- Petrarca
Petrarca, Francesco, der größte lyrische Dichter Italiens und zugleich einer der größten Gelehrten seiner Zeit, wurde 20. Juli 1304 in Arezzo geboren und starb 18. Juli 1374 in Arquà. Sein Vater Petracco (d.h. Pietro) di Parenzo, welchen Namen der Dichter zu P. latinisierte, ein Notar aus Florenz, war 1302 zugleich mit Dante u.a. verbannt worden und begab sich nach mehrjährigem Aufenthalt in Arezzo und in Pisa 1312 nach Avignon an den päpstlichen Hof, schickte aber seine Familie nach dem benachbarten Carpentras, wo der junge P. seine erste Ausbildung erhielt. Seit 1319 studierte er dem Wunsche seines Vaters gemäß in Montpellier und seit 1323 in Bologna Rechtswissenschaft. Nach dem Tode seiner Eltern (1326) empfing er in Avignon die niedern priesterlichen Weihen. Hier machte er 1330 die Bekanntschaft der reichen Familie Colonna und trat in die Dienste des Kardinals Giovanni. Hier sah er auch 1327 zum erstenmal die Geliebte, die er unter dem Namen Laura (s. d.) feiert. Durch gelehrte Studien, höfische Zerstreuungen und Reisen, auf denen er auch Deutschland berührte (1333), suchte P. seiner Leidenschaft Herr zu werden. 1336 besuchte er Italien und betrat 5. Jan. 1337 zum erstenmal Rom. Nach Frankreich zurückgekehrt, lebte er mehrere Jahre in der Stille von Vaucluse bei Avignon seinen Studien. Viele seiner schönsten Gedichte an Laura entstanden hier, auch der größte Teil seiner übrigen Werke wurde hier geschrieben oder wenigstens begonnen. Seine Poesien erwarben ihm bald den höchsten Ruhm, und am ersten Ostertage (8. April) 1341 empfing er, nachdem er sich in Neapel einer dreitägigen Prüfung durch König Robert unterzogen hatte, auf dem Kapitol in Rom die Dichterkrone (vgl. A. Hortis, Scritti inediti di F. P., Triest 1874). Von Ende Mai 1342 bis Anfang September 1343 hielt sich P. teils in Avignon, teils in Vaucluse auf und schrieb in diesem Zeitraum eins seiner bedeutendsten Werke, gewöhnlich »De contemptu mundi libri III« überschrieben, von ihm selbst aber »Secretum suum« genannt. Durch den Griechen Barlaam lernte er damals die Elemente der griechischen Sprache. Die nächsten zehn Jahre lebte er abwechselnd in Oberitalien und Frankreich. Im September 1343 sandte ihn der Papst nach Neapel, um die Oberhoheitsrechte des heiligen Stuhles zu wahren. Die ihm 1346 angetragene Würde eines apostolischen Sekretärs schlug er aus. Die Nachricht von der Erhebung des römischen Volkes gegen seine adligen Tyrannen und von der Ernennung Cola Rienzis zum Volkstribun (1347) begeisterte ihn zu seinem berühmten Brief an den letztern und an das römische Volk, der aber sein gutes Einvernehmen mit der Familie Colonna trübte. Ende des Jahres brach P. selbst nach Rom auf. Als er aber unterwegs die üble Wendung der Dinge in Rom erfahren hatte, ging er nach Parma, wo ihn 19. Mai 1348 die Nachricht vom Tode Lauras traf, und in andre Städte. Ende 1350 reiste er zum Jubiläum nach Rom und schloß unterwegs in Florenz mit Boccaccio innige Freundschaft. Dieser überbrachte ihm nach Padua 6. April 1351 ein Schreiben der Republik Florenz, das ihn einlud, in Florenz an der neugestifteten Universität zu wirken; doch er lehnte ab. Im Sommer 1351 kehrte er nach Vaucluse zurück, verließ es aber 1353 für immer und verbrachte sein Lebensende in Oberitalien. Zunächst lebte er acht Jahre in und bei Mailand im engsten Verhältnis mit den Visconti. Auch Kaiser Karl IV. empfing ihn bei seinem Besuch in Italien (1354) überaus freundlich und unterhielt sich tagelang mit ihm. Gerüchte, daß dieser einen neuen Zug nach Italien beabsichtige, veranlaßten 1356 eine Sendung Petrarcas nach Prag, wo der Kaiser ihn zum Pfalzgrafen machte. 1360 war P. als Gesandter bei Johann von Frankreich und schlug dessen dringende Einladungen, bei ihm zu bleiben, aus, wie ähnliche Anträge des Kaisers. 1361 floh er vor der Pest nach Padua und verheiratete hier seine Tochter (P. hatte zwei Kinder von einer uns unbekannten Mutter) an einen Mailänder Edelmann, Franceschino da Brossano. 1362 begab er sich nach Venedig, wo er seine Bücher einer zu bildenden öffentlichen Bibliothek der Republik vermachte und dafür einen Palast als Wohnung bekam. Seit 1368 lebte er meist abwechselnd in Padua und dem Dorfe Arquà in der Familie seiner Tochter. Hier starb er, vom Schlage getroffen, in seiner Bibliothek über einen Folianten hingebeugt. Sein Schwiegersohn ließ ihm ein Denkmal errichten, das 1567 mit des Dichters bronzener Büste geziert ward. 1818 ward eine Marmorbüste Petrarcas von Rinaldo, Canovas Schüler, in der Kathedrale von Padua aufgestellt; eine Marmorstatue des Dichters (von Leoni) befindet sich in Florenz. Sein Bildnis s. Tafel »Klassiker der Weltliteratur III« (in Bd. 12). Sein 500jähriger Todestag und sein 600jähriger Geburtstag wurden 1874 und 1904 in ganz Italien feierlich begangen.
Die meisten Schriften Petrarcas sind lateinisch. In Versen verfaßte er 1) die »Africa« (1342 vollendet), ein episches Gedicht in Hexametern über die Taten des Scipio Africanus Major in 9 Büchern, lückenhaft überliefert. Als Epos mißglückt, enthält sie doch große poetische Schönheiten, besonders im fünften Buche (beste Ausgabe von Corradini, Padua 1874). 2) Das »Carmen Bucolicum«, 12 Eklogen (1346–1356), Nachahmungen Vergils mit zahlreichen persönlichen und politischen Anspielungen, daher literarhistorisch wichtig, aber selten dichterisch wertvoll (8 und 11; beste Ausgabe von Rossetti, »Francisci Petrarcae poemata minora«, Bd. 1, Mail. 1829). 3) Die »Epistolae metricae«, mit Ereignissen aus des Verfassers Leben, anmutigen Naturschilderungen, Moralisationen etc. (beste Ausgabe von Rossetti a. a. O., Bd. 2 und 3; deutsch von Friedersdorff, Halle 1903). Die Moraltraktate zeigen mittelalterlichen Charakter. Zu nennen sind 1) die drei Dialoge »De contemptu mundi« (1342), worin P. uns seine Seele offenbaren wollte. 2) »De vita solitaria« (1346–56), ein Lob der Einsamkeit. 3) »De remediis utriusque fortunae« (1358–66), von schroffer asketischer Weltanschauung. Von historischen Schriften erwähnen wir 1) die vier Bücher »Rerum memorandarum«, kurze historische, anekdotenhafte und legendäre Erzählungen, moralische und philosophische Argumente zu erläutern. 2) »De viris illustribus«, die Lebensbeschreibung von 31 berühmten Römern von Romulus bis Julius Cäsar. Neue Ausgabe von Razzolini (Bologna 1874 und 1879). Unter allen lateinischen Werken Petrarcas nehmen die Briefe an Zahl und Umfang wie an Wichtigkeit für seine Biographie und die Geschichte seiner Zeit den ersten Rang ein. Freilich zeigen sie nicht den Charakter der Intimität, der sonst an Briefwechseln das Interessanteste ist: sie waren für P. eine literarische Gattung. Sie zerfallen in »Rerum familiarium«, »Rerum senilium«, »Rerum variarum« und »Sine titulo«. Die »Familiares« und »Variae« vorzüglich herausgegeben von Fracassetti (Flor. 1859 bis 1863, 3 Bde.); derselbe übersetzte sie mangelhaft, gab aber einen vorzüglichen Kommentar (das. 1861–1865, 5 Bde.); auch übersetzte er die »Seniles« (das. 1869, 2 Bde.). Diese erschienen lateinisch Basel 1554, die »Sine titulo« Straßburg 1555.
Den Namen P. haben aber seine italienischen Gedichte der Nachwelt überliefert, sein Liederbuch (»Canzoniere« oder »Rime« bezeichnet), das seine Liebesgedichte und einige andre Lieder enthält und für die italienische Lyrik fast ausschließlich tonangebend wie überhaupt für alle Zeiten ein poetischer Kanon der Liebesschwärmerei geworden ist. Daß die provenzalische Poesie und ältere italienische Dichter auf Petrarcas Lyrik Einfluß gehabt haben, ist außer Zweifel; allein er bewahrt sich bewußt die größte Originalität. Ohne Abstraktionen und Personifikationen weiß er das innerste Seelenleben zu schildern, wie es nie zuvor geschehen war. Anmutige, klare und reine Sprache, Reichtum und Mannigfaltigkeit der Gedanken, des Ausdrucks und der Bilder, Geschmack, seines Gefühl für den Wohllaut und vor allem Zartheit zeichnen P. vor allen Liebesdichtern seiner Nation aus. Man vermißt jedoch an ihm die Innigkeit, die Tiefe des Gefühls, die Glut der Leidenschaft, die eigentliche wahre und starke Liebe. Er ist überall sinnreich, scharfsinnig, geistreich, aber nirgends glühend und tief; er gefällt sich oft in weit hergeholten Bildern, in schillernden Gedanken, in Witz, Reflexionen und schwierigen Reimen. Wenn uns in Dante das Bild der männlichsten Entschiedenheit entgegentritt, so finden wir bei P. »ein weibliches Gemüt, das an einer ewigen Verstimmung leidet, in der Gegenwart sich nie befriedigt fühlt, sich nach der entschwundenen Zeit als nach einem unwiederbringlichen Glück sehnt und seinen Schmerz mit wollüstigem Selbstgenuß in Liedern ausströmt, die bei aller Schönheit das Gefühl zu einem Spiel der Reflexion machen«. Das Sonett ist seitdem die populärste poetische Form Italiens geblieben. Das Vorzüglichste im »Canzoniere« sind die Kanzonen, namentlich die, welche Beziehungen auf Rom und die politischen Zustände Italiens überhaupt enthalten, wo der Dichter der Liebe nicht selten eine wunderbar zürnende Kraft entfaltet. Ein Werk seines höhern Alters sind die allegorisch-moralischen »Trionfi«, auf deren Gestaltung Dante offenbaren Einfluß hatte, und die den Gang des menschlichen Schicksals und die Eitelkeit alles Irdischen darstellen; sie sind aber unvollendet. (Kritische Ausgabe von Appel: »Die Triumphe Petrarcas«, Halle 1901, Textausgabe, das. 1902.) Eine Anzahl Gedichte Petrarcas, die er nicht in den »Canzoniere« aufnahm, nennt man »Estravaganti«. Die italienischen Gedichte des P., namentlich der »Canzoniere«, haben unzählige Auflagen erlebt; neue Ausgaben nach der aufgefundenen Originalhandschrift sind die von Mestica (Flor. 1896), Carducci Ferrari (das. 1899), Salvo Cozzo (das. 1904), Modigliani (Rom 1905, diplomatischer Abdruck). Kommentare der Gedichte in fast jeder Ausgabe; hervorzuheben die »Rime sopra argomenti storici, morali e diversi« von Carducci (Livorno 1876). Der »Canzoniere« ist in die meisten europäischen Sprachen übersetzt worden, ins Deutsche unter andern von K. Förster (3. Aufl., Leipz. 1851), Kekule und Biegeleben (Stuttg. 1844) und Krigar (2. Aufl., Hannov. 1866); Sonette und Kanzonen in Auswahl von Bettina Jacobson (Leipz. 1904); einzelne Gedichte von Gries, A. W. Schlegel, Daniel, J. Hübner u.a. Gesamtausgaben der Werke Petrarcas erschienen in Basel 1496, 1554, Venedig 1501, 1503, 1554, 1581 s. Einige bis dahin ungedruckte lateinische Schriften Petrarcas hat A. Hortis u. d. T.: »Scritti inediti di F. P.« (Triest 1874) herausgegeben.
Nicht geringere Verdienste als durch seine eignen lateinischen Schriften erwarb sich P. durch seine Bemühungen um die Wiedererweckung und Kenntnis der alten, namentlich der römischen Literatur, und mit Recht wird er daher als der erste und einer der bedeutendsten unter den Vorläufern der Humanisten des 15. und 16. Jahrh. betrachtet. Seine häufigen Reisen benutzte er stets, Manuskripte zu sammeln oder zu kopieren. So verdankt man ihm unter anderm die Wiederauffindung mehrerer Schriften Ciceros, Quintilians u.a. Über die meisten Vorurteile seiner Zeit war er erhaben; ja selbst in religiösen Dingen urteilte er, obgleich ein strenger und sogar asketischer Katholik, oft überraschend unbefangen.
Die Literatur über P. ist überaus reich. Zur Bibliographie vgl. Marsand, Biblioteca petrarchesca (Mail. 1826); Hortis, Catalogo delle opere di F. P. esistenti nella Petrarchesca Rossettiana (Triest 1874); Ferrazzi, Bibliografia petrarchesca (Bassano 1877); Fiske, Hand-list of P. editions in the Florentine public libraries (Flor. 1886); Suttina, Bibliografia delle opere a stampa intorno a F. P. (Tur. 1904); Calvi, Bibliografia analitica petrarchesca 1877–1904 (Rom 1904). Alle ältern Biographien (31) jetzt bei Solerti, Le vite di Dante, P. e Boccaccio (Mail. 1904); die neuesten sind von L. Geiger (Berl. 1874), G. Körting (Leipz. 1878), A. Bartoli (Bd. 7 der »Storia della letteratura italiana«, Flor. 1884), Penco (Siena 1895), Finzi (Flor. 1900) und A. de Gubernatis (Mail. 1905). Vgl. auch Söderhjelm, P. in der deutschen Dichtung (Helsingfors 1886); Appel, Die Berliner Handschriften der »Rime« Petrarcas (Berl. 1886) und Zur Entwickelung italienischer Dichtungen Petrarcas (Halle 1891); Pakscher, Chronologie der Gedichte Petrarcas (Berl. 1887); Zumbini, Studi sul P. (Flor. 1895); Cesareo, Su le poesie volgari del P. (Rocca S. Casciano 1898) und die von Passerini und Biagi herausgegebene »Biblioteca Petrarchesca« (Flor., seit 1901, 3 Bde.); Prince d'Essling und E. Müntz, Pétrarque, ses études d'art, son influence sur les artistes, etc. (Par. 1901); Borghesi, P. and his influence on English literature (Bologna 1905). Petrarcas Verdienste um die klassischen Studien sind am besten gewürdigt von G. Voigt in dem Werk »Die Wiederbelebung des klassischen Altertums« (3. Aufl., Berl. 1893) und Nolhac, La bibliothèque de Fulvio Orsini (Par. 1887) und Pétrarque et l'humanisme (das. 1892).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.