichtsherr eben der Mitunterzeichnung seines Hilfsorgans. Weisungen des Gerichtsherrn an Kriegs- und Oberkriegsgerichtsräte in ihrer Eigenschaft als erkennende Richter sind unstatthaft und unverbindlich (§ 97).

Erkennende Gerichte sind die Standgerichte (s. d.), die Kriegsgerichte (s. d.), die Oberkriegsgerichte (s. d.) und das Reichsmilitärgericht (s. d.), und zwar die bei der Division, Kommandantur, Gouvernement gebildeten Kriegsgerichte als erste Instanz für die nicht vor die Standgerichte gehörenden Sachen und als Berufungsinstanz für standgerichtliche Urteile, die beim Generalkommando gebildeten Oberkriegsgerichte als die Berufungsinstanz für die kriegsgerichtlichen Urteile erster Instanz, das Reichsmilitärgericht als Revisionsinstanz für Urteile der Oberkriegsgerichte. Die erkennenden Gerichte sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (§ 18). Ihrer Verhandlung darf der Gerichtsherr nicht anwohnen (§ 273). Bei den Standgerichten sind nur Offiziere Richter, bei den übrigen Offiziere und (Ausnahmen im Feld und an Bord womöglich) richterliche Militärjustizbeamte (s. d., Militärrichter), und zwar bei den Kriegsgerichten 4 Offiziere und ein Militärrichter (ausnahmsweise 3 und 2), bei den Oberkriegsgerichten 5 Offiziere und 2 Militärrichter, beim Reichsmilitärgericht, weil hier Rechtsfragen überwiegen, bestehen die Senate aus 4 Offizieren und 3 Militärrichtern (ausnahmsweise sogar 3 Offizieren und 4 Juristen). Unteroffiziere und Gemeine sind vom Richteramt ausgeschlossen, die einen hauptsächlich, weil sie als Richter neben den Offizieren befangen wären, die andern auch wegen mangelnder Bildung und Reise. Schwurgerichte gibt es als zu schwerfällig und für Feld und Bord zu kompliziert nicht. Die erkennenden Gerichte beruft der betreffende Gerichtsherr; ist der Angeklagte ein General, der zuständige Kontingentsherr, im Felde der Kaiser; hinsichtlich der Admirale und Generale der Marine erfolgt die Berufung stets durch den Kaiser (§ 18–21).

C. Militärstrafprozeß, Militärstrafverfahren (Verfahren der Militärgerichte).

I. Das ordentliche Verfahren, d. h. dasjenige, das nicht unter die nachfolgenden Ausnahmen II. und III. fällt, ist nicht mehr, wie nach der preußischen Militärstrafgerichtsordnung, ein schriftliches, geheimes und an feste Beweisregeln gebundenes, sondern es ist der bürgerlichen Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 nachgebildet, d. h. es gilt freie Beweiswürdigung und, wie dort, für die Hauptverhandlung (s. oben) Mündlichkeit und grundsätzlich Öffentlichkeit. Besonderheiten gegenüber dem bürgerlichen Strafprozeß gelten hauptsächlich: 1) für die Beschränkung der Öffentlichkeit (s. d.), 2) für die Untersuchungshaft (s. d.), 3) für die Verteidigung (s. d.), 4) die Revision (s. d.), 5) insofern als die Urteile der Bestätigungsorder bedürfen und teilweise staatsanwaltliche und richterliche Funktionen in Einer Person vereinigt sind. Fortschritte gegenüber demselben ist die Möglichkeit der Berufung gegen Urteile der den landgerichtlichen Strafkammern entsprechenden Kriegsgerichte und die Einführung des Nacheides (s. Eid, S. 432). Das Verfahren wickelt sich folgendermaßen ab: Sobald der Gerichtsherr von dem Verdacht einer militärgerichtlich zu verfolgenden Handlung Kenntnis erhält, muß er den Sachverhalt, und zwar regelmäßig durch Anordnung des Ermittelungsverfahrens (s. oben), erforschen lassen (§ 156). An den Untersuchungshandlungen (Untersuchungsmaßregeln) des Untersuchungsführers (s. d.) selbst darf er nicht teilnehmen (§ 167). Das Ermittelungsverfahren ist nur so weit auszudehnen, daß der Gerichtsherr entscheiden kann, ob Anklage (§ 168) oder Einstellung (außer Verfolgung setzen) zu verfügen sei (§ 245, 247, 250). Verfügt er die Anklage, so ist die Anklageverfügung (s. oben B.) dem Beschuldigten mit einer die Angabe der Beweismittel und die wesentlichen Ergebnisse der stattgehabten Ermittelungen enthaltenden Anklageschrift bekannt zu machen. Damit ist die Anklage erhoben (§ 258). Die Anklageschrift fertigt und unterzeichnet in Sachen der niedern M. der Gerichtsoffizier, in Sachen der höhern der Kriegsgerichtsrat, den der Gerichtsherr mit Vertretung der Anklage vor dem erkennenden Gericht beauftragt (§ 255). Nach der Anklageerhebung beruft der Gerichtsherr das erkennende Gericht. Wer in der Sache als Gerichtsherr, Untersuchungsführer im Ermittelungsverfahren, als Vertreter der Anklage oder als Verteidiger tätig war oder als Vorgesetzter den Tatbericht (s. d.) einreichte, ist kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes bei den erkennenden Gerichten ausgeschlossen (§ 122). Die Hauptverhandlung (s. oben) beginnt mit Ausruf des Angeklagten, des Verteidigers, der Zeugen und Sachverständigen. Dann verliest der Vorsitzende die Namen der Richter (Richterliste), um dem Beschuldigten, im Verfahren vor dem Reichsmilitärgericht auch der Militäranwaltschaft (s. d.) Gelegenheit zur Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit zu geben. Dann erfolgt die Vereidigung der nichtständigen Richter (s. Kriegsgerichte), hierauf die Verhandlung in der Sache selbst (§ 297), dann das Urteil. Über die Art der Abstimmung s. Schuldfrage, Kriegsgerichte, Oberkriegsgerichte, Standgerichte und Reichsmilitärgericht. Gegen welche Urteile Berufung, bez. Revision zulässig ist, darüber s. diese Artikel. Beide Rechtsmittel sind eine Woche nach Verkündung des Urteils einzulegen (§ 379, 398); sie stehen dem Gerichtsherrn wie dem Angeklagten zu (§ 365). Ist ein Urteil durch Berufung, bez. Revision nicht mehr anfechtbar, also rechtskräftig, so ist die Bestätigungsorder (s. Bestätigung) einzuholen, nach deren Maßgabe die Vollstreckung (s. Todesstrafe) erfolgt, und zwar ordnet sie der Gerichtsherr an, der die Erhebung der Anklage verfügte.

II. Außerordentliche Arten des Verfahrens. 1) Verfahren im Feld und an Bord. Für die Feldgerichte und die Bordgerichte ist nicht nur die Gerichtsverfassung abweichend geregelt (s. Gerichtsoffizier, Kriegsgerichte, Kriegsgerichtsräte, Oberkriegsgerichte, Oberkriegsgerichtsräte, Standgerichte, Verteidigung), sondern auch das Gerichtsverfahren. Das Ermittelungsverfahren (s. Strafverfahren) kann wegfallen (§ 170). Gegen die Urteile ist Berufung und Revision unstatthaft; sie erlangen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit durch Bestätigung (s. d.). 2) Die Strafverfügung (s. d.). 3) Hinsichtlich der M. über Kriegsgefangene und Ausländer in Kriegszeiten und bei kriegerischen Unternehmungen kann die Bildung der Gerichte wie das Verfahren durch kaiserliche Verordnung abweichend gestaltet werden (Einführungsgesetz, § 3). Über die dienstaufsichtliche Nachprüfung der Urteile s. Militärjustizverwaltung. Vgl. ferner Art. »Begnadigung« und über die Wiederaufnahme des Verfahrens Art. »Reichsmilitärgericht«.

Vgl. die Ausgaben von der Militärstrafgerichtsordnung von Koppmann (3. Aufl. von Weigel, Münch. 1903), Stenglein (Berl. 1901), Sturm und Walde (Leipz. 1899), Seidenspinner (2. Aufl., Berl. 1900), Selle (das. 1900), Weigel (Münch. 1899); Weiffenbach, Einführung in die Militärstrafgerichtsordnung (3. Aufl., Berl. 1904); Steidle, Lehrbuch der deutschen Militärstrafgerichtsordnung (Leipz. 1901); Weiffenbach und Wolf, Handbuch für die Ausübung der niedern Gerichtsbarkeit in Friedenszeiten (Berl. 1901); Endres, Strafrechtsnormen des Standgerichts (für Offiziere geschrieben, Münch. 1901); Weigel, Die Zuständigkeitsgrenzen zwischen Militär- und Zivilgerichtsbarkeit im Deutschen Reich (das. 1902); Schlayer, Militärstrafrecht (Berl. 1904); Herz und Ernst, Strafrecht der Militärpersonen (das. 1905) und deren Textausgabe des Militärstrafgesetzbuches mit Anmerkungen (das. 1903); Koch, Einführung des Offiziers in die Militärstrafgerichtsordnung (3. Aufl., Straßb. 1902); Stritter, Die Disziplinarstrafordnung für das Heer vom 31. Okt. 1872 (Berl. 1905); Schlott, Der Gerichtsherr der Militärstrafgerichtsordnung und seine Berater (das. 1906); Keller, Erläuterungen zu den Disziplinarstrafordnungen für das Heer und die kaiserliche Marine (das. 1878) und die bei Artikel »Militärgesetzgebung« angeführte Literatur. Die Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts werden veröffentlicht in den »Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts« (Berl. 1901 ff.).

Militärstrafgerichtsbarkeit in den übrigen Staaten.

Österreich. Die M. fußt in Österreich auf der Justiznorm vom 5. Juni 1754 und auf der Theresiana (Maria Theresias peinliche Kriminalgerichtsordnung) vom 31. Dez. 1768, die für die Armee 9. April 1769 kundgemacht wurde. Von der Unsumme von nachfolgenden hofkriegsrätlichen Verordnungen, Armeeoberkommandoerlassen, allerhöchsten Entschließungen, Normal- und Zirkularverordnungen des Reichskriegsministeriums und sonstigen Vorschriften sind als die wichtigsten: die Instruktion für die allgemeinen Appellgerichte (1802) und die Vorschrift für die Organisation der k. k. Gerichte des stehenden Heeres und der Kriegsmarine (1848) zu nennen. Die 1884 ausgegebene, sogen. amtliche Zusammenstellung der über das Strafverfahren bei den Gerichten des stehenden Heeres und der Kriegsmarine bestehenden Gesetze und Vorschriften wird von den Militärgerichten zwar tatsächlich als eine amtliche Gesetzeskompilation benutzt, in den Urteilen zitiert und in Entscheidungsgründen als Militärstrafprozeßordnung bezeichnet und behandelt, wiewohl sie niemals im vorgeschriebenen Amtsweg publiziert worden ist, und deren Wertlosigkeit für das positive Recht und die Rechtswissenschaft genügend charakterisiert sein dürfte, wenn hervorgehoben wird, daß in ihr unvollständige Sätze vorkommen u. dgl., und Strafgesetzbestimmungen, die bereits seit Jahrzehnten aufgehoben sind, noch als geltend angeführt werden. Das wirkliche gültige Grundgesetz ist die Theresiana, die in Befolgung des Reskripts der Kaiserin vom August 1752 die Josephinische Gerichtsordnung vom 16. Juli 1687 zur Richtschnur und Grundlage genommen hat, wobei aber zu bemerken ist, daß die in der Josephinischen Gerichtsordnung noch zulässige rechtsanwaltliche Verteidigung durch die Theresiana aufgehoben wurde, und daß 2. Jan. 1776 die Torturbestimmungen in der Theresiana zwar aufgehoben wurden, gleichzeitig aber ein sehr umfangreiches Recht zur Verhängung von sogen. Ungehorsamstrafen wider Beschuldigte eingeführt wurde.

Die Versagung jeglicher anwaltlicher Verteidigung auch nur im Rechtsmittelzug und die Bedrohung mit Ungehorsamstrafen wegen Antwortverweigerung etc. im Untersuchungsverfahren gilt auch noch heute in ungeschwächter Kraft. Bei den österreichisch-ungarischen Militärgerichten können wegen Antwortverweigerung chargierte Personen des Mannschaftsstandes in der Untersuchung mit der materiellrechtlichen Strafe der Degradation und Anhaltung bei Wasser und Brot bei 3–15tägigem Arrest und Offiziere und Militärbeamte, auch wenn bisher gar kein Grund zur Untersuchungshaft vorlag, in Untersuchungshaft gezogen werden, und die Antwortverweigerung bildet einen Erschwerungsumstand der Straftat, weswegen die Untersuchung geführt wird. Zur Überführung des leugnenden Beschuldigten kann der Untersuchungsführer von dessen Aszendenten, Deszendenten u. Ehegatten eine Zeugenaussage erzwingen. Die Beurteilung der Notwendigkeit dieser Ungehorsamstrafen und des Zwanges zur Zeugenaussage sowie die Durchführung dieser Maßregeln steht dem Untersuchungsführer selbständig zu.

Das österreichische Militärstrafverfahren fußt also auf dem starrsten Inquisitionsprinzip. Die in der bürgerlichen Strafprozeßordnung getrennten Funktionen eines Polizeikommissars, Staatsanwaltes, Untersuchungsrichters, Verhandlungsleiters, Spruchrichters und Verteidigers sind im österreichischen Militärstrafverfahren in der einzigen Person Eines Auditors vereinigt, der unter Umständen auch noch als Rekursverfasser (gegen sein eignes Urteil!) in Aktion treten kann.

Besondere Abweichungen von dem vor vielen Jahrzehnten in Österreich geltend gewesenen bürgerlichen Inquisitionsprozeß, und zwar durchaus das Inquisitionsprinzip verschärfende Bestimmungen, sind folgende: 1) Die Urteile werden nicht im Namen Seiner Majestät, als einzigen Gerichtsherrn, gefällt, es bestehen vielmehr eine Mehrzahl von Gerichtsherren, das sind Militärkommandanten, denen ein weitausgebreitetes Straf- und Begnadigungsrecht (jus gladii et agratiandi) entweder kraft des Gesetzes vermöge ihrer Stellung oder im übertragenen Wirkungskreise zukommt. Sie haben das Recht der Anordnung der Untersuchung und Haftverfügung, die Überwachung der Untersuchungsführung, Einflußnahme auf Fortsetzung oder Einstellung der Untersuchung, Zusammensetzung des Spruchgerichtes, Bestätigung der militärgerichtlichen Urteile, Begnadigung innerhalb ihrer Begnadigungsrechte und selbständige Vorlage der Urteile an höhere Instanzen. 2) Das Spruchgericht wird vom Gerichtsherrn von Fall zu Fall zusammengesetzt, und hierzu bei Prozessen gegen Mannschaft ein Stabsoffizier als Präses, ein Hauptmann (Rittmeister), drei Personen der chargierten Mannschaft und ein Mann ohne Chargengrad, und bei Prozessen wider Offiziere (Beamte) sieben Offiziere nach dem Rang und der Charge des Beschuldigten, wobei jedoch ein unterer Chargengrad einen höhern substituieren kann, abkommandiert. Der Auditor ist Leiter, Berichterstatter, Beirat und Mitrichter des Spruchgerichts in ein und derselben Person. 3) Ist die unter Anklage gestellte Straftat ein Vergehen (das Militärstrafgesetz unterscheidet bloß zwischen Verbrechen und Vergehen, indem eine Übertretung nur disziplinar zu behandeln ist), das nicht mit Degradierung und Arrest von mehr als 6 Monaten im Gesetze bedroht ist, und handelt es sich um keinen Offizier (Beamten), so fällt das Militärgericht ein sogen. rechtliches Erkenntnis. In allen andern Fällen heißt das Spruchgericht Kriegsrecht, und das Urteil wird auf Grund einer Schlußverhandlung gefällt. Diese Schlußverhandlung ist jedoch keine wirkliche Verhandlung, indem weder Zeugen, noch Sachverständige, noch sonstige Auskunftspersonen vor dem Gerichte verhört werden, und weder der Angeklagte, geschweige denn ein Verteidiger für ihn, auf die Anklage und den Strafantrag des Auditors Antwort geben kann. Sie ist nicht einmal ein wirkliches Schlußverhör, indem der Beschuldigte nicht neuerlich vor seinen Richtern verhört wird, sondern ihm nur seine Untersuchungsaussagen vom Auditor vorgelesen werden, denen er nur Neues hinzufügen darf, worauf er abtreten muß, so daß in seiner Abwesenheit, und ohne Zulassung irgend eines Verteidigers auf Grund des Berichts des Auditors, d. h. seiner Darstellung des Sachverhalts, seiner Würdigung des Schuldbeweises und seiner Erklärung der gesetzlichen Beweisregeln, der anzuwendenden Strafgesetze, der etwaigen Erschwerungs- und Milderungsumstände, und auf Grund eines förmlichen Urteils-, resp. Strafantrags wiederum desselben Auditors die Abstimmung erfolgt, bei welcher der Auditor wiederum eine mitentscheidende Stimme hat. 4) Die Beweisfrage ist nach bestimmten Beweisregeln (positive Beweistheorie) zu lösen, die hinsichtlich gewisser Militärstraftaten (Desertion) eine besondere Regelung findet. 5) Das Urteil wird erst durch die Bestätigung des Gerichtsherrn rechtskräftig und dann erst dem Beschuldigten kundgemacht. 6) Der Rechtsmittelzug ist fast vollständig unterbunden, indem selbst bei der Todesstrafe dem Beschuldigten rechtlich kein Rechtsmittel zusteht; nur bei Ehrenstrafen und bei bloßer Entlassung ohne Freiheitsstrafe ist dem Verurteilten ein Rekurs eingeräumt. Die Bitte um Revision, die kein eigentliches Rechtsmittel ist, zieht auch keinen Suspensiveffekt nach sich. 7) Gegen Flüchtlinge findet ein Ediktalprozeß statt, bei Befangenheit des Gerichtsherrn ein außerordentliches Kriegsrecht.

Zur schleunigsten Statuierung eines abschreckenden Beispiels, und zwar ohne vorausgegangene Kundmachung kraft des Militärstrafgesetzes oder nach vorausgegangener Kundmachung auf Anordnung des Gerichtsherrn, wird ein Standrecht abgehalten, vor dem das ganze Verfahren einschließlich des Todesstrafvollzuges binnen drei Tagen von der Einlieferung des Beschuldigten an durchgeführt sein muß, widrigenfalls, sowie auch, wenn eine Mehrheit für das Todesurteil nicht zu erzielen war, das ordentliche Verfahren durchzuführen ist. Eine Wiederaufnahme der Untersuchung steht dem Militärobergericht zu, falls das Strafurteil nicht von der letzten Instanz ergangen ist, in welchem Fall an diese die Wiederaufnahmeanzeige zu erstatten ist. Das Militärobergericht ist ermächtigt, von Amts wegen oder auf Ansuchen des Verurteilten bei Vorkommen neuer Umstände, die vermuten lassen, daß den Verurteilten ein Unrecht zugefügt worden sein könnte, die Wiederaufnahme der Untersuchung anzuordnen, die durch die erste Instanz durchgeführt wird. Bei bewilligter Aufnahme wird ein eventuell neuerliches Urteil wieder von erster Instanz gefällt, nur bei milderer Beurteilung einer Straftat ist der bezügliche Antrag an die obere Instanz zu leiten. Militärgerichte erster Instanz sind: a) Stabile: Garnisonsgerichte, das Marinegericht, die Gardegerichte und die Militärakademiegerichte; b) Mobile: Armeefeldgerichte, Flaggen- und Schiffsgerichte. Gericht zweiter Instanz ist das Militärobergericht in Wien, dritter Instanz der Oberste Militärgerichtshof in Wien. Die Vollziehung der Todesstrafe bei nichtmilitärischen, sogen. gemeinen Verbrechen geschieht durch den Strang, bei Hindernissen durch Erschießen. Auf Kriegsschiffen erfolgt der Vollzug jeder Todesstrafe nur durch Erschießen. Vgl. Damianitsch, Handbuch des Strafverfahrens bei den k. k. Militärgerichten (Wien 1860); Dangelmaier, Die Grundsätze des Militärstrafverfahrens und dessen Reform (Innsbr. 1887); Weisl, Das Heeresstrafrecht (2 Tle., Wien 1892 u. 1904) und Vorschläge zur Regelung des Militärstrafverfahrens (das. 1893); Schupp, Rechtslehre, enthaltend die Grundzüge des Militärstrafrechts, des Militärstrafverfahrens etc. (das. 1902).

Frankreich. In Frankreich ist das Grundgesetz der Code vom 9. Juni 1857, der sich in den Hauptteilen, d. h. mündlicher Prozeß mit freier Parteivertretung, Zuziehung eines Verteidigers und Trennung der Spruch-von den Revisionsgerichten, auf die republikanischen Gesetze der Jahre 1791, 1792 und 1804 stützt. Durch die seit 1871–95 erlassenen speziellen Gesetze wurde an dem Fundament des Prozesses nichts geändert. Es besteht Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Hauptverfahrens bei Zulassung einer mündlichen Verteidigung durch freigewählte event. Berufsverteidiger, Entfernung der gelehrten Richter von der Richterbank und Besetzung derselben mit Offizieren des streitbaren Standes, Zulassung eines Revisionszugs und Konzentration des Gnadenrechts in der Person des Staatsrepräsentanten. Die Spruchgerichte (conseils de guerre) und die Revisionsgerichte (conseils de révision) sind nach Ort und Zahl ständig, und ihnen werden durch den Territorialkommandanten als Gerichtsherrn Kombattanten-Offiziere periodisch im vorhinein als Richter zugewiesen. Die Verfügung wegen strafgerichtlicher Verfolgung ergeht bis auf geringe Ausnahmen vom kommandierenden General von Amts wegen oder auf Anzeige durch eine ordre d'information an den Regierungskommissar (analog dem Staatsanwalt) des kompetenten Kriegsgerichts, der den Akt an den Rapporteur (Untersuchungsführer) leitet, der bis zur Beendigung der Untersuchung und Erstattung des Berichts hierüber mit der Sache befaßt ist. Die Untersuchung ist schriftlich und geheim, doch besteht ein Senatsantrag, daß das Gesetz vom 8. Dez. 1897 über Zuziehung des Verteidigers zum Verhör des Beschuldigten in der Untersuchung für Militärgerichte rezipiert werde. Nach Bericht des Rapporteurs spricht der Kommandant die Versetzung in den Anklagezustand (l'ordre miseen jugement) oder die Einstellung (l'ordonnance de non-lieu) aus. Bei der Hauptverhandlung kann der Angeklagte ohne Einschränkung auf bestimmte Klassen oder Personen sich einen Verteidiger aus dem Militär- oder Advokatenstand wählen und mit Zustimmung des Gerichtsvorsitzenden sogar aus einem andern Beruf. Die Verhandlung ist mündlich, findet in Anwesenheit des Anklägers, Angeklagten, Verteidigers, Zeugen und Sachverständigen statt und ist bei sonstiger Nichtigkeit volksöffentlich, indem der Zutritt keiner Person oder Klasse verwehrt werden und nur aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit oder Ordnung auf Gerichtsbeschluß die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden darf. Aus öffentlichen Rücksichten kann die Verbreitung der Berichterstattung durch die Presse, niemals aber die Veröffentlichung des stets öffentlich zu verlautbarenden Urteils verboten werden. Das letzte Wort gehört dem Angeklagten zur Verteidigung, ein Resumé des Vorsitzenden ist nicht gestattet. Zur Bejahung der Schuldfrage ist absolute Stimmenmehrheit erforderlich. Binnen 24 Stunden kann der Revisionsrekurs an das Revisionsgericht angemeldet werden, das ebenfalls öffentlich und mündlich verhandelt, jedoch nur über die Rechtsfrage, niemals über die Tatfrage selbst urteilt. An die Rechtsansicht des Revisionsgerichts sind die Kriegsgerichte gebunden. Außerordentliche Verfahren sind: in Kriegszeiten, beim Belagerungszustand und wider Flüchtlinge. Ständige Kriegsgerichte sind an den Hauptorten der 18 Militärterritorialbezirke und in Algier (einzelne Bezirke haben zwei Gerichte), ferner zwei in Paris und eins in Lyon. Ständige Revisionsgerichte sind in Paris und Algier. Der Kassationshof, der ein durchaus bürgerlicher Gerichtshof ist, kann nur in Inkompetenzfällen angerufen werden (in Friedenszeiten) und in den vom Gesetz vom 8. Juni 1895 geregelten Wiederaufnahmefällen (fälschlich Revisionsfälle genannt). Vgl. Weisl, Frankreichs Militärstrafprozeßordnung (Wien 1887) und Der neue Gesetzentwurf betr. die Reform der französischen Militärstrafprozeßordnung (das. 1902).

Rußland. In Rußland erfolgte die Neuregelung des Militärstrafverfahrens 1867 unter Zugrundelegung der modernen Grundsätze der russischen bürgerlichen Gerichtsordnung vom 20. Nov. 1864. Die jüngste Ausgabe der Militärstrafprozeßordnung erging 28. März 1883, 9. März 1884 und 28. Juli 1885. Das russische Gesetz ist ungleich besser als das französische, indem es die Systemfehler des letztern vermieden hat. Das russische Militärprozeßgesetz ist überhaupt das beste und freiheitlichste in ganz Europa. Für geringe Delikte bestehen Regimentsgerichte, für schwerere Delikte und bei Straffällen gegen Offiziere urteilen Militärkreisgerichte. Der Rechtszug geht vom Regimentsgericht an das Kreisgericht und von diesem an den obersten Militärgerichtshof in Petersburg. Zu Funktionären der Militärgerichte einschließlich der Militärprokuratur (ähnlich der Staatsanwaltschaft) sind ausschließlich Militärränge mit militärjuridischer Ausbildung zulässig. Die Untersuchung wird schriftlich und geheim geführt, jedoch mit wesentlich bessern Kautelen für den Beschuldigten als in Frankreich, Die Befugnis zur Einleitung der Untersuchung und Stellung unter Anklage steht dem Gerichtsherrn (Militärkommandanten) zu, doch ist seine Gerichtsherrlichkeit fast nur nominell, und die tatsächliche Entscheidung liegt in den Händen der Militärprokuratur und des obersten Gerichtshofs. Die Grundsätze der Hauptverhandlung sind: Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, Volksöffentlichkeit desselben (die aus Gründen der Staats- und Disziplinsicherheit und bei bestimmten Delikten, d. h. Insubordination, Delikte gegen Familienrechte, weibliche Ehre oder Sittlichkeit und bei Antragsdelikten auszuschließen ist), kontradiktorische Parteiverhandlung, Zulassung der Verteidigung durch freigewählte Verteidiger aus dem Kreise der Kandidaten der Justizverwaltung, Offiziere bei der obersten Militärjustizverwaltung und bürgerlichen beeideten Rechtsanwälte (nur bei einzelnen Militärdelikten, z. B. Insubordination, Mißbrauch der Dienstgewalt, sind bürgerliche Rechtsanwälte ausgeschlossen) und freie richterliche Beweiswürdigung. Urteile der Kriegsgerichte bedürfen nicht der Bestätigung des Kommandanten und können durch eine Beschwerde an den obersten Militärgerichtshof, der eine reine Kassationsinstanz ist, angefochten werden, vor dem die Verhandlung ebenfalls mündlich, öffentlich unter Verteidigerzuziehung stattfindet. Das Wiederaufnahmeverfahren gehört ebenfalls vor den obersten Militärgerichtshof. Vgl. Weisl, Das Militärstrafverfahren in Rußland, Frankreich und Deutschland (Wien 1894).

Italien. In Italien ist der Codice penale per l'esercito 28. Nov. 1869 erlassen worden. Es ist ein fortgeschrittenes Gesetz, das sich das französische fast vollständig zum Muster nahm; seine Verbesserungen finden sich jedoch nicht im System, sondern im Detail, und zwar: a) Der Ankläger (avvocato fiscale militare) ist ein juridisch graduierter Beamter; b) zur Richterfunktion, und zwar gleich auf zwei Jahre, müssen die Offiziere der Garnisonen nach ihrem Dienstrang, bez. Alter berufen werden, und die niedrigste Charge darf nicht unter die eines Kapitäns heruntergehen; c) gegen Beschwerden des Beschuldigten in der Untersuchung und gegen die Versetzung in den Anklagestand entscheidet eine aus drei Offizieren zusammengesetzte Anklagekammer (commissione d'inchiesta); d) der mit der Verteidigung Betraute ist von der Zeugenaussage befreit; e) die Schlußausführungen des Klägers und Verteidigers sind wegen Berücksichtigung bei der Urteilsbegründung schriftlich dem Protokoll beizuschließen; f) der Kassationshof kann bei in erster Instanz schon vollständig geführter Verhandlung in der Sache selbst mit einem Freispruch oder Verlängerung der gesetzlichen Strafe vorgehen. Vgl. Skala, Österreich-Ungarn, Deutschland und Italien mit Bezug auf die Gesetzgebung im Heere (Wien 1890).


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