Elektrochemie

Elektrochemie

Elektrochemie (griech.), der Zweig der Chemie, bei dem die Reaktionen mit Hilfe des elektrischen Stromes hervorgebracht werden. Priestley u. Cavendish zeigten 1775, daß beim Überschlagen elektrischer Funken in Luft deren Volumen abnimmt und eine Säure gebildet wird, und van Marum fand 1785, daß Stickoxyd und Ammoniak durch den elektrischen Funken zersetzt werden. Troostwijk und Deimann entdeckten 1789 die Zerlegung des Wassers durch den elektrischen Funken, und Nicholson und Carlisle zerlegten, wie auch Ritter in Jena, 1800 das Wasser durch den galvanischen Strom. Auch schied Ritter aus einer Kupfervitriollösung metallisches Kupfer durch den Strom ab. 1808 gewann Davy die Alkalimetalle aus den Alkalien und stellte eine elektrochemische Theorie auf, die in der Folge von Berzelius modifiziert wurde. Mächtige Förderung fand die E. durch Faraday, dessen Gesetz über die Beziehungen zwischen Stromstärke, bez. Strommenge und chemischer Leistung zu den wichtigsten Entdeckungen des 19. Jahrh. gehört. In neuerer Zeit wurde die E. durch Hittorf, Kohlrausch, Arrhenius, Ostwald, Nernst und andre Forscher gewaltig gefördert, so daß sie jetzt zu den wichtigsten Kapiteln der physikalischen Chemie gehört. Nach den Entdeckungen Davys wurde der elektrische Strom eifrig benutzt, und es gelang, viele Metalle, wie Silber, Molybdän, Nickel, Kobalt, Eisen, Quecksilber, Platin, Gold, Kupfer, Arsen, Blei, Zink, aus entsprechenden Metallsalzlösungen an der negativen Elektrode abzuscheiden und Blei-, Silber-, Mangansuperoxyd an der positiven Elektrode zu bilden. 1808 entdeckten Berzelius und Pontin die Amalgame (d.h. Quecksilberlegierungen) von Ammonium, Calcium und Baryum, denen Davy das Strontium- und Magnesiumamalgam hinzufügte. Durch Destillation der Amalgame erhielt Davy die bezüglichen Metalle.

1832 gewann Becquerel Zirkonium, Beryllium, Titan, wenn auch wahrscheinlich nicht in reinem Zustand, auf elektrolytischem Weg, und 1848 entdeckte Wöhler die elektrolytische Methode zur Gewinnung von Magnesium und Aluminium. Diese Methode wurde von Bunsen verbessert und lieferte in der Colge noch eine ganze Anzahl Metalle, wie Lithium, Baryum, Strontium und Calcium (von Bunsen und Matthießen), das Mangan, Chrom (von Bunsen), das Cer, Lanthan, Didym (von Hillebrand u. Norton) etc. Die Methode, die noch heute von gleicher, ja größerer Wichtigkeit ist wie damals, bestand in der Zersetzung geschmolzener Chloride durch den elektrischen Strom, wobei das Chlor, das sich an der positiven Kohleelektrode ansammelte, durch ein Porzellanrohr abgeführt wurde, während sich das Metall an dem negativen Pol ansammelte.

Sobald man anfing, sich mit dem elektrischen Strom und seiner Anwendung zu beschäftigen, bemerkte man auch deren Wärmewirkung, und frühzeitig wurden Glühversuche mit Drähten der verschiedensten Metalle, Schmelz- und Verbrennungsversuche mit Hilfe des Voltabogens ausgeführt.

1839 erfanden Jacobi und Spencer die Galvanoplastik, die ihren Ursprung in der 1836 von de la Rive gemachten Beobachtung hatte, daß das auf der Kupferplatte eines Daniellschen Elements niedergeschlagene Kupfer von dieser ablösbar war und einen mikroskopisch genauen Abdruck darstellte. Bald wurde diese Entdeckung auch dazu ausgenutzt, Gegenstände aus unedlem Metall mit Edelmetall galvanisch zu überziehen, um ihnen so ein schöneres Aussehen und größere Haltbarkeit zu verleihen (Galvanostegie). Ende der 1860er Jahre begann man das von Luckow ausgearbeitete elektrolytische Verfahren zur Kupferbestimmung zu benutzen, und seitdem spielt die Elektrolyse in der analytischen Chemie eine große Rolle. Größere Bedeutung für die Technik gewann die E. erst nach der Erfindung der Dynamomaschine, die eine starke und billige Kraftquelle liefert. Man war nun imstande, auch die Wärmewirkung des elektrischen Stromes zu benutzen, und es zeigte sich, daß mittels des elektrischen Flammenbogens alle Metalloxyde durch Kohle zu Metall reduziert werden können; es ist in einer Reihe von Fällen erst auf diesem Wege möglich gewesen, reine Metalle zu erzeugen. Auch Phosphor wird auf demselben Weg aus phosphorsaurem Kalk und Kohle unter Zusatz von Sand oder Kaolin als Schlackenbilder fabriziert. Bei den Reduktionsversuchen von Metalloxyden durch Kohle im elektrischen Ofen erhielt man auch Metallkarbide, von denen das Calciumkarbid zur Bereitung von Acetylen und zur Bindung des atmosphärischen Stickstoffes benutzt wird, während das Siliciumkarbid (Karborundum) eine auf seine große Härte begründete Anwendung gefunden hat. Im elektrischen Ofen kommt neben der elektrothermischen Wirkung oft auch eine elektrolytische Wirkung zur Geltung, die zur Gewinnung von Magnesium, Kalium, Natrium und Aluminium geführt hat. Seit den 1830 er Jahren bemühte sich Becquerel um die Gewinnung von Metallen aus Lösungen mittels der Elektrolyse (s. d.), und in der Folge haben elektrolytische Verfahren in der Metallurgie große Bedeutung gewonnen (Elektrometallurgie, s. d.). 1884 nahm Höpfner ein Patent auf Neuerungen bei der Elektrolyse von Halogensalzen, und seit 1890 hat sich ein Zweig der chemischen Industrie entwickelt, der Ätzkali und Ätznatron, Pottasche und Soda, Chlor, Salzsäure, Chlorkalk, Bleichflüssigkeiten, chlorsaures Kali, Natrium- und Ammoniumpersulfat etc. liefert. Weiter liefert die E. Ozon, Knallgas (zur Erzeugung hoher Temperaturen), Bleiweiß, Zinkweiß, Chromgelb, Berlinerblau etc.

Auch in der organischen Chemie hat die E. erhebliche Erfolge aufzuweisen, wennschon dieselben an praktischer Bedeutung noch hinter denen der anorganischen Körper zurückstehen. Es liegt das vorzugsweise an der weit größern Schwierigkeit, bei organischen Substanzen die Reaktion nach Belieben zu leiten; die Faktoren Stromdichte, Stromspannung, Temperatur, Reaktionsdauer und Elektrodenmaterial haben hier eine weit größere und noch wenig erkannte Bedeutung als bei unorganischen Verbindungen. In den meisten Fällen handelt es sich bei organischen Elektrosynthesen um Oxydations- und Reduktionsprozesse, die unter dem Einfluß von elektrolytisch abgeschiedenem Sauerstoff und Wasserstoff vor sich gehen; vielfach hat man dabei Produkte erzielt, die sich auf rein chemischem Wege gar nicht erhalten ließen. Chloroform, Bromoform, Jodoform lassen sich mit guter Ausbeute herstellen. Aus Nitrobenzol entstehen unter verschiedenen Bedingungen Azoxybenzol, Azobenzol, Hydrazobenzol, Benzidin, Anilin, Amidophenol, die z. T. für die Farbentechnik von Bedeutung sind. Aber auch Farbstoffe aller Nuancen lassen sich aus Anilin und seinen homologen und verwandten Körpern mit Hilfe des elektrischen Stromes darstellen, ebenso wie Saccharin, Piperidin u.a. Endlich ist der elektrische Strom vorgeschlagen und z. T. mit Erfolg angewendet worden zum Reinigen von Rübenzuckersäften, zum Schutze der Hefe vor Degeneration und Infektion, zur schnellern Bildung von Bukettstoffen im Wein und in der Gerberei zur Beschleunigung der Gerbedauer. 1894 wurde zur Förderung der E. die Deutsche Elektrochemische Gesellschaft in Berlin gegründet. Vgl. Ahrens, Handbuch der E. (2. Aufl., Stuttg. 1903); Ostwald, E., ihre Geschichte und Lehre (Leipz. 1896); Lüpke, Grundzüge der E. (4. Aufl., Berl. 1903); Le Blanc, Lehrbuch der E. (3. Aufl., Leipz. 1903); Lorenz, Elektrochemisches Praktikum (Götting. 1901); Vogel u. Rössing, Handbuch der E. und Elektrometallurgie (Stuttg. 1891); Becker, Manuel d'électro-chimie (Par. 1898); Haber, Grundriß der technischen E. (Münch. 1898); Arrhenius, Lehrbuch der E. (deutsch von Euler, Leipz. 1901); »Jahrbuch der E.« (bearbeitet von Nernst u. Borchers, Halle, seit 1894); »Enzyklopädie der E.« (das. 1895–1900, 11 Bde.); »Zeitschrift für E.« (Organ der Deutschen Elektrochemischen Gesellschaft, hrsg. von Ostwald, Borchers, Nernst, das., seit 1895); »Elektrochemische Zeitschrift« (Berl., seit 1894).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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