Pius

Pius

Pius (lat., »der Fromme«, ital. Pio, franz. Pie), Name von zehn Päpsten: 1) P. I., Heiliger (Tag: 11. Juli), Bruder des Apokalyptikers Hermas (s. d.), saß etwa von 140–155 auf dem römischen Stuhl. Die ihm zugeschriebenen Dekretalen sind unecht.

2) P. II., 1458–64, vorher Enea Silvio de' Piccolomini, geb. 18. Okt. 1405 in Corsignano (seitdem »Pienza«) bei Siena, gest. 14. Aug. 1464 in Ancona, studierte in Siena, kam 1432 als Sekretär des Kardinals Capranica nach Basel, wo er den Verhandlungen des Konzils beiwohnte, trat dann in den Dienst der Bischöfe von Freising und Novara, darauf des Kardinals Albergati, endlich des Konzils zu Basel und des Gegenpapstes Felix V. und nahm 1442 eine Stelle in der Reichskanzlei Kaiser Friedrichs III. an. 1445 machte er seinen Frieden mit Papst Eugen IV., erhielt darauf die höhern Weihen, und nachdem er durch geschickte Verhandlungen den Bund der deutschen Kurfürsten aufgelöst und die sogen. Fürstenkonkordate von 1447 vermittelt hatte, ernannte ihn Papst Nikolaus V. 1447 zum Bischof von Triest. P. beteiligte sich sodann an den Verhandlungen, deren Resultat 1448 das Wiener Konkordat war, durch das die deutsche Kirche aller durch die Baseler Beschlüsse errungenen Vorteile wieder verlustig ging. 1450 erhielt er das Bistum Siena, wurde 1456 von Calixt III. zum Kardinal ernannt und nach dessen Tod 19. Aug. 1458 zum Papst gewählt. Er verfolgte hauptsächlich zwei Ziele: Stärkung des durch die Konzilienbeschlüsse geschwächten Kurialsystems, weshalb er 1463 in einer Bulle seine in frühern Schriften ausgesprochenen kirchenpolitischen Ansichten feierlich widerrief, und Zustandebringung eines Kreuzzugs gegen die Türken. Als er endlich mit Ungarn, Venedig und Skanderbeg einen Bund geschlossen hatte, und bereits große Scharen von Kreuzfahrern, an deren Spitze er sich selbst stellen wollte, sich gesammelt hatten, starb er in Ancona. Am 19. Okt. 1905 wurde ihm in Pienza ein Denkmal geweiht. Er hinterließ historische, geographische, rhetorische und poetische Werke, darunter eine Geschichte Friedrichs III. (deutsch von Ilgen, Leipz. 1891), eine Geschichte seines Lebens, eine Beschreibung des Konzils zu Basel sowie Deutschlands, eine Geschichte von Böhmen, eine Abhandlung über Kindererziehung, eine Kosmographie, zahlreiche Reden und Briefe u.a. Seine Werke sind mehrfach gesammelt (z. B. Basel 1571 u. Helmst. 1699). Vgl. G. Voigt. Enea Silvio de' Piccolomini, als Papst P. II, und sein Zeitalter (Berl. 1856–63, 3 Bde.); Gengler, Über Äneas Sylvius in seiner Bedeutung für die deutsche Rechtsgeschichte (Erlang. 1860); Bayer, Die Historie Friderici III. imperatoris des Enea Silvio (Prag 1872); Berg, Enea Silvio de' Piccolomini in seiner Bedeutung als Geograph (Halle 1901); A. Weiß, Äneas Sylvius Piccolomini als Papst P. II., sein Leben und Einfluß auf die literarische Kultur Deutschlands (Graz 1897); Meusel, Enea Silvio als Publizist (Bresl. 1905).

3) P. III., vorher Francesco Todeschini, Neffe des vorigen, folgte 22. Sept. 1503 Alexander VI. auf dem päpstlichen Stuhle, starb aber schon 18. Okt. d. J.

4) P. IV., 1559–65, vorher Giovanni Angelo Medici, geb. 31. März 1499 in Mailand, gest. 9. Dez. 1565, ward nach beendeten Rechtsstudien Protonotar der Kurie und 1549 zum Kardinal ernannt. Nach Pauls IV. Tode wurde er 25. Dez. 1559 zum Papst erwählt. Seine wichtigste Regierungshandlung ist die Wiedereinberufung des Konzils von Trient 1562, dessen Beschlüsse er 26. Jan. 1564 bestätigte. Vgl. Th. Müller, Das Konklave P.' IV. (Gotha 1889); Voß, Die Verhandlungen P.' IV. über die Neuberufung des Tridentiner Konzils (Leipz. 1887); Susta, Die römische Kurie und das Konzil von Trient unter Pius IV. (Wien 1904, Bd. 1).

5) P. V., Heiliger, 1566–72, vorher Michele Ghisleri, des vorigen Nachfolger, geb. 17. Jan. 1504 in Bosco bei Alessandria, von geringer Herkunft, gest. 1. Mai 1572, trat in den Dominikanerorden, wirkte als Inquisitor in der Lombardei mit harter Strenge und ward von Paul IV. 1556 zum Bischof von Nepi, 1557 zum Kardinal und 1558 zum Großinquisitor, von Pius IV. 1560 zum Bischof von Mondovi ernannt. Nachdem er 7. Jan. 1566 von der streng kirchlichen Partei zum Papst erwählt worden, suchte er die Beschlüsse des Trienter Konzils möglichst durchzuführen, hielt streng auf sittliches Leben der Geistlichen, führte 1566 den »Catechismus Romanus«, 1568 die Neuausgabe des Breviers und 1570 des Missales ein. Den Protestantismus bekämpfte er mit allen Kräften. Er bestärkte Philipp II. in seinen Maßregeln gegen die Niederländer, sprach über die Königin Elisabeth von England den Bann aus, bestätigte das englische Thronrecht Maria Stuarts und verschärfte 1568 die Bulle »In coena Domini«. Mit den Venezianern und Philipp II. von Spanien brachte er eine Liga gegen die Türken zustande, die den Seesieg von Lepanto 7. Okt. 1571 herbeiführte. Er ward 1712 von Clemens XI. kanonisiert. Seine »Epistolae apostolicae« gab Goubau (Antwerp. 1640) heraus. Sein Leben beschrieben Falloux (3. Aufl., Par. 1858, 2 Bde.; deutsch, Regensb. 1873), Dell' Acqua (Mail. 1904), Spezi (Rom 1905). Vgl. Hilliger, Die Wahl Pius' V. (Leipz. 1891).

6) P. VI., 1775–99, vorher Giovanni Angelo Braschi, geb. 27. Dez. 1717 in Cesena, gest. 29. Aug. 1799 in Valence, wurde 1745 Auditor bei der päpstlichen Kanzlei, 1755 Sekretär Benedikts XIV., 1766 Schatzmeister der päpstlichen Kammer, 1773 Kardinal und 15. Febr. 1775 zum Papst gewählt. Der Verschleuderung der Pfründen machte er ein Ende, behielt aber den einträglichen Ämterhandel bei und begünstigte das Lottospiel. Er baute einen Hafen für Ancona, schaffte die Binnenzölle in seinem Staat ab und begann 1778 die Austrocknung der Pontinischen Sümpfe. Große Schwierigkeiten bereitete ihm die Haltung der weltlichen Mächte. Neapel erkannte die Lehnsherrlichkeit des päpstlichen Stuhles nicht mehr an; Leopold II. von Toskana und Kaiser Joseph II., den P. in Wien 1782 persönlich um Schonung der Rechte der Kirche anging, ließen sich durch ihn in der Ausführung ihrer Reformen nicht hindern, und nur der Egoismus mehrerer deutscher Bischöfe hinderte die Durchführung der Emser Punktation (s. Emser Kongreß). Schwere Leiden brachen infolge der französischen Revolution über P. herein, der vergeblich den gegen die katholische Geistlichkeit gefaßten Beschlüssen entgegentrat, 1791 Avignon und, nachdem er durch die Zahlung von 36 Mill., die Abtretung von Ferrara, Bologna und Ravenna und die Herausgabe wertvoller Kunstwerke und Handschriften von Bonaparte den Frieden von Tolentino (19. Febr. 1797) erkauft hatte, doch schließlich seine weltliche Unabhängigkeit verlor. Da P., nachdem der Kirchenstaat von den Franzosen besetzt und 15. Febr. 1798 zur Republik erklärt worden, sich beharrlich weigerte, auf die Souveränität zu verzichten, wurde er unter militärischer Bedeckung erst nach Siena, später nach verschiedenen andern Plätzen und zuletzt nach Valence gebracht. Sein Leben beschrieben Bourgoing (Par. 1799, 3 Bde.; deutsch von J. J. L. Meyer, Jena 1789–1808, 4 Bde.), Artaud de Montor (Par. 1847). Vgl. Wolf, Geschichte der römisch-katholischen Kirche unter P. VI. (Zürich 1793–1802, 7 Bde.); Schlitter, P. VI. und Joseph II. (Wien 1894); Séché, Les origines du concordat, Bd. 1: Pie VI (Par. 1894).

7) P. VII., 1800–23, vorher Barnaba Luigi, Graf Chiaramonti, geb. 14. Aug. 1740 in Cesena, gest. 20. Aug. 1823, trat 1756 in den Benediktinerorden, ward 1775 zum Abl, 1782 zum Bischof von Tivoli, 1785 zum Bischof von Imola und zum Kardinal ernannt und 14. März 1800 in Venedig zum Papst erwählt. Er suchte die alten hierarchischen Grundsätze in ihrer vollen Strenge geltend zu machen. Nachdem er 3. Juli 1800, von österreichischen Truppen beschützt, in Rom eingezogen war, ging er, von seinem Staatssekretär Consalvi (s. d.) unterstützt, klug und vorsichtig an die Ordnung des zerrütteten Staatswesens. Durch den Frieden zu Lüneville erhielt P. den größern Teil des Kirchenstaates zurück und schloß 15. Juli 1801 ein Konkordat mit Frankreich, das ihm die wenn auch vielfach beschränkte Hoheit über die französische Kirche zurückgab. Auf Napoleons Einladung kam er im November 1804 zur Salbung und Kaiserkrönung nach Frankreich; doch setzte sich Napoleon die Krone selbst aufs Haupt und bewilligte weder die Aufhebung der von ihm erlassenen organischen Artikel noch die Rückgabe der Romagna und der Legationen. Am 4. April 1805 trat P. in tiefem Mißmut die Rückreise an. Im Februar 1808 rückten wiederum französische Truppen in Rom ein, und im Mai 1809 erklärte Napoleon zu Wien, daß der Papst als weltlicher Herrscher aufgehört habe zu regieren. Der Kirchenstaat wurde dem Kaiserreich einverleibt, und nur seine geistliche Macht wurde dem Papst gelassen. Da P. gegen diese Beschlüsse protestierte und 10. Juni über jeden, der zu ihrer Ausführung mitwirken würde, den Bann aussprach, wurde er in der Nacht des 6. Juli verhaftet und mit seinem Staatssekretär, Kardinal Pacca, nach Savona gebracht; 1812 ward Fontainebleau ihm als Aufenthaltsort angewiesen. P.' Haltung während seiner Gefangenschaft war würdig und standhaft; er wies den Glanz einer Hofhaltung und die ihm von Napoleon bestimmten großen Einkünfte zurück und erteilte den Bischöfen, die der Kaiser ernannte, die kanonische Bestätigung nicht; auch sprach er sich gegen seine Scheidung von Josephine aus. Als Napoleon aus Rußland zurückkam, nötigte er 25. Jan. 1813 P. zur Abschließung eines Konkordats, in dem er sich zur Bestätigung jener Bischöfe verpflichtete und gegen 2 Mill. Frank jährlicher Rente auf den Kirchenstaat verzichtete. Da aber Napoleon den Vertrag früher, als verabredet war, publizierte, zog P., der seine Nachgiebigkeit bitter bereute, 24. März seine Zustimmung zurück. Anfang 1814 wieder nach Savona gebracht und 10. März freigelassen, zog P. 24. Mai 1814 unter dem Jubel des Volkes wieder in Rom ein. Mit großer Geschicklichkeit benutzten P. und Consalvi die Zeitumstände zur Restauration der päpstlichen Hierarchie. Der Wiener Kongreß garantierte ihm den Besitz des Kirchenstaates, mit Ausnahme von Avignon und Venaissin. In der innern Politik der Kirche ging P. seitdem von strengsten Grundsätzen aus; er stellte den Jesuitenorden und die Inquisition wieder her, verdammte 1816 die Bibelgesellschaften, verbot die nicht approbierten Bibelübersetzungen und erließ scharfe Gesetze gegen Freimaurer und Karbonari. Über die rechtliche Stellung der Kirche schloß P. besondere Konkordate mit den einzelnen Regierungen ab und erlangte dabei meist sehr günstige Bedingungen. Im Kirchenstaat erhielt er durch Milde und Nachgiebigkeit die Ruhe aufrecht, verbesserte die Verwaltung, tat viel für mildtätige Zwecke und unterstützte die Künste und Wissenschaften. Sein Leben beschrieben Artaud de Montor (deutsch, Wien 1837, 2 Bde.), Jäger (Frankf. 1825), Henke (Marb. 1862), Giucci (Rom 1864, 2 Bde.) und Allies (Lond. 1897). Vgl. »Storia del pontificato di Pio VII« (Vened. 1815, 2 Bde.); Holzwarth, Napoleon I. und P. VII. (Mainz 1872); Chotard, Le pape Pie VII á Savone (Par. 1887); Séché, Les origines du concordat, Bd. 2: Pie VII (das. 1894); L. König (S. J.), P. VII. Die Säkularisation und das Reichskonkordat (Innsbr. 1904); Welschinger, Le Pape et l'Empereur, 1804–1815 (Par. 1905); Rinieri, Napoleone e Pio VII (Tur. 1906, 2 Bde.).

8) P. VIII., 1829–30, vorher Francesco Saverio, Graf Castiglioni, geb. 20. Nov. 1761 zu Cingoli in der Mark Ancona, gest. 1. Dez. 1830, wurde 1800 Bischof von Montalto, 1816 von Pius VII. zum Bischof von Cesena und zum Kardinal, dann zum Großpönitenziar und Vorstand der Kongregation für den Index der verbotenen Bücher und 1821 zum Bischof von Frascati ernannt. Am 31. März 1829 bestieg er als Nachfolger Leos XII. den päpstlichen Stuhl. Seinen Untertanen gewährte er einige materielle Erleichterungen und unterstützte die Kunst. Dagegen war seine Politik allen liberalen Forderungen feind. Vgl. Artaud de Montor, Histoire du pape Pie VIII (Par. 1843).

9) P. IX., 1846–78, vorher Giovanni Maria, Graf von Mastai-Ferretti, geb. 13. Mai 1792 in Sinigaglia, gest. 7. Febr. 1878, erzogen im Piaristenkollegium zu Volterra, studierte in Rom Theologie und begleitete 1823 den apostolischen Vikar Muzi nach Chile. Im Juli 1825 nach Rom zurückgekehrt, wurde Mastai zum Vorsteher des Michaelhospitals, 21. Mai 1827 zum Erzbischof von Spoleto, 17. Dez. 1832 zum Bischof von Imola und 1840 zum Kardinal ernannt. Als er nach Gregors XVI. Tode 16. Juni 1846 zum Papst gewählt wurde, hegten die Liberalen Italiens die kühnsten Erwartungen von ihm, da er die strengen reaktionären Maßregeln seines Vorgängers nicht gebilligt hatte. P. erließ auch sofort eine allgemeine Amnestie und begann durchgreifende Reformen im Kirchenstaat: 1847 gab er der Stadt Rom eine neue Munizipalverfassung, dem Kirchenstaat aber eine Staatskonsulta und im März 1848 sogar eine konstitutionelle Verfassung sowie ein teilweise weltliches Ministerium. Indes gingen die Wogen der radikalen Bewegung so hoch, daß die Verbannung der Jesuiten aus Rom 29. März von P. bewilligt werden mußte, und nach der Ermordung Rossis (15. Nov.) floh der Papst nach Gaeta, von wo er erst 12. April 1850 nach Rom zurückkehrte, um unter dem Schutze französischer und österreichischer Bajonette eine rücksichtslose Reaktion durchzuführen. In dem kirchlichen System hatte P. von Anfang an keine Änderungen beabsichtigt. Obwohl persönlich liebenswürdig und mild sowie frei von jedem Zelotismus, bekannte sich P. doch durchaus zu den hierarchischen Grundsätzen seiner Vorgänger. Die Leitung der Welt durch die vom Nachfolger Petri geleitete römische Kirche erschien ihm als das einzige untrügliche Heilmittel gegen alle materiellen und geistigen Gebrechen der Menschheit, namentlich gegen die Pest des Liberalismus; und nach seiner Meinung unter dem besondern Schutz der Jungfrau Maria stehend, glaubte er sich berufen, die Welt durch ihre Unterwerfung unter den römischen Stuhl zum ewigen Heil zu führen. P. errang auch überraschende Erfolge, indem er sich nach 1848 in geschickter Weise zugleich die doktrinären Prinzipien der Liberalen und die reaktionären Bestrebungen der Regierungen zunutze machte. In England und den Niederlanden wurden nach dem Grundsatz unbedingter Religionsfreiheit katholische Bistümer errichtet, dagegen mit Österreich (1855), Württemberg (1857) und Baden (1859) Konkordate abgeschlossen. Überall wurde die Zahl und Tätigkeit der Orden vermehrt. Zu größerer Ehre seiner Schutzheiligen verkündete P. 8. Dez. 1854 in einer Versammlung von 167 Bischöfen das Dogma der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria; die Jesuiten, unter deren Einfluß er so Großes errungen hatte, begünstigte er immer entschiedener. Bei den politischen Umwälzungen in Italien 1859 und 1860, in denen ihm Napoleon III. gern eine einflußreiche Stellung an der Spitze eines italienischen Staatenbundes verschafft hätte, lehnte er alle Zugeständnisse ab, so daß der Verlust der Legationen und der Marken an das neue Königreich Italien nicht abzuwenden war. P. bezeichnete ihn zwar als einen schändlichen Kirchenraub, belegte die »subalpinische« Regierung mit dem Bann und erklärte den weltlichen Besitz für notwendig für den Bestand und das Heil der Kirche; sein Hilferuf an die katholischen Mächte war aber erfolglos. Um so leidenschaftlicher wandte er sich mit geistlichen Waffen gegen den kirchenfeindlichen Zeitgeist. Am 8. Dez. 1864 erließ er eine Enzyklika, worin er die freien Ansichten der Neuzeit über Religion und bürgerliche Gesellschaft verdammte. Dann schloß sich der »Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores« (s. Syllabus) an, ein Verzeichnis von 80 auf die Religion, die Wissenschaft und das bürgerliche Leben bezüglichen Irrlehren, worin sich der Papst ganz auf den mittelalterlichen Standpunkt stellte, indem er Unterordnung der Wissenschaft und des Staates unter die päpstliche Autorität verlangte. Am 8. Dez. 1869 eröffnete er das vatikanische Konzil, das trotz des Widerspruchs vieler angesehener Bischöfe aus den bedeutendsten Kulturländern unter dem persönlichen Einfluß des Papstes 18. Juli 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit annahm und den Absolutismus der römischen Hierarchie vollendete. Als nach dem Abmarsch der französischen Besatzung die Italiener 20. Sept. 1870 in Rom einrückten, schloß P. sich im Vatikan ein, wies das Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 zurück und griff die italienische Regierung bei jeder Gelegenheit mit den heftigsten Worten an. Auch mit dem deutschen Kaiserreich, dessen Gründung und Politik die jesuitischen Pläne unerwartet durchkreuzte, nahm er den Kampf auf. Er richtete 7. Aug. 1873 einen anmaßenden Brief an Kaiser Wilhelm I. und erklärte in der Enzyklika vom 5. Febr. 1875 die preußischen Maigesetze für ungültig. Mit unverwüstlicher Siegesgewißheit verfolgte er seine überspannten Ziele, und ungebrochen an Hoffnung und Selbstvertrauen feierte er 1877 sein 50jähriges Bischofsjubiläum. Ungeachtet des Verlustes der weltlichen Herrscherstellung hatten Einfluß und Bedeutung des Papsttums unter P. IX. sich ungemein gesteigert, und kaum ein Papst vor ihm hat eine so unbedingte Herrschaft über die Kirche ausgeübt. Vgl. »Pii IX Acta« (Rom 1854–65, 9 Bde.); die Biographien von M. Marocco (Turin 1856–59, 2 Bde.), Legge (Lond. 1875, 2 Bde.), Gillet (franz., Münster 1877), Trollope (Lond. 1877, 2 Bde.), Wappmannsperger (Regensb. 1878), R. Pfleiderer (Heilbr. 1878); Maguire, The Pontificate of P. IX (Lond. 1870); I. Zeller, Pie IX et Victor Emanuel (Par. 1879); Stepischnegg, Papst P. IX. und seine Zeit (Wien 1879, 2 Bde.); Pougeois, Histoire de Pie IX, etc. (Par. 1877–86, 6 Bde.).

10) P. X., vorher Giuseppe Sarto, geb. 2. Juni 1835 in Riese, einem kleinen Städtchen in der Provinz Treviso, studierte Theologie in den bischöflichen Seminaren zu Treviso und Padua, wurde 1858 zum Priester geweiht und, nachdem er in verschiedenen kleinen Orten Venetiens als Pfarrer gewirkt hatte, 1875 zum Domherrn und Superior des Priesterseminars in Treviso ernannt. Die ihm angebotene Erhebung zum Bischof von Treviso lehnte er 1880 ab, nahm aber 1884 auf Befehl Leos XIII. die Würde eines Bischofs von Mantua an und wurde 12. Juni 1893 zum Kardinal und drei Tage darauf zum Patriarchen von Venedig ernannt. Die italienische Regierung erkannte ihn erst nach einiger Zeit an; er aber stellte sich mit den italienischen Behörden auf guten Fuß und trat auch mit dem König Humbert bei dessen Besuchen in Venedig in offiziellen und persönlichen Verkehr. Nach dem Tode Leos XIII. wurde er 4. Aug. 1903 zum Papst gewählt und 10. Aug. gekrönt. Er beharrte der italienischen Regierung gegenüber insofern auf dem Standpunkt seines Vorgängers, als auch er die weltliche Souveränität als für die Freiheit der Kirche unentbehrlich reklamierte; im übrigen aber war seine Haltung gemäßigter, und er gestattete den italienischen Katholiken 1904 die bisher verbotene Beteiligung an den politischen Wahlen (s. Non expedit) in gewissen Fällen. Eine Veränderung in der Politik der Kurie trat Frankreich gegenüber ein, nachdem der franzosenfreundliche Kardinal Rampolla durch den Kardinal Merry del Val im Staatssekretariat ersetzt war. Die Maßregeln der französischen Regierung gegen die geistlichen Kongregationen erbitterten den Papst, und 1904 schritt er, unbekümmert um die Bestimmungen des Konkordats, gegen die von der schroff ultramontanen Partei gehaßten Bischöfe von Laval und Dijon disziplinarisch ein. Eine Protestnote Frankreichs ward mit einem Rundschreiben an die katholischen Mächte beantwortet, das die französische Regierung für beleidigend hielt. Daher brach sie die diplomatischen Beziehungen mit dem päpstlichen Stuhl völlig ab und bereitete die Kündigung des Konkordats und die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich vor, die seit 1905, ungeachtet des Protestes der Kurie, gesetzlich durchgeführt wurde. Gegen das Trennungsgesetz vom 8. Dez. 1905 legte P. in seiner Allokution vom 15. Dez. Verwahrung ein und untersagte durch die Enzyklika »Gravissimi officii« vom 10. Aug. 1906 die Einrichtung von Kultusvereinigungen; nur zur versuchsweisen Bildung einiger gesetzlicher, kanonischen Charakter tragender Gesellschaften gab er seine Zustimmung unter Vorbehalt aller päpstlichen und bischöflichen Rechte. In der innern Verwaltung der Kirche drang er auf Pflichtübung des Klerus, Fürsorge für die Seminare, Wachsamkeit für den jungen Klerus, Revision der Kirchenmusik etc. Durch das apostolische Schreiben »Quoniam in re biblica« vom 27. März 1906 gab er dem katholischen Bibelstudium neue Richtlinien. Eine Kodifizierung des geltenden kanonischen Rechts ist geplant, ein neuer KatechismusCompendio della dottrina cristiana«, Rom 1905) ausgegeben. Jedoch scheint infolge teils reaktionärer Gegenströmung, teils schwankender Gesundheit des Papstes die in vielen Flugschriften geforderte und bekämpfte Reform ins Stocken geraten zu sein. Am 22. Okt. 1905 wurde vor dem Elternhaus des Papstes in Riese seine Marmorbüste aufgestellt. Vgl. de Waal, Papst P. X. (Münch. 1903); Schmidlin, Papst P. X., sein Vorleben und seine Erhebung (Hamm 1903); Fèvre, Pie X, pontife et souverain (Par. 1903); Narfon, Pie X (das. 1904); ital. Lebensbeschreibungen von Marchesan (1905; deutsch von Artho, Einsiedeln 1906) und Daelli (Bergamo 1906); Peters, Papst P. X. und das Bibelstudium (Paderb. 1906); die kirchliche Flugschriftenliteratur verarbeitet bei M. Sell, Aus Rom (in der »Christlichen Welt«, 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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