- Nepal
Nepal (Nipal), unabhängiges Reich im Himalaja und an dessen südlichem Abhang (s. Karte »Ostindien«), einer der Himalajastaaten (s. d.), der sich in über 700 km Länge und 125 km Breite zwischen 26°25´ und 30°17´ nördl. Br. hinzieht und im Norden von Tibet, im O. von Sikkim, im übrigen von den britisch-indischen Provinzen Bengalen und Nordwestprovinzen und Audh begrenzt wird, umfaßt 140,000 qkm mit etwa 4 Mill. Einw. Der Himalaja mit seinen höchsten Gipfeln (Kantschindschinga 8580, Gaurisankar 8840, Dhawalagiri 8180 m) begleitet N. nördlich, fast die ganze Kette reicht über die Grenze des ewigen Schnees hinaus. Nach W. setzt eine dem Hauptkamm parallele Kette die Grenz- und Wasserscheide gegen das Gebiet des Sangpo fort. Sämtliche Flüsse, unter denen Gandak und Kauriala die wichtigsten sind, fließen zum Ganges. Der Niveauunterschied zwischen den höchsten Berggipfeln und dem 20–50 km breiten, sumpfigen, dicht bewaldeten und höchst ungesunden Tarai an der Grenze gegen Britisch-Indien übersteigt 8000 m. Das Klima ist danach nicht einheitlich. Dardschiling (2107 m, Sanatorium) hat mittlere Jahresextreme von 26° und -2°. Regenmenge in Dardschiling 3060 mm, Kathmandu (1450 m) 1470 mm, Maximum Juli und August, Minimum November bis Januar. Das Klima von Kathmandu und ähnlich gelegenen Orten gleicht dem von Neapel (16,5°), das Tarai hat feuchte Hitze. Pflanzen- und Tierwelt sind im ganzen die des Himalaja (s. d.). Doch scheidet eine scharfe Vegetationsgrenze das Tarai vom Gebirge. Zu den aus Indien weit nordwärts reichen den Tierformen gehört auch der Tiger. Als einzig N. zukommend ist das Nahoor (Ovis nahoor Hodgs.) zu erwähnen. Eine eigne Schweinegattung besitzt N. gemeinsam mit Sikkim im Zwergschwein (Porcula). Von Mineralien gewinnt man besonders Eisen- und Kupfererze, verarbeitet das Metall zu allerlei Geräten (große Glocken), namentlich in Patan und Bhatgaon, und führt davon nach Tibet aus. Das Vorkommen von Blei- und Silbererzen sowie von Gold ist unbedeutend, erheblicher das von Schwefel und Salpeter. Über die geologischen Verhältnisse vgl. Himalaja. Die Bevölkerung ist sehr gemischt. Als die ältesten Ansiedler sind die Bewohner der ungesunden Täler und Schluchten zu betrachten, die aus Tibet hierher gedrängt wurden, während arische Inder die fruchtbaren mittlern Landschaften einnahmen und die herrschende Klasse wurden. Das regierende Volk sind die Khas oder Gorkha (s. d.), die mit den Magar und Gurung, welche Religion und Gesetz der Hindu nur teilweise annahmen, aber sich stark mit ihnen vermischten, die militärischen Klassen bilden. Die gelehrteste Gruppe bilden die Newar mit umfangreicher Literatur (meist Übertragungen aus indischen Sprachen) und eignem Alphabet. Die Brahmanen, deren Masseneinwanderung nach dem Eindringen des Islams in Hindostan erfolgte, haben große Vorrechte. Den Buddhismus brachten im 7. Jahrh. Flüchtlinge aus Indien, im 10. Jahrh. aus China der wundertätige, zum Gott erhobene Mandschusri, seit dem 16. Jahrh. auch Tibeter. Jetzt ist die Bekehrung zum Brahmanismus nur eine Frage der Zeit. Die fast ausschließliche Beschäftigung der Bevölkerung ist Ackerbau und Viehzucht. Die Newar und Magar weben baumwollene Stoffe, die auch ausgeführt werden; die höhern Klassen kleiden sich in Seide aus China und in Musselin, Baumwollen- und Wollenstoffe aus Europa. Die Newar sind Metallarbeiter und Zimmerleute; auch stellen sie aus Baumrinde ein starkes Papier her, bereiten Branntwein aus Reis und Korn, ein starkes, bierähnliches Getränk aus Weizen, Reis u.a. Der Handel geht nach Tibet und Indien. In ersteres Land führt von Kathmandu eine Straße über Kuti, eine zweite aus dem Take des Gandak nach Tudam am Sangpo. Von Tibet kommen (meist zur Durchfuhr) Schalwolle, grobes Wollen zeug, Salz, Borax, Moschus, Yakschwänze, Arsenik, Goldstaub, Antimon, Drogen, getrocknete Früchte; dahin gehen nepalesische Kupfergeräte, Glockengut, Eisen, europäische Stückwaren und Eisenzeug, indische Baumwollwaren, Gewürze, Tabak, Arekanüsse, Betelblätter, Metalle, Edelsteine. Der Handel mit Britisch-Indien wählt vornehmlich die Straße Kathmandu-Patna. In N. geschieht die Warenbeförderung durch Ochsen, Pferde und Kulis, leichte Karren sind nur stellenweise zu benutzen. Indien empfängt außer den obengenannten Artikeln: Reis, Ölsaaten, zerlassene Butter, Ponies, Rinder, Jagdfalken, Holz, Opium, Jute, Felle und sendet dorthin Rohbaumwolle, Baumwollen- und Wollenstoffe, Leder, Zucker, Salz, Indigo, Lack, Pulver, Flinten, Spiegel, Tee, Tabak, Petroleum etc.; 1901/02 betrug der Handel mit Indien bei der Einfuhr 16,528,784, bei der Ausfuhr 27,380,401 Rupien. Den Verkehr mit dem Ausland besorgen Kaufleute aus Indien oder Kaschmir. Die einheimischen Münzen werden aus Silber und Kupfer geprägt; auch läuft die indische Rupie überall = 11/5 Mohrirupie um. Hauptmünze ist der silberne Mohar oder die halbe nepalesische Rupie = 62/3 indische Annas. Der Maharadscha ist seit 1791 an China tributpflichtig und wird seit 1816 ganz von seinem ersten Minister geleitet. Er besitzt große Ländereien, die durch Frondienste bewirtschaftet werden. Die Einkünfte (etwa 1 Mill. Pfd. Sterl.) des Fürsten und des Staates ergeben sich außerdem aus Zöllen, Bergwerken und der Verpachtung des Handels mit Holz, Elfenbein, Salz, Kardamomen, Tabak, der Regierungsmonopol ist. Dabei wird aber das Heer durch jährliche Landanweisungen bezahlt. Dieses Heer besteht aus 30,000 Regulären in und bei Kathmandu und fast ebenso vielen Irregulären. Die erstern sind mit Martini-Henry-Gewehren und 100 zum Teil ziemlich modernen Geschützen bewaffnet. Verwaltung und Rechtspflege sind sehr willkürlich, bei der letztern entscheidet häufig das Gottesurteil. Hauptstadt ist Kathmandu (s. d.), wo ein englischer Resident seinen Sitz hat. Andre nennenswerte Orte sind: Patan, Bhatgaon, beide reich an Tempeln, Nayakot, die ehemalige Winterresidenz der Herrscher, und die Handelsstadt Kirong an der Grenze gegen Tibet.
Geschichte. Die Frühgeschichte des Buddhismus hat sich zum Teil in N. abgespielt (s. Buddhismus, S. 563). N. wird in indischen Inschriften zuerst 230 n. Chr. genannt; später herrschten hier bis 530 die jüngern Gupta, bis 880 die ältern Gupta. Um 640 ist chinesischer Einfluß auf N. nachweisbar. Um 1097 wird eine Dynastie indischen Ursprungs am Südrand Nepals erwähnt, und 1323 ward durch einen ihrer Sprößlinge im Hochlande der Newarfürst beseitigt. Später kamen wieder Newar, die sich dem Kriegerstamm der Radschputen (s. d.) zurechnen, zur Regierung; 1767 gelangte die jetzt regierende Sahifamilie vom Khas- oder Gorkhastamm auf den Thron. Als später die Gorkha die schon Ende des 17. Jahrh. unternommenen Einfälle in das chinesische Tibet wiederholten, entsandten die Chinesen 1787–92 stattliche Heere, und noch ehe die Ostindische Kompanie die von den Gorkha erbetene Vermittelung versuchen konnte, standen die Chinesen vor Kathmandu, und die Nepalesen mußten 1791 einen schimpflichen Frieden eingehen, der ihre jetzige Nordgrenze bestimmte. Bald darauf entschädigte sich N. durch die Besetzung der westlichen Grenzdistrikte Kamaon und Garhwal. 1801 erreichte die Britisch-Ostindische Kompanie die Zulassung eines diplomatischen Vertreters in Kathmandu, der aber schon 1804 wieder abberufen wurde. Als zwischen 1804 und 1812 die englischen Grenzbezirke wiederholt von N. aus überfallen wurden und Vorstellungen erfolglos blieben, kam es 1814 zum Krieg, der nach anfänglichen Erfolgen (General Gillespie getötet, General Ochterlony gefangen) im Vertrag von Sigauli vom 4. März 1816 mit der Abtretung von Kamaon und Garhwal an England endete. 1816 kam ein Kind von drei Jahren auf den Thron, an dessen Statt der Minister Bhim Singh Thappa die Regierung rücksichtslos führte, bis er 1837 gestürzt wurde (ermordet 1839). Die neue Regierung bezeigte den Engländern tiefen Haß und übte im Innern die größte Tyrannei; der Fürst, die Fürstin-Mutter, Minister und Thronfolger stritten um Einfluß. 1846 marschierte Dschang Bahadur, ein Untergeneral an der Grenze, gegen die Hauptstadt, ließ seinen Oheim, den ersten Minister, nebst 31 andern Großen töten und erhob den 23jährigen Thronfolger auf den Thron, in dessen Namen er selbst die Regierung des Staates ergriff und, durch die Heiraten seines Sohnes und zweier Töchter mit Angehörigen der Königsfamilie gefestigt, als »Maharadscha« bis an seinen Tod behauptete. 1850 machte Dschang Bahadur einen Besuch in England, der ihn freundlicher gegen die Briten stimmte, so daß er ihnen 1857/58 während des Sepoyaufstandes Hilfe sandte. Dafür wurde er durch Verleihung hoher Orden und die Erhebung in den Ritterstand belohnt. Er starb 1877; bei seiner Bestattung trug sich der letzte offiziell bekannte Fall einer Witwenverbrennung in Indien zu. 1885 setzte sich Bir Schamscher Dschang, das Haupt der seiner Familie feindlichen Partei, durch Ermordung seines Rivalen an deren Stelle; 1887 kam es zu örtlichen Aufständen. Maharadscha ist seit 1881 Prithvi Bir Bikram Schamscher (geb. 8. Aug. 1875). Das seit 1791 bestehende Lehnsverhältnis Nepals zu China wurde 1856 anerkannt: N. sendet alle fünf Jahre Geschenke nach Lhassa zur Überführung nach Peking. Ein englischer Resident, der in Kathmandu mit einem kleinen Gefolge wohnt, unterhält die von der britisch-indischen Regierung sorgfältig gepflegten Beziehungen mit dem kriegerischen Staate. Vgl. F. Hamilton, An account of the kingdom of N. (Lond. 1819); Hodgson, Colonization etc. of N (Kalkutta 1857) und Essays on the language, literature and religion of N. and Tibet (Lond. 1874); D. Wright, History of N (Cambridge 1877); Oldfield, Sketches from Nipal (das. 1881, 2 Bde.); C. Bendall, A journey in N. (das. 1886); Vansittart, Notes on N. (Kalkutta 1895); Ballantine, On India's frontier, or N. etc. (Lond. 1896); L. A. Waddell, Among the Himalayas (das. 1898); Purna Chandra Mukherdji, A report on a tour of exploration of the antiquities in the Tarai, N., the region of Kapilavastu (»Archaeological survey of India«, Nr. 26, Kalkutta 1901); K. Boeck, Durch Indien ins verschlossene Land N. (Leipz. 1903); S. Lévi, Le N., étude historique (Par. 1905, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.