Griechische Sprache

Griechische Sprache

Griechische Sprache, die Sprache der alten Griechen, wie sie sich in den Erzeugnissen ihrer Literatur darstellt, während man die Sprache der modernen Griechen als Neugriechisch zu bezeichnen pflegt (s. Neugriechische Sprache). Diese alte Sprache wurde, soweit sie uns geschichtlich bekannt ist, zuerst im europäischen Griechenland und in den Küstenländern Kleinasiens sowie auf den dazwischen liegenden Inseln gesprochen, verbreitete sich aber früh durch Kolonien nach Unteritalien, Sizilien und einzelnen Gegenden Afrikas (Kyrene) und Galliens (Massilia). Ihrem Ursprung noch gehört sie zum indogermanischen Sprachstamm (s. Sprache und Sprachwissenschaft).

Den ursprünglichen Zustand der griechischen Sprache, in dem sie noch gewissermaßen ein ungeteiltes Ganzes war, kennen wir nicht, ebensowenig ihre allmähliche Entwickelung; denn in den Homerischen Gedichten, dem ältesten griechischen Literaturdenkmal, tritt sie uns schon in der Gestalt einer bestimmten einzelnen Mundart entgegen. Unter den griechischen Mundarten treten besonders drei Dialektgruppen hervor, die äolische, dorische und ionische (vgl. R. Meister, Die griechischen Dialekte, Götting. 1882–89, 2 Bde.; O. Hoffmann, Die griechischen Dialekte, das. 1891 bis 1898, 3 Bde.). Der äolische, der namentlich in Böotoen, Thessalien und den äolischen Kolonien Kleinasiens gesprochen wurde, zeigt innerhalb seiner lokalen Grenzen die meisten Differenzen. Eigentümlich ist der asiatischen Mundart des Äolischen der Mangel der Aspiration und die Barytonie, d. h. die grundsätzliche Unbetontheit der Endsilben. In ihr dichteten Sappho und Alkäos. Der dorische Dialekt wurde in Lakonika, Messenien, Argolis, Korinth, Megara, Kreta und auf zahlreichen Inseln des Agäischen Meeres sowie in unteritalischen und sizilischen Kolonien gesprochen. Auch hier gab es zahlreiche Varietäten, und hervorzuheben ist, daß der lakonische Dialekt von sämtlichen altgriechischen Dialekten der einzige ist, der seine Sonderart bis heute festgehalten hat: er lebt nämlich heute noch fort als die Sprache der Zakonen (am Parnon). Literarische Überreste des dorischen Dialekts sind außer den Fragmenten des Alkman, Epicharm, Sophron, Philolaos, Archytas u. a. die Schriften des Mathematikers Archimedes. Der ionische Dialekt, dessen Haupteigentümlichkeit das ē gegenüber dem ā aller andern Mundarten ist, zerlegt sich in zwei Abteilungen, den ionischen Dialekt im engern Sinn und den attischen. Jener wurde im ionischen Kleinasien und auf einem Teil der Inseln des Ägäischen Meeres gesprochen. Seine älteste Gestaltung ist die Mundart der Homerischen Gedichte, die freilich nicht rein ionisch ist, sondern viele äolische Bestandteile enthält. Dieser epische Dialekt blieb als Kunstdialekt für die epische Dichtungsgattung durch das ganze griechische Altertum maßgebend, ja er hat die Sprache der gesamten griechischen Dichtkunst nicht unerheblich beeinflußt. Eine jüngere Gestaltung des ionischen Dialektes ist durch die ionische Prosa vertreten, besonders durch Herodot und den Arzt Hippokrates. Im attischen Dialekt ist die Hauptmasse der auf uns gekommenen griechischen Literatur verfaßt, was daher kommt, daß sich gegen Ende des 5. Jahrh. v. Chr. auf der Grundlage dieser Mundart eine allgemein griechische Schriftsprache bildete, die wenigstens aus der Prosaliteratur des spätern Altertums den Gebrauch der andern Dialekte fast ganz ausschloß. Die bedeutendsten Vertreter des ältern Attizismus sind: Thukydides, Xenophon, Platon, die Redner Lysias, Isokrates, Demosthenes, Äschines, die Dramatiker Äschylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes. Außer den genannten drei Hauptgruppen gab es im Altertum noch einige kleinere Gruppen von Dialekten und für sich alleinstehende Mundarten: die sogen. nordwestgriechische Gruppe, zu der besonders die in Lokris und Phokis gesprochenen Dialekte gehören, das Elische, das Arkadisch-Kyprische und das Pamphylische. Verhältnismäßig wenige von den altgriechischen Mundarten kennen wir aus der handschriftlich auf die Gegenwart gekommenen Literatur. Weitaus die meisten sind uns durch die Inschriften bekannt, deren Zahl eine außerordentlich große ist und besonders in den letzten Jahrzehnten durch die mit großem Eifer betriebenen Ausgrabungen eine bedeutende Vermehrung erfahren hat. Von den Inschriftensammlungen, die speziell dem Studium der Sprache dienen, ist die wichtigste die »Sammlung der griechischen Dialektinschriften« von Collitz und Bechtel (Götting. 1884 ff., 4 Bde., noch unvollendet). – Die attische Mundart fand, wie als Literatursprache, so auch in ihrer vulgären (volkstümlichen) Gestaltung als Umgangssprache vom 5. Jahrh. v. Chr. an weitere Verbreitung in der griechischen Welt. Doch strömten bald zahlreiche Elemente auch aus andern Dialekten, zunächst und in weitestem Umfang aus dem ionischen, hinzu. Diese neue Sprachform, die hellenistische Gemeinsprache oder κοινή, verdrängte mehr und mehr die alten Mundarten, zunächst das insulare Ionisch und das Ionische in Kleinasien, dann die drei äolischen Mundarten; am längsten hielten sich die dorischen Dialekte. Dieser Prozeß der Verdrängung fällt in die Zeit etwa vom 3. Jahrh. v. Chr. bis zum 3. Jahrh. n. Chr. Nur das Lakonische erhielt sich, wie oben schon erwähnt ist. Aus der κοινή entwickelten sich dann nach und nach die neugriechischen Mundarten, und der Beginn der spezifisch neugriechischen Dialektdifferenzierung ist etwa in die Mitte des 1. Jahrtausends unsrer Zeitrechnung zu verlegen. Für die Gegenwart unterscheidet man eine nordgriechische und eine südgriechische Dialektgruppe, deren Grenze etwa der 38. Breitegrad ist. Vgl. Hatzidakis, Einleitung in die neugriechische Grammatik (Leipz. 1892); Thumb, Die g. S. im Zeitalter des Hellenismus (Straßb. 1901).

Die Buchstabenschrift entlehnten die Griechen nebst der Benennung der einzelnen Buchstaben von den Phönikern. Anfangs behielten sie auch die bei diesen übliche linksläufige Schrift bei. Dann entwickelte sich die furchenförmige Anordnung der Zeilen (Bustrophedon), bei der die erste Zeile von rechts nach links, die zweite von links nach rechts etc. geht; die rechtsläufige Schrift, die schon im 7. Jahrh. vorkommt, gelangte zur ausschließlichen Geltung im 5. Jahrh. v. Chr. Das hohe Verdienst der Griechen ist die Umwandlung der semitischen Schrift zur durchgeführten Lautschrift, indem sie von den fünf Hauchzeichen unter den 22 Buchstaben des phönikischen Alphabets vier als Vokalzeichen verwendeten (aleph = a, he = e, iod = i, ain = o), während das fünfte (chet) seine Bedeutung als solches (H) zunächst behielt; von den übrigen kamen allmählich die Zeichen vau, koppa und san (sampi) für den Schriftgebrauch in Wegfall, anderseits erfanden die Griechen mit der Zeit besondere Zeichen für y, ph, ch, ps und für das lange o, die an das Ende der phönikischen Buchstabenreihe angefügt wurden. Bei den Ostgriechen wurde das Zeichen für den Hauchlaut zur Bezeichnung des langen e verwendet. Dieses so vervollständigte Alphabet von 24 Buchstaben:


Tabelle

(vgl. auch die Schrifttafel beim Art. »Schrift«) wurde zuerst von den kleinasiatischen Ioniern angewendet und als vollkommenste Darstellung des griechischen Lautsystems von den übrigen griechischen Stämmen allmählich angenommen. In Athen wurde 403 v. Chr. unter dem Archontat des Eukleides das schon früher im Privatgebrauch verwendete ionische Alphabet durch Volksbeschluß für den offiziellen Gebrauch eingeführt. Vgl. Kirchhoff, Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets (4. Aufl., Gütersloh 1887). Über die griechischen Zahlzeichen s. Ziffern. – Die Akzentzeichen sowie die andern Lesezeichen (Spiritus, Zeichen für Länge und Kürze, Apostroph u. a.) werden auf den Grammatiker Aristophanes von Byzanz (um 200 v. Chr.) zurückgeführt, dessen Schüler Aristarch die Akzentuation in den dialektischen Dichtertexten zuerst systematisch durchgeführt zu haben scheint. In Handschriften gewöhnlicher Sprache ist die Setzung von Akzenten und Spiritus erst im 7. Jahrh. n. Chr. allgemeiner geworden.

Über die Aussprache des Griechischen bestanden früher zweierlei Ansichten, die Reuchlinsche und die Erasmische. Erstere, nach ihrem Vertreter Reuchlin benannt, ist die von den griechischen Gelehrten, die seit Ende des 14. Jahrh. Kenntnis griechischer Sprache und Literatur nach Westeuropa brachten, überkommene neugriechische; danach sind η, υ, ει, οι, und υι wie i, αι wie ä, αυ, ευ, ηυ, ωυ wie af, ef, if, of, resp. aw, ew, iw, ow zu sprechen. Dagegen geht die Erasmische, von Erasmus von Rotterdam im »Dialogus de recta latini graecique sermonis pronuntiatione« (Basel 1528) aufgestellt, nach dem Grundsatz, daß die griechischen Buchstaben den entsprechenden Lauten gemäß, also phonetisch auszusprechen seien. Wegen des vorherrschenden i heißen die Anhänger der Reuchlinschen Aussprache Itazisten (Itazismus), die der Erasmischen, weil ihnen η wie ē lautet, Etazisten (Etazismus). Letztere fand als die wissenschaftlich besser begründete bald viele Anhänger und hat zuletzt die Reuchlinsche verdrängt, die heute nur noch unter Dilettanten als die richtige gilt. Vgl. besonders Blaß, Die Aussprache des Griechischen (3. Aufl., Berl. 1888).

Unter den alten Griechen war die Grammatik schon eifrig getrieben worden (vgl. Grammatiker); auch in Byzanz hatte sie Pflege gefunden. Die Bekanntschaft des Abendlandes mit der griechischen Sprache wurde durch die griechischen Flüchtlinge Chrysoloras, Theodor Gaza, Bessarion, Gemistios Plethon, Joannes Argyropylos, Demetrios Chalkondylas u. a. vermittelt, die (die meisten nach Eroberung Konstantinopels durch die Türken) nach Italien kamen. In Deutschland wurde die g. S. zuerst 1518 grammatisch behandelt von Erasmus und Reuchlin, dann von Melanchthon, Neander, Sylburg; in Frankreich von Clénard, H. Stephanus (Etienne) u. a., freilich noch in sehr dürftiger Weise. Es erschienen in Deutschland in der Folge zahlreiche auf griechische Grammatik bezügliche Werke, unter denen aber nur die Grammatik von Weller (Amsterd. 1696 u. ö.; neu hrsg. von Fischer, Leipz. 1750 u. ö., zuletzt 1781), die sogen. Hallesche (seit 1705) und die Märkische (zuerst Berl. 1730; vermehrt von Hülsemann, Leipz. 1802) Erwähnung verdienen. Kritische und wissenschaftlichere Bearbeitung erfuhr die griechische Grammatik erst später, als die von Bopp begründete vergleichende Sprachforschung ihr zu Hilfe kam. Als die gediegensten Arbeiten der neuern und neuesten Zeit sind hervorzuheben die Sprachlehren von Matthiä (Leipz. 1807; 3. Aufl., das. 1835, 3 Bde.), Buttmann (Berl. 1819–1827, 2 Bde.; 2. Aufl. mit Zusätzen von Lobeck, das. 1830–39), Kühner (3. Aufl. von Blaß und Gerth, Hannov. 1890–98, Bd. 1–3), Krüger (5. Aufl. 1873–75, 2 Bde.), G. Meyer (3. Aufl, Leipz. 1896), K. Brugmann (3. Aufl., Münch. 1900); H. Hirt (Heidelb. 1902). Die Syntax im besondern bearbeiteten Bernhardy (Berl. 1829), Madvig (2. Aufl., Braunschw. 1884), Delbrück (Halle 1879), Gildersleeve (New York 1900, Bd. 1), die Etymologie G. Curtius (5. Aufl., Leipz. 1879), Vaniček (»Griechisch-lateinisches etymologisches Wörterbuch«, das. 1877, 2 Bde.), Prellwitz (»Etymologisches Wörterbuch der griechischen Sprache«, Götting. 1892), Leo Meyer (»Handbuch der griechischen Etymologie«, Leipz. 1901 bis 1902, 4 Bde.), die Synonymik J. H. Schmidt (das. 1876–86, 4 Bde.); einzelne Partien der Formenlehre namentlich Lobeck in »Pathologiae sermonis graeci prolegomena« (das. 1843), »Pathologiae graeci sermonis elementa« (Königsb. 1853–62, 2 Tle.) und »Rhematikon« (das. 1846) und Curtius in dem Werk »Das Verbum der griechischen Sprache« (2. Aufl., Leipz. 1880). Eine vergleichende Grammatik des Lateinischen und Griechischen lieferten Leo Meyer (Berl. 1861–65, 2 Bde.; Bd. 1 in 2. Aufl. 1884), Giles (Lond. 1895; deutsch, Leipz. 1896), Henry (5. Aufl., Par. 1894) und Riemann u. Gölzer (das. 1897–1901, 2 Bde.). Die griechische Lexikographie begründeten schon die alten Grammatiker, von deren Tätigkeit noch wertvolle Reste erhalten sind, namentlich in den Werken des Pollux, Harpokration, Hesychios, Photios, Suidas, dem sogen. »Etymologicum magnum« u. a. Das erste umfassende lexikalische Werk nach der Erneuerung der klassischen Studien ist des H. Stephanus »Thesaurus linguae graecae« (1572, s. unten). J. G. Schneider bearbeitete das erste größere »Griechisch-deutsche Wörterbuch« (Züllichau 1797–98, 2 Bde.; 3. Aufl., Leipz. 1819–21), das von Passow seinem »Handwörterbuch der griechischen Sprache« (das. 1819 bis 1823, 2 Bde.; 4. Aufl. 1831; neu bearbeitet von Rost, Palm, Kreußler, Keil, Peter und Benseler, das. 1841–57, 4 Bde.) zugrunde gelegt ward. Brauchbare Wörterbücher sind ferner die von Rost (4. Aufl., 7. Abdruck, Braunschw. 1871), Jacobitz und Seiler (3. Aufl., 2. Abdruck, Leipz. 1880) und Pape (3. Aufl. von Sengebusch, Braunschw. 1880, 2 Bde.; dazu »Wörterbuch der griechischen Eigennamen«, 3. Aufl. von Benseler, das. 1875, 2 Bde.). Die umfassendste Arbeit auf dem Gebiete der griechischen Lexikographie ist die neue Bearbeitung des »Thesaurus« von H. Stephanus durch Hase und die beiden Dindorf (Par. 1831–65, 9 Bde.), die aber trotz ihres Reichtums in Plan u. Behandlung manches vermissen läßt. Unter den deutsch-griechischen Wörterbüchern sind die von Franz (Hannov. 1838, 2 Bde.), Rost (10. Aufl., Götting. 1874), Pape (3. Aufl. von Sengebusch, Braunschw. 1872), Jacobitz u. Seiler (2. Aufl., Leipz. 1871) und Schenkl (4. Aufl., das. 1883) zu nennen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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