Elektrolyse

Elektrolyse

Elektrolyse (griech., elektrochemische Zersetzung), die durch den elektrischen Strom herbeigeführte Zersetzung flüssiger oder fester chemischer Verbindungen. Ausschließlich die Salze und die chemisch analog zusammengesetzten Säuren und Basen können elektrolysiert werden und auch diese nicht unter allen Umständen. Die Leiter (gewöhnlich in Platinplatten endigende Drähte), durch die der Strom in den zersetzbaren Körper (Elektrolyt) ein-, bez. austritt, heißen Elektroden, und zwar die positive, d.h. den positiven Strom zuleitende Elektrode Anode, die negative Kathode. Bei der Zersetzung zerfällt der Körper in zwei Bestandteile, z. B. Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, Metallsalz in Metall und Säurerest, von denen sich der eine Teil (Wasserstoff, Metall) an der Kathode, der andre (Sauerstoff, Säurerest) an der Anode ausscheidet.

Früher machte man sich von dem Vorgang die Vorstellung, daß in jedem Molekül diese beiden Bestandteile elektrisch geladen seien, der eine positiv, der andre negativ, und daß durch die anziehende, bez. abstoßende Kraft der Elektroden auf die Bestandteile der nächstliegenden Moleküle diese zerstört würden. Der angezogene Teil gelangt zur Ausscheidung, der abgestoßene veranlaßt Zerstörung des nächstfolgenden Moleküls und vereinigt sich mit dessen entgegengesetzt elektrischem Teil zu einem neuen Molekül etc. Wäre diese Vorstellung richtig, so könnte die E. erst eintreten, wenn die von den Elektroden ausgeübte Kraft größer wäre als die gegenseitige Anziehung der beiden Teile eines Moleküls. Leitet man aber z. B. Strom mittels Silberelektroden durch eine Silbersalzlösung, so zeigt sich, daß schon die geringste elektrische Spannung ausreicht, dauernd Strom hervorzubringen, wie in einem Metalldraht. Daß aber ein Elektrolyt den Strom wirklich wie ein Metall leite, kann nicht angenommen werden, weil Faraday gefunden hat, daß die Menge der Zersetzungsprodukte stets genau der Stromstärke proportional ist (erstes Gesetz der E.), so daß augenscheinlich der Strom nur dadurch zustande kommt, daß die Zersetzungsprodukte ihre elektrische Ladung an die entgegengesetzt geladenen Elektroden abgeben, d.h. deren Ladung kompensieren, und so das Nachströmen neuer Elektrizitätsmengen von der Stromquelle her ermöglichen. Clausius hat deshalb angenommen, daß ein Teil der Moleküle bereits durch die Zusammenstöße infolge ihres Bewegungszustandes in die entgegengesetzt elektrischen Teile zerspalten sei, die nun, der Kraft des elektrischen Feldes folgend, gegen die Elektroden hinwandern. Letztere heißen nach Faraday Ionen (Jonten), und zwar das positive, zur Kathode wandernde Jon Kation, das negative, zur Anode wandernde das Anion. Der teilweise Zerfall der Elektrolyten in Ionen heißt elektrolytische Dissoziation. Wie Arrhenius gezeigt hat, kann man durch die gewöhnlichen Methoden der Molekulargewichtsbestimmung, beruhend auf Bestimmung des osmotischen Druckes, der Schmelzpunkterniedrigung oder Siedepunkterhöhung, ermitteln, welcher Bruchteil der Substanz, z. B. eines Salzes, beim Auflösen in Wasser in Jonen zerfällt, und daraus das elektrische Leitungsvermögen der Lösung berechnen. Immerhin ist die elektrolytische Dissoziation nicht eine Zersetzung im gewöhnlichen Sinne, wobei die Zersetzungsprodukte unelektrisch sind, wie schon daraus hervorgeht, daß die elektrolytische Dissoziation keinen Wärmeverbrauch bedingt, während bei gewöhnlicher Zersetzung eine der chemischen Verbindungswärme der Bestandteile gleiche Wärmemenge verbraucht wird, um die Verbindung zu lösen. Erst wenn den Jonen durch den Prozeß der E. ihre Ladung entzogen und ihre Ausscheidung in unelektrischem Zustande bewirkt wird, ist ein solcher, der chemischen Verbindungswärme äquivalenter Aufwand an Arbeit erforderlich, die dabei vom elektrischen Strome geleistet wird. Die Arbeit eines elektrischen Stromes bei e Volt Spannung und i Ampere Stromstärke beträgt in einer Sekunde 1/g.ei Kilogrammeter, ist also = 0, wenn e = 0 ist. Hieraus geht hervor, daß, falls die Ionen zur Ausscheidung kommen, z. B. bei Anwendung von Platinelektroden, zwischen den Elektroden, auch wenn der Widerstand der Lösung = 0 ist, eine Spannungsdifferenz e herrschen muß, von solcher Größe, daß die Stromarbeit in der Sekunde, in Kalorien gemessen, d.h. 1/g.e.i.1/427, gleich ist der chemischen Verbindungswärme der in einer Sekunde ausgeschiedenen Bestandteile. Aus dieser Gleichung (Thomsons Negel) läßt sich e, die sogen. elektromotorische Gegenkraft der Polarisation, berechnen, allerdings nur annähernd, da in Wirklichkeit infolge von Konzentrationsänderungen elektromotorische Kräfte auftreten (s. Konzentrationsketten), die mit berücksichtigt werden müssen. Bei E. von Zinksalz zwischen Zinkelektroden und analogen Fällen tritt eine solche Gegenkraft der Polarisation nicht auf, da der an der Anode sich ausscheidende Säurerest dort so viel Zink auflöst, als sich an der Kathode mederschlägt, so daß die Zinksalzlösung unverändert bleibt, also auch keine Arbeit verbraucht wird. Man nennt die Elektroden in solchem Fall unpolarisierbar. Elektrolysiert man Zinksalzlösung zwischen Platinelektroden bei sehr geringer Spannung, so ist anfänglich noch keine Polarisation vorhanden, der Strom geht also durch wie bei unpolarisierbaren Elektroden, trotz der geringen Spannung, aber nur für einen Moment. Denn in dem Maß, als sich die Kathode mit ausgeschiedenem Zink bedeckt, macht sich die Gegenkraft immer stärker geltend, bis sie ihren vollen Wert erlangt, wenn der Zinküberzug, wenn auch unmerkbar dünn, so dicht geworden ist, daß sich die Elektrode wie eine Zinkplatte verhält, die mit der andern Platte und der Salzlösung ein galvanisches Element (s. d.) bildet, dessen elektromotorische Kraft mit der Gegenkraft der Polarisation identisch ist. Als Ursache dieser elektromotorischen Kraft stellt man sich nach Nernst vor, daß dem Zink (wie auch andern Metallen) eine sogen. Lösungstension (elektrolytischer Lösungsdruck) zukommt, vermöge deren es positive Zinkionen an die Lösung abzugeben sucht, während es selbst negative Elektrizität zurückbehält. Dieser Lösungstension wirkt der osmotische Druck der bereits in der Lösung befindlichen Zinkionen entgegen, ohne aber die Lösung hindern zu können. Diese findet vielmehr ihre Grenze in der wachsenden elektrostatischen Anziehung des negativ elektrischen Metalls auf die in Lösung gegangenen positiven Zinkionen, deren Spannungsdifferenz gegen das Metall das Maß der elektromotorischen Kraft ist. Soll weitere Zinkabscheidung stattfinden, d.h. ein dauernder Strom zustande kommen, so muß dem Zink negative Elektrizität zugeführt werden von einer Stromquelle, deren Spannung diese Polarisationsspannung (Zersetzungsspannung) übertrifft. Gleichzeitig muß natürlich der andern Elektrode gleichviel positive Elektrizität zugeleitet werden, da die Lösung durch Ausscheidung positiver Zinkionen einen Überschuß von negativen Ionen erhält, der beseitigt werden muß, damit die Lösung nicht so starke negative Spannung annimmt, daß der Austritt der positiven Ionen durch die elektrostatische Kraft gehindert wird.

Den einfachsten Fall von E. hat man in einem galvanischen Element, dessen Pole metallisch verbunden werden, z. B. wenn man eine Zinkplatte in verdünnte Schwefelsäure taucht und mit einer gleichfalls eingetauchten Kupferplatte an einem Punkt in Berührung bringt. Man sieht alsbald an der Kupferplatte reichlich Wasserstoffblasen aufsteigen, während die Zinkplatte sich auflöst. Solange die Platten noch nicht in Berührung sind, erscheint das Zink infolge der Lösungstension negativ, die Säure und das Kupfer (dessen Lösungstension minimal ist) positiv. Bringt man nun Zink und Kupfer in Berührung, so verliert ersteres seine Ladung, da alsbald die positiven Wasserstoffionen, die durch die Zinkionen aus der Schwefelsäure verdrängt werden, von dem nun negativ gewordenen Kupfer angezogen werden und die negative Ladung neutralisieren, so daß die elektrostatische Anziehung des Zinks auf die gelösten Zinkionen fortfällt und die Lösungstension in den Stand gesetzt wird, neue Ionen in die Lösung zu treiben, ein Prozeß, der kein Ende erreicht, solange die Berührung der Metalle andauert, so daß immer neue Elektrizitätsmengen in diese eintreten und ein dauernder Strom entsteht.

Bei einem Daniellschen Element, bestehend aus Zink in Zinksulfatlösung und Kupfer in Kupfersulfatlösung, bewirkt ebenso die Lösungstension am Zink, daß positive Ionen in Lösung gehen und das Zink negativ zurücklassen, während am Kupfer umgekehrt infolge des die Lösungstension weit überwiegenden osmotischen Druckes der in der Kupfervitriollösung enthaltenen Kupferionen letztere so lange zur Ausscheidung an dem Kupfer genötigt werden, bis die elektrostatische Anziehung der hierdurch negativ gewordenen Lösung weitere Abscheidung hindert. Das Kupfer erhält somit positive Spannung gegen die Kupfervitriollösung. Werden nun Zink und Kupfer verbunden, so daß deren Ladungen sich neutralisieren, so können Lösungstension und osmotischer Druck ihre Tätigkeit fortsetzen, es entstehen neue Ladungen, die sich wieder neutralisieren etc., d.h. es fließt ein konstanter elektrischer Strom durch Flüssigkeiten und metallische Leitung. Im Gegensatze zu dem erst betrachteten einfachen oder irreversibeln Element heißt ein solches ein umkehrbares oder reversibles, weil durch Einleiten eines entgegengesetzt gerichteten Stromes das in Lösung gegangene Zink durch E. wieder ausgeschieden und das ausgeschiedene Kupfer wieder in Lösung gebracht werden kann. In beiden Fällen kann annähernd die elektromotorische Kraft mich der Thomsonschen Regel berechnet werden, insofern die auftretende elektrische Energie fast nur der verbrauchten chemischen Energie entstammt, also dieser gleich sein muß.

Anders verhält es sich bei den sogen. Konzentrationselementen. Schichtet man z. B. über konzentrierte Zinnchlorürlösung verdünnte und stellt einen Zinnstab hinein, so scheiden sich alsbald an dessen unterm Ende Zinnkristalle aus, infolge von E. bedingt durch einen Strom, der im wesentlichen erregt wird durch eine an der Grenze der beiden Lösungen auftretende elektromotorische Kraft. Dort tritt nämlich Diffusion der Ionen aus der konzentriertern in die verdünntere Lösung ein, die, weil die Diffusionsgeschwindigkeit für die negativen Ionen größer ist als für die positiven, bewirkt, daß die verdünnte Lösung negative Spannung annimmt gegen die positive, die allerdings nicht über einen bestimmten Wert wachsen kann, da die dadurch bedingte elektrostatische Anziehung die langsamern Ionen beschleunigt, die andern verzögert, bis ihre Geschwindigkeiten gleich geworden sind. Diese Spannungsdifferenz erzeugt in dem Zinnstab einen von unten nach oben gerichteten Strom, der die Zinnausscheidung bewirkt, den Konzentrationsstrom. Seine Ursache ist der osmotische Druck, der die Diffusion der Ionen veranlaßt, gleich wie der Druck eines komprimierten Gases die Ausströmung desselben, wenn der Behälter geöffnet wird. Wie im letztern Falle verschwindet eine der gewonnenen Arbeit oder Energie äquivalente Wärmemenge, die der Umgebung entzogen wird, so daß die Temperatur sich erniedrigt. Diese ist die Quelle der Energie des Konzentrationsstromes. Bei den meisten galvanischen Elementen kommen neben den durch die chemischen Prozesse veranlaßten Strömen noch solche Konzentrationsströme in Betracht, so daß die Thomsonsche Regel nicht gilt, sondern durch die vollkommenere Helmholtzsche Formel ersetzt werden muß, die auch die Wirkung der Konzentrationsdifferenzen berücksichtigt. Gleiches gilt für die Berechnung der elektromotorischen Gegenkraft der Polarisation bei E.

Im Falle der E. von Wasser zwischen Platinplatten ist es die auf der Kathode gebildete dünne Wasserstoffschicht, deren Lösungstension positive Wasserstoffionen in die Lösung abzustoßen sucht. Man spricht deshalb in diesem Falle von einer Gaselektrode. Der Dissoziationsgrad des absolut reinen Wassers ist ein außerordentlich geringer, d.h. es enthält nur äußerst wenig Ionen, gestattet also ähnlich wie ein sogen. Isolator auch bei großer Spannung nur sehr schwachen Strömen den Durchgang. Ebenso z. B. reine wasserfreie Salzsäure. Löst man aber etwas Salzsäure oder irgend ein Salz in Wasser auf, so erscheint das Leitungsvermögen außerordentlich vergrößert, weil die aufgelösten Salzsäure- (Salz-) Moleküle in Ionen zerfallen. Die elektrische Leitfähigkeit des Wassers bietet aus diesem Grund ein bequemes Mittel, um dessen Reinheit, bez. Verwendbarkeit für technische Zwecke zu beurteilen.

Ein Strom von 1 Ampere Stärke scheidet in der Sekunde an der Kathode annähernd 0,01 mg Wasserstoff aus und an der Anode die äquivalente Menge Chlor (0,86 mg). Hierbei wird 1 Coulomb positive Elektrizität durch den Wasserstoff an die Kathode abgegeben und 1 Coulomb negative Elektrizität durch das Chlor an die Anode. (Genauer führt ein Grammion, d.h. eine Menge von soviel Gramm, als das chemische Äquivalent beträgt, 96,540 Coulomb mit sich.) Nach der kinetischen Gastheorie enthalten 0,01 mg Wasserstoff 6,12.1018 Atome. Somit wäre die Ludung eines Atoms, das sogen. Elementarquantum, 1,56.10-19 Coulomb. Dieselbe Ladung enthält ein Chlorion oder jedes beliebige andre einwertige Ion. Ein Sauerstoffion oder irgend ein andres zweiwertiges Ion enthält die doppelte Ladung, da auf 1 Sauerstoffatom 2 Wasserstoffatome sich ausscheiden, die abgegebenen positiven und negativen Elektrizitätsmengen aber gleich sein müssen. Ebenso enthält ein 3, 4, 5 ... wertiges Atom die 3, 4, 5 ... fache Ladung. Die in hintereinander geschalteten Zersetzungszellen auftretenden Mengen von Zersetzungsprodukten müssen deshalb im Verhältnis der chemischen Äquivalentgewichte stehen (zweites elektrolytisches Gesetz), da die Stromstärke in allen dieselbe ist. Aus der Größe der Ladung laßt sich auch die Kraft berechnen, mit der die Ionen in der Lösung durch die elektrostatische Wirkung der Elektroden fortgetrieben werden. Beispielsweise wäre die auf 0,01 mg Wasserstoff wirkende Kraft bei einer Spannungsdifferenz von 2 Volt, wenn die Elektroden in 1 m Abstand stehen, ca. 0,2 kg. Trotz dieser großen Kraft kommen die Ionen (in sehr verdünnter Lösung) nur mit der geringen Geschwindigkeit von 6,4.10-5 cm/sec vorwärts, da sie durch Zusammenstöße mit den Molekülen des Wassers aufgehalten werden (elektrolytischer Reibungswiderstand). Die Wanderungsgeschwindigkeit (bei bestimmter Spannungsdifferenz der Elektroden) ist für verschiedene Ionen erheblich verschieden und wird auch etwas durch die Konzentration der Lösung beeinflußt, dagegen stören sich die verschiedenen Ionen selbst nicht merklich, so daß man durch Summierung der von ihnen in der Sekunde transportierten Elektrizitätsmengen unter Annahme konstanter Wanderungsgeschwindigkeit die Stromstärke oder, da diese nach dem Ohmschen Gesetz gleich Spannungsdifferenz dividiert durch Widerstand ist, auch den letztern oder dessen reziproken Wert, die elektrische Leitfähigkeit der Lösung, berechnen kann. Wasserstoff erleidet die kleinste Reibung, bewegt sich also am schnellsten. Seine Verbindungen sind deshalb die bestleitenden Elektrolyten. Metallionen haben etwa fünfmal kleinere Wanderungsgeschwindigkeit. Unter den negativen Ionen ist Hydroxyl (OH) am beweglichsten (etwa 2/3 so gut wie Wasserstoff), Chlor, Brom, Jod sind etwa fünfmal weniger und kompliziertere Säurereste noch weniger beweglich. Infolge dieser verschiedenen Wanderungsgeschwindigkeit haben die an den Elektroden entstehenden ionenfreien Räume verschiedene Ausdehnung. Elektrolysiert man z. B. Kupfervitriollösung, so scheidet sich an der Kathode Kupfer aus, und SO4-Ionen wandern gegen die Anode zu, so daß die Lösung in der Nähe der Kathode ärmer an Kupfervitriol wird. An der Anode verbinden sich die SO4-Ionen mit dem Wasserstoff des Wassers zu Schwefelsäure, und Sauerstoff wird frei, während Kupferionen zur Kathode wandern. Auch hier wird also die Lösung ärmer an Kupfervitriol. Vergleicht man nun die Konzentrationsabnahme an Kathode und Anode, so ergibt sie sich an ersterer doppelt so groß. Dies erklärt sich dadurch, daß die SO4-Ionen doppelt so rasch wandern als die Cu-Ionen. Durch das Studium dieser sogen. Überführungserscheinungen ist man auch in der Lage, wie zuerst Hittorf gezeigt hat, zu ermitteln, welche Ionen bei der E. wirklich wandern, was nicht immer ohne weiteres erkennbar ist. Elektrolysiert man z. B. eine Lösung von Cyansilber in Cyankalium, so scheidet sich an der Kathode Silber aus, man könnte also meinen, daß Silberionen dahin gewandert seien. Untersucht man aber die gesamte Stoffänderung (auch die der Lösung) an der Kathode, so ergibt sich, daß in Wirklichkeit dort nur Kalium hinzugekommen ist. Eben so scheidet sich bei E. von schwefelsaurem Natron Na2SO4 an der Kathode nicht Na2, sondern H2 aus. Man hat sich früher den Vorgang so erklärt, daß das Kalium, bez. Natrium im Moment der Ausscheidung zersetzend auf die Lösung ein wirke und so sekundär die Ausscheidung von Silber, bez. Wasserstoff veranlasse. Eine neuere Auffassung (Le Blaue) geht aber dahin, daß die zur Ausscheidung kommenden Ionen nicht notwendig diejenigen sein müssen, die in der Lösung wandern. Hat man z. B. ein Gemisch verschiedener Lösungen, so wandern sämtliche Ionen; zur Ausscheidung gelangen aber nur diejenigen, für welche die Elektrodenspannung größer ist als die Zersetzungsspannung. Elektrolysiert man z. B. ein Gemisch von Silber- und Kupfernitrat, so beginnt, sobald die Spannungsdifferenz 0,7 Volt übersteigt, das Silber sich auszuscheiden, um so rascher, je höher die Spannung ist, und man kann es ganz allein vollständig zur Ausscheidung bringen, falls die Spannung unter 1,14 Volt, der Zersetzungsspannung des Kupfers, bleibt. Übersteigt sie diesen Wert, so scheiden sich beide Metalle nebeneinander aus. Man ist also in der Lage, durch geeignete Regulierung der Spannung die verschiedenen Metalle in einem Gemenge von Lösungen nacheinander auszufällen, was technisch verwertet wird, einesteils zur quantitativen chemischen Analyse (Elektroanalyse), andernteils zu metallurgischen Prozessen (Elektrometallurgie), sei es zur Befreiung eines Metalls von fremden schädlichen oder wertlosen Beimischungen (z. B. Raffination des Rohkupfers, Entzinnung von Weißblechabfällen), sei es zur Abscheidung von Metallen aus ihren Erzen. Besonders niedrig liegt die Zersetzungsspannung des Wassers, so daß häufig Wasserstoff- und Sauerstoffionen zur Ausscheidung kommen, obschon sie nur in sehr geringer Menge vorhanden sind und die Leitung des Stromes durch Wanderung ganz andrer Ionen bewirkt wird, die nicht zur Ausscheidung kommen, weil ihre Zersetzungsspannung wesentlich höher liegt. Daß trotz der geringen Menge der Ionen große Mengen von Wasserstoff und Sauerstoff ausgeschieden werden können, erklärt sich dadurch, daß sich an Stelle der ausgeschiedenen Ionen sofort wieder neue bilden. Ist die Spannung ausreichend, um zwei Metalle gleichzeitig zu fällen, z. B. Kupfer und Zink, wobei sich Messing bilden müßte, so tritt dies unter Umständen doch nicht ein, weil jedes an das Kupfer sich anlagernde Zinkpartikelchen damit ein galvanisches Element bildet, d.h. eine elektromotorische Kraft hervorruft, welche die Wiederauflösung des Zinks bewirkt. Derartige Erscheinungen zeigen sich speziell dann, wenn die Stoffe Neigung zur Kristallbildung haben. Bei solcher elektrolytischer Kristallisation tritt weit mehr als bei gewöhnlicher Neigung zur Bildung von Kristallskeletten auf, da an den Spitzen der Kristalle die Stromlinien sich am dichtesten zusammendrängen, so daß dort die Ausscheidung weit reichlicher stattfindet als auf den Flächen. Die Neigung zur Kristallbildung wächst mit steigender Stromstärke.

Unter Umständen beobachtet man das Zustandekommen eines dauernden schwachen Stromes (Reststrom) auch dann, wenn die Spannung geringer ist als die Zersetzungsspannung, z. B. bei E. von Wasser. Der Grund ist der, daß durch Diffusion (elektrolytische Konvektion) die dünnen Gasschichten, welche die Polarisation bedingen, fortwährend vermindert werden (Depolarisation). Quecksilber, das in einer Kapillarröhre an verdünnte Schwefelsäure angrenzt, erleidet bekanntlich eine kapillare Depression, die um so größer ist, je größer die Oberflächenspannung wird. Durch Kontakt mit der Schwefelsäure wird das Quecksilber positiv, die Schwefelsäure negativ elektrisch, und die gegenseitige Abstoßung der gleichartigen elektrischen Teilchen an der Grenzfläche sucht die Oberfläche auszudehnen, d.h. die Oberflächenspannung kommt nicht mit ihrem vollen Wert zur Geltung, sondern erscheint vermindert. Macht man nun das Quecksilber zur Kathode bei geringer Spannung, so wird die Kapillardepression größer, da die abstoßende Wirkung der elektrischen Teilchen vermindert wird. Bei ca. 1 Volt Spannung wird sie ein Maximum, d.h. nun ist vollständige Kompensation der ursprünglichen Ladung erreicht, die Oberflächenspannung kommt voll zur Geltung. Die Spannungsdifferenz zwischen Quecksilber und verdünnter Schwefelsäure muß also etwa 1 Volt betragen. Indem man nun die Spannungsdifferenz zwischen Quecksilber, verdünnter Schwefelsäure und einem dritten Metall mißt, kann man die Spannungsdifferenz zwischen letzterm und der Säure allein ermitteln, indem man die der Quecksilberelektrode (Normalelektrode) in Abzug bringt; dies ist eine Nutzanwendung. Eine andre besteht darin, daß man die Änderungen der Kapillardepression mit der Spannung zur Messung von Spannungsdifferenzen verwertet (Kapillarelektrometer von Lippmann) oder auch zur Erzeugung von Bewegung aus elektrischer Energie (Kapillarelektromotor). Man nennt diese Vorgänge elektrokapillare Erscheinungen. Ferner werden als solche bezeichnet eigentümliche Modifikationen der E., wenn sich der Elektrolyt in kapillaren Spalten befindet (Elektrostenolyse nach Braun) oder in den Poren gallertartiger Körper (s. Elektrische Diffusion).

Feste Körper sind im allgemeinen keine Elektrolyte, doch ist es Warburg gelungen, durch Erwärmen auf etwa 200° Glas und sogar Natriumsilikat enthaltenden Quarz so leitend zu machen, daß deutliche E. eintrat. Am positiven Pol bildet sich dann eine Kieselsäureschicht, die den weitern Stromdurchgang hindert. Wählt man als Kathode Quecksilber und als Anode Natriumamalgam, so nimmt ersteres aus dem Glas Natrium auf, verwandelt sich also in Amalgam, während letzterm durch die Kieselsäure das Natrium entzogen und das Glas wiederhergestellt wird. Man kann so den Strom dauernd unterhalten und beliebige Quantitäten Natrium durch die Wand eines Glasgefäßes hindurchwandern lassen, ohne daß dieses eine sichtbare Änderung erleidet. Selbst durch reine Kristalle der regulären Modifikation des Jodsilbers vermag der Strom hindurchzugehen, so daß, wenn ein solcher Kristall zwischen zwei Silberelektroden eingeklemmt wird, die Anode beständig abnimmt, die Kathode wächst ohne sichtbare Änderung des Kristalls. Das an der Anode verschwindende Silber wandert unsichtbar durch den klaren Kristall hindurch, um an der Kathode wieder zum Vorschein zu kommen. (S. auch Elektrolytische Durchbohrung.) Neuerdings ist man geneigt, auch bei gasförmigen Körpern elektrolytische Leitung anzunehmen, doch sind hier die Verhältnisse wesentlich komplizierter, insofern die Ionen im allgemeinen nur unter bestimmten Umständen, z. B. bei Bestrahlung mit Röntgenstrahlen, Becquerelstrahlen, entstehen und bei höherer Spannung (vielleicht durch ihre Stoßwirkung auf noch ganze Moleküle, Ionenstoß) an Zahl plötzlich rapid anwachsen (s. Elektrische Entladung, S. 610).

Die E. findet Anwendung in der Galvanoplastik und Galvanostegie, zum Vergolden, Versilbern etc., zum Ätzen auf Metall, zur Abscheidung von Metallen aus ihren Verbindungen (s. Elektrometallurgie) und in der chemischen Analyse zur quantitativen Bestimmung der Metalle. Auch hat man den Strom in der Färberei zu Oxydations- und Reduktionsprozessen, zur Herstellung von Bleichlaugen, in der Spiritusfabrikation zum Entfuseln des Spiritus und in andern Industriezweigen, z. B. Gerberei, benutzt. Vgl. Jahn, Die E. (Wien 1883); F. Kohlrausch und Holborn, Das Leitvermögen der Elektrolyte (Leipz. 1898) und die Literatur bei »Elektrochemie«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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