Michelangelo

Michelangelo

Michelangelo (spr. mikel-ándschelo, eigentlich M. Buonarroti), ital. Bildhauer, Maler und Architekt, geb. 6. März 1475 im toskanischen Städtchen Caprese, wo sein Vater Richter von Chiusi und Caprese war, gest. 18. Febr. 1564 in Rom, wurde 1476, als die Eltern nach Florenz zurückkehrten, in Settignano bei Florenz bei einer Amme, der Frau eines Steinmetzen, zurückgelassen, woher seine spätere Scherzrede, er habe die Liebe zur Bildhauerkunst mit der Milch eingesogen. Er kam noch als Kind nach Florenz. Nur ungern gab der Vater dem übermächtigen Drang des Sohnes zur Kunst nach. Am 1. April 1488 trat er in die Werkstatt Domenico Ghirlandajos, studierte daneben aber im Garten der Medici bei San Marco, wo sich zahlreiche antike Skulpturen unter der Aussicht des Bildhauers Bertoldo, eines Schülers von Donatello, befanden, der M. wahrscheinlich auch den ersten Unterricht in der Bildhauerkunst erteilt hat. Dadurch trat M. auch in ein näheres Verhältnis zum Haus der Medici, das den heilsamsten Einfluß auf die Vielseitigkeit seiner Bildung übte. Er genoß den Umgang der vielen um den geistreichen Fürsten versammelten Gelehrten, namentlich Polizianos und Pico della Mirandolas. Bei aller Vorliebe für die Plastik gab er jedoch die Malerei nicht auf. Die Reliefs eines Kentaurenkampfes und einer Madonna vor einer Treppe (Florenz, Casa Buonarroti) sind seine ersten uns bekannten plastischen Arbeiten. 1494, kurz vor der Vertreibung Pietros de' Medici aus Florenz, verließ auch M. aus Furcht vor dem drohenden Sturm seine Vaterstadt. Er ließ sich in Bologna nieder, wo er unter anderm einen kandelabertragenden, knieenden Engel und die Statuette des heil. Petronius von Marmor (in San Domenico) anfertigte. 1495 kehrte er wieder nach Florenz zurück, wo er einen schlafenden Kupido und eine Marmorstatue des jugendlichen Johannes des Täufers, den sogen. Giovannino, mit dem ein jetzt im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin befindliches Bildwerk von einigen Forschern identifiziert wird, schuf, begab sich aber schon nach einem Jahre nach Rom. Den schlafenden Kupido hatte er eine Zeitlang in der Erde vergraben, um ihm ein antikes Ansehen zu geben. Später wurde er wirklich durch einen Unterhändler als Antike an den Kardinal Raphael Riario verkauft, der nach der Entdeckung der Mystifikation das Bildwerk zurückgab. K. Lange (»Der schlafende Amor des M.«, Leipz. 1898) glaubt, es in einem antiken Bildwerk des Museums in Turin wiederaufgefunden zu haben. In Rom schuf M. unter anderm die Marmorstatue eines trunkenen Bacchus, der sich auf einen Satyr stützt (Florenz, Nationalmuseum; s. Tafel »Die Gestalt des Menschen III«, Fig. 5), und eine Madonna mit dem toten Christus (Pieta) in der Peterskirche, seine edelste, an tiefer und doch maßvoller Empfindung reichste Schöpfung (s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 13). Um 1500 nach Florenz zurückgekehrt, schuf er hier zunächst eine kleine Madonnen statue (jetzt in der Kirche Notre-Dame in Brügge) und meißelte dann 1501–03 aus einem seit langen Jahren in Florenz liegenden Marmorblock das kolossale Standbild des David, das (jetzt in der Akademie zu Florenz) bei den Zeitgenossen zuerst Michelangelos Ruhm begründete (s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 9). Bald darauf beschloß die florentinische Regierung, ihren Versammlungssaal durch Gemälde einiger in den Feldzügen gegen Pisa erfochtener Siege zu schmücken. Leonardo erhielt den Auftrag, die eine große Wand zu malen, und wählte die Darstellung eines Reitergefechts. M. bekam den Auftrag für die zweite Wand und stellte den Augenblick dar, in dem ein Hause florentinischer Soldaten, die eben im Arno baden, unerwartet den Ausruf zum Kampfe vernimmt. Beide Darstellungen machten Epoche im Florentiner Kunstleben, aber den Hauptruhm trug M. davon, dessen tiefes Studium des Nackten sich hier glänzend offenbarte. Beide Künstler kamen jedoch über die Kartons nicht hinaus. Michelangelos Karton diente viele Jahre hindurch den jungen Künstlern als Quelle des Studiums, wurde dann aber später zerstückelt und ist zugrunde gegangen. Teile seiner Komposition haben sich in Stichen von Marcanton (die Kletterer) und A. Veneziano erhalten. Einen neuen Wirkungskreis fand M. bei der Thronbesteigung des Papstes Julius II. Dieser lud M. 1505 nach Rom ein und trug ihm den Entwurf zu einem Grabmal für sich auf. Nach mehreren Monaten trat der Künstler mit einem Entwurf hervor, der an Schönheit und Großartigkeit selbst die bis dahin bekannten Denkmäler des Altertums übertraf. Das Werk sollte mit einer großen Menge Statuen und Reliefs geschmückt werden. Es geriet jedoch bald durch verschiedene Umstände ins Stocken; nochmals neu aufgenommen und auf geringere Maße reduziert, wurde es wieder unterbrochen, bis es endlich in abermals sehr verringertem Umfang 1545, lange nach des Papstes Tode, in der Kirche San Pietro in Vincoli zu Rom aufgestellt ward. Die Statue des Moses (s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 3) ist der vorzüglichste Schmuck dieses Monuments, an dem noch die beiden Statuen von Rahel und Lea von M. sind, während das übrige von Raffael da Montelupo und Maso del Bosco ausgeführt ist. In der Zwischenzeit (1508) errichtete M. in Bologna gegenüber der Kirche des heil. Petronius ein ehernes kolossales, später vernichtetes Standbild des Papstes. In demselben Jahre nach Rom zurückgekehrt, malte er im Auftrag des Papstes die Deckenbilder der Sixtinischen Kapelle (1508–12). Als Leo X. den päpstlichen Thron bestieg, war sein erstes Unternehmen die Ausführung der Fassade der St. Lorenzkirche in Florenz. M. erhielt 1516 den Auftrag, nach Florenz zu gehen, um nach einem ihm gegebenen Modell die Aussicht über den Bau zu führen. Mit Unlust ging er an die Arbeit, und unter ungünstigen Umständen rückte das Werk nicht weiter. Überhaupt fällt in die Regierung dieses Papstes die untätigste Periode im Leben Michelangelos. Nach Leos Tode ging er wieder an sein Lieblingswerk, das Grabmal Julius' 11., das ihn während des Pontifikats Hadrians VI. fast ausschließlich beschäftigte. Clemens VII. verwendete den Künstler auch bei dem Bau der Biblioteca Laurentiana, in der er die Vorhalle ausführte, und der Sakristei von San Lorenzo in Florenz, die dann Begräbniskapelle des Lorenzo und Giulio de' Medici wurde. Um diese Zeit (1521) entstand die Statue des auferstandenen Heilands in Santa Maria sopra Minerva zu Rom. Während der nun folgenden Unruhen war M. Generalkommissar der Befestigungen der Stadt Florenz, fuhr aber fort, während er Florenz gegen die Mediceer verteidigte, an ihrem Mausoleum in San Lorenzo zu arbeiten. Aus dieser Zeit stammt das Bild der Leda, das nach Frankreich gekommen und unter Ludwig XIII. verbrannt, nach andern Nachrichten nach England gekommen sein soll, wo sich jetzt in der Nationalgalerie zu London ein in Tempera gemaltes Bild der Leda befindet, das für das Original gilt. Eine alte Kopie besitzt die Dresdener Galerie.

Bei der Rückkehr der Mediceer verließ M. Florenz, fand beim Herzog d'Este in Ferrara ehrenvolle Aufnahme und ging dann nach Venedig, erhielt jedoch bald von Clemens VII. unter Zusicherung der Verzeihung den Befehl, das Grabmal der Mediceer zu vollenden. Es enthält die Statuen des Giuliano und Lorenzo de' Medici, von denen besonders die des Lorenzo, von den Italienern »der Gedanke« (il pensiero) genannt, als Meisterwerk ersten Ranges zu betrachten ist, und mit allegorischen Gestalten des Tages, der Nacht, der Morgen- und Abenddämmerung geschmückte Sarkophage (s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 8). 1534 begann M. im Auftrag des Papstes Clemens VII. das 19 m hohe Gemälde an der Hauptwand der Sixtinischen Kapelle, welches das Jüngste Gericht darstellt, aber erst unter Paul III. 1541 zur Vollendung kam. Unter Paul III. entstanden noch zwei geringere Fresken Michelangelos: die Bekehrung des Apostels Paulus und die Kreuzigung des Petrus, beide in der Capella Paolina im Vatikan. Da die Freskomalerei dem greifen Künstler jetzt zu beschwerlich wurde, so griff er wieder zum Meißel. Er begann eine Marmorgruppe: der tote Christus in den Armen des Nikodemus von zwei Frauen gestützt, die unvollendet blieb (im Dom zu Florenz). Sie war sein letztes Marmorwerk. Auch leitete er den Bau der Festungswerke von Rom (des Teils von il Borgo). Seitdem nahm ihn die Baukunst fast ausschließlich in Anspruch. Paul III. übertrug ihm nämlich 1546 nach Sangallos Tod auch die Leitung des Baues der Peterskirche. M. verwarf das Modell von Sangallo und führte trotz mannigfacher Hindernisse, die ihm entgegentraten, den Bau nach seinem Plan so weit, daß unmittelbar nach seinem Tode die grandiose Kuppel vollendet werden konnte (s. Tafel »Architektur X«, Fig. 2–4). Außer diesem Bau leitete er damals zugleich den der kapitolinischen Bauten und des Hofes im Palast Farnese mit den drei übereinander gestellten Säulenordnungen, der Kirche Santa Maria degli Angeli, der Porta Pia und andrer Prachtgebäude. Als zuletzt das Alter zu mächtig über den Körper hereinbrach, übertrug M. die Vollendung vieler von ihm begonnener Bildhauerwerke seinen Schülern, und selbst bei der Anfertigung von Zeichnungen und Modellen mußte sein Lieblingsschüler Tiberio Calcagni ihm helfend zur Seite stehen. Als 89jähriger Greis starb M., klaren Geistes, seine ihn umstehenden Verwandten und Schüler ermahnend. Papst Pius IV. bereitete ihm eine prächtige Bestattung in der Kirche der heiligen Apostel; auf Befehl Cosimos de' Medici wurde jedoch der Leichnam heimlich nach Florenz gebracht, wo man ihm in der Familiengruft in Santa Croce ein Denkmal errichtete.

Außer den erwähnten Skulpturwerken werden M. noch viele andre plastische Arbeiten zugeschrieben, von denen jedoch nur folgende als sicher von seiner Hand herrührend allgemein anerkannt werden: Marmorstatue eines knieenden Kupido (London, Viktoria und Albert-Museum), Relief der Madonna mit Christus und Johannes (Florenz, Nationalmuseum), ein Relief mit ähnlicher Komposition (London, Akademie), eine Brutusbüste (Florenz, Nationalmuseum), ein den Sieg vorstellender Jüngling, der einen gefesselten Sklaven unter seinen Füßen hält (ebendaselbst), die Statue eines David (ebendaselbst) und die Figur eines kauernden Jünglings (in der Eremitage zu St. Petersburg). Im Louvre zu Paris bewahrt man zwei Statuen von Sklaven auf, den sterbenden und den gefesselten Sklaven, die für das Grabmal Julius' 11. bestimmt waren und zu seinen herrlichsten plastischen Werken gehören. Seine großartigsten Schöpfungen in der Malerei sind die Gemälde an der Decke und der hintern Wand der Sixtina Sie sind in ihrer Vereinigung als ein großes, in sich abgeschlossenes Gedicht zu betrachten und zeigen die Schöpfung der Welt und des Menschen, den Sündenfall mit seinen Folgen, nämlich die Vertreibung aus dem Paradies und die Sündflut, die wunderbare Errettung des auserwählten Volkes, die Annäherung der Zeit der Erlösung durch die Darstellung der Vorfahren des Heilands und der Propheten und Sibyllen, die seine zukünftige Erscheinung verkündeten, und zuletzt das Weltgericht. Die Sündflut ist vielleicht die bedeutendste aller Kompositionen Michelangelos hinsichtlich des Ausdrucks der dramatischen Handlung, der Kühnheit des Gedankens, der Mannigfaltigkeit der Stellungen der fast unzähligen Figuren und der großen Meisterschaft der Zeichnung, insbes. in den außerordentlichsten und schwierigsten Verkürzungen. Das Jüngste Gericht übertrifft jene Bilder noch in der Meisterschaft der Zeichnung und in der Kühnheit der Komposition; aber der Künstler opferte in dem Bestreben, mit der Virtuosität der Zeichnung zu glänzen, nicht selten das Harmonische und Angemessene im Charakter und Ausdruck der Figuren. Dabei ist der Stil der Zeichnung einförmiger und minder edel und schön als in den Deckengemälden dieser Kapelle. Der großartige Charakter der männlichen Figuren grenzt oft an das Plumpe, vornehmlich aber stehen die der Anmut durchaus entbehrenden Frauen des Jüngsten Gerichts den Figuren der Eva, der delphischen Sibylle und vieler andrer weiblicher Gestalten jener Bilder weit nach. Ursprünglich waren alle Figuren nackt, so daß Paul IV. das Bild herunterschlagen lassen wollte. Als Auskunftsmittel mußte Daniel da Volterra die auffallendsten Blößen mit Lappen bedecken, was ihm den Beinamen des Hosenmachers (braghettone) erwarb. Auch sonst hat das Gemälde stark durch Übermalungen, Erneuerungen und Feuchtigkeit gelitten, so daß es jetzt einen sehr unerfreulichen Eindruck macht. Eine ausgezeichnete Kopie des Werkes, unter des Meisters Augen von Marcello Venusti für den Kardinal Alexander Farnese in Öl gefertigt, befindet sich im Museum zu Neapel. Von den M. zugeschriebenen Tafelbildern gelten nur zwei als echt: eine unvollendete Grablegung (London, Nationalgalerie) und eine Madonna mit dem Kinde, dem kleinen Johannes und Joseph (Florenz, Uffizien). – Außer dem größten architektonischen Werk, der Riesenkuppel der St. Peterskirche, besitzt Rom noch andre Baudenkmäler Michelangelos. Von den Überbleibseln der Diokletianischen Thermen verwandelte er den Hauptsaal in die Kirche Santa Maria degli Angeli, eine der schönsten Roms, und fügte einen vierseitigen Klosterhof mit Kreuzgängen hinzu. Auch gestaltete er den Kapitolsplatz neu und stellte auf ihm die antike Bronzestatue des Kaisers Mark Aurel auf einem von ihm erdachten Unterbau auf. Für den Senatorenpalast entwarf er die Treppe, die noch bei seinen Lebzeiten ausgeführt wurde, während der Konservatorenpalast und das gegenüberliegende Museum erst lange nach seinem Tode, zwar nach seinen Plänen, aber mit starken Veränderungen erbaut wurden. Von seiner Meisterschaft in der Baukunst zeugt auch der stolze Palast Farnese, an dem das Hauptgesims und das oberste Stockwerk des Hofes von ihm herrühren. Die alte Kirche San Pietro in Vincoli wurde unter Julius II. von ihm modernisiert. Pius IV. trug ihm auch auf, Pläne zu den Toren Roms zu machen; aber es wurde nur eins (die Porta Pia) nach seiner Angabe ausgeführt, und selbst dies ist nicht vollendet.

Michelangelos Stil bezeichnen nicht, wie bei der Antike, stille Größe und Erhabenheit, sondern ungebändigte Gewalt und Leidenschaft. »Das gesamte Schaffen Michelangelos ist ein unablässiger Kampf erhabenster Ideen, die aus der wunderbaren Tiefe seines Seelenlebens zutage streben, und deren Erscheinung daher alle Spuren dieser gewaltigen innern Erschütterungen an sich trägt. Vor seinen Werken gibt es kein ruhiges Genießen. Sie reißen uns unwiderstehlich in ihr leidenschaftliches Leben hinein und machen uns, wir mögen wollen oder nicht, zu Genossen ihrer tragischen Geschicke. Das ist der Eindruck, den auch die Zeitgenossen meinen, wenn sie von dem Furchtbaren (›terribile‹) der Werke des Meisters sprechen.« Sein Hang zum Außerordentlichen und Wunderbaren, sein tiefes, gründliches Studium der Anatomie, wodurch er vollkommene Sicherheit und Richtigkeit in der Zeichnung erlangte, trieben ihn zu kolossalen Darstellungen. Durch ihn erreichte die Schule des mittlern Italien den höchsten Gipfel ihrer ursprünglichen Richtung auf Form und Linie und den kühnsten Schwung. Den geistigen Ausdruck hat M. nicht selten bewunderungswürdig, jedoch zuweilen unbestimmt, auch wohl ganz verfehlt gegeben, so vornehmlich in mehreren Figuren des Jüngsten Gerichts. In der Darstellung der Gewandung beweist M. zwar nicht dieselbe Meisterschaft wie in der Bildung des Nackten, ist jedoch auch hierin bewunderungswürdig. Mehrere Gewänder in den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle, insbes. in den Bildern der Vorfahren des Heilands, zeigen eine Einfachheit und Größe des Stils, die man bei keinem andern Künstler, vielleicht selbst nicht bei Raffael, finden dürfte. Michelangelos Vorliebe für das Nackte veranlaßte ihn, selbst Christus, die Apostel und Heiligen meist ganz entblößt darzustellen. Übrigens galt die Bewunderung seiner Zeitgenossen vornehmlich der Zeichnung, und der Künstler selbst mag das Kolorit bei seinem vorherrschend plastischen Sinn als einen untergeordneten Teil der Kunst betrachtet haben. Doch ist seine Fleischfarbe wahr, ungemein kräftig und einfach, jedoch keineswegs eintönig, aber noch ohne Mannigfaltigkeit in den verschiedenen Figuren. Auch in den Farben seiner Gewänder herrscht eine einfache, aber nicht unharmonische Zusammenstellung. Charakteristische Darstellung der Stoffe darf natürlich in seinen Werken nicht gesucht werden. Die Freskomalerei stellte er weit über die Ölmalerei, die er für Weiberarbeit erklärte. Da in ihm der Maler gleichsam aus dem Bildhauer hervorgegangen war, strebte er in der Malerei durch perspektivische Verkürzung und Wirkung von Licht und Schatten die reale Darstellung der Skulptur zu erreichen. Er nannte die Skulptur die Leuchte (lucerna) der Malerei, und er hat die bewunderungswürdige plastische Vollkommenheit in der Malerei wohl nur durch die in der Bildhauerkunst erworbene Ausbildung und Meisterschaft erreicht. Auch pflegte er, nach dem Zeugnis des Vasari, die Figuren zu seinen Kartons in Ton oder Wachs zu modellieren und sich dieser Modelle zum Studium der Beleuchtung, insbes. aber zu seinen noch unübertroffenen Verkürzungen zu bedienen. Dagegen strebte er in der Skulptur mehr nach dem Malerischen, als diese Kunst eigentlich verträgt, obgleich er selbst sehr treffend bemerkte, daß die Plastik um so schlechter sei, je mehr sie sich der Malerei nähere. Als Architekt ward er von seinen Zeitgenossen nicht minder für einzig und klassisch gehalten wie als Maler und Bildhauer. Wie fast ohne Lehrer und nur Autodidakt, war er auch ohne eigentliche Schüler, obwohl er desto mehr Nachahmer hatte, die aber in dem Streben, seine Großheit der Formen und Verhältnisse des menschlichen Körpers zu erreichen, ins Plumpe verfielen und des Meisters Übertreibungen geistlos noch übertrieben. Die besten seiner Schüler sind Daniel da Volterra und Sebastiano del Piombo, für die er manchen Entwurf geliefert haben soll. Auch als Dichter erlangte M. großen Ruf. Durch seine Sonette zieht sich meist ein Zug trüben Schmerzes und ruhiger Entsagung. Sie wurden wiederholt herausgegeben, namentlich von seinem Neffen M. Buonarroti (Flor. 1623) und von C. Frey (Berl. 1897), ins Deutsche übersetzt von K. Witte unter dem Namen F. Licio (Bresl. 1823), von Regis (Berl. 1842), von Grasberger (Brem. 1872), von Sophie Hasenclever (mit ital. Text, Leipz. 1875) und von Robert-tornow (Berl. 1896); eine Auswahl von Harrys (Hannov. 1868). M. war sein ganzes Leben lang ohne Frauenliebe, und verschlossen und ungesellig entbehrte er auch der eigentlichen hingebenden Freundschaft. Erst nachdem er 60 Jahre alt geworden, fand er eine edle Freundin, Vittoria Colonna (s. Colonna 5), deren Name für immer mit dem seinen verknüpft ist. Er lebte in patriarchalischer Einfachheit. Wohltätig und gegen seine Freunde großmütig, war er, von Natur ein leidenschaftliches Temperament, gegen seine Feinde und Nebenbuhler bisweilen äußerst heftig und rachsüchtig, wovon seine Briefe Kunde geben.

Sein Leben beschrieben seine Schüler Vasari in der »Vita de' pittori, etc.« und Ascanio Condivi in der »Vita di Michel Angelo« (Rom 1553, Flor. 1746, Pisa 1823; deutsch von Valdeck und Ilg, Wien 1874; auch Stuttg. 1889 und übersetzt von Pemsel, Münch. 1898; engl. Übersetzung von Holroyd), beide zusammen herausgegeben von Frey (Berl. 1887). Aus der neuern Literatur vgl. fürs Biographische: Grimm, Leben Michelangelos (10. Aufl., Berl. 1901, 2 Bde., illustriert 1899); Gotti, Vita di M. (Flor. 1875); Springer, Raffael und M. (3. Aufl., Leipz. 1895, 2 Bde.); Symonds, Life of M. Buonarroti (3. Aufl., Lond. 1898, 2 Bde.); Knackfuß, Michelangelo (7. Aufl., Bielef. 1903); Thode, M. und das Ende der Renaissance (Bd. 1 u. 2, Berl. 1902–03); Ricci, Michelange (Flor. 1902); Holroyd, M. Buonarroti (Lond. 1203); Lord Ronald Gower, M. Buonarroti (das. 1903); Knapp, Michelangelo (in den »Klassikern der Kunst«, Stuttg. 1906). – Briefwechsel: Milanesi, Le lettere di M. Buonarroti (Flor. 1875) und Les correspondants do Michelange, Bd. 1: Sebastiano del Piombo (Par. 1890); Frey, Sammlung ausgewählter Briefe an M. Buonarroti (Berl. 1899). – Kritisches und Ästhetisches: W. Lang, M. als Dichter (Stuttg. 1861); Thomas, Michelange poète (Par. 1891); Wölfflin, Die Jugendwerke des M. (Münch. 1891); v. Scheffler, M., eine Renaissancestudie (Altenb. 1892); Justi, M., Beiträge zur Erklärung der Werke und des Menschen (Leipz. 1900); v. Geymüller, M. als Architekt (Münch. 1904); Steinmann, Die Sixtinische Kapelle, Bd. 2 (das. 1905); Burckhardt, Der Cicerone (8. Aufl., Leipz. 1901). – Bibliographie: Passerini, La bibliografia di M. (Flor. 1875); Norton, List of the principal books relating to the life and works of M. (Cambridge 1879).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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