- Bandwürmer
Bandwürmer (Cestodes Rud.), Ordnung der Plattwürmer (s. d.), sind mit den Saugwürmern nahe verwandt (s. unten), aber durch schmarotzendes Leben im Innern andrer Tiere stark umgestaltet. Man unterscheidet am Bandwurm (Fig. 1) den Kopf oder Skolex und die Glieder oder Proglottiden (a-b). Letztere entstehen am Hinterende des Kopfes und sind daher um so älter und auch um so weiter entwickelt, je mehr sie nach hinten vorrücken.
Sind sie geschlechtsreif geworden, so reißen sie los, leben noch einige Zeit selbständig und können dabei auch wachsen. Die Nahrung nimmt der Wurm, da ihm Mund und Darm gänzlich fehlen, direkt durch die Haut auf. Eine Leibeshöhle hat er nicht, und so verbreiten sich die Säfte des Tieres, in dem er lebt, direkt in seinem ganzen Körper. Stark entwickelt sind beim Bandwurm die Exkretionsorgane (Wassergefäße); sie verlaufen, 2–4 an Zahl, der Länge nach durch die ganze Kette, bilden in jeder Proglottis eine Querkommissur und geben Seitenzweige ab, die in ein Netz feinerer Gefäße übergehen; am hintern Körperende münden sie aus. Das Nervensystem besteht nur aus einem Paar Ganglien im Kopfe nebst zwei von ihnen ausgehenden Längsstämmen; Sinneswerkzeuge fehlen. Viel Raum nehmen die Geschlechtsorgane in Anspruch, die sich indessen erst allmählich, und zwar die männlichen zuerst, entwickeln. Die jungen Glieder zeigen keine Spur von ihnen, während jedes alte zahlreiche Hoden und einen Eierstock samt Dotterstock, Schalendrüse, Eibehälter (Fig. 2), Samentasche und Scheide besitzt. Wahrscheinlich begattet jedes Glied nur ausnahmsweise sich selbst, in der Regel findet wohl Wechselkreuzung statt; die Eier sind von einer Schale umgeben und gelangen (bei den Tänien) erst mit dem Glied, in dem sie sich befinden, aus dem Wirtstier heraus ins Freie.
Ein Glied des gemeinen Bandwurms (Taenia solium) enthält etwa 50,000 Eier, der ganze Wurm also mit seinen rund 1500 Gliedern gegen 75 Mill. Diese gehen aber mit Ausnahme einiger weniger bei der sehr komplizierten Entwickelung zu Grunde. In den Eiern bilden sich Embryonen aus, die nur bei Bothriocephalus mit Wimpern bekleidet sind.
Die Eier gelangen mit den Exkrementen des Wirtes auf Düngerhaufen, auf Wiesen, in das Wasser etc. und bleiben dort tagelang bei feuchter Wärme am Leben. So können sie mit der Nahrung von andern Tieren verschluckt werden und finden dann Gelegenheit zur Weiterentwickelung. Für die einzelnen Bandwurmarten gibt es ganzbestimmte Tiere (Zwischenwirte), in deren Darm die Verdauung der Proglottiden, die Auflösung der Eikapseln und das Freiwerden der Larve erfolgt. Diese bohrt sich mit ihren 4–6 Haken (Fig. 30) durch die Darmwand des Zwischenwirtes hindurch und verbreitet sich im Körper desselben, teils vom Blut mitgeführt, teils auch wohl im Bindegewebe wandernd, kommt aber zuletzt in verschiedenen Organen (Leber, Lunge, Hirn, Muskeln, Auge u. a.) vorläufig zur Ruhe. Die verletzten Teile des Wirtes scheiden bald eine bindegewebige Kapsel aus; in ihr bilden sich die Larven zu Blasenwürmern (Hydatiden, Finnen, Quesen) um. Zunächst schwillt die Larve zu einer Blase voll Flüssigkeit an; dann entwickelt sich, in die Blase hineinragend, ein hohler Zapfen, der erst die Saugnäpfe und den Stachelkranz des künftigen Bandwurmkopfes erkennen läßt (Fig. 3 b). Später stülpt sich der Zapfen aus und gleicht dann einem Bandwurm, der am Ende die Schwanzblase trägt (Fig. 3 c). Bei den meisten Arten bildet sich nur ein einziger Bandwurmkopf (echte Finnen, Cysticercus), bisweilen aber, z. B. beim Drehwurm (s. unten), wachsen aus der einen Larve durch Knospung allmählich einige hundert Köpfe hervor.
Beim Hülsenwurm (Echinococcus, Fig. 9), der von Taenia echinococcus des Hundes abstammt, bilden sich auf der Innenfläche der Blase Tochter- und Enkelblasen, und von diesen aus entwickeln sich allmählich zahlreiche Bandwurmköpfe. Die Finnen können jahrelang unverändert am Leben bleiben, wird das betreffende Organ aber von einem andern, und zwar wiederum einem ganz bestimmten Tiere verzehrt, so entwickelt sich im Darme des letztern die Finne zum Bandwurm. Der Skolex stülpt sich aus der Blase hervor, diese wird verdaut, und nun sprossen rasch hinter dem Kopfe des jungen Wurmes die Glieder. Bei manchen Arten verläuft die Entwickelung weniger kompliziert. So bleibt Caryophyllaeus zeitlebens ungegliedert, und die Amphilinidae erinnern auch durch ihre Gestalt an die Saugwürmer. Somit ist höchst wahrscheinlich, daß die B. von ähnlichen Formen wie die Saugwürmer abstammen und die Besonderheiten ihres Baues (Gliederung des Körpers, Fehlen des Darmes etc.) erst später erlangten. Manche Forscher betrachten den Bandwurm nicht als Individuum, sondern als eine Kolonie (Strobila) von Tieren, indem sie sowohl den Kopf als auch jedes Glied als selbständiges Einzelwesen ansehen; sie berufen sich hierfür darauf, daß tatsächlich die reisen Glieder eine gewisse Einheit darstellen, sich frei machen und weiter leben; sie würden durch eine Art von Knospung am Skolex entstanden sein. Nach dieser Anschauung bilden dann die Larven und Finnen die geschlechtlich erzeugte erste Generation, die ungeschlechtlich entstandenen Glieder hingegen die zweite. Auch die Bildung des Skolex im Cysticercus ist als ungeschlechtliche Fortpflanzung (Knospung) angesehen worden. Man unterscheidet mehrere Familien der B. Zahlreiche Arten leben im Darm der Fische; oft enthält ein solcher Hunderte von Würmern, deren Jugendformen in Krebsen, Würmern, Weichtieren, Fischen etc. hausen. Auch viele höhere Wirbeltiere beherbergen B., einzelne sogar mehr als eine Art. Die B. des Menschen gehören zwei Familien an, den Taeniadae (Kopf mit vier Saugnäpfen) und Bothriocephalidae (Kopf mit zwei flachen Sauggruben); aus der ersten sind es mehrere Arten der Gattung Taenia, von der im ganzen über 200 Arten bekannt sind, aus der zweiten der Bothriocephalus latus und cordatus.
Sie wohnen sämtlich im Dünndarm. Außer ihnen beherbergt der Mensch noch einige »Blasenwürmer« von Tänien (darunter die Finne von T. solium und Cysticercus cellulosae). – 1) Taenia solium L., 2–3,5 m lang, enthält bis zu 800 Glieder von höchstens 10–12 mm Länge und 6–8 mm Breite.
Der kugelige Kopf (Fig. 1 u. Fig. 4) hat die Größe eines Stecknadelkopfes, ziemlich stark vorspringende Saugnäpfe und einen doppelten Hakenkranz zum Festhalten in der Darmwand; der fadenförmige Hals sieht mit bloßem Auge ungegliedert aus. Die reisen Glieder (etwa vom 650. an), die nur selten für sich abgehen, sind den Kürbiskernen nicht unähnlich (Fig. 2 b); ihre Geschlechtsöffnung liegt hinter der Mitte. Der zugehörige Blasenwurm (Cysticercus cellulosae) bewohnt mit Vorliebe das Muskelfleisch des Schweines (Finne, Fig. 6 und 3 b), findet sich gelegentlich auch an andern Orten und in andern Tieren (Hund, Katze, Reh), vergleichsweise selten auch im Gehirn, Auge etc. des Menschen. Etwa 21/2 Monate nach Einführung der Bandwurmembryonen in das Schwein ist die Entwickelung der Finnen abgeschlossen, und 3–31/2 Monate nach Genuß von sinnigem Schweinefleisch gehen beim Menschen die ersten reisen Bandwurmglieder ab. Dieser Bandwurm erreicht ein Alter von 10–12 Jahren und mehr. Er kommt überall in Europa, in Indien, Nordamerika, Algerien etc. vor, und zwar am häufigsten bei Erwachsenen, besonders bei Frauen, Fleischern und Köchen, die leicht durch rohes Fleisch infiziert, werden. Gewöhnlich ist er einzeln, doch sind 2 und 3 zusammen nicht selten, und man hat sogar 41 nebeneinander gefunden. 2) Taenia saginata Götze oder mediocanellata Küch. wird 4 m lang und breiter und dicker als der vorige. Die Glieder werden 18–20 mm lang, höchstens 12–14 mm breit; Kopf (Fig. 5) ohne Hakenkranz, aber mit um so kräftigern Saugnäpfen; die 1200–1300 Glieder erreichen etwa vom 750. an ihre Reise. Er ist nicht niinder weit verbreitet als der vorige, bei uns sogar jetzt weit häufiger als dieser; der zugehörige Blasenwurm (Cysticercus taeniae aginatae) lebt aber in Rindern, und daher ist er sehr häufig, wo viel rohes Rindfleisch genossen wird. Er verursacht wegen seiner kräftigern Muskulatur und größern Beweglichkeit mehr Beschwerden als der gemeine Bandwurm, ist auch viel schwerer abzutreiben, weil der Kopf sehr leicht abreißt und im Darm zurückbleibt; über Taenia echinococcus s. unten. 3) Der Grubenkopf (Bothriocephalus latus Brems., Fig. 7) ist bandförmig, 5–9 m lang und hat 3000 bis 4000 kurze (3 bis 5 mm), aber breite (10–12, sogar bis 20 mm) Glieder. Der Kopf ist keulenförmig, hakenlos. Reife Eier finden sich zuerst im 600. Gliede. Der Embryo bildet sich erst im Wasser, schlüpft aus dem Ei aus und bewegtsich 4–6 Tage lang mittels seiner Wimpern frei umher. Die spätern Entwickelungsstufen werden in Fischen (Hecht, Barsch, Aalquappe) durchlaufen. Im Menschen kann er 20 Jahre lang leben, ist aber leicht abzutreiben. Er findet sich besonders in der westlichen Schweiz und den angrenzenden Teilen Frankreichs, den nordwestlichen und nördlichen Provinzen Rußlands, in Schweden, Polen, Holland, Belgien, Ostpreußen und Pommern, überall in wasserreichen Gegenden. 4) Bothriocephalus cordatus wird nur etwa 1 m lang und hat einen kurzen, herzförmigen Kopf; er bewohnt in nördlichen Gegenden Hunde und Menschen.
Im allgemeinen verursachen B. ihrem Träger nur geringe oder keine Beschwerden, so daß sie oft gar nicht bemerkt werden. Der Bandwurm reizt die Schleimhaut, die gerötet, geschwollen, manchmal blutig infiltriert oder mit oberflächlichen Geschwüren versehen ist. Infolge dieses Darmkatarrhs, und weil der Wurm einen Teil der Ernährungssäfte seines Wirtes für sich in Anspruch nimmt, entstehen manchmal Abmagerung und Blutarmut. Die Patienten sind bleich, trotz reichlicher Nahrung mager, leiden an krankhaften Empfindungen im Unterleib, ja bei sehr zarten Individuen gesellen sich Schwindel, Ohnmachten, allgemeine Muskelschwäche und Krämpfe hinzu. Ein sicheres Anzeichen ist aber nur der Abgang einzelner Glieder oder ganzer Gliederreihen. Schwere Blutarmut entsteht bisweilen durch Erzeugung von giftigen Substanzen durch den Wurm, namentlich wenn derselbe im Organismus abstirbt. – Zur Abtreibung benutzt man ätherisches Extrakt der Farnkrautwurzel (Aspidium filix mas), Abkochung der Granatwurzelrinde und Kussoblüten. Die Kur ist nur dann gelungen, wenn der Kopf mit entfernt worden ist, weil sich sonst an ihm wiederum neue Glieder bilden. Vgl. Echinokokkenkrankheit.
[Bandwürmer d. Haustiere.] Mit Ausnahme des Schweines beherbergen alle Haustiere eine oder mehrere Arten von Bandwürmern. Die der Pflanzenfresser sind unbewaffnet (ohne Hakenkranz) u. haben im allgemeinen kurze, breite Glieder. Taenia expansa (Fig. 8), die bis 60 m lang wird, erzeugt die Bandwurmseuche (s. d.) der Schafe. Seine Entwickelungsstätten sind nicht bekannt. Beim Rind kommt die bis 45 m lange T. denticulata vor; das Pferd hat zwei kurze Arten, T. mamillana (1,5 cm) und T. perfoliata (10 cm), sowie die bis 1 m lange T. plicata . Erkrankungen sind beim Pferd und Rind nicht beobachtet.
Die Blasenformen aller B. der Pflanzenfresser sind unbekannt. Beim Hunde kommen fünf mit Haken bewaffnete B. vor. Am häufigsten ist T. cucumerina, oft in vielen Exemplaren vorhanden, kann auf Kinder übertragen werden. Die Blasenwürmer der übrigen vier B. wohnen in Säugetieren, von denen der Hund gelegentlich Körperteile verzehrt; der Blasenwurm wohnt in der Hundelaus. Von T. serrata lebt die Finne (Cysticercus pisiformis) in der Leber von Hafen und Kaninchen. T. marginata ist die größte Art (1–5 m lang); ihre Finne ist Cysticercus tenuicollis beim Schwein (s. Finnen). Von T. coenurus erzeugt der Blasenwurm (Coenurus cerebralis) die Drehkrankheit (s. d.) bei Schafen und Rindern.
Der Hülsenwurm (Schachtelwurm, T. echinococcus, Fig. 9) ist 2–3 mm lang, besteht nur aus Kopf und vier Gliedern, findet sich massenhaft im Dünndarm und bringt den Hund durch Reizung der Darmschleimhaut zur Raserei (Tollwutähnlichkeit), stirbt allerdings binnen zwei Monaten von selbst ab. Sein Blasenwurm befällt Menschen und Tiere und erzeugt schwere Störungen (s. Echinokokkenkrankheit). Auch ein Grubenkopf, Bothriocephalus latus, kommt beim Hunde vor. Die B. verursachen beim Hund ähnliche Beschwerden wie beim Menschen und werden zweckmäßig abgetrieben. Näheres über die bei Haustieren vorkommenden Finnen s. d. Vgl. Leuckart, Allgemeine Naturgeschichte der Parasiten (Leipz. 1879); Derselbe, Die menschlichen Parasiten (2. Aufl., das. 1879–94); Küchenmeister und Zürn, Die Parasiten des Menschen (2. Aufl., das. 1878–81); Zürn, Die Schmarotzer unsrer Haussäugetiere (das. 1882–89); Posselt, Die geographische Verbreitung des Blasenwurmleidens (Stuttg. 1900).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.