- Ungarische Literatur
Ungarische Literatur. Die Literatur der Ungarn ist verhältnismäßig jung. Ihre ununterbrochene Entwickelung datiert erst etwa von dem dritten Drittel des 18. Jahrh., doch lassen sich auch in der Zeit bis 1772 zwei größere Entwickelungsperioden erkennen. Die erste umfaßt etwa die Zeit von den ältesten literarischen Denkmälern bis zur Schlacht bei Mohács (1526), die zweite den Zeitabschnitt von der Schlacht bei Mohács bis gegen Ende des 18. Jahrh. Die literarischen Erzeugnisse der ersten Periode umfassen lediglich Übersetzungen lateinischer geistlicher Werke; die der zweiten Periode stehen unter dem Einfluß der Renaissance und der Reformation; erst im letzten Drittel des 18. Jahrh. bildet sich eine eigentliche Literatur in magyarischer Sprache heraus, die mit Recht als u. L. bezeichnet wird, da alle Nationen Ungarns hervorragenden und die nichtmagyarischen vielleicht den hauptsächlichsten Anteil an ihr haben; so vor allem die Slawen, die zuerst die magyarische Sprache zu einer Schriftsprache gemacht und ihr in N. Zrinyi (Zrinski), Petöfi (Petrović) und zahlreichen andern die bedeutendsten Vertreter gegeben haben, daneben die Deutschen und in neuerer Zeit die Juden. Dagegen ist das Volkslied wesentlich magyarischer Herkunft, wenn auch die Melodien deutsche, slawische und zigeunerische sind.
Die erste Periode der ungarischen Literatur ist an Erzeugnissen sehr arm. Als die Magyaren um das Jahr 896 von Ungarn Besitz nahmen, waren sie ein wildes Reitervolk, dessen ganzer literarischer Besitz aus einer Reihe von Liedern und Balladen, Fabeln und Heldensagen bestand. Von der Dichtung der ersten drei Jahrhunderte des ungarischen Königtums (unter den Árpáden) ist kein einziges Dokument erhalten geblieben. Wir wissen bloß, daß an den Höfen durch die Spielleute (die ungarischen Troubadoure hießen igrec, kobzos, hegedös) eine gewisse Lyrik geübt, und daß durch epische Rezitatoren (joculatores) Legenden, Fabeln und Sagen weiter verbreitet wurden. Von Denkmälern der ungarischen geistlichen Literatur aus der Árpádenzeit besitzen wir lediglich das Fragment einer »Grabrede« (»Halottibeszéd«), das älteste Sprachdenkmal der Magyaren (um 1229), sowie vom Anfang des 14. Jahrh. ein »Marialied«, das sogen. Königsberger Fragment. Unter den Königen aus gemischten Häusern gewinnt das ungarische Schrifttum an Ausbreitung. Ein mächtiger Förderer der Literatur ist Matthias Corvinus, der in Ofen 1472 die erste Buchdruckerei (Andreas Heß) errichtete und die berühmte Bibliothek »Corvina« gründete. Aus der Mitte des 15.–16. Jahrh. besitzen wir eine Reihe von Codices, die etwa 100 größere und kleinere Schriftdenkmäler, zumeist geistlichen Inhalts, enthalten, darunter im Ehrenfeld-Kodex, dem ältesten ungarischen Buch, die »Franziskus-Legende«, weiter die »Margit-legenda« (Leben der heil. Margareta, Tochter König Bélas IV.), auch Fragmente zweier Bibelübersetzungen. Das erste Beispiel einer Erzählung in Versen ist die (wohl nach einem lateinischen Vorbild übersetzte) Legende der heil. Katharina; Denkmäler der weltlichen Epik sind noch unter andern »Szabács viadalja« (»Der Kampf Szabács«) aus dem Jahr 1476, ferner »Ének Pannonia megvételéröl«, eine versifizierte »Geschichte der Eroberung Pannoniens«.
Trotz der politischen Erschütterung, welche die Katastrophe von Mohács überdas Land brachte, nahm die u. L. im 16. Jahrhundert einen kräftigen Aufschwung. Ihr Inhalt ist jedoch zum überwiegenden Teil noch immer geistlich. Zahlreiche Autoren mühten sich um die Übersetzung der Bibel und andrer heiligen Schriften. Benedikt Komjáti übersetzte die Briefe des heil. Paulus (1533), Gabriel Pesti Mizsér die Evangelien (1536), Johannes Sylvester das Neue Testament, bis 1589–90 die von Kaspar Károli edierte vollständige Bibelübersetzung erschien, die von den Protestanten Jahrhunderte hindurch als der authentische Bibeltext anerkannt wurde. Selbst gewisse Anläufe einer wissenschaftlichen Literatur sind wahrzunehmen. Johannes Sylvester schreibt (in lateinischer Sprache) die erste ungarische Grammatik (1539), Gabriel Pesti veröffentlicht 1536 neben einem Band Äsopischer Fabeln sechs Bände eines ungarischen Wörterbuches, von Johann Decsi von Baranya erscheint 1588 in Straßburg eine Sammlung von 5000 Volkssprichwörtern. Es zeigen sich weiterhin die Anfänge der biblischen und historischen Epik. Hauptvertreter der letztern ist Sebastian Tinódi (um 1510–57), der Reimchroniken (in holperigen Alexandrinern) schreibt und teilweise auch vertont. Erzählungen in Versen ungarischen Inhalts sind Peter Ilosvais Zusammenfassung der Sagen über Nikolaus Toldi, den magyarischen Riesen, ferner Albert Gyergyais Volksbuch vom »Prinzen Argirus«, endlich die von einem unbekannten Autor herrührende Versifizierung der Sagen von »Szilágyi und Hajmási« (1571). Überdies werden eine große Anzahl mittelalterlicher Ritterromane und Feenmärchen, Geschichten aus den »Gesta romanorum«, die Novellen Boccaccios übersetzt und in Versen nacherzählt. Der hervorragendste Vertreter der weltlichen Lyrik ist Baron Valentin Balassi (1551–1594), der seine Liebeslieder, seine patriotischen und geistlichen Gesänge, die viel formale Schönheit aufweisen, zum Teil selbst auch in Musik setzte.
Das 17. Jahrhundert brachte den ersten namhaften Kunstdichter Ungarns, den Grafen Nikolaus Zrinyi (1620–64), den Urenkel des heldenmütigen Verteidigers von Szigetvár, hervor, dessen Hauptwerk, ein Epos in 15 Gesängen, »Das gefährdete Sziget« betitelt, die Verherrlichung der Waffentat seines Ahns zum Gegenstand hat. Zeitgenossen und schwache Nachahmer Zrinyis waren Baron Ladislaus Lifzti (geb. um 1620, Todesjahr unbekannt), der ein Epos: »Cladis Mohachiana«, und Stephan Gyöngyösi (um 1640–1704), der unter anderm das Gedicht »Die Venus von Murány« schrieb. Neben diesen Dichtungen erschienen zahlreiche theologische Streitschriften, unter denen die Werke des Gegenreformators Pázmány (s. d.) die weitaus bedeutendsten sind.
Im 18. Jahrhundert war es um das Geistesleben in Ungarn traurig bestellt; die Türkenherrschaft, erst 1699 endgültig beseitigt, hatte das Land als Einöde und in tiefster Barbarei zurückgelassen. Die Wirren der Kuruczenkriege leben in eigenartigen Volksliedern noch heute fort. Die wenigen Schulen, die diesen Namen verdienten, waren ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit. Die Sprache der Verwaltung, der Rechtspflege, des Unterrichts war die lateinische, die Umgangssprache der höhern und mittlern Klassen die deutsche und französische. Das magyarische Idiom besaß weder eine wissenschaftliche noch eine schöngeistige Literatur; dennoch gab es auch in dieser Zeit einige nennenswerte Dichter und Schriftsteller in ungarischer Sprache. So den vielseitigen Franz Faludi (1704–79), den Kirchenliederdichter Paul v. Rádai (1677–1733), den Sänger weltlicher Lieder Baron Ladislaus Amadé (1703–64), den Verfasser der »Briefe aus der Türkei« Klemens Mikes (1690 bis 1762) u. a. Auch blühte in dieser Zeit das magyarische Schuldrama. Allerdings übten diese literarischen Erzeugnisse nur geringen Einfluß auf die breitern Schichten der Gesellschaft. Im Adel begann jedoch eine Bewegung zugunsten der magyarischen Sprache, die ihre Absonderungsbestrebungen begleitete und stützte. Die Kaiserin Maria Theresia gründete 1760 die ungarische adlige Leibgarde, begabte junge Magyaren wurden als Gardisten nach Wien gezogen, kamen hier mit einer höhern Kultur in Berührung und lernten die Bildung und die Literaturen des Westens kennen. Sie schufen in klarer, bestimmter Absicht eine magyarische Schriftsprache und eine magyarische Nationalliteratur. Allerdings gab es unter ihnen keine wahren poetischen Talente; die nennenswertesten sind Georg Bessenyei (1752–1811), Abraham Barcsay (1742–1806), Alexander Baróczy (1737–1809) u. a. Früh teilten sich die Gardisten und ihre Gesinnungsgenossen außer der Garde in drei Schulen. Die französische (Bessenyei, Barcsay, Ányos, Graf Joseph Teleki, Jos. Péczeli, Báróczy) ahmte Voltaire, Racine, Young etc. nach; die klassische (David Baróti Szabó, Nikolaus Révai [Biographie von B. Esaplar, Bd. 1, Pest 1881], Joseph Rájnis, Ben. Virág) hielt sich an das Muster der Alten, und nur die volkstümliche (A. Dugonics, Adam Pálóci Horváth, Graf Josef Gvadányi) machte den schüchternen Versuch, bodenständig und originell zu sein. Den ersten Bahnbrechern folgte eine Schriftstellergeneration, deren Hervorbringungen bereits wesentlich höher stehen. Joseph Kármán (1769–95) schrieb seinen sentimentalen Roman »Fannys Nachlaß«, der, wie Kazinczys »Briefe eines Bácsers«, das Werther-Wesen nach Ungarn brachte; Michael Csokonai (1773–05) dichtete das komische Epos »Dorothea«, die Satire »Froschmäusekrieg«, einige Lustspiele, die Anlauf zur Selbständigkeit nahmen, besonders aber lyrische Verse, die im Munde des Volkes noch heute leben; endlich trat Alexander Kisfaludy (1772–1844) auf, dessen Sammlung lyrischer Gedichte: »Himfys Liebe«, für Ungarn epochemachend wurde. Von großem Einfluß auf die weitere Entwickelung der ungarischen Literatur war Franz Kazinczy (1759–1831) und sein Kreis. Kazinczy, wenig bedeutend als Poet, tat sich als Reformator der noch wenig ausgebildeten magyarischen Sprache (er bereicherte sie namentlich durch slawische Wörter, die größtenteils beibehalten worden sind) und als einsichtiger Beurteiler der bisherigen Neuanfänge der magyarischen Literatur hervor. Die gleiche Richtung (Entwickelung, Veredelung und Bereicherung des magyarischen Idioms) befolgten der Odendichter Daniel Berzsenyi (1776 bis 1836), der Lyriker Michael Vitkovics (1778–1829), der Dramenübersetzer Gabriel Döbrentei (1786–1851), der Dramendichter Karl Kisfaludy (1788–1830), der eigentliche Begründer des magyarischen Kunstdramas, und der Ependichter Andreas Horváth (1778–1839). Was diese Schriftstellergruppe (den sogen. Kazinczyschen Kreis) sowie deren Zeitgenossen Kölcsey, Andr. Fáy, Joseph Katona u. a. charakterisiert, das ist der nahezu ausschließlich patriotische Inhalt ihrer Werke.
Auf Grund dieses ersten mächtigen Emporblühens nimmt die u. L. im weitern Verlauf des 19. Jahrh underts einen kräftigen Aufschwung. Zu ihren bedeutendsten Leistungen gehört die Tragödie »Bank Bau« von Joseph Katona (1792–1830), die bis heute noch als das hervorragendste dramatische Kunstwerk der Magyaren gilt. Als Epiker leistete Bedeutendes Michael Vörösmarty (1800–55), einer der größten Dichter Ungarns; daneben sind zu nennen: Gregor Czuczor, Joseph Bajza, Johann Garay, Alex. Vachott (1818–61); sie zeichneten sich zugleich in der Lyrik, einer Gattung, in der Alexander Petöfi (ursprünglich Petrović, 1823–49) alle seine Vorgänger weit übertraf, aus. Noch bedeutender als Petöfi ist Johann Arany (1817–82), der bedeutendste, im Ausland leider noch wenig bekannte ungarische Balladen- und Ependichter des 19. Jahrh. Vortreffliche Balladen dichteten auch Paul Gyulai (geb. 1826), Joseph Kiss (geb. 1843) und Ludwig Tolnai (geb. 1837). Als Lyriker verdienen Michael Tompa, Franz Császár, Paul Jámbor (Pseudonym Hiador), Kol. Lisznyay (1823–63), Johann Vajda (geb. 1827), Joseph Lévay (geb. 1825), Karl Szász, Emil Abrányi (geb. 1851), Alex. Endrödy (geb. 1850) hervorgehoben zu werden; als Dramatiker sind Szigligeti, Czakó, Obernyik, Ludwig Dobsa (geb. 1824), Emerich v. Madách (1823–64), Karl Hugo (Hugo Bernstein, 1817–77), Kol. Tóth, Aloys Degré (geb. 1820), Joseph Szigeti (geb. 1822), Eduard Tóth, Gregor Csiky, Eugen Rákosi (geb. 1842), L. v. Dóczy (ursprünglich L. Dux), Ludwig Bartók (geb. 1851) zu erwähnen. Auf dem Gebiete des Romans taten sich hervor: Freiherr Nik. Jósika (1794–1865), der »ungarische Walter Scott«, dessen Romane auch in Deutschland viel gelesen wurden, ferner Ludwig Kuthy (1813–64; »Die Geheimnisse des Vaterlands«), vor allem aber Baron Joseph Cötvös (1813–71; »Der Kartäuser«, »Dorfgeschichten«, »Der Dorfnotar« und »Ungarn im Jahr 1514«, sorgfältige und ergreifende Gemälde ungarischen Lebens aus bestimmten Perioden), Baron Siegmund Kemény (1814–75), Moritz Jókai (geb. 1825), daneben noch Paul Gyulai (geb. 1826) und Ladislaus Beöthy (1825–57).
Die u. L. der Gegenwart läßt kein Talent von durchgreifender Bedeutung, aber eine große Vielseitigkeit der literarischen Bemühungen erkennen. Auf dem Gebiete des Romans und der Novelle sind neben Jókai, Mikszáth, Bródy und Herczeg noch zahlreiche namhafte Pfleger des Genres zu nennen. Autoren, deren Talent spezifisches Ungartum offenbart, und die zumeist auch nationale Stoffe behandeln, sind vor allen Karl Eötvös, Daniel Papp, Eugen Kemechey, Siegmund Sebök, Géza Gárdonyi, Stephan Petelei, Tömörkény, Homok, Stephan Bársony, Alexius Gozsdu u. a. Mehr unter dem Einfluß der zeitgenössischen Franzosen stehen der psychologisch tiefe Zeltán Ambius, der geistvolle Boulevardier Franz Molnár, der symbolistisch angehauchte Julius Pekár, ferner Desider Malonyai, Aladár Zboray u. a. Pfleger des gesellschaftlichen, zum Teil naturalistisch gefärbten Romans sind: Zeltán Thury (gest.), Thomas Kóbor, Eduard Kabos, Edmund Gerö, Szikra (Gfn. Alexander Teleki), Julius Werner, Stanilaus Timár, Robert Tábori (gest.), Arnold Vertesi, Karl Lovik, Josef Hevesi, Bela Agai, Desider Váry, Paul Wolfner u. a. Zugleich vortreffliche Humoristen sind noch: Sipulus (Victor Rakosi), Stephan Szomaházy, Karl Murai, Andreas Nagy, Lucian (Martin Zöldy) u. a. Von schriftstellernden Frauen seien Helene Beníczky-Bajza, Frau Siegmund Gyarmathy, Janka Szabó-Nogáll, Anna Táborí-Tutsek hervorgehoben. Auch besitzt das moderne Ungarn eine Reihe tüchtiger Lyriker, darunter Josef Kiß, Emil Abrányi, Emil Makai, Alexander Eudrödy, Ludwig Palágyi, Michael Szabolcska, Andor Kozma, Nikolaus Bárd, Stephan Gergely, Bela Telekes, Arpád Zempléni, Ladislaus Inczedy, Andreas Ady; die Frauen: Minka Czóbel, Frusina Szalay, Renée Erdös u. a.
Unter den Dramatikern, die das historische Genre kultivieren, ragen als die poetisch bedeutendsten, formal gewandtesten hervor: Eugen Rákosi, Anton Váradi, Alexander Somló, Ludwig Bartók, Arpád Gabányi, Samuel Fényes, Victor Krenner; an psychologische Probleme und an das Gesellschaftsdrama sind mit mehr oder minderm Glück herangetreten: Zeltán Thury, Alexander Bródy, Franz Ferenczy, Georg Szemere, Desider Malonyay, Zeltán Bosnyák, Arpád, Berczik, Eugen Kemechey, Franz Molnár, Georg Ruttkay, Victor Rákosi, Paul Wolfner, Johann Kampis, Josef Prém, Franz Martos, Melchior Lengyel, Josef Pakots, Koloman Porzsolt, Hugo Csergö. Eine Anzahl zum Teil vortrefflicher Possen und Vaudevilles schrieben Karl Gerö, Ladislaus Beöthy u. a.; die hervorragendsten Vertreter des Volksstückes sind: Tihamir Almány, Ladislaus Rátkay, Stephan Géczy und Géza Gárdonyi.
Wissenschaftliche Literatur.
Die wissenschaftliche Literatur Ungarns war bis ins 18. Jahrh. fast ausschließlich lateinisch. Die ersten magyarischen Geschichtswerke sind die chronikartigen Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrh. von Anton Verancsics, Franz Zay, Valentin Homonnai, Franz Wathai und die Chroniken des Stephan Székely und des auch als Fabeldichter tätigen Siebenbürgers Kaspar Heltai. Im 17. Jahrh, schrieb Emmerich Tököly Memoiren über mehrere seiner Feldzüge; Fürst Johann Kemény und Niklas Bethlen verfaßten Autobiographien; zahlreiche andre politische Persönlichkeiten von bedeutenderer Stellung, so namentlich Franz Rákóczy II., zeichneten die Ereignisse auf, deren Zeugen sie waren. Im 18. Jahrh. ragen hervor: die »Historie Siebenbürgens« von Mich. Cserey und die »Metamorphose Siebenbürgens«, ein sittengeschichtliches Werk von Peter Apor; »Briefe aus der Türkei« von Cl. Zágoni-Mikes, Sekretär Franz Rákóczys II.; ferner Esaias Budais »Geschichte von Ungarn« (erschienen 1805); Franz Budais »Bürgerliches Lexikon«, die Biographien ausgezeichneter Ungarn enthaltend. Unter dem Einfluß der Göttinger historischen Schule, dann der Arbeiten der ungarischen Historiker Georg Pray und Steph. Katona sowie der Arbeiten von Gebhardi, Feßler und Engel erwachte im ersten Viertel des 19. Jahrh. in der Geschichtschreibung ein neuer Geist. Man begann mit großem Fleiß Daten zu sammeln, Kritik und Quellenstudium wurden leitende Grundsätze. Georg Fehér, Nikolaus v. Jankovics, Baron Aloys Mednyánszky, Johann Czech, Benedikt Virág, Stephan Horváth wirkten als Forscher oder eröffneten durch ihre Schriften neue Gesichtskreise. Später taten sich hervor: Paul Jászay, Graf Joseph Teleki (Geschichte der Hunyadys), Ladislaus v. Szalay und Michael Horváth mit bedeutenden Werken über die ganze Geschichte Ungarns und Spezialwerken über einzelne Partien und Persönlichkeiten; Arnold Ipolyi (früher Stummer), Anton Csengery, Karl Szabó, Alexander Szilágyi, Franz Salamon (Geschichte Ungarns zur Zeit der Türkenherrschaft, Geschichte von Budapest u. a.), Koloman Thaly (Geschichte F. Rákóczys und seiner Zeit), Wilhelm Fraknói (früher Frankl; Biographie Peter Pazmánys, Geschichte der ungarischen Landtage u. a.), Julius Pauler, Wolfgang Deák, Max Falk (Biographien Széchényis und Ladislaus Szalays), Heinrich Marczali (Geschichte Ungarns unter Joseph II.), Ed. Wertheimer (Napoleonische Zeit), Graf Julius Andrássy der Jüngere (über den 1867er Ausgleich; Ursachen des Bestehens des ungarischen Staates), Ignaz Acsády (Geschichte der Leibeigenschaft in Ungarn u. a.), Julius Lánczy, Desider Csánky, Ladislaus Köváry, Claudius Vaszary u. a. Die Zeit der nationalen Kämpfe lebt in einer Reihe teilweise recht gut geschriebener Memoiren fort, soz. B. in den Werken des Generals Klapka, des vielseitig bedeutenden Franz Pulszky, des Barons Friedrich Podmaniczky, des Barons Nikolaus Vay, des Ladislaus von Szögyény-Marich sen. u. a. Einen großen Aufschwung hat die ungarische Einzelgeschichtsforschung seit 1867 genommen, insbes. durch die Wirksamkeit der Ungarischen Historischen Gesellschaft, deren Organ: »Századok« (»Jahrhunderte«), begründet von Alexander Szilágyi, seit 1867, eine Fundgrube zahlreicher Spezialarbeiten und Daten ist. Die beste Geschichte Ungarns ist das von Szilágyi redigierte und von den hervorragendsten ungarischen Historikern geschriebene zehnbändige illustrierte Monumentalwerk »Magyarország története« (»Geschichte Ungarns«, Budap. 1896–1900). Als wichtigstes Quellenwerk zur neuesten Geschichte Ungarns (speziell des Ausgleiches mit Österreich) ist Emanuel Könyis sechsbändiges Werk »Deák Ferencz beszédei« (Reden Franz Deáks, mit verbindendem Text, Budap. 1882–90) zu erwähnen.
Die Literaturgeschichte ist hauptsächlich durch den Gründer der Kisfaludy-Gesellschaft Franz Toldy (s. d.), Zoltán Beöthy, Cyrill Horváth (Geschichte der ältesten ungarischen Literatur), Karl Széchy, Joseph Bayer (»Geschichte des Dramas in Ungarn«, Pest 1887, 2 Bde.), die Ästhetik durch A. Greguß, P. Gyulai, Z. Beöthy, Eugen Rákosi, Eugen Péterffy, Friedr. Riedl u. a. vertreten. Der Beginn der rechts-, der staatswissenschaftlichen und pol itischen Literatur fällt gleichfalls ins 16. Jahrh. Das »Tripartitum« Verböczys erschien, von B. Veres ins Ungarische übersetzt, zuerst 1565. Elias Georch war der erste, der sämtliche ungarische Gesetze in ungarischer Sprache bearbeitete (1804). Im 19. Jahrh. gaben die Reformbewegung und die staatsrechtlichen Bestrebungen, die erst zur Gesetzgebung von 1848, dann zum Ausgleich von 1867 führten, bedeutende Impulse. Zu nennen sind: Alexander Kövy, Paul Szlemenics, Ignaz Frank, Johann Fogarassy, Theodor Pauler, Ignaz Udvardy, Stephan Szokolay, Franz Deák, Aurel und Emil Dessewffy, Joseph Eötvös u. a. Deák, die Brüder Dessewffy und Eötvös sind zugleich Größen auf dem Felde der politischen Literatur, deren epochemachender Schöpfer Stephan Széchenyi war. In dessen Fußstapfen trat Nikolaus Wesselényi. Der Schöpfer der ungarischen politischen Journalistik ist Ludw. Kossuth. Auf diesem Felde sind zu nennen: Graf Aurel Dessewffy, Siegmund Kemény, Anton Csengery, Joseph Eötvös, Johann Török, Ludwig Csernátony, Karl Eötvös, Gustav Beksics, Nikolaus Bartha. Als politische Redner glänzen: Stephan Széchényi, Kossuth, Wesselényi, Kölcsey, Franz Deák, Joseph Lonovics, Aurel Dessewffy, Barth. Szemere, Gabriel Kazinczy, Eötvös, Koloman Ghyczy, Paul Somssich, Balthasar Horvath, August Trefort, Desider Szilágyi, Graf Albert Apponyi, Koloman Tisza, Koloman Széll, Alexander Wekerle, Gabriel Ugron, Moriz Jókai, Graf Stephan Tisza, Géza Polonyi u. a. Einen eigenartigen, sonst nur in Frankreich ähnlich blühenden Zweig der rhetorischen Schriftstellerei rief die Aufgabe der akademischen Gedenkrede auf verstorbene Mitglieder hervor; solche Gedenkreden (»Emlékbeszédek«) besitzen wir von Eötvös u. a. Der erste, der eine philosophische Doktrin in ungarischer Sprache bearbeitete, war Johann Apáczai Cseri (»Ungarische Enzyklopädie«, 1655). Vom Ende des 18. Jahrh. an ist eine große Anzahl ungarischer Lehrbücher über Philosophie und Geschichte der Philosophie zu verzeichnen. Ein origineller ungarischer Denker ist Böhm, Professor der Philosophie in Klausenburg, der sein System in dem dreibändigen Werke: »Az ember es világa« (»Der Mensch und sein Leben«) niedergelegt hat. Als hervorragende Fachschriftsteller sind noch zu nennen: Johann Erdélyi, Bernhard Alexander, Pekár, Eugen H. Schmidt, Julius Pikler, Melchior Palágyi u. a. Die beiden Letztgenannten haben eine Anzahl philosophischer Werke auch in deutscher Sprache veröffentlicht. Die Naturwissenschaft gelangte in Ungarn erst in neuester Zeit zu bedeutenderer Pflege. Die tüchtigsten Forscher auf diesem Gebiete sind: Joseph Szabó, Joseph Krenner, Max v. Hantken (Geologie); A. Jedlik, RolandEötvös, Koloman Szily (Physik); Karl Than, Ludwig Ilosvay, Bela Lengyel (Chemie); Wolfgang und Johann Bolyai, Petzval, Véß, Hunyady, König, Kövesligethy, Beke (Mathematik); Konkoly (Astronomie); Abt Krueß, Guido Schenzl (Meteorologie); Lenhossek (Vater und Sohn), Mihalkovics, Thanhoffer (Anatomie); Jendrassik, Klug (Physiologie); Semmelweis, Kézmárszky (Geburtshilfe); Balassa und Joseph Kovács (Chirurgie); Korányi (innere Pathologie); Ludwig Török (Dermatologie) u. a. Die Naturwissenschaftliche Gesellschaft gibt eine Zeitschrift und die bedeutendsten naturwissenschaftlichen Werke der europäischen Literatur in Übersetzungen heraus. Ein gleicher Aufschwung ist auf dem Felde der Nationalökonomie (J. Kautz, M. Lónyay, A. György, B. Földes u. a.), der Statistik (A. Konek, Keleti, J. Körösi, Johann Hunfalvy), der Geographie und Reiseliteratur (Johann und Paul Hunfalvy, Hermann Vámbéry, Ladislaus Magyar, Joh. Xantus, Ludw. Lóczy, Graf Eugen Zichy, Graf Bela Széchényi u. a.), der Altertumskunde E. Henßlmann, A. Ipolyi, F. Romer, Eugen Nyáry, Franz Pulszky, Robert Fröhlich, Joseph Hampel (Herausgeber des »Archäologischen Anzeigers«) zu verzeichnen. »Ethnographische Mitteilungen aus Ungarn« gibt seit 1888 Anton Hermann, die Ethnographische Gesellschaft, die Zeitschrift »Ethnographiai Értesitö« (»Ethnographischer Anzeiger«) heraus. Als Pfleger des Essays seien noch genannt: Ignotus (Hugo Veigelsberg), Josef Keßler, Ludwig Katona, Alexius v. Kadocha-Lippich, Albert v. Berzeviczy, Karl Lyka, Franz Krejcsi, Stephan Bernáth, Samuel Révay u. a. Ungarische Volksmärchen sammelte E. Sklarek (deutsch, Leipz. 1901). Vgl. Toldy, Geschichte der ungarischen Dichtung (deutsch, Pest 1863); Dux, Aus Ungarn (Leipz. 1880); Schwicker, Geschichte der ungarischen Literatur (das. 1889); Beöthy, Handbuch der ungarischen Literaturgeschichte (in ungar. Sprache, 4. Aufl., Budap. 1884) und Geschichte der ungarischen Literatur (in ungar. Sprache, das. 1896, 2 Bde., illustriertes Prachtwerk); Kont, Geschichte der ungarischen Literatur (im 3. Band der Sammlung »Die Literaturen des Ostens«, Leipz. 1906); J. Szinnyei, Leben und Werke der ungarischen Schriftsteller. Lexikon in ungarischer Sprache (das. 1891 ff., bisher 10 Bände); Ferenczy, Geschichte der ungarischen Journalistik (das. 1887); »Ungarische Revue« (von 1881–96, hrsg. von Hunfalvy und Heinrich, Budapest).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.