Gallĭen

Gallĭen

Gallĭen (Gallia), das Land der Gallier, des keltischen Hauptvolkes im Altertum (über die Ableitung des Namens vgl. Bloch, Interprétation anthropologique du mot latin Gallus, im »Bulletin de la société d'anthropologie de Paris«, 1900). G. umfaßte ungefähr das heutige Frankreich, Belgien, Stücke von Holland und Deutschland (westlich vom Rhein), den größern Teil der Schweiz und nach römischem Sprachgebrauch seit dem 4. Jahrh. v. Chr. auch das jetzige Oberitalien bis zum Aesis, wohin gallische Völkerschaften eingewandert waren. Letzteres wurde als Gallia cisalpina bezeichnet, zum Unterschied von dem jenseit der Alpen gelegenen Gallia transalpina. Eine genauere Kenntnis des eigentlichen G. wurde zuerst durch Julius Cäsar gewonnen. S. die Geschichtskarten »Germanien etc.« und »Italien bis in die Zeit des Kaisers Augustus«.

Transalpinisches Gallien.

Gallia transalpina (auch G. ulterior, G. propria oder G. braccata wegen der weiten Hosen und G. comata wegen des langen Haupthaars seiner Bewohner genannt) hatte zu Grenzen im W. das Kantabrische Meer (Vizcayischer Meerbusen) und den Atlantischen Ozean, im S. die Pyrenäen und den Sinus Gallicus (Golfe du Lion), im O. den Fluß Varus (Var), die Alpen und den Rhein, im N. die Mündungen des letztern und das Fretum Gallicum (Kanal). Die Hauptgebirge waren die Pyrenäen, die Alpen (die nach der noch heute gültigen Einteilung in die Alpes Maritimae, Cottiae, Grajae, Poeninae zerfielen), Mons Cebenna (Cevennen), Mons Jura, Mons Vosagus (Vogesen, besser Wasgenwald) und Silva Arduenna (Ardennen). Besonders begünstigt war G. durch die Menge seiner schiffbaren Flüsse, unter denen Aturius (Adour), Garumna (Garonne), Liger (Loire), Sequana (Seine) mit Matrona (Marne) und Isara (Oise), Samara (Somme), Scaldis (Schelde), der Rhenus (Rhein) mit der Mosa (Maas) und Mosella (Mosel), der Rhodanus (Rhone) mit den Nebenflüssen Arar (Saône), Dubis (Doubs) und Isara (Isère) zu nennen sind. Der Boden des Land es war im allgemeinen sehr fruchtbar; nur der Nordosten, die Gegenden um die Schelde- und Rheinmündungen, war sumpfig, der Südwesten auch damals schon sandig und unfruchtbar. Ausgezeichnet durch seinen Fruchtreichtum war besonders der Süden, wo schon früh durch griechische Ansiedler größere Kultur verbreitet worden war. Unter den Produkten des Pflanzenreichs wird außer Getreide vorzüglich Hirse genannt. Weinbau ward erst seit Kaiser Probus eifriger betrieben, der Ölbaum wurde im Süden gezogen. Aus dem Tierreich waren besonders Pferde und Hunde berühmt. Viel Gold wurde durch Bergbau, vorzüglich in den Cevennen und Pyrenäen, gewonnen, ersteres auch aus dem Sande der Flüsse gewaschen; Eisen und Blei fanden sich in Menge, ersteres besonders im Lande der Bituriger. Auch gab es Salinen und Gesundbrunnen, unter denen die von Aquä Sextiä (Aix) und Aquä Tarbellicä (Dax im Depart. Landes) die berühmtesten waren. Durch die Beschaffenheit des Landes und namentlich der Flüsse begünstigt, blühte der Handel. Man befuhr den Rhodanus und dessen Nebenflüsse weit hinauf und schaffte dann die Waren vom Arar zu Lande nach der Sequana, um sie auf dieser weiter nach dem Norden zu führen. Ebenso transportierte man Waren vom Rhodanus nach dem Liger und vom Atax (Aude) nach der Garonne. Noch mehr wurde der Verkehr durch die von den Römern angelegten Straßen erleichtert. Es waren hauptsächlich drei, die über die Alpen nach Oberitalien führten, eine an der Küste von Ligurien hin, über Nicäa (Nizza) nach Aquä Sextiä; die zweite, bequemere, von Augusta Taurinorum (Turin) über die Kottischen Alpen nach Brigantio (Briançon); die dritte, beschwerlichere, von Augusta Prätoria (Aosta) über die Grajischen Alpen (Kleiner St. Bernhard) nach Lugdunum (Lyon).

Die Bevölkerung Galliens zerfiel in zwei große Klassen, die Ureinwohner und die später eingewanderten Kelten. Zu den erstern gehören: die Aquitanier im Südwesten, iberischen Stammes, deren Reste die Basken sind; dann die iberischen Sordonen im heutigen Depart. Ostpyrenäen; endlich die Ligurer, die von der Mündung der Rhone ostwärts bis an die Grenze von Etrurien wohnten. Keltischen Stammes sind die Aremoriker, welche die Küste der Bretagne und Normandie von Brest bis Dieppe innehatten. Nach dem Innern zu, zwischen Seine und Loire, wohnten die Aulerker (s.d.), die in Diablinten, Cenomanen und Eburoviker zerfielen; am nördlichen Ufer des Liger die Namneten (s.d.), die Andekaven und weiter östlich die Karnuten (s.d.); an der Sequana abwärts die Senonen (s.d.), die Parisier (s.d.), die Vellokassen und Kaleten; zwischen Sequana und Matrona die Trikassen und an letzterer die Melder. Zwischen Liger und Garumna hatten ihre Wohnsitze die Küstenvölker der Piktaver (s.d.) und Santoner (s.d.), im Innern die Turonen, Bituriger (s. d., mit dem Beinamen Cubi), Lemoviker, Petrokorier, Kadurker (s.d.) und an der Garumna die Nitiobrigen und Bituriger (mit dem Beinamen Vibisci). Unter den Gebirgsvölkern der Cevennen waren am mächtigsten die Arverner (s.d.); an den Abhängen jenes Gebirges wohnten noch die Rutener, Gabaler und Vellavier, an den Loirequellen die Segusiaver. An der Rhone breiteten sich aus, und zwar am westlichen Ufer, die Volken (s.d.), die sich in Arekomiker und Tektosagen teilten, nördlich von ihnen die Helvier; am östlichen Ufer, nördlich von der Druentia, die Kavaren (s.d.). Sehr zahlreich waren die Alpenvölker, von denen nicht immer zu ermitteln ist, ob sie zu den Ligurern oder Kelten gehörten. Zwischen Isara und Rhodanus saßen die Vokontier, Trikorier und Trikastiner, zwischen Isara und Arar die mächtigen Allobroger (s.d.), östlich vom Arar bis zu den Vogesen die Sequaner (s.d.), östlich davon die Helvetier (s.d.) und westlich auf dem rechten Saôneufer die Äduer (s.d.) und Lingonen (s.d.); außerdem die Aulerci Brannovices (s. Aulerker) und Ambarer. Einen Hauptteil der keltischen Bevölkerung Galliens bildeten endlich die Belgen (s.d.), die alles Land zwischen Sequana, Matrona, Rhenus und dem Fretum Gallicum innehatten. Im Gebiete der Belgen, in der Rheinpfalz und Elsaß setzten sich aber schon frühzeitig germanische Stämme fest, so die Ubier, die 37 v. Chr. überrheinische Sitze von Bonn bis Zülpich hin gewannen. Auch die Bataver (s.d.) drangen schon zu Cäsars Zeit südlich vor, und von den Sigambern verpflanzte Tiberius gegen 40,000 auf das Westufer der Maas.

Die Haupteinteilung des ganzen G., die uns Cäsar gibt. zerlegt das Land in drei Teile: Aquitania. bis an die Garonne; Celtica, bis an die Seine und Marne; Belgica, bis an den Rhein. Daneben blieben die von Cäsar vorgefundenen 64 alten Völkerstämme bestehen, bis Augustus vier geographisch gleichmäßigere Provinzen herstellte: Aquitania, später Vasconia (davon Gascogne) genannt, zwischen Pyrenäen, Atlantischem Ozean, Liger (Loire) und Cevennen; Gallia Narbonensis, den Südosten des Landes; Gallia Lugdunensis, den schmalen, langen Streifen zwischen Loire und Seine, und Belgica, das den Rest des Landes vom Lacus Lemannus (Genfer See) bis zum Kanal und zum Rhein in sich begriff, und wovon später Kaiser Claudius die beiden Provinzen Germania superior und inferior, d. h. die linksrheinischen Lande, abzweigte. Die hauptsächlichsten Städte, deren antike Namen sich vielfach erhalten haben, waren in Narbonensis: Narbo Martius (Narbonne), Tolosa (Toulouse), Nemausus (Nîmes), Arelate (Arles), Massilia (Marseille), Forum Julii (Fréjus), Nicäa (Nizza), Aquä Sextiä (Aix), Avenio (Avignon), Arausio (Orange), Brigantio (Briançon), Vienna (Vienne), Genava (Genf), Cularo (Grenoble); in Aquitania: Burdigala (Bordeaux), Aquä Tarbellicä (Dax), Divona (Cahors), Augustoritum der Lemovices (Limoges), Avaricum der Bituriges (Bourges), Augustonemetum (Clermont-Ferrand), Limonum Pictavorum (Poitiers). In Belgica lagen Aventicum (Avenches), Augusta Rauricorum (Augst bei Basel), Visontio (Besançon), Argentoratum (Straßburg), Tullum (Toul), Divodurum (Metz), Durocortorum (Reims), Noviodunum, später Augusta Suessionum (Soissons), Noviomagus (Speyer), Mogontiacum (Mainz), Augusta Trevirorum (Trier), Confluentes (Koblenz), Colonia Agrippina (Köln), Noviomagus (Nimwegen), Lugdunum Batavorum (Leiden), Atuatuca Tongrorum (Tongern), Samarobriva (Amiens), Durocatalauni (Châlons-sur-Marne), Virodunum (Verdun). Lugdunensis umfaßte Lugdunum (Lyon), Matisco (Mâcon), Bibracte oder Augustodunum (Autun), Alesia (Alise Ste. – Reine), Autessiodurum (Auxerre), Agedincum (Sens), Augustobona der Trikasser (Troyes), Melodunum (Melun), Lutetia Parisiorum (Paris), Cenabum Aureliani (Orléans), Cäsarodunum (Tours), Juliomagus (Angers), Rotomagus (Rouen), Condate (Rennes).

Zisalpinisches Gallien.

Das von Italien aus diesseit der Alpen liegende G. (Gallia cisalpina, auch G. togata, weil man hier die römische Toga als Kleidung trug) umfaßte den Teil von Oberitalien, der nördlich von Ancona und den Apenninen bis an den Unterlauf des Po, die Etsch und den Fuß der Alpen reichte. Vom Padus (Po), dem Hauptfluß des Landes, führte es auch den Namen Gallia circumpadana. Als nördliche Nebenflüsse des Po sind zu nennen: der Ticinus (Tirino), der den Lacus Verbanus (Lago Maggiore), die Addua (Adda), die den Lacus Larius (Lago di Como) durchfließt, der Ollius (Oglio), aus dem Lacus Sebinus (Lago d'Iseo) kommend, und der Mincius (Mincio), aus dem Lacus Benacus (Lago di Garda); ferner von S. kommend Trebia (Trebbia) und Renus (Reno). Nicht zum Gebiete des Po gehört der Athesis (Etsch), der z. T. die Grenze gegen das Gebiet der Veneter bildete. Der Boden war wegen seiner Fruchtbarkeit berühmt. Wein gab es in großer Menge; Viehweiden und Wälder nährten große Herden von Schafen und Schweinen. Die Trefflichkeit des Landes war die Ursache, daß es mehrfache Eroberungen und Veränderungen in der Bevölkerung erfahren mußte, die natürlich jedesmal ihre eigentümlichen Spuren zurückließen. Über die Besitznahme durch die aus den Alpen kommenden Rätier s. Etrurien. Die keltische Ansiedelung ging so vor sich, daß die ersten Ankömmlinge das Land am Fuß der Alpen besetzten und die spätern das schon eroberte Land durchzogen und sich weiterhin ansiedelten. So wohnten am Ticinus die ältesten Einwanderer, die Insubrer (s.d.), mit der Hauptstadt Mediolanium (Mailand). Östlich von ihnen bis zur Etsch hin saßen die Cenomanen (s.d.), die sich aus Haß gegen die Insubrer früh den Römern unterwarfen und Verona zu ihrer Hauptstadt hatten. Südlich des Po war die wichtigste Völkerschaft die der Bojer (s. o.), die einen großen Teil des Landes zwischen Padus und den Apenninen ausfüllten und den übrigen Kelten an Kultur vorangeschritten waren. Ebenfalls bedeutend war das Volk der Senonen (s.d.), das zuletzt in diese Gegenden eingewandert war und daher seine Wohnsitze am weitesten südlich nach Umbrien hinein bis an den Fluß Äsis (Esino) hatte nehmen müssen. Nördlich von letztern nach den Pomündungen zu waren die Sitze der Lingonen (s.d.). Die bedeutendsten Städte nördlich des Po sind: Augusta Taurinorum (Turin), Eporedia (Ivrea), Augusta Prätoria (Aosta), Vercellä (Vercelli), Comum (Como), Mediolanium (Mailand), Brixia (Brescia), Cremona, Mantua, Verona; südlich des Po: Placentia (Piacenza), Parma, Mutina (Modena), Bononia (Bologna), Forum Popilii (Forlimpopoli), Faventia (Faenza), Ravenna (mit umbrischer Bevölkerung), Ariminum (Rimini). Mehrere von den Römern angelegte Straßen beförderten die Verbindung sowohl der bedeutendern Städte untereinander als mit der Hauptstadt. Die Via Ämilia führte von Ariminum, wo sie sich an die von Rom kommende Via Flaminia anschloß, in gerader Linie dem Fuß der Apenninen entlang nach Placentia am Po, der von da an schiffbar wurde; die Via Postumia von Placentia einerseits nach Ligurien, anderseits über Verona nach Aquileja. Die politische Existenz von Gallia cisalpina reicht, genau genommen, nur bis in die Zeit des Augustus, indem es damals aufhörte, als römische Provinz angesehen zu werden, und zu Italien selbst gerechnet wurde. Als Augustus Italien der bessern Verwaltung halber in elf Regionen teilte, kamen auf Gallia cisalpina die achte und elfte.

[Kulturzustand.] Die alte Verfassung Galliens war eine aristokratische. Das Volk zerfiel in eine große Menge kleinerer und größerer Völkerschaften oder Gaue. An der Spitze standen Häuptlinge, die meist durch Wahl aus dem Adel hervorgingen und von diesem abhängig waren. Durch Zeitverhältnisse und hervorragende Eigenschaften gelangten zuweilen einzelne Häuptlinge zu größerm Ansehen und ausgedehnterer Macht; aber es fehlte ihnen die Erblichkeit ihrer Würde, und außerdem wurden sie durch den Einfluß der auch in politischer Beziehung mächtigen Priesterkaste der Druiden (s.d.) außerordentlich beschränkt. Zuweilen, bei wichtigen Veranlassungen, wurden allgemeine Versammlungen vieler Völkerschaften abgehalten, wobei Stimmenmehrheit entschied. Wichtig war ferner, daß immer einzelne Völkerschaften, wie die Bituriger, Allobroger, Arverner, Äduer, überwiegende Macht und Ansehen unter den übrigen behaupteten, und daß sich dann kleinere Staaten in ein Schutzverhältnis, eine Art Klientel, zu den größern begaben. Bedenkt man jedoch den Stolz des Adels, der mit großer Eifersucht über seine Unabhängigkeit wachte, und die Unterdrückung des Volkes selbst, das ohne alle politische Bedeutung war, so ergibt sich leicht, warum es zu einem einigen und energischen Handeln des gesamten Volkes den Römern gegenüber nicht kommen konnte und trotz des kriegerischen Grundcharakters des Volkes die Unterjochung verhältnismäßig leicht war. Die Gallier kämpften sowohl zu Fuß als zu Pferd, auch von Streitwagen. Auf Prunk und Waffen hielten sie sehr viel. Die Panzer waren von Bronze und oft vergoldet. Die ältesten Schwerter waren von Kupfer, sehr lang und ließen sich bloß zum Hieb gebrauchen; später hatte man auch stählerne Schwerter. Die älteste Nationalwaffe war der Celt, eine eherne lanzenförmige Spitze von 7–14 cm Länge, die an einem etwa 1 m langen Schaft befestigt war. Andre Waffen waren Wurfspieß (gaesa), Bogen und Schleuder. Die Schilde waren klein und deckten nicht den ganzen Mann. Am gefährlichsten war gewöhnlich der erste Anprall der Gallier, dagegen ließen sie nachhaltige Ausdauer vermissen. Eigentliche Festungen hatten sie nicht, sondern nur Verschanzungen, die meist an schwer zugänglichen Orten angelegt waren. Solche nur für den Krieg bestimmte Befestigungen mit Mauern aus wechselnden Lagen von Steinen und Balken waren z. B. die durch ihre Belagerung berühmten Gergovia und Alesia. Gegen die Besiegten war der Gallier grausam, und oft wurden die Gefangenen den Göttern geopfert. Auf eine bedeutende Zahl der Bevölkerung läßt sich daraus schließen, daß zur Zeit Cäsars mindestens 300,000 waffenfähige Männer unter ihnen waren. Die Gallier waren von Gestalt groß, von weißer Hautfarbe und blondem oder rötlichem Haar, das sie lang nach dem Hinterkopf zurückgestrichen trugen. Die Weiber waren besonders schön und standen in großer Achtung, obwohl der Mann die Frau ungestraft töten konnte. Die Kinder suchte man abzuhärten. Das eigentümliche Kleidungsstück der Gallier waren die Hosen (braccae); außerdem trugen sie langärmelige Jacken und kurze Flausmäntel, alles aus Schafwolle. Im allgemeinen liebten sie Schmuck und Putz von goldenen Ketten, Ringen und Bändern (s. Tafel »Ornamente II«, Fig. 16 u. 17, und die gallischen Altertümer auf den Tafeln »Kultur der Metallzeit«). Die Wohnungen, runde Häuser aus Fachwerk und mit spitzen Dächern, und das Hausgerät waren einfach; meist schlief man auf der Erde. Die Nahrung bestand hauptsächlich aus Fleisch und Milch, weniger aus Brot. Ihrem Charakter nach waren die Gallier stolz, reizbar, veränderlich und unzuverlässig, nach Neuigkeiten und Neuerungen begierig, aber ritterlich, kampfesmutig und kriegstüchtig, wie selbst ihr Feind Cato zugeben muß. Dagegen waren sie uneinig, ohne Gemeinsinn und Anhänglichkeit an die Scholle. Ackerbau galt für entehrend und blieb den Sklaven überlassen. Der Grund und Boden gehörte dem ganzen Clan und wurde alljährlich von neuem verteilt. Daher fehlte ein Mittelstand; es gab nur freie Adlige und Knechte, die z. T. der unterworfenen iberischen Urbevölkerung angehörten. Dagegen liebten sie es, mit Weib und Kind erobernd in die Ferne zu ziehen; wir finden sie in Italien und Griechenland, in den Donauländern wie in Kleinasien, selbst als Leibwache der Ptolemäer in Ägypten. Nie aber übten sie auf die von ihnen Unterworfenen einen dauernden Einfluß aus und verschwanden meist unter denselben. Die Sprache der Gallier war die keltische, der germanischen, lateinischen und griechischen verwandt. Lebend hat sich dieselbe noch bis jetzt in der Bretagne erhalten. Die Kelten waren voll Geist und verstanden überzeugend zu reden; unter ihnen hielt sich auch Dicht- und Redekunst länger als selbst in Rom. Rasch vertauschten sie aber ihre Sprache mit derjenigen ihrer Unterdrücker. Dem Götterdienst und Aberglauben waren die Gallier in hohem Grad ergeben, doch sind die Nachrichten darüber ziemlich unsicher. Die gallischen Hauptgötter waren: Teutates, von den Römern Mercurius genannt; Esus oder Hesus (Mars); Taran, Taranis, auch Taranucnus, der Donnerer, von den Römern mit Jupiter gleichgestellt; Belen, der Sonnengott, den Cäsar Apollo nennt; Belisana, mit der Minerva, und Arduina, mit der Diana zusammengestellt. Ferner werden erwähnt: eine Siegesgöttin (Andraste), eine Pferdegöttin (Epona) und eine Menge Feen, welche die Römer als Deae Matronae bezeichnen. Dem Götterdienst standen die Druiden vor. Die Menschenopfer suchten die Römer auszurotten. Auch auf das Geschrei und den Flug der Vögel, auf Träume, auf die Stellung der Gestirne und auf alle außerordentlichen Ereignisse wurde mit großer Sorgfalt geachtet. Zu Menschenopfern wurden gewöhnlich Gefangene oder Missetäter gebraucht. Für besonders feierlich galt das Verbrennen der Opfer in Weidengeflechten, welche die Form riesenhafter Menschengestalten hatten. Ihre Kunstfertigkeit zeigten die Gallier besonders bei Bearbeitung der Metalle und bei Behandlung des Glases, wofür sich in den alten Gräbern vielfache Beweise finden. Auch die schönen Mosaikböden, die sich an vielen Orten vorfinden, sprechen dafür, wie die Münzen, die aus ihren Werkstätten besser geprägt hervorgingen als aus den römischen.

Geschichte.

Die Gallier (d. h. die Kämpfer, die Kriegerischen) waren das Hauptvolk der Kelten (s.d.). Wann sie nach G. einwanderten, ist ungewiß. Sie besetzten mit Ausnahme geringer Gebiete an den Pyrenäen, welche die iberischen Aquitanier behaupteten, und des Küstenstrichs an den Seealpen, wo die Ligurer wohnten, das ganze Gebiet zwischen Alpen, Pyrenäen und beiden Meeren. Während die Griechen das Land, das sie seit dem 6. Jahrh. besuchten, als einen Teil des großen Keltenlandes ansahen, nannten es die Italiker seit dem zweiten Punischen Kriege Gallia und zwar Gallia transalpina im Gegensatz zum zisalpinischen oder zirkumpadanischen G. Da sich nämlich die Gallier in dem fruchtbaren Lande stark vermehrten, so begannen um 400 v. Chr. die Auswanderungen ganzer Stamme oder einzelner Scharen nach Oberitalien, wo sie sich des Pogebiets bemächtigten und die Senonen den Umbrern auch einen Teil Mittelitaliens entrissen. Die Senonen zogen 390 unter ihrem Brennus, d. h. Heerkönig, gegen Rom, schlugen die Römer 18. Juli 390 am Alliabach, verbrannten Rom, konnten das Kapitol jedoch nicht erobern und wurden schließlich von den Römern durch Geldzahlung zum Abzug bewogen. Seitdem hatten die Römer lange Zeit mit den Galliern zu kämpfen, die auch wiederholt von den andern Feinden Roms, wie den Etruskern und Samniten, in Sold genommen wurden. Einen entscheidenden Sieg erfochten die Römer, nachdem sie 284 die Senonen fast vernichtet hatten, 283 über die Bojer am Vadimonischen See. Erst 238 wagten diese es, den Krieg zu erneuern, indem sie zahlreiche Schwärme transalpinischer Stammesgenossen zu Hilfe riefen und, als diese wieder in die Heimat zurückgekehrt waren, ein Bündnis fast aller italischen Gallier gegen Rom zustande brachten. Sie wurden indessen 225 bei Telamon am Ombrone entscheidend geschlagen und nun von den Römern in ihren eignen Sitzen angegriffen. Die Einnahme Mailands und Comos durch Scipio, die Verlängerung der Flaminischen Straße und die Gründung der befestigten Kolonien Placentia (Piacenza), Cremona und Mutina (Modena) sollten den Römern die Herrschaft über das gallische Italien sichern. Trotzdem versuchten die Gallier im zweiten Punischen Kriege, mit Hannibal verbündet, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen, und erst 193 wurde der letzte hartnäckige Widerstand der Bojer durch die Schlacht bei Mutina gebrochen. Das zisalpinische G. wurde nach seiner Unterwerfung rasch romanisiert und hieß daher Gallia togata. 89 erhielten die Zispadaner das latinische Bürgerrecht. Aber erst 43 wurde das Land auch politisch mit Italien vereinigt. – Auch nach Osten hatten sich Gallier gewandt, indem 280 ein gewaltiger Hause durch Makedonien und Epirus nach Griechenland vordrang und Delphi bedrohte, wo er aber größtenteils durch Gewitter und Erdbeben seinen Untergang gefunden haben soll. Die Übriggebliebenen zogen nach Kleinasien und ließen sich in der nach ihnen benannten Landschaft Galatien (s. Galater) nieder.

Die Festsetzung der Römer in dem transalpinischen G. begann mit der Sicherung einer Verbindungsstraße mit dem 206 von der See aus eroberten Spanien durch das südliche Küstenland seit 154. Der Konsul M. Fulvius Flaccus sowie seine Nachfolger C. Sextius Calvinus, Cn. Domitius Ahenobarbus und Q. Fabius Maximus vollendeten 125–118 die Besitznahme des Küstenlandes und des Rhonegebiets bis zu den Allobrogern. Das Ergebnis dieser Kämpfe war die Einrichtung einer neuen römischen Provinz, Provincia oder Gallia Narbonensis, zwischen den Seealpen und den Pyrenäen; Aquä Sextiä (Aix) und Narbo (Narbonne) waren hier die wichtigsten Plätze. 106 wurde mit der Unterwerfung der Tektosagen das obere Garonnegebiet mit der Stadt Tolosa hinzugefügt. In diesen Grenzen blieb das römische Gebiet bis zum Prokonsulat Cäsars (58), dem es in 8 Jahren gelang, das ganze transalpinische G. zur römischen Provinz zu machen, indem er erst die einzelnen Völkerschaften (civitates, im ganzen 64) Galliens der Reihe nach schlug und zuletzt eine neue allgemeine Erhebung unter Vercingetorix durch den Sieg bei Alesia (52) niederschlug. Zu dem nun römisch gewordenen G. gehörten außer dem jetzigen Frankreich auch Belgien und die sämtlichen Gebiete bis zum Rhein. Cäsar selbst unterscheidet drei Teile: Aquitania, das von iberischen Stämmen bewohnte Land im Südwesten bis zu den Pyrenäen, Gallia Celtica oder Lugdunensis, das eigentliche G., und Belgica, den nordöstlichen Teil. Diese Dreiteilung wurde sodann bei der Organisation der Verwaltung des Landes im J. 27 von Augustus beibehalten, aber Aquitanien auf das ganze südwestliche G. ausgedehnt, auch Belgica durch die Gebiete zwischen Mosel und Alpen erweitert, so daß Lugdunensis nun einen langen, schmalen Streifen von den Alpen bis nach Aremorica bildete; als besondere Provinzen blieben die alte Provincia, d. h. Gallia Narbonensis (die spätere Provence), und die beiden Germanien (Germania prima und Germania secunda) am Rhein bestehen. Unter Diokletian wurde G. in 17 Provinzen eingeteilt, die auch unter der Benennung G allia et septem Provinciae (Narbonenses duae, Aquitaniae duae, Alpes Maritimae, Viennensis, Novem populana [Vasconia]) zusammengefaßt wurden.

Der harte Steuerdruck der Römer rief 21 n. Chr. einen Aufstand des Trevirers Julius Florus und des Äduers Sacrovir hervor; doch mißglückte er infolge der römischen Kriegskunst und Gleichgültigkeit der gallischen Bevölkerung, die sich rasch an die Fremdherrschaft gewöhnt, Sprache und Sitte der Eroberer angenommen hatte. Unter Nero trat im südlichen G. Julius Vindex, ein geborner Aquitanier, an die Spitze einer Empörung; doch wurde er von Virginius Rufus bei Besançon geschlagen. Als nach dem Sturz Neros (68) der Bataver Julius Civilis das römische Joch abzuwerfen suchte und die Gallier zur Teilnahme ausrief, schlossen sich ihm zwar die Trevirer unter Classicus und Julius Tutor und die Lingonen unter Jul. Sabinus an, wurden aber bald besiegt. Während des ganzen 2. Jahrh. herrschte in G. Ruhe, und die Bevölkerung wurde fast völlig romanisiert. Das römische Bürgerrecht war erst nur den Adligen, von Galba dann dem gesamten Volk erteilt worden. G. war durch seinen Reichtum und seine geistige Blüte ein besonders wertvoller Teil des römischen Reiches. Als jedoch seit dem 3. Jahrh. bei dem zunehmenden Verfall der römischen Herrschaft die Franken und Alemannen anfingen, G. durch ihre Einfälle zu beunruhigen, als die immer mächtiger werdenden Statthalter sich oft Gewalttätigkeiten erlaubten und durch Steuererpressungen die Kraft des Landes aussogen, versank es in einen immer traurigern Zustand. Die Franken fielen zuerst um 240 in G. ein und setzten sich um 290 auf der batavischen Insel fest, von wo aus sie sich im Lauf eines Jahrhunderts des ganzen jetzigen Belgien bemächtigten. Den Alemannen wurde unter Kaiser Constantius das jetzige Elsaß ein geräumt; andre deutsche Stämme drangen bei Köln und Koblenz über den Rhein, und erst Julianus, der 355 zum Schutz Galliens abgeschickt ward, errang, namentlich 357, glänzende Siege über die Germanen. Doch die Ruhe war nur von kurzer Dauer. Zu den Alemannen und Franken gesellten sich seit dem Beginn des 5. Jahrh. die Alanen, Sueven und Wandalen, denen um so weniger ein Damm entgegengesetzt werden konnte, als der bedrohte Zustand Italiens die Zurückziehung der Legionen aus den Provinzen nach dem Mittelpunkt des Reiches notwendig machte. 413 erschienen die Westgoten im südlichen G. und breiteten sich verheerend bis Bordeaux aus. Gleichzeitig nahmen die Burgunder Länderstrecken am Mittelrhein in Besitz. Die Römer behielten bloß das Seinegebiet; doch gelang es wenigstens dem tapfern Aëtius, dem verheerenden Andrang der Hunnen unter Attila durch die Schlacht auf den mauriacensischen Feldern bei Méry 451 ein Ziel zu stecken. Aber nach Ermordung des Aëtius 454 breiteten sich Franken, Alemannen und Burgunder immer weiter aus, und auf der Nordküste ließen sich die von den Sachsen aus England verdrängten Briten nieder, so daß zu der Zeit, wo dem Römischen Reiche durch Odoaker der Todesstreich versetzt wurde, der römische Statthalter Syagrius nur noch einen kleinen Landstrich im mittlern G. als letzten Rest der römischen Herrschaft behauptete. Auch dieser wurde 486 nach der Besiegung und Ermordung des Syagrius die Beute des Frankenkönigs Chlodwig, und aus den Trümmern Galliens erstand das germanische Reich der Franken (s. Frankenreich).

Vgl. Desjardins, Géographie historique et administrative de la Gaule romaine (Par. 1876–93, 4 Bde., unvollendet und durch Longnon ergänzt); Amédée Thierry, Histoire des Gaulois (10. Aufl., das. 1877, 2 Bde.) und Histoire de la Gaule sous la domination romaine (4. Aufl., das. 1877, 3 Bde.); Fallue, Conquête des Gaules (das. 1862) und Annales de la Gaule (Evreux 1864); Maissiat, Annibalen Gaule (Par. 1874) und Jules Césaren Gaule (das. 1876–81, 2 Bde.); Ludwig Napoleon, Histoire de Jules César, Bd. 2 (das. 1866); A. v. Göler, Cäsars gallischer Krieg (2. Aufl., Freiburg 1880, 2 Bde.); Cartailhac, La France préhistorique (das. 1889); Castanier, Histoire de la Provence dans l'antiquité (das. 1893–96, 2 Bde.); Bladé, Géographie politique du sud-ouest de la Gaule pendant la domination romaine (in den »Annales du Midi«, Bd. 5 u. 6, 1893 u. 1894); Cougny, Γαλλικῶν συγγραφεις Έλληνικοί: Extraits des auteurs grecs concernant la géographie et l'histoire des Gaules (Par. 1878–92, 6 Bde.); Nicolai, Le Mas d'Agenais à l'époque gallo-romaine (Bordeaux 1897); Lavisse, Histoire de la France, Bd. 1 (enthaltend »Les Origines«, von G. Bloch; Par. 1900); Lefèvre, Les Gaulois; origines et croyances (das. 1900); Jullian, Gallia. Tableau sommaire de la Gaule sous la domination romaine (2. Aufl. 1902); Barrière-Flavy, Les arts industriels de la Gaule du V. an VIII. siècle (Toulouse 1901, 3 Bde.); Ruelle, Bibliographie générale des Gaules (Par. 1885).


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