- Sizilien, Königreich beider
Sizilien, Königreich beider (Königreich Neapel, s. die Geschichtskarten beim Artikel »Italien«), bis 1860 selbständiger Staat, seitdem zum Königreich Italien gehörig, zerfiel in das Gebiet diesseit der Meerenge (Neapel im engern Sinne) und das jenseit derselben (Insel Sizilien), umfaßte die Landschaften (compartimenti) Abruzzen und Molise, Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien und hatte einen Flächenraum von 111,900 qkm (2033 QM.) mit 8,703,000 Einw. Nach dem Sturz des weströmischen Reiches war Unteritalien und Sizilien unter die Herrschaft Odoakers, dann der Ostgoten gekommen und nach dem Untergang der letztern wieder mit dem oströmischen Reich vereinigt worden. Die Langobarden, die 568 in Italien einbrachen, gründeten im Süden der Halbinsel das von ihrem König abhängige Herzogtum Benevent, während Apulien, Kalabrien und die Insel Sizilien den Byzantinern verblieben und in Neapel, Amalfi, Gaeta, Sorrent kleine Fürstentümer entstanden, die unter byzantinischer Oberhoheit standen. Die Insel Sizilien entrissen seit 827 die Sarazenen den Byzantinern; dagegen scheiterten die Versuche Ottos I. und Ottos II., das griechische Unteritalien zu erobern, und nur die Lehnshoheit über die aus dem Herzogtum Benevent entstandenen Fürstentümer Capua, Salerno und Benevent behaupteten die deutschen Kaiser.
Das Normannenreich und die Staufen.
In das vielgestaltige Leben Unteritaliens griffen seit 1016 normannische Ritter ein, die, aus der Heimat durch immer neue Zuzüge verstärkt, 1027 zuerst mit Genehmigung Kaiser Konrads II. hier feste Wohnsitze gewannen und 1030 die feste Stadt Aversa gründeten, die der Mittelpunkt einer blühenden Grafschaft wurde. Besonders unter Führung der Söhne Tankreds von Hauteville, deren zehn nacheinander aus der Normandie nach Italien kamen, breiteten sich die Normannen immer weiter aus; der älteste jener Brüder, Wilhelm, wurde 1042 zum Grafen von Apulien erhoben, der sechste, Robert Guiscard, vollendete 1071 mit der Einnahme von Bari die Eroberung des griechischen Festlandes von Unteritalien. Der jüngste Bruder, Roger, setzte 1061 nach Sizilien über, wo sich die Macht der Sarazenen in eine Menge kleiner Herrschaften, mit Palermo als Mittelpunkt, aufgelöst hatte, und unterwarf sich bis 1091 die ganze Insel, die er von Robert zu Lehen nahm. Auch die kleinern unteritalienischen Fürstentümer wurden eins nach dem andern, zuletzt Neapel, von den Normannen unterworfen, die seit 1059 in engen Beziehungen zur römischen Kurie standen und von den Päpsten mit ihren Eroberungen in Unteritalien und Sizilien belehnt wurden. Auf Robert Guiscard folgte 1085 als Herzog von Apulien, Kalabrien und Sizilien sein Sohn Roger, dessen Bruder Bohemund das Fürstentum Tarent erhielt und im ersten Kreuzzug das Fürstentum Antiochia begründete. Nachdem 1127 Rogers Sohn Wilhelm kinderlos gestorben war, vereinigte Roger II., der Sohn des gleichnamigen Eroberers von Sizilien, Unteritalien und Sizilien unter seine Herrschaft, brachte die widerspenstigen Großen zur Unterwerfung, ließ sich vom Papst Anaklet II. zum König krönen (25. Dez. 1130), behauptete sich trotz des Zuges, den Kaiser Lothar 1137 mit nur vorübergehendem Erfolge gegen ihn unternahm, setzte 1139 Papst Innozenz II. gefangen und zwang ihn zur Bestätigung der Verfügungen Anaklets gegen Anerkennung der päpstlichen Lehnshoheit.
Unter Rogers II. Regierung (1130–54) erhob sich das Königreich rasch zu großer Blüte: Palermo und Amalfi wetteiferten als Handelsstädte mit Venedig und Pisa; Neapel und Amalfi wurden durch ihre Lehranstalten für Rechtskunde berühmt, Salerno durch seine medizinische Schule. Rogers Sohn Wilhelm I., »der Böse« (1154–66), war zwar kräftig und tapfer, regierte aber wie ein orientalischer Fürst mit Weibern und unwürdigen Günstlingen. Dessen Sohn und Nachfolger, Wilhelm II., »der Gute« (1166–89), schloß nach langem Kampfe 1177 einen Waffenstillstand und 1185 einen dauernden Frieden mit Kaiser Friedrich I. und vermählte seine Erbin Konstanze, die Tochter Rogers II., mit dem Sohn Friedrichs, Heinrich VI. So fiel, als mit Wilhelm II. die rechtmäßige männliche Nachkommenschaft Tankreds von Hauteville erlosch, die Erbschaft des Königreichs beider Sizilien an das Haus der Staufen, dem freilich zunächst einheimische Thronprätendenten, ein natürlicher Enkel Rogers II., Tankred, und dessen Sohn Wilhelm, entgegentraten. Erst 1194 gelang es Heinrich VI., den Widerstand der Großen mit grausamer Strenge zu brechen und das ganze Königreich in Besitz zu nehmen. Nach Heinrichs VI. Tod (1197) folgte sein dreijähriger Sohn Friedrich I. (als Kaiser Friedrich II.) unter der Vormundschaft seiner Mutter Konstanze und nach deren Tode (1198) bis 1208 des Papstes Innozenz III. Dieser befestigte in den Jahren 1222–25 die monarchische Autorität in S. und gap dem Königreich durch seine Konstitutionen von 1231 eine freilich nicht ganz neugeschaffene, sondern auf der Grundlage normannischer Einrichtungen beruhende Organisation. Diese trug in mancher Beziehung schon einen modernen Charakter, insofern die Verwaltung des Landes nicht von den Grundsätzen des Lehnsrechts geleitet, sondern von einem festgegliederten, vom König allein abhängigen Beamtenstand geführt wurde. Auch für das Heerwesen und die Flotte, insbes. aber für das Finanzwesen, das auf dem Ertrag der Domänen, Monopole, Zölle und einer Grundsteuer beruhte, trafen die Konstitutionen Fürsorge. Durch die Einrichtung von Provinziallandtagen sollte ein gewisses Gegengewicht gegen die Bureaukratie geschaffen werden. Zur Förderung des wissenschaftlichen Lebens wurde 1224 in Neapel eine Universität gegründet, in Salerno eine medizinische Prüfungskommission eingesetzt. Wesentlich mit den Mitteln, die ihm das in eine absolute Monarchie umgewandelte S. gewährte, hat Friedrich seinen langen Kampf gegen das Papsttum geführt, freilich auch das Land dadurch in hohem Grad erschöpft. Sein Sohn und Nachfolger Konrad IV. (1250–54) hinterließ den unmündigen Konradin, dessen Oheim Manfred die Reichsverwesung übernahm, sich aber 10. Aug. 1258 auf ein falsches Gerücht von Konradins Tod zum König wählen und krönen ließ. Die Päpste verfolgten aber Kaiser Friedrichs Nachkommen mit unversöhnlichem Haß, und Papst Clemens IV. verlieh Sizilien 1265 dem Grafen Karl von Anjou, Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, als päpstliches Lehen, gegen den Manfred 26. Febr. 1266 bei Benevent Thron und Leben verlor. Konradin büßte den Versuch, das Erbe seiner Väter wiederzuerringen, nach seiner Niederlage bei Tagliacozzo (23. Aug. 1268) mit dem Tod auf dem Blutgerüst (29. Okt.).
Die Herrschaft der Anjous.
Karl I. (1266–85) erklärte alle Verleihungen Friedrichs und seiner Nachfolger seit dem Konzil von Lyon für ungültig, konfiszserte überdies nach der Schlacht von Tagliacozzo den Besitz der Anhänger Konradins und verlieh die dadurch frei gewordenen Güter großenteils an französische Edle mit ausgedehnten Feudalrechten. Auch die höhern Ämter wurden vorzugsweise mit eingewanderten Franzosen besetzt, so daß die Regierung den Charakter einer Fremdherrschaft trug. Dazu erbitterte der harte Steuerdruck die Bevölkerung auf das äußerste, und die Wühlereien der Emigranten, unter denen Johann von Procida (s. d.) eine bedeutende Rolle spielte, trugen dazu bei, die Gärung zu vermehren. So brach denn 30. März 1282 in Palermo der unter dem Namen der Sizilianischen Vesper (s. d.) bekannte Aufstand gegen die Gewaltherrschaft der Franzosen aus, verbreitete sich schnell über die ganze Insel und endete mit der Vertreibung aller Franzosen, von denen viele Tausende niedergemacht wurden. Gegen Karls Versuche, die Insel wieder zu unterwerfen, suchten die Sizilianer bei Peter von Aragonien, Manfreds Schwiegersohn, Hilfe, der die Krone von Sizilien annahm und das von Karl belagerte Messina entsetzte. So wurde die Insel bis 1442 vom Festland getrennt.
Karl von Anjou sah sich bald auch auf dem Festland durch Erhebungen der Ghibellinen und durch Angriffe seitens der Sizilianer bedroht, die unter ihrem Admiral Roger von Loria mehrere glänzende Seesiege über die Neapolitaner gewannen und 1284 sogar den Thronfolger, den Prinzen Karl, gefangen nahmen. Auf Karl I., der 1285 starb, folgte sein Sohn Karl II., der 1288 aus der Gefangenschaft entlassen wurde. Auch seine Versuche, Sizilien wiederzugewinnen, waren vergeblich, und sein Sohn Philipp fiel in der Schlacht bei Falconara (unweit Trapani) 1299 in Gefangenschaft. Ebensowenig vermochte der vom Papst zu Hilfe gerufene Bruder des Königs von Frankreich, Karl von Valois, gegen die Sizilianer etwas auszurichten. So kam es 1302 zum Frieden von Caltabellotta, demzufolge Peters von Aragonien Sohn Friedrich auf Lebenszeit als König pou Sizilien anerkannt wurde und sich mit Eleonora, der Tochter Karls II., vermählte. Karls II. Nachfolger war sein zweiter Sohn, Robert (1309–43), ein kluger, geistvoller Fürst, der in Italien eine bedeutende Machtstellung einnahm; Karl Robert, Sohn des ältern Bruders Karl Martell, erhielt die Krone von Ungarn. Auf Roberts Regierung folgte eine lange Periode schwerer innerer Kämpfe. Erbin des Thrones wurde seine Enkelin Johanna I. (1343 bis 1382), die mit Andreas von Ungarn, dem Sohn Karl Roberts, in unglücklicher Ehe vermählt war. Der Krönung dieses unbedeutenden Fürsten zum König widersetzte sich eine Partei am Hofe, an deren Spitze Katharina von Tarent, die Witwe eines Bruders König Roberts, stand, und diese Partei ließ, wahrscheinlich im Einverständnis mit Johanna, Andreas ermorden (18. Sept. 1345), worauf Johanna 20. Aug. 1347 Ludwig von Tarent, dem Sohne der Katharina, ihre Hand reichte. Als König Ludwig von Ungarn Ende 1347 mit einem Heer gegen Neapel zog, um den Tod seines Bruders zu rächen, flüchtete Johanna, und Ludwig zog in Neapel ein, wo er über die Mörder seines Bruders ein blutiges Strafgericht verhängte, dem auch Karl von Durazzo, ein andrer Bruderssohn Roberts, als angeblich Mitschuldiger des Mordes, zum Opfer fiel; doch kehrte er schon im Mai 1348 infolge des Ausbruches der Pest in die Heimat zurück. 1350 unternahm er einen zweiten Zug nach Neapel, schloß aber noch in demselben Jahr einen Waffenstillstand mit Johanna, worauf diese im Besitz des Konigreichs blieb. Nach dem Tode Ludwigs von Tarent (1362) vermählte sie sich mit Jakob von Mallorca und, als auch dieser 1375 starb, 1376 mit dem tapfern Otto von Braunschweig. Als aber Johanna mit Papst Urban VI. in Konflikt geriet und dessen Gegner Clemens VII. anerkannte, erklärte ersterer sie des Thrones für verlustig und krönte 1381 Karl den Kleinen von Durazzo, den Enkel eines Bruders Roberts, zum König. Dieser drang nun in das Reich ein, nahm Otto von Braunschweig und die Königin gefangen und ließ die letztere 22. Mai 1382 ermorden. Zwar suchte ihm Ludwig von Anjou, Sohn König Johanns von Frankreich, den Johanna adoptiert und zum Erben der Krone ernannt hatte, die Herrschaft streitig zu machen, indem er mit einem Heer in Neapel einfiel. Doch starb er schon 21. Sept. 1384, und nun ward Karl III. (1382–86) allgemein als König anerkannt. Aber schon 1386 fand er in Ungarn, wo eine Partei ihn als König aufgestellt hatte, einen gewaltsamen Tod, worauf ein Teil des Adels seinen Sohn Ladislaus (s. d. 6), ein andrer Ludwig II. von Anjou als König anerkannte. Nach mannigfachen Wechselfällen behielt Ladislaus die Oberhand, der 1390 von Bonifatius IX. als König gekrönt wurde und bis 1414 regierte. Ihm folgte seine Schwester Johanna II. (1414–35), die 1421 Alfons V. von Aragonien, 1423 aber, nachdem sie sich mit ihm entzweit hatte, Ludwig III. von Anjou adoptierte. Letzterer starb 1434 und hinterließ seine Ansprüche auf den Thron seinem Bruder René; allein dieser wurde von Alfons vertrieben, der Neapel einnahm und dies Königreich 1442 wieder mit Sizilien vereinigte.
Die spanische Herrschaft.
Alfons, der 1458 starb, ernannte seinen natürlichen, aber legitimierten Sohn Ferdinand I. (1458 bis 1494) zum König von Neapel, während Sizilien mit Aragonien unter seinem Bruder Johann II. vereinigt bleiben sollte. Ferdinand war vor allem darauf bedacht, den unbotmäßigen Adel zu bändigen und die großen Lehnsgüter in zuverlässige Hände zu bringen; auch beförderte er Handel und Industrie und wandte besonders der Seidenkultur seine Aufmerksamkeit zu. Als aber unter seinem Sohn Alfons II. (1494–95) Karl VIII. von Frankreich, die Ansprüche der Anjous auf den neapolitanischen Thron erneuernd, einen Kriegszug gegen Neapel unternahm, erhob sich das Volk gegen Alfons, der im Januar 1495 zugunsten seines Sohnes Ferdinand II. auf den Thron verzichtete. Doch auch dieser vermochte sich nicht zu behaupten und floh nach Sizilien. Karl VIII. zog 22. Febr. 1495 in Neapel ein und empfing 12. Mai die Krone, kehrte aber noch in demselben Jahre nach Frankreich zurück. Sofort landete Ferdinand II. mit sizilischen Schiffen und eroberte, von Spanien mit einer Flotte und einem Heer unterstützt, sein Land zurück, doch starb er schon 1496 und hinterließ den Thron seinem Oheim Friedrich (1496–1501). Gegen diesen vereinigten sich König Ludwig XII. von Frankreich und Ferdinand der Katholische von Spanien 1500 im Vertrag von Granada zur Eroberung Neapels, von dem Kalabrien und Apulien an Ferdinand, das übrige Gebiet an Frankreich fallen sollte. Die vereinigten Spanier und Franzosen eroberten das Königreich rasch; Friedrich wurde als Gefangener nach Frankreich abgeführt, wo er 1504 starb, und bei der Eroberung Tarents (1502) fiel auch sein Sohn Ferdinand in die Gewalt seiner Feinde. Die Verteilung der Beute führte jedoch unter diesen zu Streitigkeiten und endlich zum Krieg, in dem die Franzosen bei Seminara (21. April 1503), Cerignola (28. April) und am Garigliano (28. und 29. Dez.) geschlagen wurden, worauf der siegreiche Gonzalo de Cordoba (s. d.) das Land 1504 für die spanische Krone in Besitz nahm.
Nachdem die Versuche des Königs Franz I., Neapel wieder zu erobern, gescheitert waren, blieben Neapel and Sizilien in spanischem Besitz und wurden von Vizekönigen regiert, deren erster Gonzalo war. Die spanische Herrschaft hatte für das Königreich die verderblichsten Folgen: die alte ständische Verfassung wurde allmählich beseitigt, jede freie geistige Bewegung unterdrückt; die Geistlichkeit hielt durch Beförderung eines blinden, sinnlichen Aberglaubens das Volk in geistiger Verdumpfung; das Beamtentum war aufs schlimmste korrumpiert. Der Grundbesitz häufte sich in den Händen des Adels und des Klerus an, und die ganze Last der hohen Steuern bedrückte das niedere Volk, das durch die Verteurung der notwendigsten Lebensmittel in die bitterste Not geriet. Ein Symptom seiner Verzweiflung war der von unbedeutendem Anlaß ausgehende Aufstand des Tommaso Aniello (Masaniello, 7. Juli 1647), der aber bald unterdrückt wurde. Im Spanischen Erbfolgekrieg wurde Neapel von den Österreichern unter dem General Dann besetzt und fiel durch die Friedensschlüsse von Utrecht und Rastatt (1713 und 1714) an Österreich. Sizilien kam durch dieselben Verträge an Savoyen, wurde aber schon 1720 gegen Sardinien ausgetauscht und wieder mit Neapel vereinigt.
Sizilien eine bourbonische Sekundogenitur.
Jedoch nicht lange blieb das Königreich unter der Herrschaft der österreichischen Habsburger: schon 1735 (endgültig 1738) trat Kaiser Karl VI. im Frieden von Wien Neapel und Sizilien an den Infanten Karl von Spanien als eine mit diesem Königreich nie zu vereinigende Sekundogenitur der spanischen Bourbonen ab. König Karl IV. (1735–59) berief den freisinnigen Staatsmann Tanucci an die Spitze der Staatsgeschäfte, der vor allem die Privilegien des Klerus einschränkte. Er hob die Steuerfreiheit der Kirchengüter auf, beseitigte die Mißbräuche des kirchlichen Asylrechts, unterwarf den Klerus der weltlichen Gerichtsbarkeit, traf Maßregeln gegen neue Gütererwerbungen der Kirche, schränkte die Zahl der Priester ein und hob zahlreiche Klöster auf. Als Karl IV. 1759 auf den spanischen Königsthron berufen wurde (wo er bis 1788 als Karl III. regierte), überließ er Neapel und Sizilien seinem dritten Sohn, Ferdinand IV. (1759–1825), während dessen Minderjährigkeit Tanucci das Reich mit fast unumschränkter Gewalt regierte, der 1767 die Jesuiten aus dem Königreich vertrieb, nach des Königs Großjährigkeit aber allmählich seinen herrschenden Einfluß an die Königin Karoline, eine Tochter Maria Theresias, verlor und 1777 ganz beseitigt wurde. Nachdem auch sein Nachfolger Sambuca 1784 entlassen war, herrschte Karoline im Verein mit ihrem Günstling, dem Premierminister Acton, unbedingt über das Reich. Seit dem Ausbruch der französischen Revolution und der Hinrichtung ihrer Schwester Marie Antoinette von tödlichem Haß gegen die französische Republik und die Liberalen erfüllt, bestimmte sie ihren Gemahl 1798, noch vor der Kriegserklärung der zweiten Koalition mit einem Heer wenig geübter Truppen unter General Mack in den Kirchenstaat einzurücken. Dieser besetzte 29. Nov. 1798 Rom, zog sich aber schon im Dezember vor den Franzosen zurück, die nun in Neapel einfielen. Ratlos floh der König mit dem Hofe nach Sizilien und gab das Land den Siegern preis, mit denen Mack 10. Jan. 1799 einen Waffenstillstand schloß. Hierüber entstand in der Hauptstadt ein furchtbarer Aufstand des gegen die Jakobiner und Verräter erbitterten Volkes, vor dem sich der königliche Statthalter nach Sizilien, Mack in das französische Lager flüchteten. Über Blut und Leichen bahnte sich Championnet, der Anführer der Franzosen, den Weg in die hartnäckig verteidigte Hauptstadt, nach deren Eroberung (23. Jan. 1799) er die königliche Herrschaft für abgeschafft erklärte und die Parthenopeïsche Republik proklamierte.
Der neue Staat war jedoch nur von kurzem Bestand. Schon im Februar landete der vom König zum Generalvikar ernannte Kardinal Ruffo in Kalabrien, und der von diesem gebildeten »Glaubensarmee« schloß sich die Masse der ländlichen Bevölkerung, aber auch ein Schwarm räuberischen Gesindels an. Nachdem die Franzosen 5. Mai Neapel geräumt hatten, rückte Ruffo im Juni vor die Hauptstadt, die am 21. Juni kapitulierte. Den Bestimmungen der Kapitulation zuwider, die eine Bestrafung politischer Vergehen ausschlossen, wurde über die Anhänger der Republik ein furchtbares Strafgericht verhängt; der König kehrte im Juli nach Neapel zurück. Als 1805 der Krieg der dritten Koalition gegen Frankreich ausbrach, öffnete die Königin Karoline, entgegen dem im August mit Napoleon abgeschlossenen Vertrag, einer russisch-englischen Flotte den Hafen von Neapel, worauf Napoleon 27. Dez. 1805 in Schönbrunn das Dekret erließ: »Die Dynastie der Bourbonen in Neapel hat aufgehört zu regieren«. Als die Franzosen unter Joseph Bonaparte und Masséna heranrückten, flüchtete der Hof wiederum nach Sizilien (15. Febr. 1806), das Ferdinand unter dem Schutz der englischen Flotte bis zum Sturz Napoleons behauptete. Unter blutigen Kämpfen nahm Joseph Besitz von der neapolitanischen Krone, die ihm sein Bruder verlieh (30. März), die er aber schon nach zwei Jahren (15. Juli 1808) an seinen Schwager Joachim Murat abtreten mußte, um den Thron Spaniens einzunehmen. Die französische Herrschaft fegte mit scharfem Besen die feudalen Institutionen, die Klöster und die klerikalen Vorrechte weg und gab dem Land eine moderne Gesetzgebung und Verwaltung. Doch dauerte sie nur bis zum Wiener Kongreß, durch den Neapel nach der Niederlage Murats bei Tolentino (2. Mai 1815) dem König Ferdinand zurückgegeben wurde.
Das Königreich beider Sizilien 181560.
Ferdinand IV. vereinigte nach seiner Rückkehr Festland und Insel zu einem Staat, nahm den Titel eines Königs beider Sizilien an und nannte sich als solcher Ferdinand I.; die 1812 auf Verlangen Englands der Insel Sizilien erteilte freisinnige Verfassung wurde wieder aufgehoben. In einem geheimen Vertrage mit Österreich (1815) verpflichtete sich Ferdinand, keine Verfassung einzuführen und keine Einrichtungen zu treffen, die liberaler seien als die der Lombardei. Zwar änderte der träge, unfähige König an den von der französischen Herrschaft überkommenen Institutionen wenig, doch ließ er sie verfallen. Die Verwaltung war schwach und vermochte die Ordnung nicht aufrecht zu erhalten; in allen Provinzen erhoben die Briganten ihr Haupt. Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen wurde genährt von dem Geheimbund der Carbonari und ergriff auch die Armee. Als 1820 die Kunde von der Revolution in Spanien erscholl, rückte ein Leutnant der Garnison von Nola, Morelli, mit wenig über 100 Mann nach Avellino, rief die spanische Konstitution von 1812 aus, zog dann nach Neapel und erhielt auf seinem Marsch so große Verstärkung, daß man am Hofe jeden Widerstand aufgab. Der König ernannte seinen Sohn, den Herzog Franz von Kalabrien, zum Generalstatthalter, und dieser übertrug dem liberalen General Guglielmo Pepe den Oberbefehl über die Truppen und versprach die Einführung der spanischen Verfassung, die der greise König selbst 13. Juli feierlich beschwor. Indessen verlangte Sizilien nicht die spanische, sondern seine eigne Verfassung von 1812; in Palermo wurde 18. Juli eine provisorische Regierung eingesetzt, die nur die Personalunion mit Neapel bestehen lassen wollte. Zwar unterwarfen die neapolitanischen Truppen unter General Florestano Pepe die Insel bald wieder und nahmen 5. Okt. Palermo. Indes wurde die neue Regierung hierdurch geschwächt, und während in Neapel die Einführung der Verfassung 21. Jan. 1821 festlich begangen wurde, beschlossen Österreich, Preußen und Rußland auf dem Kongreß zu Laibach, wo Ferdinand selbst erschien und die von ihm beschworne Verfassung verleugnete, die Intervention im Königreich beider Sizilien. Vor dem österreichischen Exekutionsheer unter General Frimont liefen nach einem kurzen Gefecht bei Rieti (7. März) die von Guglielmo Pepe befehligten neapolitanischen Truppen auseinander, und die Österreicher rückten 24. März in Neapel ein, wo ebenso wie auf der Insel Sizilien, wohin ein österreichisches Korps unter Wallmoden geschickt wurde, die alte Ordnung mit blutiger Strenge hergestellt ward. Ferdinand, der im Mai zurückkehrte, beseitigte alle liberalen Einrichtungen und erneuerte die frühere Mißwirtschaft.
Ferdinands Sohn Franz I. (1825–30) blieb während seiner kurzen Regierung dem System seines Vaters treu, während dessen Sohn Ferdinand II. (1830–59) manche nützliche Reformen einführte. Da aber auch er das absolutistische System seiner Vorgänger beibehielt und die liberalen Bestrebungen gewaltsam niederhielt, brach schon im Januar 1848 auf Sizilien ein Aufstand aus, der sich siegreich über einen großen Teil der Insel verbreitete. Es war vergeblich, daß Ferdinand beiden Teilen seines Reiches eine konstitutionelle Verfassung gab; Sizilien sagte sich 13. April von den Bourbonen los und erwählte 11. Juli den Herzog von Genua, einen Sohn Karl Alberts von Sardinien, zum König. Indes die Neapolitaner behaupteten sich im Besitz der östlichen Hälfte der Insel, und als die Verhandlungen, die während einer von Frankreich und England vermittelten Waffenruhe geführt wurden, ergebnislos blieben, begannen sie den Kampf im April 1849 von neuem und zogen 15. Mai in Palermo ein, womit Sizilien unterworfen war. Auch in Neapel wurde 13. Febr. 1849 das Parlament aufgelöst und die Verfassung tatsächlich außer Kraft gesetzt.
Die Reaktion, die in Neapel und Sizilien auf die Erhebung folgte, war schlimmer als anderswo; 22,000 Menschen wurden wegen politischer Vergehen bestraft; seine liberalen Minister schickte der König auf die Galeeren. Seine Herrschaft artete in einen reinen Militärdespotismus aus, während revolutionäre Geheimbünde den Staat unterwühlten. Die Vorstellungen Frankreichs und Englands gegen diese Mißwirtschaft wies Ferdinand schroff zurück, worauf die Westmächte im Oktober 1856 ihre Gesandten aus Neapel abberiefen. Aufstandsversuche, die 1856 und 1857 gemacht wurden, mißlangen. Zuletzt wagte der König nicht mehr, in Neapel zu bleiben, sondern bezog das Schloß Caserta, wo er von zahlreichen Truppen bewacht wurde. Nach seinem Tode (22. Mai 1859) folgte sein junger, mangelhaft erzogener und unerfahrener Sohn Franz II., der es ablehnte, sich mit Sardinien über die Einigung Italiens zu verständigen. Schon ein Jahr nach seinem Regierungsantritt brach vor dem unwiderstehlichen Einheitsdrang der Italiener sein Thron zusammen. Am 11. Mai 1860 landete Garibaldi in Marsala auf Sizilien, und schon 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Zu spät ernannte nun Franz II. ein liberales Ministerium, erklärte sich zu einer Amnestie und zu einer Allianz mit Sardinien bereit und stellte die Verfassung von 1848 wieder her. Schon im August betrat Garibaldi den Boden des Festlandes, 6. Sept. verließ der König Neapel, um sich mit dem treugebliebenen Teile des Heeres, 40,000 Mann, hinter den Volturno zurückzuziehen, und 7. Sept. hielt Garibaldi seinen Einzug in die Hauptstadt; am 21. Okt. 1860 fand die Abstimmung des Volkes statt, das mit überwältigender Mehrheit (1,732,000 Ja gegen 11,000 Nein) sich für die Vereinigung mit dem Königreich Italien entschied. Die Eroberung des Königreichs vollendeten die sardinischen Truppen, die nach der Einnahme von Capua (2. Nov.) Gaeta, wohin sich der König zurückgezogen hatte, belagerten und nach tapferer Verteidigung 13. Febr. 1861 zur Kapitulation zwangen. Die Zitadelle von Messina hielt sich bis zum 12., Civitella del Tronto bis zum 20. März; seitdem bildete das Königreich beider Sizilien einen Bestandteil des Königreichs Italien. Über die Orden des ehemaligen Königreichs vgl. die Textbeilage zu den Tafeln »Orden«.
Vgl. außer der im vorhergehenden Artikel (S. 511) angeführten Literatur: di Meo, Annali critico-diplomatichi del regno di Napoli (Neapel 1795–1810, 13 Bde.); Giannone, Storia civile del regno di Napoli (das. 1723, 4 Bde., u. ö.; s. Giannone), und im Anschluß hieran Colletta, Storia di Napoli dal 1734 al 1825 (Capolago 1835, 2 Bde. u. ö.; deutsch, Grimma 1850, 8 Bde.); Pagano, Istoria del regno di Napoli (Palermo 1835, 3 Bde.); di Blasi, Storia del regne di Sicilia (das. 1844–47, 3 Bde.; Palermo 1862, 3 Bde.); La Lumia, Studi di storia siciliana (das. 1870, 2 Bde.) und Storie siciliane (das. 1881–83, 4 Bde.); Graf v. Schack, Geschichte der Normannen in S. (Stuttg. 1889, 2 Bde.); L. v. Heinemann, Geschichte der Normannen in Unteritalien und S. (Leipz. 1894, Bd. 1); die Schriften von Amari und O. Cartellieri über die Sizilianische Vesper (s. d.); Seibert, Geschichte des Königreichs Neapel 1050–1505 (Brem. 1862); R. M. Johnston, The Napoleonic empire in Southern Italy (Lond. 1904); Auriol, La France, l'Angleterre et Naples de 1803 à 1806 (Par. 1904–05, 2 Bde.); Querner, Die piemontesische Herrschaft auf S. (Bern 1879); Reuchlin, Geschichte Neapels während der letzten 70 Jahre (Nördl. 1862; s. Pepe 2); de Sivo, Storia delle Due Sicilie dal 1847 al 1861 (Rom 1864–67, 5 Bde.); La Farina, Storia della rivoluzione siciliana del 1848–1849 (Capolago 1851, 2 Bde., u. ö.); Orloff, Mémoires historiques, etc., sur le royaume de Naples (neue Aufl., Par. 1819–1821, 5 Bde.; deutsch, Leipz. 1821, 2 Bde.); Rüstow, Der italienische Krieg von 1860 (Zürich 1861); Romano-Manebrini, Documenti sulla rivoluzione di Napoli 1860–1861 (Neap. 1864); De Cesare, La fine di un regno (Città di Castello 1900, 2 Bde.); Scaduto, Stato e Chiesa nelle Due Sicilie (Palermo 1887); Gothein, Die Kulturentwickelung Süditaliens in Einzeldarstellungen (Bresl. 1886); G. Romano, Intorno all' origine della denominazione Due Sicilie (Trani 1899); Helmolt im 6. Band seiner »Weltgeschichte« (Leipz. 1906).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.