- Sankt Petersburg [2]
Sankt Petersburg (hierzu der Stadtplan mit Registerblatt und Karte der Umgebung von S.), Residenz und zweite Hauptstadt des russischen Reiches, liegt unter 60° nördl. Br. und 30°20´ östl. L., an der Mündung der Newa, 1–8 m ü. M., in einer ehemals sumpfigen Niederung, die in der Nähe der Stadt zwar trocken gelegt ist, aber auch noch heute in ungünstigster Weise auf das Klima der Hauptstadt einwirkt.
Zu beiden Seiten des prachtvollen Stromes, dessen Ufer im Zentrum der Stadt mit Granit eingefaßt sind, dehnt sich die Stadt aus, deren Umfang bei einem Durchmesser von 12–13 km fast 48 km beträgt, und die ein Areal von 92 (ohne Gewässer 86) qkm bedeckt. Das Zentrum der heutigen Stadt liegt auf dem linken Ufer der Newa, südlich von der Festung, die, von Peter d. Gr. auf einer kleinen Newainsel angelegt, von ihm als der eigentliche Kern der Stadt gedacht war.
[Stadtteile.] In administrativer Hinsicht wird S. in 12 Stadtteile und 4 Vorstädte geteilt. Die St. Petersburger Seite (I) liegt auf einer von der Newa mit ihren Armen, der Kleinen Newa, der Großen und der Kleinen Newka, gebildeten Insel und hat zum Teil noch vorstädtischen Charakter, ist aber auch der Standort vieler Fabriken. Ein schmaler Newaarm trennt von ihr die Apothekerinsel mit dem 12 Hektar großen Botanischen Garten, einer Schöpfung Peters d. Gr. Nach W. hin schneidet ein andrer Flußarm die Insel Petrowskij von der St. Petersburger Seite ab. Ein Teil dieser Insel ist bebaut und hauptsächlich von Fabriken eingenommen, während auf dem andern, der Stadt zugewandten Teile sich der Petrowskij-Park befindet. Die schönsten Inseln sind: Krestowskij, Kamennij-Ostrow und die kaiserliche Insel Jelagin mit einem Palais, das aber von der kaiserlichen Familie nicht bewohnt wird. Westlich von der Festung umspült die Große und Kleine Newa Wassilij-Ostrow (II), den Sitz namentlich der ausländischen Kaufmannschaft, vieler Künstler und Gelehrten. Hier sind die Universität, die Akademie der Wissenschaften, die Akademie der Künste, das historisch philologische Institut, das physikalische Observatorium, das Berginstitut, die Börse u.a. Zwei Brücken verbinden diesen Stadtteil mit dem Innern der Stadt, den vier Zentralstadtteilen (III-VI), die von der Newa und der Fontanka umflossen und von der Moika und dem Katharinenkanal durchschnitten werden. Es sind: der Admiralitätsstadtteil, der Kasansche, Spasskische und Kolomnasche Stadtteil. Diese Stadtteile umschließen der Narwasche Stadtteil (VII) mit ärmlichen Häusern und ärmlicher, zum größten Teil der Arbeiterklasse angehörender Bevölkerung; der Moskausche Stadtteil (VIII); der Liteinij-Stadtteil (IX), der als das aristokratische Viertel der Stadt gelten darf. Nächst diesem Stadtteil zur Newa hin erstreckt sich der Roshdestwenskij-Stadtteil (X), ebenfalls mit armer Bevölkerung, und ein wenig südlicher der Alexandro-Newskij-Stadtteil (XI), der ebenso wie der Narwasche Stadtteil hauptsächlich Fabrikgegend ist. Auf dem rechten Ufer der Newa, auf dem Festland, liegt der Wiborgsche Stadtteil (XII), auch Wiborgsche Seite genannt, auf der die militärmedizinische Akademie gelegen ist, und welche die Vororte Groß- und Klein-Ochta enthält. An diesen Stadtteil schließt sich die Lessnoij-Vorstadt und östlich davon die Vorstadt Poljustrowo, mit der großen staatlichen Pulverfabrik. Auf der linken Seite folgt die Newa aufwärts die Schlüsselburger Vorstadt und die Newa abwärts hinter dem Narwaschen Stadtteil die Peterhofer Vorstadt.
[Straßen, Plätze, Denkmäler, Brücken, öffentliche Gärten.] S. zeichnet sich durch Regelmäßigkeit der Anlage (wenigstens in den Hauptstadtteilen) aus. Von der Admiralität laufen strahlenförmig drei schnurgerade Straßen aus: der Newskij-Prospekt, der Wosnessenskij-Prospekt und zwischen beiden die Gorochowaja (»Erbsenstraße«). Zu beiden Seiten mit schönen Läden besetzt, dehnt sich der Newskij-Prospekt 3 km bis zum Nikolaibahnhof aus und teilt sich dann in zwei schmälere Straßen. Das St. Petersburger öffentliche Leben spielt sich hauptsächlich auf dem Newskij-Prospekt ab. Auch die Pulsader des geschäftlichen Lebens, der Kaufhof (Gostinnoi Dwor), liegt mit einer Front am Newskij-Prospekt. Nächst dem Newskij sind die belebtesten Straßen die Morskaja, die Gogolstraße, die Gorochowaja, die Kasansche Straße. der Liteini-Prospekt; zu den elegantesten gehören die Sergiewskaja, die Fürstadtskaja, vor allem aber der Newakai (der in seinen verschiedenen Teilen der Französische, der Schloß-, der Admiralitäts- und der Englische Kai genannt wird) mit seinen prachtvollen Palästen, unter denen die der Glieder der kaiserlichen Familie besonders hervortreten. Unter den öffentlichen Plätzen ist vor allen der Palaisplatz zwischen dem Winterpalais und dem Generalstabsgebäude zu nennen, das sich dem Palais gegenüber in einem Halbkreis ausdehnt. In der Mitte des Platzes, gegenüber dem 22,5 m breiten Triumphtor in der Fassade des Generalstabsgebäudes, dessen Frontispiz ein sechsspänniger Siegeswagen krönt, erhebt sich die 42 m hohe Alexandersäule. Dieselbe wurde 1834 errichtet und besteht aus einer 25 m hohen Granitsäule von 4 m Durchmesser, deren Sockel, Mantel und Kapitell aus eroberten türkischen Kanonen gegossen sind. Die Spitze dieses großen Monolithen ziert ein das Kreuz haltender Engel. Auf dem Senatplatz steht das 1782 enthüllte Denkmal Peters d. Gr. (von Falconet). Zu Roß sprengt der Kaiser einen 5,5 m hohen Felsen hinan, mit der Rechten auf die Festung und die Newa deutend. Der Felsen trägt in goldenen Lettern die Inschrift: »Petro primo Catharina secunda 1782«. Durch den monumentalen Bau der Isaakskathedrale und den Isaakssquare von diesem großartigen Monument getrennt, erhebt sich vor dem Marienpalais (jetzt Reichsratsgebäude) die 1859 errichtete Reiterstatue des Kaisers Nikolaus I. (von Klodt). Das 1874 enthüllte, nach einer Zeichnung Mikeschins gearbeitete Denkmal Katharinas II. schmückt den zwischen der öffentlichen Bibliothek und dem Anitschkowpalais liegenden Square, dessen Hintergrund das Alexandratheater abschließt. Von andern Denkmälern der Residenz sind nennenswert: die Standbilder Kutusows und Barclay de Tollys vor der Kasanschen Kathedrale, Suworows in antikem Stil am Marsfeld (Zarizyn Lug), das 40,000 Mann manövrierender Truppen Raum bietet, eine zweite Reiterstatue Peters d. Gr. vor dem Ingenieurpalais, das Denkmal des Grafen Rumjanzow in Rumjanzowsquare, das 1886 enthüllte Puschkindenkmal in der Puschkin skaja-Straße, das Glinkadenkmal vor dem Konservatorium (seit 1906) u. das Krylowdenkmal im Sommergarten, die Siegessäule auf dem Ismajlowskij-Prospekt (seit 1886), das Standbild des Prinzen Peter von Oldenburg (vor dem Marienhospital), das originelle Prschewalskijdenkmal sowie die Denkmäler von Lermontow, Gogol und Shukowski im Alexandergarten, endlich die Narwaer und die Moskauer Triumphpforte, zum Andenken an die Siege der russischen Truppen 1812–15, bez. 1826–31 erbaut. Unter den 120 Brücken, die S. hat, verdienen Erwähnung die 1897–1903 von französischen Ingenieuren erbaute mächtige Troizkibrücke (631 m lang), die zur St. Petersburger Seite führt, die Nikolaibrücke (300 m), die Wassilij-Ostrow mit dem Zentrum verbindet, und die Alexanderbrücke (463 m), die als Fortsetzung des Liteini-Prospekts zur Wiborger Seite führt. Die drei Brücken sind aus Stein und Eisen mit ausfahrbaren Teilen zum Durchlaß größerer Schiffe. Ebenfalls nach Wassilij-Ostrow führt die hölzerne Schloßbrücke (295 m), eine Schiffbrücke, und von dort auf die St. Petersburger Seite die Tutschkow- und die Mytnibrücke. Ferner ist bemerkenswert die Anitschkowbrücke (über die Fontanka) mit den herrlichen vier bronzenen Pferden (von Klodt). Von den öffentlichen Gärten, deren es im ganzen 63 mit einem Areal von ca. 2 qkm gibt, verdienen Erwähnung: der Alexandergarten, der in einem breiten Streifen das alte Admiralitätsgebäude umgibt, der Sommergarten am Marsfeld, mit dem Sommerpalais Peters d. Gr., der Michaelsgarten, der Taurische, der Alexanderpark auf der St. Petersburger Seite, der Park in Katharinenhof im äußersten Westen der Stadt u.a.
[Kirchliche Bauwerke.] An griechisch-orthodoxen Kirchen hat S. 247 (außerdem 2 Klöster) und 45 Kapellen, ferner 6 Kirchen der Altgläubigen, eine armenische, 4 katholische, 19 lutherische und reformierte, 2 anglikanische, eine Synagoge und 5 jüdische Bethäuser, 3 mohammedanische Bethäuser. Bemerkenswert darunter sind: die Isaakskathedrale, vom Architekten Montferrand 1858 vollendet, besteht ganz aus Marmor und Granit. Den Portikus bilden 48 polierte dorische Säulen aus finnischem Granit, die eine Höhe von 17 m haben. Den größten Schmuck des Innern bilden 8 Malachitsäulen und 2 Malachitpilaster von etwa 14 m Höhe an der Scheidewand des Allerheiligsten (Ikonostas) wie zwei Säulen aus Lapislazuli (5 m) und die herrlichen großen Mosaikbilder zwischen diesen Säulen. Das Allerheiligste enthält ein Modell der ganzen Kathedrale in Gold, dessen Wert auf 1/2-Mill. Rubel angegeben wird. Die höchste Galerie über der goldenen Kuppel ist auch der höchste Punkt der Residenz und gewährt eine weite Rundschau. Die Kasansche Kathedrale, eine unvollkommene Nachbildung der Peterskirche in Rom, wurde unter Kaiser Alexander I. 1802–11 von Woronich in erbaut. In dieser Kirche, in welcher der Feldmarschall Kutusow beigesetzt ist, werden viele persische, türkische, polnische und auch einige französische Fahnen, der Marschallstab Davouts, 28 Schlüsselpaare von eroberten Festungen u.a. aufbewahrt. Die Peter-Paulskathedrale in der Festung auf der St. Petersburger Seite mit 128 m hohem danebenstehenden Glockenturm dient seit Peter d. Gr. der russischen Herrscherfamilie als Begräbnisstätte. Sie wurde 1712 bis 1733 in Stein ausgeführt. Unter den lutherischen Kirchen ist die Petrikirche am Newskij-Prospekt mit herrlicher Orgel die schönste und reichste. Ihre gegenwärtige Fassade erhielt sie 1838. Noch zu erwähnen ist das Alexander Newskij-Kloster (s. d.) mit berühmter Bibliothek. Für den Fremden ist sowohl in den Kirchen als in den Klöstern der gottesdienstliche Chorgesang von hohem Interesse. Weiter hinauf an der Newa liegt das Smolnakloster, jetzt eine Erziehungsanstalt für über 800 adlige Jungfrauen.
[Profanbauten] Unter den Palästen der Residenz nimmt das Winterpalais (Simnij-Dworez) die erste Stelle ein. Es wurde unter der Kaiserin Elisabeth nach den Plänen des Grafen Rastrelli von 1754–62 erbaut und nach dem Brande von 1837 in der alten Form wieder aufgebaut. Das kolossale Gebäude nimmt einen Flächenraum von ca. 8000 qm ein und wendet seine 137 m messenden Langseiten dem Generalstabsgebäude und der Newa zu, während die eine Breitseite von 106,5 m der Admiralität zugekehrt ist; es enthält eine Reihe schöner Säle, die durch ihre Ausschmückung und die darin enthaltenen Kunstwerke sehenswert sind, so den Alexandersaal mit Gemälden berühmter russischer Schlachten, den Pompejanischen Saal, der dem Orientkrieg 1877–78 gewidmet ist, den St. Georgssaal, in dem jährlich 26. Nov. (a. St.) die Georgsritter bewirtet werden, den Wappensaal mit den Wappen aller Gouvernements und den Feldmarschallsaal mit den Porträten der großen russischen Heerführer. In einem nicht großen Raum des obern Stockes werden die Kronjuwelen aufbewahrt, darunter das Zepter, das an der Spitze den größten Diamanten Rußlands trägt (den sogen. Orlow, 1943/4 Karat schwer). Das Winterpalais dient gegenwärtig (1905) nur zu Hoffestlichkeiten und als Absteigequartier hoher ausländischer Fürstlichkeiten. Bedeckte Galerien verbinden das Winterpalais mit der von Katharina mit großer Pracht erbauten Eremitage (mit den berühmten Kunstsammlungen). Das neue Prachtgebäude, das sich an die Eremitage der Kaiserin Katharina lehnt, wurde unter Nikolaus I. in den Jahren 1840–52 von Klenze ausgeführt. Die Gemäldegalerie der Eremitage nimmt unter den europäischen Galerien eine hervorragende Stellung ein, ihr Schwerpunkt liegt in den niederländischen und deutschen Schulen des 17. und 18. Jahrh. Von nur wenigen Galerien wird die Zahl der in der Eremitage vorhandenen Gemälde von Berghem, van Dyck (34), Wouwerman (53), Don, Potter, Rembrandt (42), Rubens (52), Teniers (40), Ruisdael (14) u.a. übertroffen. Die sonstigen Reichtümer der Eremitage bestehen in einer Sammlung von Skulpturen (darunter die sogen. Venus der Eremitage), einer großen Kollektion ägyptischer und assyrischer Altertümer, besonders aber in den griechischen Altertümern von Kertsch (aus dem 3. und 4. Jahrh. v. Chr.), einer Kupferstichsammlung (200,000 Blätter), einer Sammlung antiker Vasen, einer Münzsammlung und Sammlung geschnittener Steine, Gemmen und Kameen. Zur Eremitage gehört auch die neuerdings aus Zarskoje Selo übergeführte reichhaltige historische Waffensammlung. Am Palaiskai nach dem Sommergarten und dem Marsfeld hin steht das von Professor Resanow erbaute Palais des Großfürsten Wladimir in florentinischem Geschmack, ferner das aus Marmor, Granit und Bronze gebaute düstere Marmorpalais, das dem Großfürsten Konstantin gehörte. Südlich vom Marsfeld, die Hauptfront zum Sommergarten gekehrt, steht das ehemalige Palais des Kaisers Paul, jetzt Ingenieurpalais genannt, da sich die Ingenieurschule darin befindet. In der Nähe davon liegt, von einem schönen Garten umgeben, das 1309–25 vom Architekten Rossi erbaute Michaelspalais, in dem sich seit 1897 das Museum Alexanders III. befindet, das eine wertvolle Sammlung ausschließlich russischer Gemälde sowie eine ethnographische und eine kunstgewerbliche Abteilung enthält. Dem Nikolaidenkmal gleichsam als Hintergrund dient das Marienpalais an der Blauen Brücke, in einfachem Stil von Stakenschneider erbaut, jetzt der Sitz hoher Behörden. In dem Palais des verstorbenen Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch zwischen der Galernaja (»Galeerenstraße«) und dem Boulevard der Garde zu Pferde, das übrigens nur durch seine großen Dimensionen auffällt, befindet sich seit 1895 das Xenia-Fräuleininstitut. Das Anitschkowpalais, an der gleichnamigen Brücke am Newskij-Prospekt, das der Kaiser Alexander III. bewohnte, ist vom Grafen Rastrelli 1798 erbaut; die einfache, nicht unschöne Fassade ist dem Hof zugekehrt. Es enthält eine Anzahl schöner Gemälde und eine reichhaltige Waffensammlung. Ein gänzlich aus dem Zentrum gerückter Palast ist das Taurische Palais, das Katharina II. 1784 für Potemkin erbauen ließ, in dem das russische Parlament, die Reichsduma, tagt. Originell ist das 1889 im Barockstil erbaute Palais des Großfürsten Alexej, an der Mündung der Moika in die Newa. Beachtung verdienende Privatpaläste sind: das Palais Bjeloselskij-Bjeloserskij an der Anitschkowbrücke, früher Eigentum des Großfürsten Sergei; das Palais Stroganow an der Polizeibrücke, von Rastrelli; das ehemalige Stieglitzsche Palais am Englischen Kai, das jetzt dem Großfürsten Paul gehört, das Jussupow-Palais an der Moika u.a.
Die vielen, zum großen Teil ausgedehnten öffentlichen Gebäude zeichnen sich mit wenigen Ausnahmen nur durch den Kasernenstil aus. Zur Seite des Winterpalais, von ihm durch einen nicht großen Garten getrennt, dehnt sich das riesige »alte« Admiralitätsgebäude aus, welches das Marineministerium, eine Bibliothek von 50,000 Bänden und das Marinemuseum enthält. Durch den Hof der Admiralität geht der Meridian von S. Rechts von dieser, die Hauptfassaden zum Alexandergarten gewandt, erheben sich zwei große, in gleichem Stil ausgeführte Gebäude, die durch ein hohes Tor verbunden sind, das in die Galeerenstraße führt. Es sind dies die Gebäude des heiligen Synods und des Senats. Mehr durch seine Größe als durch sein stilvolles Äußere fällt das Generalstabsgebäude in die Augen. Ferner verdienen bemerkt zu werden: das Kriegsministerium, das Landwirtschaftsministerium, der kaiserliche Marstall, das Postgebäude, das Bezirksgerichtsgebäude, die Börse, die Akademie der Künste, das Gebäude der Gesellschaft für Förderung der graphischen Künste und das Kunstgewerbemuseum bei der Stieglitzschen Zentralzeichenschule, ein edler Renaissancebau (von Professor Meßmacher).
[Bevölkerung, Industrie und Handel] Städtische Zählungen haben 1869, 1881, 1890 und 1900 stattgefunden und folgende Einwohnerzählen ergeben: 667,963,861,303,954,400,1,248,122. Die vier Vorstädte hatten 1881: 66,713,1390: 79,209,1900: 191,491 Einw. Von der Bevölkerung der Stadt S. (ohne Vorstädte) waren 1900: 680,144 Männer und 567,978 Frauen. Dem Bekenn in is nach gab es 85 Proz. Griechisch-Orthodoxe, 9 Proz. Protestanten, 3,8 Proz. Katholiken, 1,6 Proz. Juden und 0,4 Proz. Mohammedaner. Ethnographisch setzte sich die Bevölkerung zusammen aus 1,092,550 (87,6 Proz.) Russen, 43,866 (3,5 Proz.) Deutschen, 38,314 (3,1 Proz.) Polen, 15,638 (1,3 Proz.) Finnen, 11,668 (0,9 Proz.) Juden. Ausländer waren 22,336 vorhanden, davon 11,282 Deutsche, 2424 Franzosen, 2094 Engländer. Ferner waren 387,052 Personen oder nur 31 Proz. in S. geboren, 69 Proz. zugezogen. Von sämtlichen über 6 Jahre alten Männern waren 20,3 Proz., von den über 6 Jahre alten Frauen 40,7 Proz. Analphabeten. Die Bewegung der Bevölkerung wird durch folgende, für 1903 geltende Zahlen charakterisiert: Eheschließungen 7919, Geburten 39,159 (davon 8586 unehelich), Todesfälle 31,789. Nach der Berufszählung von 1900 waren 62,6 Proz. der Einwohner in Handel und Gewerbe tätig, 5 Proz. Rentiers und Pensionäre, auf Verwaltung, Justiz und Polizei entfielen 5,3 Proz., auf Militär 4,3 Proz., auf freie Berufe 5,3 Proz., auf persönliche Dienstleistungen 12,8 Proz., auf sonstige Berufe 4,7 Proz.
In wirtschaftlicher Hinsicht liegt die Bedeutung von S. vor allem darin, daß es der erste Bank- und Finanzplatz des Landes ist. Abgesehen von den staatlichen Geldinstituten, wie Staatsbank, Adels- und Bauernagrarbank, hat es acht große Aktien- und Handelsbanken, drei gegenseitige Kreditgesellschaften, eine städtische Hypothekenbank und mehrere ansehnliche private Bankgeschäfte. Die Fondsbörse ist die einzige von Bedeutung in Rußland; daneben gibt es eine Waren- und eine besondere (die Kalaschnikowsche) Getreidebörse. Die russischen Versicherungsgesellschaften haben fast sämtlich ihren Sitz in S., ebenso die großen Transport- und Speditionsunternehmungen. über die Zahl der Fabriken und Arbeiter existieren nur veraltete Angaben. 1894 zählte man 503 Fabriken mit 75,775 Arbeitern und 173 Mill. Rubel Produktionswert. Darin fehlen aber die großen staatlichen Fabriken, wie neue Admiralität und Baltische Werft, Obuchow-Stahlgießerei, Newski mechanische Fabrik, Staatsdruckerei u.a. Gegenwärtig schätzt man die Zahl der industriellen Arbeiter auf nahezu 200,000. Die wichtigsten Industriezweige sind die Baumwollindustrie (1899: 19 Fabriken mit 72 Mill. Rubel Produktionswert) und die Maschinen- und Metallindustrie; ferner gibt es Tuchfabriken, Brauereien, Tabak- und Zuckerfabriken, drei elektrische Zentralstationen, vier Gas- und Wasserleitunusgesellschaften. An Handwerks- und Kleingewerbebetrieben zählte man 1900: 31,094 mit 42,763 Arbeitern. Die Zahl der Handelsgeschäfte betrug 12,006 mit einem Jahresumsatz von 1787 Mill. Rubel. Im Außenhandel ist S. weitaus der erste Einfuhrplatz des Reiches, während es in der Ausfuhr von Odessa, Riga und andern Städten übertroffen wird. Außerdem ist es der Hauptplatz für den Handel mit Finnland. Der Wert der Einfuhr betrug in Millionen Rubel: 1901: 92,8,1902: 97,1903: 111,1, derjenige der Ausfuhr: 1901: 65,2,1902: 52,7,1903: 47,7; dazu kommt aber die Ausfuhr nach Finnland, die 1901: 30,3,1902: 25,4,1903: 30,9 Mill. Rubel wertete. Zur Ausfuhr kommen: Hafer, Roggen, Roggen- und Weizenmehl (insbes. noch Finnland), Leinsaat, Ölkuchen, Flachs, Holz, Butter; in der Einfuhr sind fast alle Güter vertreten, hauptsächlich aber Rohbaumwolle, Steinkohlen, Heringe, Metalle, Chemikalien, Farbwaren, Maschinen Durch den 1885 eröffneten Seekanal, der sich vom südlichen Kronstädter Fahrwasser in gerader Richtung, 301 km lang und 6,7 m tief, zum Westende der Stadt hinzieht und gegenwärtig (1905) auf 8 m vertieft wird, ist der Hafen von Kronstadt, wo früher die größern Schiffe liegen blieben, mit dem von S. vereinigt. 1903 liefen in Kronstadt-S. 5663 Schiffe mit 1,658,667 Reg.-Ton. ein, davon 3901 im Kabotageverkehr und 1762 mit 1,348,133 Reg.-T. aus dem Auslande. Von diesen trugen fremde Flaggen 1567 mit 1,254,170 Reg.-T. Den größten Anteil hatte die deutsche Flagge mit 410 Schiffen; auf die britische entfielen 370, die dänische 311, die schwedische 227, die norwegische 177. Regelmäßige Passagierdampferlinien bestehen nach Finnland und Schweden, den baltischen Häfen, nach Stettin und Lübeck, außerdem newaaufwärts nach den Orten am Ladoga- und Onegasee. Auf den Newaarmen unterhält eine finnländische Dampfschiffahrtsgesellschaft zahlreiche Linien. Von S. gehen sechs Eisenbahnlinien aus: die Nordbahn (nach Wologda, bez. Wjatka), die Nikolaibahn (nach Moskau), die Linie nach Witebsk, (über Zarskoje Selo) die Warschauer, die baltische und die finnländische Bahn. In der Stadt selbst konzentriert sich der Handel in den Kaufhöfen (Gostinnoi-, Apraxin-, Schtschukin-Dwor), im Andrejewskij-Rynok, auf Wassilij Dstrow, im Sytnij-Rynok, auf der St. Petersburger Seite, im Kruglyj-Rynok (»runder Markt«) an der Moika, im Alexandrowskij-Rynok, im Nikolskij-Rynok und in dem Hauptviktualienmarkt, der Sennaja (»Heumarkt«). Die Sadowa ja, an der die Kaufhöfe und die drei letztgenannten Märkte liegen, ist nächst dem Newskij-Prospekt die Hauptpulsader des geschäftlichen Verkehrs und des Handels des gemeinen Volkes. Die Länge der städtischen Pferdebahnen beträgt 1341. m.
[Bildungsanstalten, Kunstsammlungen.] Unter den reich ausgestatteten Anstalten für Wissenschaft und Kunst steht die von Katharina II. gegründete kaiserliche öffentliche Bibliothek obenan. Sie zählt gegenwärtig gegen 1,500,000 Bände, ca. 50,000 Manuskripte und etwa 100,000 Karten, Zeichnungen etc. Zu den Raritäten derselben gehören: der mit dem Blute Osmans bespritzte Koran aus dem 9. Jahrh., der Codex Sinaiticus (4. Jahrh.), das Ostromir-Evangelium (1056, älteste russische Handschrift), Briefe Katharinas von Medici, Heinrichs IV., Ludwigs XIV., Maria Stuarts etc. Der sogen. Korffsche Saal enthält sämtliche in nicht russischer Sprache erschienenen Werke über Rußland. Die Akademie der Wissenschaften, 1725 gegründet, verfügt über zahlreiche höchst wertvolle Sammlungen, von denen die Bibliothek, über 300,000 Bände stark, das asiatische Museum, das ethnographische und das zoologische Museum die bedeutendsten sind. Die Gemäldegalerie der Akademie der Künste (1764) enthält viele interessante Gemälde älterer russischer Maler sowie ein Museum der antiken Skulptur und der Skulptur der Renaissance. An der breiten Granittreppe, die vor der Akademie zur Newa hinabführt, sind die beiden kolossalen Sphinxe aufgestellt, die 1832 aus dem altägyptischen Theben nach S. gebracht wurden. Die 1819 gestiftete Universität, die in 4 Fakultäten (darunter an Stelle der medizinischen eine der orientalischen Sprachen) 80 Professoren, 103 Privatdozenten und Lektoren und (1904) 3836 Studierende zählt, ist in dem ursprünglich für die zwölf Reichskollegien bestimmten Gebäude untergebracht; ihre Bibliothek enthält 237,151 Bände. Die militär-medizinische Akademie hatte 1902: 31 Professoren und 786 Studierende. Von andern höhern Lehranstalten sind zu nennen: eine griechisch-orthodoxe und eine römisch-katholische geistliche Akademie, ein historisch-philologisches und ein archäologisches Institut, 7 technische Institute (das Berginstitut, das Institut für Architekten, für Ingenieure der Wegeverbindungen, das technologische, das Forst- und das elektrotechnische Institut) und ein Polytechnikum, ein Lyzeum (für künftige Verwaltungsbeamte) und eine Rechtsschule, ein Musikkonservatorium; an Mittelschulen hat S. 66 (darunter 10 sogen. klassische) staatliche Gymnasien, 4 private, 4 deutsche Kirchenschulen, 3 staatliche und 9 private Realschulen, 2 Kommerzschulen und zahlreiche Handelsschulen, 2 Lehrerinstitute, eine Theater- und eine Musikschule und 4 Zeichenschulen. An militärischen Bildungsanstalten besitzt S. eine Generalstabsakademie, je eine Akademie für Artillerie, Ingenieure und die Marine und eine militär-juristische, ferner 12 Kriegsschulen und das kaiserliche Pagenkorps. Für die weibliche Jugend sind an höhern Lehranstalten das weibliche medizinische Institut und die sogen. höhern Frauenkurse vorhanden. An Mittelschulen für Mädchen zählt man 25 Gymnasien (darunter 15 private), 10 Institute und viele Fachschulen. Endlich hat S. 525 Elementarschulen, von denen (1903) 330 mit 26,269 Schülern von der Stadtverwaltung mustergültig unterhalten werden.
Vergnügungslokale besitzt S. weniger als andre Hauptstädte Europas. Bei einer Einwohnerzahl von 11/4 Mill. hat S. nur fünf Theater, darunter drei kaiserliche. Im Marientheater wird die russische Oper neb st Ballett gepflegt. Im Alexandratheater finden russische, im Michaeltheater russische und französische Vorstellungen statt. Das »kleine«, das »Panajewsche« Theater sowie etwa zehn andre Bühnen werden von Privatunternehmern unterhalten, desgleichen der Zirkus Ciniselli. Außerdem ist das Theater im Volkshaus Kaiser Nikolaus' II. zu erwähnen, das vorzugsweise für die ärmern Volksschichten berechnet ist, ebenso wie das Volkstheater auf Wassilij-Ostrow. Die musikalischen Aufführungen finden im Saale der Adelsversammlung oder im kleinern Saale der städtischen Kreditgesellschaft statt, kleinere Konzerte im Saale des Konservatoriums und in verschiedenen privaten Lokalen. Mit Beginn der Sommersaison, welche die Petersburger auf die Inseln der Umgebung (s. beifolgende Karte), nach Peterhof, das durch seine Wasserkünste berühmt ist, nach Pawlowsk mit seinem vorzüglichen Konzertlokal, nach Zarskoje Selo, Strelna, Gatschina lockt, entwickeln einige Sommeretablissements (Aquarium, Zoologischer, Krestowski-Garten etc.) die größten Anstrengungen, sich das Publikum durch ein reichhaltiges Programm zu gewinnen.
[Wohltätigkeitsanstalten, Behörden.] S. hatte 1899: 635 Wohltätigkeitsanstalten, deren Fonds 158 Mill. Rubel betrugen. In erster Linie muß das 1770 von Katharina II. gegründete und großartig eingerichtete Findelhaus, das 32,267 Zöglinge beherbergte, erwähnt werden. Außerdem gab es 90 Asyle für Gebrechliche, 142 Asyle für Kinder, 35 Speiseanstalten, 6 Nachtasyle, 16 Arbeitshäuser, 23 Kleinkinderbewahranstalten (Krippen), 34 Häuser mit billigen Wohnungen. Die Zahl der Wohltätigkeitsvereine belief sich auf 334. Von den 50 Hospitälern der Residenz werden 9 vom Kriegs- und Marineministerium, 11 vom Stadtamt unterhalten. Das größte ist das Obuchowsche Stadtkrankenhaus, unter Katharina II. 1784 angelegt. Andre große Hospitäler sind. das Maria Magdalenen-Hospital, das Peter Pauls Hospital, das Kalinkin-Hospital, das Alexander-Krankenhaus, das Botkinsche, das Irrenhaus auf der siebenten Werft des Weges nach Peterhof. In den städtischen Hospitälern betrug die Zahl der stationären Kranken 1899: 75,621, die Zahl der Betten 7085. Das Budget der Residenz für 1903 wies an Einnahmen 24,6, an Ausgaben 24,2 Mill. Rubel auf. Die hauptsächlichsten Ausgaben waren: Betrieb der städtischen Unternehmungen 5,5 Mill., Wohlfahrtseinrichtungen 4,3 Mill., Medizinalwesen 3,4 Mill., öffentlicher Unterricht 1,7 Mill. Die wichtigsten Einnahmequellen sind die städtischen Unternehmungen (Ertrag 9,8 Mill.), die Zuschläge zur Gewerbesteuer und Immobiliensteuer. Die städtischen Schulden betrugen 55,2 Mill. Rubel, das Vermögen (hauptsächlich Liegenschaften) 137,5 Mill. Rubel. S. ist Sitz eines deutschen Berufskonsuls.
[Geschichte.] Peter d. Gr. gründete 1703 an der Mündung der Newa auf noch nicht von den Schweden abgetretenem Boden eine neue Residenz, die er sofort befestigte. Gegen 80,000 Arbeiter bauten in wenigen Monaten die nötigen Regierungsgebäude. Bald erhoben sich auch Privathäuser auf dem noch sumpfigen Boden der Basiliusinsel (Wassilij-Ostrow) und der Admiralitätsseite. Deutsche und holländische Schiffbauer und Handwerker wurden ins Land gezogen, und kaum 50 Jahre nach ihrer Gründung zählte die Hauptstadt bereits 80,000 Einw. Vergeblich bemühte sich die Geistlichkeit, den Hof zur Rückkehr nach Moskau zu bewegen; unter der Kaiserin Anna ließ sie sogar S. zweimal in Brand stecken. Die folgenden Herrscher verschönerten die Stadt stetig. Zu Ende des 18. Jahrh. hatte sie über 200,000 Einw., deren Zahl sich unter Alexander I., dem S. die Austrocknung der Sümpfe um die Stadt verdankt, verdoppelte. Unter Nikolaus I. wurde S. mit Moskau und mit dem Innern durch eine Eisenbahn verbunden.
Vgl. neben dem »Statistischen Jahrbuch« der St. Petersburger Stadtverwaltung insbes. die einleitenden Aufsätze in A. Suworins Adreßbuch »Ganz S.«, besonders die Jahrgänge 1901–05 (russ.); Reimers, S. am Ende seines ersten Jahrhunderts (Petersb. 1805, 2 Bde.); Hafferberg, S. in seiner Vergangenheit und Gegenwart (das. 1866); M. Pyljajew, Das alte S. (das. 1887, russ.); H. Dalton, Ein Tag in S. im Jahr 1770 (das. 1870) und St. Petersburger Federzeichnungen (Berl. 1903); Bädeker, S. und Umgebungen, Reisehandbuch (Leipz. 1901); Zabel, Sankt Petersburg (Bd. 32 der »Berühmten Kunststätten«, das. 1905); »St. Pétersbourg. Plan-guide dressé par le conseil municipal de St-Pétersbourg en 1897«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.