Brief [1]

Brief [1]

Brief (v. lat. breve, »kurzes Schriftstück«), im gewöhnlichen Leben eine schriftliche Mitteilung in herkömmlichen Formen an Abwesende. Gesetzlich ist der Begriff B. wegen der in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vorkommen den verschiedenen, sogar einander widersprechenden Definitionen des Begriffs B. nicht festgelegt (vgl. Dambach, Das Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reiches, 6. Aufl., Berl. 1901). Im postalischen Sinne wird als B. jede Sendung angesehen, die den von der Postverwaltung erlassenen Bestimmungen über die äußere Beschaffenheit und das Gewicht der als Briefe zu befördernden Sendungen entspricht. Mit Bezug auf den Postzwang unterscheidet die Post verschlossene und offene Briefe; zu den letztern gehören Postkarten, Drucksachen, Geschäftspapiere und Warenproben sowie auch Postanweisungen, zu den erstern die Kartenbriefe. Postalisch kann sogar ein verschlossener Umschlag mit einem leeren Papier als Inhalt, ja ein ganz leerer, verschlossener Umschlag, selbst wenn er keine Aufschrift trägt, als B. angesehen werden. Da das Meistgewicht eines Briefes durch die Postordnung (s.d.) im innern deutschen Verkehr auf 250 g festgesetzt ist, sind schwerere Sendungen, auch wenn sie im landläufigen Sinne Briefform haben, nicht poftzwangspflichtig, wohl aber im Weltpostverkehr, da für Briefe nach andern Ländern des Weltpostvereins eine Gewichtsgrenze nicht vorgeschrieben ist.

[Geschichte des Briefes.] Die Existenz von Briefen kann man überall da voraussetzen, wo man zur Erfindung der Schrift gekommen ist. Über die Briefe der alten orientalischen Völker ist wenig bekannt; immerhin wurde doch auch damals eine Briefetikette beobachtet. Von ältesten Briefen, die in der antiken und orientalischen Literatur erwähnt sind, seien der des Inderkönigs Strabobates an Semiramis, der Davids an Joab (Uriasbrief), der des Königs Prötos von Argos an den König von Lykien genannt. Im klassischen Altertum bildete sich schon ein ziemlich umfangreicher Briefverkehr heraus. Die uns erhaltenen griechischen Briefe sind freilich größtenteils unecht, geschichtlichen Größen untergeschobene rhetorische Übungsstücke (vgl. Westermann, De epistolarum scriptoribus graecis, Leipz. 1853–58, 9 Tle.). Eine vollständige Sammlung griechischer Briefe gab Hercher 1873 heraus (»Epistolographi graeci«). Von den Römern sind uns ebenfalls meist Briefe erhalten, die von vornherein für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Nur Cicero gibt ein Bild des wirklichen Briefverkehrs, während Plinius und Seneca die Briefform für ihre Zwecke benutzten. Seit dem 2. Jahrh. n. Chr. wurde der B. eine eigne Stilgattung (Fronto, Symmachus, Sidonius, später Salvianus, Ruricius, Ennodius). Das Stilistisch-Formelle war bei Griechen und Römern gleich. Bei beiden setzte der Schreiber des Briefes seinen Namen nicht unter den B., sondern in die Überschrift vor den des Empfängers. Bisweilen bemerkte man auch das Datum im B. Seit der Kaiserzeit, besonders am byzantinischen Hof, verließ man allmählich die Einfachheit des klassischen Briefes und näherte sich zunächst in Staatsschreiben und endlich auch in der Privatmitteilung der Umständlichkeit des neuern Briefstils. Sklaven und Freigelassene besorgten die Abfassung der Briefe und erhielten daher (a manu) den Namen amanuensis.

Von den christlich-lateinischen Briefschreibern wurde der B. z. B. für ihre seelsorgerische Wirksamkeit benutzt (Cyprianus, Lactantius, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus). In allen Ländern Europas blieb die Briefsprache im Mittelalter lateinisch. In den Klöstern und überhaupt von Geistlichen wurde das Briefschreiben eifrig betrieben. Die Geistlichen besorgten in jener Zeit auch in den weltlichen Dingen alle Schreibereien. Aus dieser Zeit sind namentlich Briefe geistlich-literarischen oder politisch-geschäftlichen Inhalts erhalten. Vgl. die Abteilung »Epistolae« der »Monumenta Germaniae«, Sammlungen der Papstbriefe (z. B. des Benediktiners P. Constant, 1721). Die Form der lateinischen Briefe wandelte sich im Mittelalter in mancher Beziehung, namentlich durch die christliche Färbung der Formeln.

Erst gegen Ausgang des Mittelalters begannen die Völker ihre nationale Sprache auch in Urkunden und Briefen langsam anzuwenden. In Deutschland ist der erste größere Briefverkehr. in heimischer Sprache, der des Minnezeitalters, ein poetischer. Deutsche Prosabriefe haben aber so früh existiert, wie deutsche Urkunden. Im 14. Jahrh. treten uns dann Briefe in deutscher Prosa entgegen, die eine große Beherrschung der Sprache zeigen, die der Mystiker. Erst allmählich begann auch der allgemeine Briefverkehr, dessen Charakter in jener Zeit ein geschäftlicher war, in deutscher Sprache geführt zu werden. Aber der deutsche B. entstand durchaus aus dem lateinischen. Adresse, Anrede, Datum waren auch in deutschen Briefen häufig lateinisch. Im 15. Jahrh. wird der deutsche B. endlich die Regel. Regelmäßig stand am Anfang der Gruß oder die Diensterbietung, danach die Anrede, am Schluß eine Empfehlung in Gottes Schutz oder abermals eine Diensterbietung. Auch sonst hat der B. durchaus etwas Schematisches, der Stil ist schwerfällig und wesentlich Kanzleistil. Der B. diente in jener Zeit namentlich dem politischen und dem kaufmännischen Verkehr, dem geselligen und freundschaftlichen dagegen wenig. Das änderte sich allmählich im 15. Jahrh. Einerseits ist ein bedeutender Stilfortschritt erkennbar (z. B. in den Briefen des Albrecht Achilles und seiner Gemahlin), anderseits verliert der B. den rein geschäftlichen Charakter. Den Höhepunkt der Entwickelung bezeichnet Luther. Aber den fernern Fortschritt hinderten die Wiederbelebung des lateinischen Briefes durch die Humanisten und das wieder stärkere Überwuchern des Kanzleistils. Der natürliche Stil geht langsam verloren. Der gesellige Briefverkehr freilich, die Quantität und die Häufigkeit der Briefe nimmt in dieser Zeit sehr zu. Mit dem 17. Jahrh. tritt dann eine immer unerfreulichere Entwickelung hervor. Am meisten fällt die Ausländerei auf. Eine große Zahl der deutschen Briefschreiber schrieb überhaupt nicht mehr deutsch, sondern die Gelehrten schrieben lateinisch und die Vornehmen französisch. Die deutschen Briefe aber wurden in jener französisch-lateinisch-deutschen Mischsprache abgefaßt, die schon damals heftigen, freilich vergeblichen Widerspruch erfuhr. Um 1700 gab es rein deutsche Briefe überhaupt nicht mehr. Auch waren Adresse, Anrede und Unterschrift in deutschen Briefen in der Regel französisch. Der Stil steht unter dem Zeichen des Schwulstes. Ungeheures Gewicht wurde auf Formalien, Titel und Zeremonien gelegt. Man sah es ferner auf eine servile Höflichkeit ab; charakteristisch sind namentlich die Eingänge der Briefe, die von überhöflichen Entschuldigungen strotzen. Wenige Briefschreiber leisten Besseres, z. B. Wallenstein, Karl Ludwig von der Pfalz und namentlich die Mehrzahl der Frauen, bei denen die Natürlichkeit freilich meist mit Ungeschick verbunden ist. Insbesondere ragen die Briefe der spätern Herzogin von Orléans, Elisabeth Charlotte, hervor, zumal in ihnen zum erstenmal ein Plaudertalent, das in französischen Briefen längst allgemein war, sich zeigt. Vielfach vertritt der B. die Stelle der Zeitung. Es war daher in jener Zeit auch besonders wichtig, möglichst große Korrespondenz zu haben. Man drängte sich aber zu solcher Korrespondenz mit einflußreichen Leuten namentlich, um persönliche Vorteile daraus zu ziehen (Anwerbungsschreiben, überhöfliche Anerbietungen der Korrespondenz). Sehr beliebt sind die Grußbriefe, inhaltlose Schreiben, nur um der Korrespondenz willen. Die servile Zeit vermehrte auch die Zahl der Gelegenheitsschreiben. Anderseits ist die Steigerung des Briefverkehrs auch auf ein größeres Bedürfnis freundlichen Umganges zurückzuführen, es entwickeln sich die Anfänge einer Briefliebhaberei, die wesentlich durch den Einfluß Frankreichs, wo die Briefstellerei längst ein Hauptinteresse der Gesellschaft geworden war, befördert wurde. Wichtig ist auch der sich gegen Ausgang des 17. Jahrh. entwickelnde Briefverkehr der Pietisten als Vorläufer der spätern empfindsamen Briefwechselei. Das Außere des Briefes verändert sich in dieser Epoche infofern, als der Gruß am Anfang allmählich abkommt; als Pronomen der Anrede tritt das Sie auf; die Empfehlung in Gottes Schutz weicht höflichen Komplimenten; das Datum wird jetzt auch zu Anfang gesetzt. Die notwendige Besserung des Briefstils trat erst im zweiten Drittel des 18. Jahrh. im Zusammenhang mit der durchgreifenden Änderung im ganzen Geistesleben ein. Eine neue gebildete und natürliche Sprache beginnt in den Briefen zu herrschen; als erste Repräsentantin darf Frau Gottsched angesehen werden. Gellert trat dann 1751 mit einer Sammlung wirklich geschriebener Briefe hervor, der er eine »Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen« voranschickte; er drang darin vor allen Dingen auf Natürlichkeit. Seine Schreibart (neben ihm ist Rabener zu nennen) war bald die Schreibart des gebildeten Publikums. Die Unsitte der französischen Briefe blieb in den vornehmen Kreisen freilich noch lange bestehen; die Adressen, auch der deutschen Briefe, blieben bis in das 19. Jahrh. in der Regel französisch. Dagegen geht die lateinische Korrespondenz der Gelehrten zurück. In eine neue Phase trat die Entwickelung des deutschen Briefstiles in der Sturm- und Drangperiode. Man suchte das Prinzip der Natürlichkeit in äußerster Übertreibung durchzuführen. Am meisten änderte aber den Stil der seit langem vorbereitete Durchbruch des Gefühlslebens. Die übertriebene Empfindsamkeit änderte auch Ton und Inhalt der Briefe. Sie sollten ein Abdruck der Seele sein; nur Briefe voll Gefühl schienen die rechten Briefe zu sein. Wertvoll ist diese neue Entwickelung namentlich dadurch, daß jetzt eine vollendete Individualität des Briefstiles erreicht ist. Hervorragend individuelle Briefschreiber sind Lessing, Merck, Claudius, Lichtenberg, Lavater, Goethe. Ausgezeichnete Briefe stammen von Frauen, z. B. von Eva König. Charlotte Schiller und der originellen Frau Rat. Gleichzeitig gelangt der Briefverkehr zu einer neuen Steigerung. Das 18. Jahrh. ist das Jahrhundert des Briefes; es wird ein wahrer Briefkultus getrieben. Man schrieb viele und ungeheuer lange Briefe: der freundschaftliche Briefverkehr ist allgemeines Lebensbedürfnis. Die Art solcher Briefe erhielt sich bis gegen 1848.

Italien kam zuerst zu einer nationalen Briefsprache. Auch hier kehrte, wie in den übrigen Ländern, durch den Humanismus noch einmal der lateinische B. wieder (z. B. Petrarca), auf den man sogar besondere Kunst verwandte. Im übrigen charakterisiert den italienischen Briefstil anfangs Künstlichkeit und Unnatur (Bembo, de la Casa). Erst Annibale Caro, Manuzio, L. Dolce, Bentivoglio, P. Aretino, Bernardo Tasso näherten sich dem einfachen Stil, noch mehr Gozzi, Algarotti, Metastasio, Ugo Foscolo. Eine für seine Zeit wichtige Sammlung veranstaltete P. Manutius: »Lettere volgari di diversi nobilissimi uomini« (Vened. 1542–64, 3 Bde.); für die neuere Zeit sind die »Lettere di varii illustri Italiani del secolo XVIII. e XIX.« (Reggio 1841, 10 Bde.) zu erwähnen. Die Spanier besitzen in Ochoas »Epistolario español. Coleccion de cartas de Españoles illustres« (Madr. 1872, 2 Bde.) eine Sammlung. Die Franzosen, deren hohe gesellige Bildung den guten Briefton begünstigte, waren die ersten, die das Prinzip der Natürlichkeit in neuerer Zeit verwirklichten. Im 16. und namentlich 17. Jahrh. genoß das Briefschreiben in Frankreich eine besondere Pflege. Der französische Brief war damals Muster für alle übrigen Volker. Am berühmtesten sind die Briefe von Rabelais, Pasquier, Patin, Pascal, Bellegarde, die der Marquise v. Sévigné an ihre Tochter, die von Fontenelle, d'Argens, Montesquieu, Voltaire, Crébillon, die der Marquise Dudeffand, der Frau v. Graffigny, der Ninon de Lenclos und des ältern Racine, aus späterer Zeit die Briefe von Rousseau, Diderot, d'Alembert, Boursault und seiner Geliebten Babet, der Frau v. Maintenon, Frau v. Staël, die von Napoleon I. und Josephine, von L. Courier, Madame de Rémusat, Mérimée, George Sand u. a. Vgl. Crêpet, Trésor épistolaire de la France (Par. 1865, 2 Bde.). Die Engländer zeichneten sich ebenfalls durch einen natürlichen und charakteristischen Briefstil aus, jedenfals früher als die Deutschen. Die Briefe eines Swift, Pope, Hughes, James Howell, Sir W. Temple, Addison, Locke, Bolingbroke, Horace Walpole, Chesterfield, Shaftesbury, Richardson, dann der Lady Rachel Russell, Lady Mary Montague, von L. Sterne, Gray, Johnsohn, W. Melmoth, Cowper, Lord Byron, Sydney Smith, Walter Scott, Th. Arnold, Charlotte Bronté u. a. sind z. T. klassisch. Vgl. die Sammlungen: »Epistles elegant, familiar and instructive« (Lond. 1791); »Letters written by eminent persons in the XVII. and XVIII. centuries« (das. 1813, 3 Bde.); Scoones, Four centuries of English letters (2. Aufl., das. 1881); Cochrane, The British letter-writers (das. 1882).

Sehr reich ist die Briefliteratur des Morgenlandes. Sie macht als »Inscha« eine Hauptabteilung der mohammedanischen Literatur aus. Sammlungen sind im Arabischen die von Ahmed el Attar (Bulak 1835), im Persischen die von dem Wesir und Dichter Mir Alischir; besonders geschätzt sind die Briefmuster Dschamis und Mir Alischirs, dann die von Saib, Ibn Jemin und Mir Chosru, später das Inscha Abul Fazls von dem Großwesir des Großmoguls Mohammed Akbar. Noch mehr haben die Türken die Briefstellerkunst ausgebildet, deren Blüte in das 17. Jahrh. fällt, wo die Mustis Jahja und Effad die talentvollen Briefschreiber zu Ämtern und Würden beförderten. Hadschi Chalfa stellt den Kerim Tschelebi obenan, andre den Nerkisfi. Der jüngste große Briefsteller der Türken war Aasim Ismael Efendi, der Mufti (gest. 1759).

Die Blütezeit des Briefschreibens ist heute, wenigstens in der ganzen abendländischen Kulturwelt, wohl vorüber. Durch die enormen Erleichterungen des schriftlichen und mündlichen Verkehrs hat sich zwar die Anzahl der Briefe in riesigem Maßstab vermehrt, aber sowohl der Umfang als die künstlerische Form der Briefe hat einen auffallenden Rückgang erfahren. Auch die Äußerlichkeiten, Titel und Formalitäten, werden mehr und mehr verbannt. Vgl. Roberts, History of letter writing from the earliest period to the 5. century (Lond. 1845); G. Steinhaufen, Geschichte des deutschen Briefes (Berl. 1889 bis 1891, 2 Bde.); Derselbe, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters (das. 1899, Bd. 1); Klaiber, Die Meister des deutschen Briefes (Auswahl, Bielef. 1901).

Das Material der Briefe bestand in ältester Zeit in Holz- oder Steintafeln; bei den Ägyptern wurde die Staude der Papyruspflanze zum Briefschreiben benutzt. Inder und Chinesen benutzten frühzeitig Palmblätter. Bei den Griechen und Römern waren Wachstäfelchen im Gebrauch (pinakes, deltoi, resp. tabellae [davon tabellarius], pugillari, codicilli genannt). Im 3. Jahrh. n. Chr. tauchte das Pergament als Schreibstoff auf, und seit 1340 wurde in Europa das jetzige Lumpenpapier zum Briefschreiben verwendet. Das Format der Briefe war sehr groß, die Briefe wurden aber sehr klein zusammengefaltet und oft mit Faden zur Sicherung durchzogen. Im 17. Jahrh. ist das Quartformat das gewöhnliche. Von dieser Zeit ab nähert sich die äußere Form der Briefe immer mehr der modernen. Während man früher zum Verschließen der Briefe Wachs benutzte, kam im 15. Jahrh. Siegellack aus China nach Europa. 1624 kamen in Speyer die Oblaten auf. Seit 1820 benutzt man den Umschlag, das von Brewer in England erfundene Kuvert. Stephan fügte den alten Briefarten die jetzt ins Ungemessene verbreitete Postkarte hinzu. Zu erwähnen ist noch die vom 14.–17. Jahrh. herrschende Sitte, Zettel (cedulae) in die Briefe einzuschließen, die im ganzen den Nachschriften völlig gleichen. Vgl. auch die folgenden Artikel: Briefgeheimnis, Briefmarke etc.

Die Briefform in der Literatur.

Sobald die Briefschreibekunst eine besondere Pflege genießt, bemächtigt sich auch die Literatur der Briefform. Bei den Griechen der spätern Zeit sind fingierte Briefe, zumal die Sophistik diese Form bevorzugte, nicht selten. Der Rhetor Lesbonax verfaßte erotische Briefe, Melesermos 14 Bücher Hetärenbriefe, Alkiphron Briefe von Fischern, Landleuten, Hetären. In den erotischen Briefen des Aristänetos tritt die Briefform fast ganz zurück. Übrigens lieben es die griechischen Romanschreiber, Briefe häufig in ihre Romane einzufügen. Bei den Römern findet man zunächst den didaktischen, poetischen B. Am meisten ragen des Horaz Episteln und des Ovid Heroiden und Tristien hervor. In prosaischen fingierten Briefen wurden ebenfalls mannigfache Stoffe behandelt, wie z. B. in den Briefen Catos an seinen Sohn. Die Verwendung der Briefform zu didaktischen Zwecken findet sich auch im Mittelalter. Meist ist die Form eine poetische. Daneben bemächtigte sich auch die Minnepoesie früh der Briefform. Die extremste Art dieser künstlichen Verwendung zeigen die sogen. Büchlein. In neuerer Zeit nimmt die Briefform in der Literatur eine große Stelle ein. Im 16. und 17. Jahrh. handelte man gern politische Themata in fingierten Briefen ab, die als Flugschriften verbreitet wurden. Zu didaktischen Zwecken wird die Briefform zuerst wieder von dem Spanier Antonio Perez, der 1611 starb, verwendet. Von Franzosen ist Cyrano de Bergerac zu nennen. In Deutschland zeigt die Mode schon Harsdörfer in seinem »Teutschen Secretarius«, im 18. Jahrh. wurde diese Form für die abhandelnde Prosa überaus häufig. Einen regen Anstoß dazu mögen auch Montesquieus »Lettres persanes« gegeben haben. Von deutschen Schriften seien angeführt Bodmers Briefwechsel von der Natur des poetischen Geschmacks, die Literaturbriefe, Schillers B. über die ästhetische Erziehung des Menschen, Herders Briefe, das Studium der Theologie betreffend, Goethes Briefe aus der Schweiz etc. Alle möglichen Themata werden in Briefen abgehandelt, und noch heute ist die Form sehr beliebt. Briefe in Versen sind in neuerer Zeit namentlich in Frankreich beliebt gewesen. In Deutschland erregten zuerst die Heldenbriefe Hofmanns von Hofmannswaldau Aufsehen. Nach französischem Vorgang bevorzugte dann die galante Lyrik die Briefform. Besonders gebräuchlich war sie für Gratulations- und Trauergedichte. Von spätern poetischen Briefen seien zunächst die moralischen Briefe genannt (Wielands »Moralische Briefe«), weiter die poetischen Episteln der Halberstädter, namentlich von Michaelis, der sich Horaz und Pope zum Muster nahm, Goethes poetische Episteln. Die Briefform wurde ferner in der satirischen Dichtung gebraucht (Rabeners satirische Briefe). Endlich ist der Roman in Briefen anzuführen. In England schrieb solche zuerst RichardsonPamela«, »Clarissa Harlowe«, »Sir Charles Grandison«), in Frankreich später RousseauNouvelle Héloïse«), und diese Vorbilder wurden in Deutschland häufig nachgeahmt, so auch von Goethe in den »Leiden des jungen Werthers«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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