- Militärverbrechen
Militärverbrechen, im weitern Sinn überhaupt alle strafbaren Handlungen, die, weil von Militärpersonen begangen, vor die Militärgerichte gehören (s. Militärstrafgerichtsbarkeit); im engern und eigentlichen Sinn aber diejenigen Verbrechen, die nach ihrem Begriff und Wesen nur von Militärpersonen (s. Militär) begangen werden können (reine M.), oder die, wenn von Militärpersonen begangen, schwerer bestraft werden (militärisch qualifizierte). Wie in dem modernen deutschen Strafrecht überhaupt zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen unterschieden wird, so unterscheidet auch das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 zwischen M. und Militärvergehen, indem unter erstern die mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Gefängnis oder Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohten strafbaren Handlungen, unter letztern aber diejenigen verstanden werden, die mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht sind. Für die Übertretungen, also namentlich für Polizeikontraventionen, hat das Militärstrafgesetzbuch keine besondern Normen aufgestellt; sie unterliegen überhaupt nicht der Militärstrafgerichtsbarkeit, fallen aber, soweit sie auch Dienstpflichtverletzungen enthalten, in das Gebiet des Disziplinarstrafrechts. Für Militärpersonen ist ein doppeltes Strafrecht gegeben: die nicht militärischen Verbrechen und Vergehen derselben werden, wenn auch vor besondern Militärgerichten, doch nach dem bürgerlichen Strafgesetzbuch bestraft, während für die M. (sowohl reine M. als auch militärisch qualifizierte Vergehungen) die besondern Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches, die das Militärstrafrecht bilden, maßgebend sind. Die Bestimmungen des allgemeinen Teiles des deutschen bürgerlichen Strafgesetzbuch es (§ 13–79), also z. B. die Bestimmungen über den verbrecherischen Versuch und über die Teilnahme an einem Verbrechen, finden auch auf das Militärstrafrecht analoge Anwendung. Jedoch werden, ganz abgesehen von dem eigenartig gestalteten Strafensystem, die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Strafrechts nach verschiedenen Richtungen hin durchbrochen. Hervorzuheben wäre: 1) Wird durch Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich (847), den Untergebenen trifft die Strafe des Teilnehmers nur, wenn er den Befehl überschritten hat, oder wenn er wußte, daß die befohlene Handlung ein Verbrechen oder Vergehen bezweckte. 2) Die Verletzung einer Dienstpflicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr ist ebenso zu bestrafen wie die Verletzung der Dienstpflicht aus Vorsatz (§ 49). 3) Die selbstverschuldete Trunkenheit bildet keinen Strafmilderungsgrund bei Delikten gegen die Unterordnung (§ 89–113) und in Ausübung des Dienstes (§ 49). 4) Bei der Bestrafung bleibt das Alter des Täters ohne Einfluß (§ 50). 5) Alle M. werden von Amts wegen verfolgt (§ 5 1). (Das österreichische Militärstrafgesetzbuch zeigt zu 1,3,4 Abweichungen und besitzt hinsichtlich der Offiziersehrennotwehr eine besondere Bestimmung.) Besonders strenge Vorschriften sind für die strafbaren Handlungen in Kriege gegeben. So wird z. B. die Fahnenflucht vom Posten vor dem Feind oder aus einer belagerten Festung mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der während des Gefechts aus Feigheit die Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht verleitet. Ebenso tritt bei einem vor dem Feinde begangenen militärischen Aufruhr für sämtliche Beteiligte die Todesstrafe ein. Die sogen. Kriegsgesetze gelten für die Dauer des mobilen Zustandes des Heeres, der Marine oder einzelner Teile derselben, für die Personen des aktiven Dienststandes und des Beurlaubtenstandes; sie finden aber auch in denjenigen Gebieten, in denen der Kriegszustand (s. d.) verkündet worden ist, für die Dauer desselben Anwendung. Ebenso für diejenigen Truppen, denen bei einem Aufruhr, einer Meuterei oder einem kriegerischen Unternehmen der befehligende Offizier dienstlich bekannt gemacht hat, daß die Kriegsgesetze für sie in Kraft treten, auf die Dauer dieser, Zustände, und endlich auch für diejenigen Kriegsgefangenen, denen der höchste an ihrem Aufenthaltsort befehligende Offizier dienstlich das Inkrafttreten der Kriegsgesetze eröffnet hat. Im einzelnen werden in dem deutschen Militärstrafgesetzbuch folgende M. mit Strafe bedroht: Hochverrat, Landesverrat, Kriegsverrat, Gefährdung der Kriegsmacht im Feld, unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht, Selbstbeschädigung und Vorschützung von Gebrechen, Feigheit, strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung, Mißbrauch der Dienstgewalt, widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum, Beschädigung von Dienstgegenständen, Diebstahl und Unterschlagung, die im Dienst oder unter Verletzung eines militärischen Dienstverhältnisses begangen wurden, Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besonderer Dienstverrichtungen und Handlungen gegen die militärische Ordnung überhaupt. Das österreichische Militärstrafgesetzbuch besitzt zwar teilweise eine andre Deliktseinteilung, die Deliktsbegriffe stimmen dagegen im wesentlichen mit denen des deutschen Gesetzes überein. Literatur s. bei Artikel »Militärgesetzgebung«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.