Mittelmeerflora

Mittelmeerflora

Mittelmeerflora (Mediterranflora, hierzu Tafel »Mittelmeerflora«), im engern Sinn die Pflanzenwelt der am Mittelmeer gelegenen Küstenstriche und Halbinseln Südeuropas sowie Nordafrikas nördlich von der Sahara, Kleinasiens und Syriens nebst den Mittelmeerinseln, im weitern Sinn im W. die Azoren und Kanaren nebst Madeira sowie im O. einen großen Teil der orientalischen Länder von Kleinasien durch Mesopotamien und Persien bis zu den Grenzgebirgen Belutschistans gegen Indien und bis zu der Gebirgslinie Hindukusch-Elburs-Kaukasus mitumfassend. Das Gesamtgebiet der M. im weitern Sinne kann daher als atlantisch-mediterran-orientalisches Florenreich bezeichnet werden. Der klimatisch-pflanzen geographischen Zoneneinteilung nach gehört dasselbe im allgemeinen der Zone immergrüner, wärmeliebender Gehölze (s. Immergrüne Gehölze) und teilweise auch dem Wüsten- und Steppengürtel an, der von Zentralasien nach Afrika hinübergreift. Die warme Jahresperiode hat meist eine Dauer von 8–10 Monaten, die heiße eine solche von 3–5 Monaten, nur die Gebirgslandschaften werden von andauerndem Frost getroffen. Wesentliche Abweichungen hiervon treten erstlich auf den genannten atlantischen Inseln mit ozeanischem, gleichmäßigem Klima, ferner auf dem armenischen Hochland um Erzerum und Eriwan mit 3–5 monatiger Winterkälte und einem einzigen Sommermonatsmittel über 20°, endlich in dem orientalischen und marokkanisch-algerischen Abschnitte des Gebiets hervor, in denen exzessiv hohe Sommertemperaturen bei geringen jährlichen Niederschlagsmengen herrschen. Fast überall ist die Zeit der Winterruhe nur kurz; die Vegetation erwacht schon im Februar oder März, um sich schnell zur Blüte zu entfalten und dann bei Beginn der großen Hitze still zu stehen: nicht selten bringen die Herbstniederschläge eine zweite Höhenperiode der Entwickelung. Jedoch erfolgt nur in der nördlichen Hälfte etwa bis zum 40. Breitengrade des Gebiets das Maximum der Niederschläge im Frühling und Herbst, die südliche Hälfte hat nur eine trockne und eine nasse Jahreszeit. Als bedeutungsvolles klimatisches Schutzmittel besitzen daher zahlreiche Pflanzen der M. immergrünes, gegen starke Verdunstung durch eigentümlichen Bau geschütztes Laubwerk oder eine auffallend dichte Woll- und Filzbekleidung der Blätter. Das mediterrane Florenreich zerfällt in drei klimatisch und floristisch gut abgegrenzte Einzelgebiete.

1) Das atlantische (makaronesische) Gebiet umfaßt die Azoren, die Insel Madeira und die Kanaren und zeichnet sich durch eine an endemischen Formen reiche Flora aus, die außer rein mediterranen Pflanzen auch viele atlantische Typen, z. B. Erikazeen, und afrikanisch-tropische Elemente, wie z. B. fleischige Euphorbien, enthält. Die unterste, bis 500–800 m aufsteigende Region des Gebiets wird vorwiegend von einer Strauchvegetation mit Tamarix gallica, Euphorbia canariensis, E. balsamifera, Krassulazeen u. a. eingenommen; auf den Kanaren kommt auch eine Dattelpalme (Phoenix Jubae) hinzu; dann folgt bis 1200 m (auf den Azoren nur bis 800 m) immergrüner Wald mit Laurus canariensis, Oreodaphne foetens, der strauchartigen Myrica Faya, dem durch eine verzweigte Krone von Schilfblättern ausgezeichneten, aussterbenden Drachenbaum (Dracaena Draco) u. a. Noch weiter aufwärts (bis 1800 m) lösen Nadelhölzer, wie Pinus canariensis, Arten von Juniperus und Erikazeensträucher nebst Cistrosen, Arten von Daphne u. a. den Lorbeerwald ab. Auf Tenerife kommt noch eine über 1800 m liegende subalpine, aber durch große Dürre merkwürdige Höhenzone mit einem blattlosen Ginsterstrauch (Spartocytisus) und spärlichen Stauden hinzu.

2) Das Mediterrangebiet im engern Sinn umfaßt Spanien mit Ausnahme der Pyrenäen, die Balearen, das südliche Frankreich, Marokko und Algerien bis zum Südabhang des Atlas, Italien nebst den dazugehörigen Inseln, Istrien nebst den Balkanländern, die griechischen Inseln und die am Mittelmeer und Schwarzen Meer gelegenen Küstenstriche Kleinasiens nebst der Krim und dem Westabhang des Kaukasus. Floristisch läßt sich ein westlicher (atlantischer), ein mittlerer (nordafrikanisch-tyrrhenischer) und ein östlicher (ostmediterraner) Bezirk unterscheiden. In der untersten und wärmsten Region des ganzen Gebiets sind immergrüne Buschformationen (Maquis oder Macchien) mit Erica arborea, Pistacia Lentiscus, Olea europaea (Fig. 6), Myrtus communis, Phillyrea media, P. angustifolia, Arbutus Unedo, A. Andrachne, Arten von Spartium (Fig. 11), Juniperus u. a., und immergrüne Wälder, wie besonders von Eichen (Quercus Ilex [Fig. 2], Cerris, coccifera u. a.), Lorbeerbäumen (Laurus nobilis [Fig. 10]), Nadelhölzern (Pinus halepensis und P. Pinaster [Fig. 1]) u. a., tonangebend. In Südspanien bildet in dieser Region auch die Zwergpalme (Chamaerops humilis [Fig. 9]) ausgedehnte, bis 1200 m aufsteigende Bestände, die auf den italienischen Inseln nur zerstreut auftreten und weiter ostwärts fehlen. In sehr trocknen Gebieten, so zwischen der nördlichen und südlichen Kette des Atlas und in Spanien (s. d.), entwickelt sich Steppenvegetation mit harten und festen Gräsern (Esparto- oder Halfaformation mit Arten von Stipa, Aristida u. a.) und Artemisien, auf salzreichem Boden auch mit Salsoleen. Neben Macchien und Steppen treten auch buntblütige Mattenformationen (Phryganagestrüpp) auf, die von den mitteleuropäischen Wiesen völlig verschieden sind, und an deren Zusammensetzung halbstrauchige Labiaten, Cistrosen, Nelken, Umbelliferen, Kruziferen, immortellenähnliche Kompositen, Arten von Trifolium, Medicago u. a. sich vorzugsweise beteiligen. An felsigen Gehängen treten bisweilen Bestände des stammblütigen Judasbaumes (Cercis Siliquastrum), an Bachufern Südspaniens und Griechenlands Oleandergebüsche (Nerium Oleander [Fig. 12]) als charakteristisch hervor. Sandige Hügel werden von Tamarisken (Tamarix gallica u. a.), Weide- und Kulturland von zahlreichen Disteln, Acanthus (Fig. 16) u. a., tiefliegender, lehmreicher Boden von zahlreichen frühblühenden Knollen- und Zwiebelgewächsen, wie Arten von Narcissus, Asphodelus (Fig. 15), Crocus, Orchideen u. a. (Asphodillfluren), besetzt, die mit ihren unterirdischen Teilen die Zeit der Sommerdürre überdauern. In die unterste Region des Mediterrangebiets fällt auch die Kulturzone der Olive, des Weinstockes, des Feigenbaumes (Fig. 3) und zahlreicher, meist aus Asien eingeführter Südfrüchte, wie Zitronen, Orangen (Fig. 7), Mandeln, Granaten, Maulbeeren, der in der Sahara und im Orient einheimischen Dattelpalme (Fig. 8), die in Nord- und Mittelitalien nur zerstreut und erst in Unteritalien häufiger kultiviert wird, u. a., auch mehrere Nadelhölzer, wie die Zypresse (Cypressus sempervirens [Fig. 4]) und die Pinie (Fig. 5), die erst durch die Kultur verbreitet worden sind. An warmen Felsküsten, an Mauern u. dgl. haben sich einige aus dem wärmern Amerika eingeführte Sukkulenten, wie die Opuntia ficus indica (Fig. 14) u. a., und die Agaven (Agave americana [Fig. 13], fälschlich Aloe genannt) angesiedelt. Die obere Grenze der immergrünen Region greift über die Olivenkultur hinaus; in Algerien folgen z. B. über dem Zwergpalmengürtel (bis 1200 m) Bestände von immergrünen Eichen (Quercus Ballota bis 1600 m), Meerstrandskiefern (Pinus halepensis) und Zedern (Cedrus atlantica bis 1900 m). In Granada sind lichte Wälder von Pinus Pinaster und halepensis oder immergrüne Eichen bis 1200 m verbreitet, daneben herrschen Matten- oder Steppenformationen, noch höher beginnt sommergrüner Wald mit den auch in Mitteleuropa verbreiteten Laubholzgattungen. Die untere Grenze dieser mediterranen Bergwaldregion liegt zwischen 1200 und 1400 m, die obere bei 2000–2700 m. Die alpine Region der Mittelmeerländer zeigt ebenfalls vielfache Abweichungen von der Mitteleuropas; der alpine Gesträuchgürtel wird z. B. in der Sierra Nevada entsprechend dem mediterranen Charakter der Gesamtflora vorwiegend durch Ginsterarten (Erinacea pungens, Genista-Arten) neben Wacholder u. a. gebildet, auch die Flora der mediterranen Alpenmatten zeigt ein andres floristisches Bild als die der mitteleuropäischen Hochgebirge.

3) Das orientalische Gebiet verknüpft sich floristisch teils mit Arabien und der Sahara, für welche die Dattelpalme als Charakterpflanze gewählt werden kann, teils mit dem Steppengebiet Innerasiens, teils in den Gebirgen auch mit der mediterranen und pontischen Pflanzenwelt. Hiernach gliedert es sich in eine durch reichlichere Niederschläge (besonders im Februar) bevorzugte Dattelregion, die auf Mesopotamien und die Küstenstriche am Persischen Golf beschränkt ist, ferner eine durch kalte Winter und trockenheiße Sommer ausgezeichnete Steppenregion, die sich zwischen den umrandenden Gebirgen auf dem Plateau von Konia, in Kappadokien, Armenien und Persien von 700–1200 m ausbreitet, und endlich eine Bergwald- und Hochalpenregion, die mit meist spärlichen Waldbeständen, Hochsteppen und mattenähnlichen Formationen bis zu den bisweilen noch im Spätsommer schneetragenden Hochgipfeln der Gebirgswälle emporsteigt. Allen drei Regionen ist ein mehr oder weniger stark kontinentales Klima gemeinsam. Die nördliche Grenze der Dattelregion oder des »heißen Landes« (persisch: Germsir) gegen das Steppen- (»Biaban«) und gegen die feuchtern Wald- und Buschgelände (»Dschaengael«) fällt ungefähr mit der nördlichen Verbreitungslinie der Dattelpalme und des Chanarstrauchs (Zizyphus spina Christi) zusammen; erstere wird landeinwärts vom Persischen Golf allenthalben im Umkreis der Städte und Dörfer kultiviert. Die wilde Flora zeichnet sich durch einen auffallenden Reichtum an ephemeren Gewächsen aus, die ihr Leben in der kurzen Zeit des Frühjahrs zu schnellem Abschluß bringen und während desselben der Landschaft durch ihren Blütenschmuck hohen Reiz verleihen. In der sehr baumarmen Steppenregion überwiegen Sträucher, Halbsträucher und Stauden mit außerordentlich reichlichen Dornen- und Stachelbildungen (s. Steppenflora), manche derselben bestimmen noch bei 4000 m Meereshöhe das landschaftliche Vegetationsbild. In der Bergwaldregion entwickeln sich ausgedehntere Wälder am üppigsten an den gegen das Kaspische Meer hin geneigten Berglehnen mit Platanus orientalis, Pterocarya caucasica, Juglans regia, Arten von Acer, Populus, Quercus, Carpinus und Fagus silvatica, die hier ihre Ostgrenze erreicht. Am Ararat (mit einer Schneegrenze bei 4150 m) bilden Birken, Eichen, Zitterpappeln und Weiden die höchsten bis 2550 m aufsteigenden Gehölze. Die Hochebene von Erzerum gibt bei 2000 m noch ergiebige Weizenernten. Am Bingöl Dagh steigen mit dem obersten Birkengestrüpp auch Steppenpflanzen (Arten von Astragalus und Acantholimon) empor, die erst in der Nähe der Schneefeldmulden durch Hochalpenformationen mit Arten von Alsine, Androsace, Viola, Gentiana, Dianthus, Myosotis, Hedysarum, Artemisia splendens u. a. abgelöst werden; boreale Pflanzentypen sind in den nördlichen Randgebirgen Persiens, wie z. B. am westlichen Elburz, am häufigsten.

Der Ursprung der M. läßt sich deutlich auf einen schon in der Tertiärzeit vorhandenen Grundstock von subtropischen Pflanzen (arktotertiäre Flora) zurückführen, die vom Himalaja bis zu den Pyrenäen sowie einem großen Teil der nördlichen Hemisphäre überhaupt verbreitet waren. Direkt von Pflanzen der Tertiärperiode leiten sich von jetzt lebenden Arten der M. z. B. Ceratonia Siliqua, Ostrya carpinifolia, Nerium Oleander, Chamaerops humilis, Myrtus communis, Laurus nobilis und canariensis, Punica Granatum, Olea europaea, Smilax aspera und mauritanica, Pistacia Lentiscus und Terebinthus, Viburnum Tinus, Quercus Ilex u. a. ab, deren nächstverwandte Vorfahren in fossilen Resten von Pliocän- und Miocänschichten des Gebiets erhalten sind. Bei der während der Tertiärperiode im Mittelmeergebiet nachgewiesenen anderweitigen Verteilung des Festlandes und der Inseln, von denen z. B. Sizilien und Unteritalien zeitweise mit Nordafrika, der Griechische Archipel mit der Balkanhalbinsel und Kleinasien zusammenhingen, war den Pflanzen Gelegenheit zu ausgedehnter Verbreitung von Kleinasien, Syrien und Nordafrika bis nach Südfrankreich und Spanien gegeben. Es ist daher eine ansehnliche Zahl von Arten auch in solchen Teilen des Mediterrangebiets allgemein verbreitet, die gegenwärtig nicht mehr in Landzusammenhang stehen, eine Ausnahme in dieser Beziehung macht besonders Oberitalien, das bis zur jüngsten Zeit der Pliocänperiode vom Meere bedeckt war. Ferner konnten sich in den zuerst gehobenen und abgetrennten Landteilen mehr eigentümliche (endemische) Formen ausbilden als in den später gebildeten. Daher haben sich in letztern aus dem gemeinsamen Grundstock von Gattungstypen nahe verwandte, aber nicht identische Formen (sogen. vikarierende Arten) im W. und O. der M. herausgebildet; bekannte Beispiele dafür bilden Ramondia pyrenaica in den Pyrenäen und R. serbica im Rhodopegebirge, Lathraea clandestina in Westfrankreich, Spanien und Mittelitalien und L. rhodopea im Rhodopegebirge etc.

Für die Flora Makaronesiens ist eine Reihe tropischer Pflanzentypen, wie Phyllis (Rubiazee), Visnea (Ternströmiazee), Myrsine (Myrsinazee), Sideroxylon und Argania (Sapotazee) u. a., bezeichnend, deren Verwandte in den Tropen der Alten und Neuen Welt reichlicher entwickelt sind; auch erinnern einige in Makaronesien endemische Pflanzen an Überreste der europäischen Tertiärflora, soz. B. Laurus canariensis an L. princeps, Dracaena Draco an D. australis u. a. Während der ältern quaternären Periode besaß Madeira bereits eine ähnliche Vegetation wie gegenwärtig mit Laurus canariensis, Oreodaphne foetens, Myrica Faya, Erica arborea u. a. Hieraus und auch aus einer Reihe zum Teil zoogeographischer Gründe, wie der Verbreitung der Landschnecken, erscheint die ursprüngliche Zugehörigkeit der makaronesisch-atlantischen Flora zu der des Mittelmeergebiets kaum zweifelhaft. Dasselbe gilt für den Zusammenhang letzterer mit der Zentralasiens, da noch am Ende der Tertiärzeit das Schwarze und Kaspische Meer mit dem großen Sibirischen Meer in Verbindung standen, dessen Wellen den Altai, Alatau und Hindukusch bespülten und das nach seiner Austrocknung den Boden für die später entwickelte und nach den verschiedensten Richtungen ausstrahlende Steppenflora lieferte. Vor der Entwickelung letzterer herrschten in den das Mittelmeergebiet mit Zentralasien verbindenden Ländern, wie Persien und Afghanistan, aller Wahrscheinlichkeit nach ähnliche klimatische Verhältnisse wie gegenwärtig in Südeuropa, so daß ein ungehinderter Pflanzenaustausch vom Himalaja bis zu den Pyrenäen stattfinden konnte. Hieraus erklärt sich des Vorhandensein einer ansehnlichen Zahl von Pflanzengattungen arktotertiären Ursprungs, wie Philadelphus, Apocynum, Nerium, Scopolia, Asarum, Omphalodes, Cereis, Liquidambar, Platanus, Castanca, Ostrya, Carpinus, Pistacia u. a., die mit vikarierenden Arten gegenwärtig sowohl im engern Mittelmeergebiet als im Himalaja, in Japan und auch in Nordamerika vertreten sind. Diese geschichtlichen Beziehungen der M. erhellen erst den einheitlichen Charakter der M., deren gegenwärtiger Bestand nur versprengte, oft durch große Lücken der Verbreitung getrennte Überreste der ehemaligen Tertiärflora enthält. Vgl. die pflanzengeographischen Abschnitte in den Artikeln: »Spanien, Italien, Türkei, Griechenland, Europa, Asien, Afrika«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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