- Holbein [1]
Holbein, deutsche Künstlerfamilie, von deren Gliedern hervorzuheben sind: 1) Hans, der ältere, Maler, geb. um 1460 in Augsburg, gest. 1524 im Elsaß, bildete sich unter dem Einfluß von Martin Schongauer, erreichte aber, schnell fortschreitend und sich immer entschiedener losringend von altertümlicher Auffassungsweise, in seinen besten Werken eine große dramatische, mit klarer, leuchtender Farbenwirkung verbundene Lebendigkeit und Schärfe des Ausdrucks. Seine Gestalten, wenn auch in Füßen und Händen noch schwach, wissen sich natürlich zu bewegen; in genreartigen Episoden wird das Schalkhaft-Anmutige wie das Derbe und Humoristische zur Geltung gebracht; meisterhaft sind die im bildnistreuen Gesicht wie in Auftreten und Tracht aus des Künstlers eigner Zeit und Umgebung entnommenen Gestalten. Zu seinen besten Arbeiten gehören vier Flügelbilder aus der Geschichte Marias, von einem Altar aus der Abtei Weingarten (jetzt im Augsburger Dom) von 1493, die Reste eines ehemaligen Altars in der Dominikanerkirche zu Frankfurt a. M., die Flügel eines Altars aus Kloster Kaisheim, 16 Szenen aus der Passion und der Geschichte Marias von 1502 (in der Münchener Pinakothek), die Basilika Santa Maria Maggiore (1499) und St. Paul vor den Mauern (um 1504) mit dem Bildnis des Malers und seiner beiden Söhne (in der Galerie zu Augsburg). So trefflich indessen diese Werke sind, so schritt doch H. immer weiter fort, und in dem Katharinenaltar (1512, in der Galerie zu Augsburg), Sebastiansaltar (1515–16, in der Pinakothek zu München) und Brunnen des Lebens (1519, in königlichem Besitz in Lissabon) erreicht er unter dem Einfluß der italienischen Renaissance eine noch größere Kraft des Ausdrucks, Schönheit des Kolorits und seelenvolle Durchbildung. Vortrefflich sind auch seine zahlreich vorkommenden Zeichnungen; in Basel, Berlin und Kopenhagen findet man Skizzenbücher von ihm, unter denen das Berliner mit höchst lebensvollen Bildnissen das wertvollste ist. Vgl. H. Holbeins des ältern Feder- und Silberstiftzeichnungen mit Text von Ed. v. His (Nürnb. 1885). Sein 1515 von ihm selbst gezeichnetes Bildnis, ein prächtiger Kopf mit langem Haar und Bart, befindet sich im Museum zu Chantilly. H. zog trauriger Vermögensverhältnisse wegen um 1517 aus Augsburg nach dem Elsaß.
2) Hans, der jüngere, der berühmteste Maler der Familie, Sohn des vorigen, geb. 1497 in Augsburg, gest. 1543 in London, bildete sich in Augsburg unter dem Einfluß seines Vaters und Hans Burgkmairs und siedelte schon um 1514 nach Basel über, wo sich im Museum ein Madonnenbild von ihm mit dieser Jahreszahl befindet. 1515 bemalte er eine Tischplatte mit Darstellungen aus Schwänken (Zürich, Stadtbibliothek) und fertigte eine Reihe von Federzeichnungen zu dem »Lobe der Narrheit« von Erasmus in einem Exemplar, das sich jetzt im Baseler Museum befindet. Aus dem Jahre 1516 haben wir Bücherholzschnitte, ferner das Aushängeschild eines Schulmeisters im Baseler Museum, ebendaselbst die Brustbilder des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hafen und seiner Hausfrau, dann das bereits von großer Meisterschaft zeugende Bildnis des Malers Hans Herbster (in der Galerie von Mr. Baring in London). Im folgenden Jahre war H. in Luzern, wo er das jetzt nicht mehr bestehende Haus des Schultheißen Jakob v. Hertenstein außen und innen mit Wandbildern schmückte. Vielleicht, daß H. auch einen Schritt in die Lombardei tat; nächst den indirekten Einwirkungen von Italien, die er schon in Augsburg, der Stadt deutscher Renaissance, empfangen, sind auch die Einflüsse des Andrea Mantegna, die aber auch durch dessen Kupferstiche und die alten Holzschnitte vermittelt sein können, sowie auch direkte Einflüsse des Leonardo da Vinci und der römischen Schule zu spüren. 1519 kam H. nach Basel zurück, ließ sich 25. Sept. d. J. in die Malerzunft und 3. Juli 1520 in die Bürgerschaft daselbst aufnehmen. Von den Arbeiten, die H. nunmehr in Basel ausführte, gehören zu den charaktervollsten die Darstellung der Passion in acht Feldern, jetzt im dortigen Museum, ausgezeichnet durch die dramatische Lebendigkeit, die schönen Architekturen und Landschaften, die kühnen Helldunkeleffekte, dann eine realistische Darstellung des Christusleichnams, das Abbild eines von Verwesung ergriffenen toten Körpers, von 1521 und die braun in braun gemalten Orgeltüren des Baseler Münsters mit vier Heiligengestalten und singenden Engelknaben daselbst; ferner zwei Altarflügel, Christi Geburt, Nachtstück, und die Anbetung der Könige mit den Porträten der Stifterfamilie Oberriedt im Münster zu Freiburg i. Br. Am populärsten aber ist der Künstler durch die berühmte Madonna des Bürgermeisters Meyer geworden (im großherzoglichen Schloß zu Darmstadt, eine Kopie aus dem 17. Jahrh. in der Dresdener Galerie). Stifter dieses Bildes war der frühere Bürgermeister Jakob Meyer zum Hafen, den H. schon 1516 gemalt hatte; er und die Seinen knieen vor der Gottesmutter, beschützt von ihrem Gnadenmantel und gesegnet vom Christuskind. Beinahe auf gleicher Höhe mit diesem steht ein andres Madonnenbild, die Jungfrau von Solothurn (städtisches Museum daselbst), sitzend mit dem Kind und von den beiden Schutzheiligen der Stadt, Ursus und Martinus, umgeben, bezeichnet 1522. Mit echt deutscher Charakteristik und seiner Ausführung verbinden diese Werke eine Freiheit der Form, wie sie sonst in Deutschland um diese Zeit nicht vorkommt. Außerdem war H. als Freskomaler tätig, dekorierte die Fassaden von Bürgerhäusern, unter andern das Haus »Zum Tanz« mit einer herrlichen Scheinarchitektur und einem Bauerntanz, welche Malereien im 18. Jahrh. zugrunde gegangen sind. Kein günstigeres Schicksal hatten seine Malereien im Großratssaal, in denen er Beispiele von Bürgertugend und strenger Gerechtigkeit darstellte: Charondas von Catanea, Zaleucus, Curius und die Samniter, Sapor und Valerianus, dazwischen Einzelgestalten meist allegorischen Charakters (Bruchstücke im Museum zu Basel). 1519 malte er das vorzügliche Bildnis des Juristen und Humanisten Bonifatius Amerbach (Baseler Museum), um 1523 den Erasmus, der damals in Basel lebte, und zu dem H. auch persönlich in Beziehung stand; zwei kleinere Profilbilder, die den Gelehrten schreibend darstellen, befinden sich im Louvre und im Baseler Museum, ein größeres, das Gesicht zu drei Vierteln, in Longford Castle. Den Charakter eines Bildnisses trägt auch ein kleines Juwel, die Laïs Corinthiaca von 1526, deren Seitenstück eine Venus mit dem Amor bildet (Baseler Museum), beide angeblich eine Dame aus der Familie Offenburg darstellend. Daneben entfaltete H. eine ausgedehnte Tätigkeit als Zeichner, fertigte Vorlagen für Glasmaler, Gold- und Waffenschmiede und namentlich Zeichnungen für den Holzschnitt, die H. Lützelburger in meisterhaftem Feinschnitt ausführte. In dieser Tätigkeit erscheint H. im Bunde mit der Literatur nach allen Richtungen hin, namentlich mit dem Humanismus, dann mit der Reformation. Er illustrierte die Werke des Erasmus, des Th. More, geographische u. astronomische Bücher, die Lutherschen Übersetzungen der Bibel, zeichnete Alphabete, Buchdruckersignete (s. Tafel »Buchschmuck II«, Fig. 6) etc. Man zählt über 300 Blätter von ihm. Seine zwei Hauptwerke dieser Gattung sind die Zyklen: »Bilder des Alten Testaments« (»Historiarum Veteris Instrumenti icones«), 91 Blatt, und der sogen. Totentanz (eigentlich »Bilder des Todes«, »Icones oder Imagines mortis, Simulachres de la mort«), beide aus der Baseler Zeit und in damaligen Probedrucken vorhanden: das erste Werk im Baseler Museum (neue Ausg. von Hirth, Münch. 1884), das zweite ebenda und in den Kupferstichkabinetten zu Berlin (neue Ausg. von Lippmann, Berl. 1878; von Hirth, Münch. 1884; Hamb. 1897), Paris und im Britischen Museum zu London, beide aber in Buchform erst seit 1538 in Lyon erschienen und seitdem in zahlreichen Ausgaben mit lateinischem, französischem, englischem, italienischem und spanischem, niemals aber deutschem Text. In den Todesbildern, deren Zahl von 40 Blatt später (seit 1545) auf 53, endlich (seit 1562) auf 58 Blatt steigt, behandelte H. den mittelalterlichen Vorwurf von der Allgewalt des Todes und der Eitelkeit des Irdischen in ganz neuem Geist, zeigte mit furchtbarer Ironie, wie der Tod unter allen Verhältnissen mitten in das Leben unerbittlich eingreift, und fand in dieser Form Gelegenheit zu schneidender Satire auf kirchlichem, sozialem und politischem Gebiet.
Die Reformation und ihre Kämpfe, die Wirren der Bauernkriege waren aber äußerlich hemmend für den Künstler, dem nun die Gelegenheit zur Ausübung seiner Kunst mehr und mehr entzogen wurde. Empfohlen durch Erasmus, machte er sich Ende August 1526 auf den Weg nach England; die Kenntnis der flandrischen Malerei, die er sich auf dem Weg aneignen konnte, wurde nun bestimmend für seine Kunstweise. In London nahm sich Sir Thomas More, des Erasmus Freund, seiner an. H. malte hier 1527 More (Original bei Herrn Huth in London), den Erzbischof Warham von Canterbury (Lambeth House und Louvre), den Stallmeister des Königs, Sir Henry Guildeford (Windsor), 1528 des Königs Astronomen Nikolaus Kratzer (Louvre), Thomas Godsalve und seinen Sohn John (in der Dresdener Galerie), Thomas More mit seiner Familie, von welchem Bilde das Original untergegangen ist und nur noch einzelne gezeichnete Köpfe (Windsor) und die Skizze des ganzen (Basel) übrig sind. Letztere brachte H. als Gruß des Freundes dem Erasmus mit, als er 1528 nach diesem gewinnbringenden Aufenthalt in die Heimat zurückkehrte. Er malte hier 1529 seine Hausfrau mit zwei Kindern, vollendete die Ausmalung des Großratssaales und fügte den Darstellungen aus dem klassischen Altertum zwei Szenen aus dem Alten Testament: Rehabeams Übermut und Saul von Samuel gestraft, hinzu. Dann aber machte er sich nochmals nach England auf, und vergebens sandten ihm 2. Sept. 1532 Bürgermeister und Rat ein Schreiben nach, das ihm für den Fall der Rückkehr einen Jahresgehalt bot.
Bei diesem zweiten Aufenthalt in England kam H. in ganz andre Kreise. Er fand zunächst Beschäftigung durch seine Landsleute, die Kaufleute vom hansischen Stahlhof. Zwischen 1532 und 1536 porträtierte er viele von ihnen; dergleichen Bildnisse kommen vor in Windsor, Braunschweig, München, Wien, Petworth; das schönste ist das des Georg Gisze von 1532 im Museum zu Berlin. 1533 fertigte er für die Hansen den Entwurf eines prächtigen Schaugerüstes mit dem Parnaß zum Krönungseinzug der Königin Anna Boleyn; dann malte er zur Dekoration ihrer Gildhalle auf Leinwand die großen Darstellungen der Triumphe des Reichtums und der Armut, die untergegangen sind, und von deren vollendeten Stil uns nur die Skizze der erstern im Louvre und ältere Nachbildungen einen Begriff geben. Sein berühmtestes Porträt dieser Periode ist das große Bild zweier vornehmer Männer von 1533, das unter dem Namen: »die Gesandten« bekannt ist (in der Nationalgalerie zu London). Seit 1536 war er nachweisbar im Dienste des Königs mit dem Titel Peintre du Roi tätig. Er malte 1537 Heinrich VIII. und seine dritte Gemahlin, Jane Seymour, hinter ihnen die Eltern des Königs, an die Wand eines Gemachs in Whitehall, ein hochgepriesenes Werk, das beim Brande des Schlosses zugrunde ging, und von dem nur eine kleinere Kopie (in Hampton Court) sowie der Karton der männlichen Figuren (im Besitz des Herzogs von Devonshire) erhalten ist. Das vorzügliche Porträt der Jane Seymour besitzt das Hofmuseum in Wien. Im Frühling 1538 war H. nach Brüssel geschickt worden, um die Herzogin Christine von Mailand, um die der König freite, zu porträtieren. Das ausgeführte Bild in ganzer Figur, in Arundel Castle, ist eins seiner Hauptwerke. 1539 ward er nach dem Niederrhein geschickt, um das Brautporträt von Anna von Kleve zu malen (Louvre). Zu seinen berühmtesten Bildnissen gehören ferner: Sir Richard Southwell, 1536 (Uffizien in Florenz), der Franzose de Morette (Dresden, eins der besten Werke Holbeins, die Zeichnung ebenfalls m der Dresdener Galerie), der Herzog von Norfolk (Windsor), Sir Bryan Tucke (München, Alte Pinakothek), Dr. John Chamber (Wien, Hofmuseum), die vereinigte Barbier- und Chirurgengilde, vom König ihre Privilegien empfangend (im Zunfthaus Barbershall in London), eins seiner letzten Werke, von fremder Hand vollendet. Holbeins Gemälde werden durch die meisterhaften Studien nach dem Leben, von denen sich die reichste Sammlung im Schloß Windsor befindet (in Photographien von Hanfstängl herausgegeben, mit Einleitung von Holmes, Münch. 1895, 54 Tafeln), ergänzt. Durch den Geschmack der Engländer fast gänzlich auf das Bildnis beschränkt, zeigte er sich auch auf diesem Felde durch Zartheit u. Feinheit der Charakteristik, durch Klarheit der Färbung und sorgsame und doch kraftvolle Pinselführung in bewundernswerter Größe. Die Zartheit und Vollendung im Beiwerk ist kaum zu übertreffen. Außerdem malte er in Miniatur, zeichnete aufs neue für den Holzschnitt, entwarf den Titel zu Coverdales erster englischer Bibel (1535), drei zum Teil satirische Blätter zu Cranmers Katechismus (erst 1548 erschienen), König Heinrich VIII. im Rat für Halls Chronik u. a. m. (s. Tafel »Buchschmuck I«, Fig. 1). Im Auftrag des Königs fertigte H. zahlreiche Entwürfe für kunstgewerbliche Arbeiten, besonders für Goldschmiede, in denen er sein Stilgefühl und seine reiche Phantasie glänzend bewährt und mustergültige, noch heute nachahmenswerte Beispiele für das Kunsthandwerk hinterlassen hat (s. Tafel »Schmucksachen I«, Fig. 27). Die großen Entwürfe eines Kamins und einer Uhr (Britisches Museum) sowie des Pokals der Königin Jane Seymour (Oxford, Bodleyanische Bibliothek) gehören zu den vorzüglichsten davon. Aus dieser vielseitigen Tätigkeit rief ihn im Herbst 1543 ein schneller Tod durch die Pest ab. H. brachte den nordischen Realismus zur höchsten Vollendung, verband aber damit Sinn für ideale Schönheit und war unter den deutschen Künstlern seiner Zeit der größte Kolorist. Vgl. Woltmann, H. und seine Zeit (2. Aufl., Leipz. 1874–76, 2 Bde.); R. W. Wornum, Life and works of H. (Lond. 1866); Leithäuser, Hans H. in seinem Verhältnis zur Antike und zum Humanismus (Hamb. 1886); H. A. Schmid, H. Holbeins des jüng. Entwickelung 1515–1526 (Bas. 1892) und Holbeins Darmstädter Madonna (Wien 1900); Knackfuß, H. der jüngere (4. Aufl., Bielef. 1902); Goette, Holbeins Totentanz und seine Vorbilder (Straßb. 1897). Bilderwerke: P. Mantz, Hans H. (Par. 1879); His, Dessins d'ornements de Hans H. (das. 1886). »Initialen«, hrsg. von Schneeli und Heitz (Straßb. 1900).
3) Ambrosius, Maler, älterer Bruder des vorigen, ging wahrscheinlich mit diesem nach Basel, wo er schon 1516 vorkommt, trat 24. Febr. 1517 in die Malerzunft »zum Himmel« und wurde 6. Juni 1518 Bürger. Drei Bilder: der Schmerzensmann nach Dürer und zwei Knabenporträte von ihm, befinden sich im Baseler Museum, das Bildnis eines jungen Mannes in der Eremitage zu St. Petersburg. Er war namentlich als Zeichner für schweizerische Buchverleger tätig und hat auch gute Silberstift- und Federzeichnungen hinterlassen (Museum in Basel). Nach 1519 kommt er nicht mehr vor.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.