Leibniz

Leibniz

Leibniz, Gottfried Wilhelm, (seit 1709) Freiherr von, einer der vielseitigsten Gelehrten und scharfsinnigsten Denker aller Zeiten, geb. 1. Juli 1646 in Leipzig, gest. 14. Nov. 1716 in Hannover. Nachdem er die Nikolaischule in Leipzig, wo sein Vater, ein Jurist, Professor der Moralphilosophie war, besucht hatte, bezog er in seinem 15. Jahr die Universität daselbst, um Rechtswissenschaft zu studieren, widmete sich aber daneben mit Vorliebe philosophischen Studien, besonders unter Leitung des Jakob Thomasius, und veröffentlichte schon 1663 eine Abhandlung: »De principio individui« (wieder hrsg. von Guhrauer, Bresl. 1837), in der er die Prinzipien des Nominalismus verfocht, schloß sich hierauf in Jena dem Mathematiker E. Weigel an, verfaßte die Abhandlungen »Specimen difficultatis in jure« (1664) und »De arte combinatoria« (1666), wurde mit seiner Bewerbung um die juristische Doktorwürde von der Universität seiner Vaterstadt seiner Jugend wegen zurückgewiesen, weshalb er Leipzig für immer verließ. Nachdem er noch in demselben Jahr mit der Abhandlung »De casibus perplexis in jure« zu Altdorf promoviert hatte, schloß er sich 1667 dem kurmainzischen Minister Baron J. Chr. von Boyneburg an, für den er mehrere publizistische Schriften ausarbeitete, unter andern 1669 bei Boyneburgs Gesandtschaft nach Polen das »Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo«, dann das »Bedenken, welchergestalt securitas publica interna et externa und status praesens im Reich auf festen Fuß zu stellen«, und das »Consilium aegyptiacum«, das Ludwigs XIV. Ehrgeiz zu einem (nachher von Napoleon I. unternommenen) Zug nach Ägypten anstacheln sollte, um ihn von Deutschland abzulenken. In diesen und in andern Schriften zeigte sich L. als guter deutscher Patriot. In Paris, wohin er 1672 gesandt wurde, und bei einem Ausflug nach London kam L. in persönlichen Verkehr mit den berühmtesten Mathematikern und Naturforschern jener Zeit, namentlich mit Huygens, Rob. Boyle, Collins (mit Newton wechselte er nur Briefe), und die Anregung zur Wiederaufnahme seiner mathematischen Studien, die er dadurch erhielt, führte zur Erfindung der Differentialrechnung, wobei er vielleicht nicht ganz unabhängig von Newton war. Doch veröffentlichte L. sie früher als Newton, verbesserte die Methode wesentlich und machte den Grundgedanken erst recht fruchtbar. Auf einer Reise durch Holland hatte L. eine längere Unterredung mit Spinoza. 1676 trat er als Bibliothekar und Historiograph in hannoversche Dienste, verfaßte im Auftrag und Interesse des braunschweigischen Hauses die Schrift »Caesarini Fuerstenerii de jure suprematus ac legationis principum Germaniae« (1677), sammelte Material zur Geschichte des Hauses, zu welchem Zweck er 1687 Wien und Italien besuchte, und arbeitete die Werke: »Codex juris gentium diplomaticus« (Hannov. 1693 bis 1700, 2 Bde.), »Accessiones historicae« (Leipz. u. Hannov. 1698–1700, 2 Bde.), »Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes« (das. 1707–11, 3 Bde.) und die »Annales imperii occidentis Brunsvicenses« aus, welch letztere damals ungedruckt blieben und erst lange nach seinem Tode von Pertz (das. 1843–45, 2 Bde.) aus L.' Handschriften herausgegeben wurden. Zum Zwecke dieser historischen Arbeiten unternahm er auch Reisen nach Wien und Rom. Seine durch die Jesuiten bis nach China reichenden Verbindungen benutzte er zu etymologischen Forschungen, denen wir die »Collectanea etymologica« (Hannov. 1717) verdanken. Bis 1694 korrespondierte er unter Vermittelung des katholisch gewordenen Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels fruchtlos mit Pélisson und Bossuet über eine Vereinigung der protestantischen und katholischen Kirche und verfaßte zu diesem Zweck das konziliatorische »Systema theologicum« (Par. 1819; deutsch von Räß und Weis, Mainz 1820), das ihn in den Verdacht des Kryptokatholizismus brachte (vgl. Schulz, Über die Entdeckung, daß L. ein Katholik gewesen, Götting. 1827; Kiefl, Der Friedensplan des L. zur Wiedervereinigung der getrennten christlichen Kirchen, Paderb. 1904). Wie er selbst in seiner Person eine »Akademie« darstellte, ohne in irgend einer der Wissenschaften, für die er arbeitete, nur Liebhaber zu sein, so strebte er dahin, seine Verbindungen mit den Höfen in Berlin, Wien und Petersburg zur Gründung von Akademien der Wissenschaften nach dem Muster der Pariser und Londoner an diesen Orten zu benutzen. Durch seinen Einfluß auf die geistreiche Königin Sophie Charlotte, die Großmutter Friedrichs d. Gr., bei der er sich öfter in Charlottenburg aufhielt, setzte er 1700 die Stiftung der Akademie der Wissenschaften in Berlin durch und wurde deren erster Präsident. In Wien unterstützte der ihm gewogene Prinz Engen von Savoyen L.' Plan, der jedoch an dem Widerstand der Jesuiten scheiterte und erst 1846 zur Ausführung kam. In Petersburg gründete Peter d. Gr., der L. 1711 im Lager zu Torgau kennen lernte, die noch heute bestehende Akademie nach L.' Entwurf. Vom Kaiser Karl VI. wurde L. zum Freiherrn und Reichshofrat ernannt, von andern Fürsten durch Titel und Jahrgehalte ausgezeichnet. Er soll in der Neustädter Hofkirche zu Hannover beigesetzt worden sein, wo ihm ein einfaches Monument mit der Aufschrift »Ossa Leibnitii« errichtet wurde. Ein größeres Denkmal am Waterlooplatz in Hannover trägt die von Heyne angegebene Inschrift »Genio Leibnitii«. 1883 ward ihm ein Standbild, von Hähnel modelliert, in seiner Geburtsstadt errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen I«. 1846 wurde das 200jährige Fest seiner Geburt gefeiert und in demselben Jahr die königlich sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig und die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien eröffnet.

L.' gelehrte schriftstellerische Tätigkeit äußerte sich vielfach gelegentlich in Briefen und kurzen Aufsätzen, die sich in den Zeitschriften: »Acta Eruditorum«, »Miscellanea Berolinensia«, »Journal des Savants« sowie in den Briefsammlungen von Kortholt (Leipz. 1734–42, 4 Bde.), Gruber (Hannover u. Götting. 1745, 2 Bde.), Michaelis (Götting. 1755), Beesenmeyer (Nürnb. 1788), Feder (Hannov. 1815) und Cousin (im »Journal des Savants«, 1844), in »L.' und Huygens' Briefwechsel mit Papin« (hrsg. von Gerland, Berl. 1881), dem »Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff« (hrsg. von Döbner, Hannov. 1882) und in weitern Veröffentlichungen von Distel, Gerland u.a. finden. Sein philosophisches System stellte er kurz darin der sogen »Monadologie« (1714) sowie in den für den Prinzen Eugen von Savoyen geschriebenen »Principes de la nature et de la grâce« (1717). Ausführliche philosophische Werke von ihm sind die auf Veranlassung der philosophischen Königin Sophie Charlotte von Preußen geschriebenen »Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal« (zuerst Amsterd. 1710, 2 Bde.; hrsg. von Jaucourt, das. 1747, 2 Bde.; von Erdmann, Berl. 1840, 2 Bde.; lat., Tübing. 1771; deutsch, Mainz 1820, ferner in der »Philosophischen Bibliothek« von J. H. v. Kirchmann, Berl. 1877, und in Reclams Universal-Bibliothek von Habs, Leipz. 1884) und »Nouveaux essais sur l'entendement humain« (deutsch von Schaarschmidt, 2. Aufl., Leipz. 1904), eine in Form eines Dialogs durchgeführte Prüfung des Lockeschen Werkes über das Erkenntnisvermögen, die erst lange nach L.' Tod bekannt wurde und den wichtigsten Teil der von Raspe herausgegebenen »Œuvres philosophiques de feu M. de L.« (Amsterd. u. Leipz. 1765) ausmacht. Die erste (unvollständige) Ausgabe der Leibnizschen Werke besorgte Dutens (Genf 1768, 6 Bde.); neuere Gesamtausgaben auf Grundlage der Handschriften der hannoverschen Bibliothek wurden begonnen von Pertz (erste Folge: »Historische Schriften«, Hannov. 1843–47, 4 Bde.; zweite Folge: »Briefwechsel mit Arnauld und dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels«, das. 1846; dritte Folge: »Mathematische Schriften«, Berl. u. Halle 1849–1862, 7 Bde., hrsg. von Gerhardt, der auch L.' »Briefwechsel mit Mathematikern« herausgab, Bd. 1, Berl. 1898) und von O. Klopp (Hannov. 1862–84; 11 Bde.), beide unvollendet. Die philosophischen Schriften gaben Erdmann (Berl. 1839, 2 Bde.), Janet (St.-Cloud 1866, 2 Bde.) heraus und am vollständigsten Gerhardt (Berl. 1875–90, 7 Bde.). L.' »Deutsche Schriften« gab Guhrauer (Berl. 1838–40, 2 Bde.), »Lettres et opuscules inédits de L.«, darunter eine »Réfutation inédite de Spinoza par L.« (Par. 1854), Foucher de Careil heraus, der ebenfalls eine auf 20 Bände berechnete Gesamtausgabe begonnen hat, von der aber nur 7 Bände (1859–75) erschienen sind; den Briefwechsel L.' und die Leibniz-Handschriften in der königlichen Bibliothek in Hannover hat Bodemann beschrieben (Hannov. 1889 u. 1895). In der »Philosophischen Bibliothek« begann Cassirer eine Ausgabe der »Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie« (Leipz. 1903 f.). Eine vollständige Ausgabe der Werke ist von den Akademien in Paris und Berlin in Aussicht genommen.

Der Grundzug von L.' ganzem Wesen, auch von seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, ist das Streben nach Vereinigung des Verschiedenen, nach »Harmonie«, indem er in allen Lehren etwas Wahres erblickte. Wie er auf religiösem Gebiet Einheit zu schaffen versuchte, so wollte er auch auf philosophischem die scheinbar entgegengesetzten Weltanschauungen miteinander verbinden, in ähnlicher Weise, wie das Platon und Aristoteles schon versucht hatten. Er erzählt selbst von sich, bereits als 15jähriger Jüngling, nachdem er mit den alten Philosophen und den Scholastikern schon bekannt gewesen sei, habe er sich in einem Wäldchen bei Leipzig, das Rosental genannt, einsam ergangen, um bei sich zu erwägen, ob er der teleologischen Anschauung des Aristoteles oder der mechanischen Demokrits sich zuwenden solle. Damals habe der Mechanismus bei ihm die Oberhand bekommen, später aber beim Aufsuchen der letzten Gründe für die Bewegungsgesetze sei er zur Metaphysik des Aristoteles zurückgekehrt. So zeigte sich zwar auch der Gegensatz bei ihm, aber er ist durch die Harmonie bald überwunden. L. knüpft in seiner Philosophie an den Cartesianischen Dualismus an, durch den jede direkte Einwirkung des Geistes auf die Materie und umgekehrt unmöglich gemacht wird. Es kommt darauf an, den einen Gegensatz auf den andern zurückzuführen. Der Körper (Materie) ist seinem Wesen nach (in seinen letzten Bestandteilen, den einfachen Substanzen, aus denen er zusammengesetzt ist) vom Geist nicht verschieden, dessen Wesen darin besteht, daß er eine einfache Substanz, und daß er als solche tätige, lebendige Kraft ist. Der »Körper« (Materie) als »Ausdehnung« ist als solcher nicht wirklich, sondern bloßes »Phänomen«, und das einzige, was wahrhaft existiert, sind die einfachen Substanzen, die »Monaden« (Einheiten), die »wahren Atome der Natur«. Dieselben sind (als »einfache«) sämtlich einerlei Art und, da der uns bekannte Geist, unsre eigne Seele, selbst eine einfache Substanz ist, sämtlich »geistiger« Natur und werden von L. ausdrücklich als »Seelen« (âmes) bezeichnet.

Sowohl der quantitative Monismus Spinozas, der nur eine einzige Substanz, als der qualitative Dualismus des Cartesius, der zweierlei Arten von Substanzen, geistige und materielle, kennt (vgl. Monismus und Dualismus), ist dadurch beseitigt; jenem setzt L. den Pluralismus (der unzählige), diesem den Spiritualismus (der nur geistige Substanzen kennt) entgegen. Jede einfache SubstanzMonade«) ist unteilbar; das Allgemeine (Geist wie Materie) hat als solches keine, und nur die Individuen besitzen wirkliche Existenz. Eine Bestätigung dafür, daß die ausgedehnte Materie als solche nicht existiere, fand L. in der mittels des Mikroskops durch Leeuwenhoek und Swammerdam gemachten Entdeckung der Infusorien im Wassertropfen, die beweise, daß auch in dem anscheinend Leblosen noch zahllose lebendige Wesen enthalten seien. Sie gehört als »phaenomenon bene fundatum« lediglich der Erscheinungs-, keineswegs aber der Welt des an sich Seienden (der Monadenwelt) an, die als die Gesamtheit immaterieller, einfacher Substanzen selbst immateriell (eine Geisterwelt) ist. Die Monaden, obgleich sämtlich gleichartig, sind einander doch keineswegs gleich; vielmehr ist nach dem von L. aufgestellten Prinzip de identitate indiscernibilium (von der Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden) jede von jeder unterschieden. Da dieselben aber als immaterielle Wesen keine äußerlich wahrnehmbaren Verschiedenheiten besitzen können, ihre Natur jedoch nur darin besteht, daß sie wirksame Kräfte sind, so kann ihre Verschiedenheit nur eine innere, und zwar nur in dem verschiedenen Grad ihrer Wirksamkeit gelegen sein. Sämtliche Monaden stellen eine Reihe stufenweise, höher und niedriger, entwickelter Kraftwesen dar, deren unterste den niedrigsten, deren höchste den höchsten Erscheinungen der wirklichen (Körper- und Geistes-) Welt zugrunde liegen. Auch der menschliche Leib ist als solcher ein Aggregat von Monaden, die zu einer solchen (der Seele) in dem Verhältnis niedriger zur höhern stehen. So ständen der gegenseitigen Einwirkung von Seele und Leib auseinander von seiten der Qualität, da sie gleichartig sind, nichts mehr entgegen; aber L. sagt: Die Wirksamkeit jeder Monas als einer »wirksamen Kraft« kann keine auf andre »übergehende« (transeunte), sondern nur eine auf das Innere der Monas selbst beschränkte sein; die Monaden, Kraftwesen, haben keine Fenster, es kommt nichts aus ihnen heraus und nichts in sie hinein. Da nun dasjenige, was innerhalb eines immateriellen Wesens geschieht, selbst nicht anders als immateriell sein kann, so muß auch alles, was wahrhaft geschieht, immaterieller (geistiger) Natur sein. Geistige Wesen und deren (gleichfalls) geistige Zustände machen allein die wahrhafte Welt aus, welche die wirkliche Grundlage der sinnlich erscheinenden Welt bildet. Die in dem Innern jeder Monade nacheinander ablaufenden Zustände bilden eine Reihe, in der jedes folgende Glied (nach dem von L. zuerst aufgestellten Prinzip des »zureichenden Grundes«) seinen Grund in dem vorhergegangenen hat und zugleich selbst den Grund für die nachfolgenden enthält, so daß »die Gegenwart schwanger mit der Zukunft« ist. Allein da keine Monade eine Anregung von außen empfangen kann, so gleicht jede einzelne Monade einem »geistigen Automaten«, der seine Bewegungen unabhängig von allem, was außer ihm ist und sich selbst bewegt, vollzieht. Eine Verschiedenheit unter den Monaden wird dabei dadurch begründet, daß ihre Perzeptionen, Vorstellungen, sämtlich dunkle oder wenigstens teilweise klare oder durchaus klare Bewußtseinsakte sind. Jene nehmen als »schlummernde« (Stein-, Pflanzen-, Tier-) Seelen die tiefste, letztere, die »göttliche« Seele, die höchste, die menschliche Seele aber nimmt als teilweise klares, teilweise dunkles Bewußtsein eine mittlere Stellung ein. Die Möglichkeit einer Übereinstimmung zwischen den Zuständen zweier oder mehrerer Monaden, z. B. der Seele und den Monaden des Leibes, hängt davon ab, ob auch die Bewegungen zweier oder mehrerer »Automaten« in Harmonie gebracht werden können. Dies kann dadurch bewirkt werden, daß Gott (wie der »ungeschickte« Uhrmacher die Zeiger seiner Uhren) die Zustände des einen gelegentlich nach jenen des andern regulierte, wodurch er zum »deus ex machina« herabgewürdigt würde, oder dadurch, daß Gott (wie der »geschickte« Uhrmacher seine Uhrwerke) die Natur jeder einzelnen Monas von Ewigkeit an so in Übereinstimmung mit der Natur aller übrigen angelegt hätte, daß ihre innern Zustände mit jenen aller übrigen für alle Ewigkeit hinaus im Einklang bleiben müßten, was seiner als des zugleich intelligentesten und mächtigsten Wesens vollkommen würdig wäre. Es ist anzunehmen, daß Gott, wenn er überhaupt existiert, diese Harmonie aller Monaden und ihrer innern Zustände untereinander nicht nur von Anfang an erkannt, sondern gewollt und hergestellt, d.h. daß er eine prästabilierte (universelle) Harmonie zwischen denselben geschaffen habe. Daß Gott aber existiert, folgt nach L. direkt aus seinem Begriff als dem eines Wesens, das alle Eigenschaften (also auch die Realität) im höchsten Grad in sich vereinigt, in dem sie nebeneinander möglich sind. Letzterer Zusatz ist notwendig, weil es Eigenschaften gibt (z. B. Heiligkeit und Allmacht), die zugleich im höchsten Grade nicht möglich sind. So verträgt es sich mit Gottes Heiligkeit nicht, das Böse zu tun, während dies aus seiner Allmacht als möglich folgen müßte. Aus dieser Selbsteinschränkung der göttlichen Eigenschaften folgt, daß Gott zwar alle möglichen Welten denken, aber nur die beste unter ihnen wollen und demgemäß schaffen kann. Die Existenz der bestehenden Welt als der besten unter allen möglichen (Optimismus) folgt daher unmittelbar aus Gottes eigner Existenz; er ist die Urmonas, zu der sich alle übrigen Monaden wie »Effulgurationen« verhalten. Durch die Behauptung, daß jede andre mögliche Welt notwendig unvollkommener wäre als die wirklich vorhandene, wird das Vorhandensein mannigfacher Übel und Unvollkommenheiten (z. B. der Sünde und des Bösen) in dieser keineswegs geleugnet, sondern nur die Annahme, daß eine Welt ohne diese überhaupt möglich wäre. Die Realisierung der besten Welt erfolgt dem göttlichen Weltplan gemäß (teleologisch) nach Zweck-, aber zugleich (mechanisch) durch wirkende Ursachen; jene, das Reich der Gnade, nach dem der Weltlauf willkürlich (von Gottes »Gnade« abhängig), diese, das Reich der Natur, nach dem er notwendig (von seinem Willen unabhängig) erscheint, sind beide wesentlich eins. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit (Moral- und Naturgesetz) herrscht dieselbe prästabilierte Harmonie wie zwischen den einzelnen Monaden. Die Natur führt zur Gnade, und diese vervollkommt die Natur, indem ste sich ihrer bedient; Gott als »Monarch« und Gott als »Architekt« der Welt stehen miteinander von Ewigkeit her in vollkommenster Übereinstimmung.

L. erkannte zuerst die Bedeutung der Zeichen und der Bezeichnung für die Mathematik, er erfaßte ihr innerstes Wesen als Symbolik und sah ein, daß die bloße Kombination der Symbole von selbst zu neuen Entdeckungen führen müsse. Unsre ganze heutige Bezeichnung geht auf L. zurück (Punkt als Multiplikations-, Doppelpunkt als Divisionszeichen, die Indexbezeichnung etc.). Man kann L. als den Entdecker des Operationskalküls bezeichnen, denn er war sowohl der erste Entdecker der Determinanten, als er auch den Gedanken eines Logikkalküls gefaßt hat. Auch den geometrischen Kalkül hat er mehrfach behandelt und seinem Wesen nach richtig erfaßt. Das Kongruenzaxiom in der Fassung Bolzanos kommt bei L. wiederholt vor. Viele heute ganz geläufige Fachausdrücke gehen auf L. zurück (Funktion, Exponentialgröße, Analysis, Äquipollenz etc.). Über die Differentialrechnung s. oben. Erwähnenswert sind noch die Entwürfe einer Universalsprache und Universalschrift, die L. sein ganzes Leben hindurch beschäftigten. Die eigentliche Tiefe seiner Gedanken ist von seinem unmittelbaren Nachfolger, dem nüchternen Systematiker Christian Wolff, nicht voll erkannt und erst von Spätern, wie Lessing, Schelling, Hegel, Herbart, Lotze u.a., richtig gewürdigt worden.

Über L. haben unter andern geschrieben: Fontenelle (1716), Bailly (1769), v. Eccard (hrsg. von Murr, 1779), Jaucourt (1757), Kästner (1769), am gründlichsten Guhrauer (»G. W. Freiherr von L., eine Biographie«, Bresl. 1842, 2 Bde.; mit Nachträgen 1846), E. Pfleiderer (»L. als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger«, Leipz. 1870), Kirchner (»G. W. L., sein Leben und Denken«, Köthen 1877) und J. Th. Merz (Lond. 1884; deutsch, Heidelb. 1886). Über seine Philosophie vgl. Ludw. Feuerbach, Darstellung, Entwickelung und Kritik der Leibnizschen Philosophie (Ansb. 1837); folgende Schriften von Robert Zimmermann: L.' Monadologie (Wien 1847), L. und Herbart (das. 1849), Das Rechtsprinzip bei L. (das. 1852), Über L.' Konzeptualismus (das. 1854), L. und Lessing (das. 1855); Kuno Fischer, L. und seine Schule (4. Aufl., Heidelb. 1902); Pichler, Die Theologie des L. (Münch. 1869, 2 Bde.); Stein, L. und Spinoza (Berl. 1890); Dillmann, Eine neue Darstellung der Leibnizschen Monadenlehre (Leipz. 1891); Vahlen, L. als Schriftsteller (Berl. 1897); Hahn, Die Entwickelung der Leibnizschen Metaphysik und der Einfluß der Mathematik auf dieselbe bis zum Jahre 1686 (Halle 1899); Hohenemser, Die Lehre von den kleinen Vorstellungen bei L. (Heidelb. 1899); Sticker, Die Leibnizschen Begriffe der Perzeption und Apperzeption (Bonn 1900); Cassirer, L.' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen (Leipz. 1902); H. Hoffmann, Die Leibnizsche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Stellung (Tübing. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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