Französische Sprache

Französische Sprache

Französische Sprache. Wie ihre romanischen Schwestern, ist die s. S. hervorgegangen aus der lateinischen Volkssprache (lingua romana rustica), die sich neben der Schriftsprache (sermo urbanus) durch die römischen Heere und Kolonien, wie in den übrigen Provinzen des römischen Reiches, so auch in Gallien verbreitete. Sie drängte die einheimischen Idiome (Iberisch, Keltisch) zurück, wurde aber auch durch sie modifiziert. Man teilt die romanischen Mundarten Frankreichs in drei Gruppen: die provenzalische im Süden, die mittelrhonische (oder franco-provenzalische) im Osten, die französische im Norden. Die erste Gruppe reicht nach Norden bis zu einer Linie, die, an der Mündung der Garonne beginnend, etwa der Ostgrenze des Departements der Charente und der Südgrenze der Departements der Vienne und Indre folgt, um dann das Departement des Allier von Westen nach Osten zu durchschneiden. Im Departement der Loire beginnt die zweite Gruppe, die etwa ein mit der Spitze nach Westen gerichtetes Dreieck bildet, dessen eine Seite von dort bis durch die Mitte des Juradepartements läuft, während die andre den Nordzipfel der Departements der Ardèche und Drôme und ein größeres Stück des Departements der Isère abschneidet. Von dem Gebiete der französischen Mundarten ist die Westhälfte der Bretagne in Abzug zu bringen, die bretonisch spricht; ebenso ein Teil des Departements du Nord, wo das Flämische herrscht. Dafür kommen zu dem französischen Sprachgebiet: von England die Normannischen Inseln; von Belgien die ganze östliche Hälfte; von Luxemburg nur drei Dörfer; Metz mit Umgegend in Deutsch-Lothringen, eine Anzahl Ortschaften des Elsaß und der äußerste Nordwesten der französischen Schweiz (deren größter Teil zum mittelrhonischen gehört). Das älteste Sprachdenkmal bilden die Straßburger Eide vom 14. Febr. 842, geschworen von Ludwig dem Deutschen und von den Großen Karls des Kahlen. Es scheint in der Mundart von Lyon abgefaßt. Unter den französischen Mundarten schwang sich das Francische, d. h. die Mundart des Herzogtums Francien (Isle-de-France), allmählich zu einer herrschenden Stellung empor. Schon im 12. Jahrh. geben einige Schriftsteller ihre heimische Mundart zugunsten der francischen auf. Im 14., mit voller Entschiedenheit erst im 15. Jahrh. ist diese zur alleinherrschenden Schriftsprache geworden, die sich als solche auch in dem Gebiete der mittelrhonischen und provenzalischen Mundarten festsetzt. Die zeitliche Grenze zwischen dem Alt- und Neufranzösischen liegt im 15. Jahrh. Die Benennung mittelfranzösisch für die Sprache des 14. und 15. Jahrh. ist von einigen angewendet worden, aber nicht durchgedrungen. Die Benennung der französischen Sprache war von alters her françois (franciscus) von den Franken, die auch die alte Landesbenennung Gallia in Francia umänderten. Daneben wurde im Mittelalter die Sprache nach der Bejahungspartikel Langue d'oïl (d. h. langue d'oui) genannt im Gegensatze zu der Langue d'oc oder provenzalischen Sprache.

Als Eigenschaften der französischen Sprache hebt man hervor: Klarheit, Bestimmtheit, Regelmäßigkeit, Reinheit des Ausdrucks, Lebhaftigkeit. Diese Vorteile, innig verbunden mit ihrem gesamten eigentümlichen Gepräge, verleihen ihr einen Reiz, der sie bei allen Nationen beliebt macht. Die Einfachheit, Natürlichkeit und Regelmäßigkeit ihrer Wortfolge im Satzbau erleichtert auch ihre Erlernung. Man unterscheidet im Französischen, wie in andern gebildeten Sprachen, eine Aussprache für die gewöhnliche Rede, das Gespräch oder die Unterhaltung (la conversation) und eine solche für die Deklamation oder den Vortrag (getragene Rede, le discours soutenu, le style soutenu). Jene zeichnet sich durch ihr rasches Tempo aus (»en France, la prononciation est rapide comme l'esprit des Français«). Diese ist im ganzen langsamer, ernst und nachdrücklich. Die Vokale sowie die Konsonanten werden deutlicher artikuliert, das »stumme« e wird in vielen Fällen als besondere Silbe vernehmlich gesprochen (so stets im Gesang), die zulässigen Verbindungen der Endkonsonanten mit den Anfangsvokalen der folgenden Wörter (liaison) werden strenger beobachtet. Dem deutschen Munde stellt die korrekte französische Aussprache viele Schwierigkeiten entgegen. Die betonten Silben werden viel schwächer hervorgehoben als bei uns. Die Vokale werden, auch wenn sie kurz sind, reiner gesprochen, während wir in Norddeutschland den kurzen Vokalen offene Aussprache geben. Französisches p, t, c lauten ohne Hauch. Die nasalierten Vokale gehen uns ganz ab. Die Länge und Kürze der Vokale ist aus der Schrift nicht genau zu ersehen. Das dumpfe e ist häufig verstummt, die liaison oft fakultativ. Vgl. Paul Passy, Les sons du français (5. Aufl. 1899) und Le français parlé (4. Aufl. 1897); F. Beyer und P. Passy, Elementarbuch des gesprochenen Französisch (Köthen 1893); Lesaint, Traité complet de la prononciation française (3. Aufl., Halle 1890); E. Koschwitz, Les parters parisiens (3. Aufl., Par. 1898); Moritz Trautmann, Die Sprachlaute (Leipz. 1884) und Kleine Lautlehre (Bonn 1903); Nyvoze, Manuel phonétique du français parlé (1902); Rousselot u. Laclotte, Précis de prononciation française (Par. 1903); Sudre, Petit manuel (das. 1903). Eine phonetische Chrestomathie gaben I. Passy u. Rambeau (2. Aufl., Par. 1901), ein »Dictionnaire phonétique« H. Michaelis und P. Passy (Hannov. 1897). Für die geschichtliche Entwickelung der Aussprache ist das Hauptwerk Ch. Thurot, De la prononciation française depuis le commencement du XVI. siècle (Par. 1881–83, 2 Bde. u. Index). Zu dem großen Gebiete der französischen Sprache sind noch die Kolonien zu rechnen, nämlich Kanada, Teile von Missouri, Louisiana, die westliche Hälfte von Haïti, Guadeloupe, Martinique und andre westindische Inseln, Algerien, die französischen Besitzungen am Senegal, die Inseln Bourbon und Mauritius etc., so daß man die Zahl der außerhalb Europa französisch Redenden ungefähr auf 11/2 Mill. anschlagen kann.

In Frankreich selbst steht der allgemeinen Schriftsprache noch immer eine in viele Mundarten verzweigte niedere Volkssprache gegenüber. Der Franzose nennt diese Mundarten, gegenüber der Schriftsprache, les Patois (ein nicht sicher erklärtes Wort). In schriftlicher Darstellung werden heutzutage diese Patois selten anders als zu Volksliedern und Scherzen verwendet, woher es auch kommt, daß sie, gerade wie die deutschen Volksdialekte, keine feste Orthographie haben. Doch hat man neuerdings zur streng phonetischen Schreibung gegriffen, wie solche besonders in der »Revue des patois galloromans« (Par. 1887–1893, 5 Bde. und Supplement) und in de Guers »Revue des parlers populaires«, Bd. 1 (1902), angewendet wird. Daneben sind auch in der »Romania« (seit 1873 hrsg. von Gaston Paris u. Paul Meyer), in der »Zeitschrift für romanische Philologie« und in Clédats »Revue de philologie française et provençale« die Patois gepflegt worden. Von Gilliéron und Edmonts »Atlas linguistique de la France« liegen bereits 376 Karten vor (Par. 1902–03). Auf die lautlichen Eigenheiten der Patois kann hier nicht eingegangen werden; nur die picardische Art, lateinisches c vor a nicht in ch zu verwandeln (canchon, Lied, keval, Pferd) und für französisches ss (aus assibiliertem c, t) ch zu setzen (vgl. canchon, parchonnier, francisch chanson, parçonnier), finde hier Erwähnung. Eine reiche Literatur hat das Wallonische (in Belgien) aufzuweisen. Aus früherer Zeit sind die reizenden Noëls von Gui Barôzai (eigentlich Bernard de Lamonnoye, geb. 1641 in Dijon, gest. 1728 in Paris) zu erwähnen (beste Ausg. von Fertiault, Par. 1858). Einzelne Patois haben besondere Namen, wie das Rouchi (von Valenciennes), das Purin (von Rouen), das Guêpin (von Orléans).

Die Geschichte der französischen Sprache schrieb am besten Brunot in Petit de Jullevilles »Histoire de la langue et de la littérature française« (Par. 1896ff.). Die altfranzösische Sprache (im weitern Sinn) wurde grammatisch behandelt von Raynouard, Diez, Fuchs, Orelli, Burguy (»Grammaire de la langue d'oïl«, Berl. 1852–56, 3 Bde.), Schwan-BehrensGrammatik des Altfranzösischen«, 5. Aufl., Leipz. 1901), SuchierAltfranzösische Grammatik«, 1. Teil, Halle 1893), A. Tobler (»Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik«, Leipz. 1886, meist zur Syntax) und von A. Darmesteter (s.d.). Ein großes »Dictionnaire del'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IX. an XV. siècle« hat Fréd. Godefroy (1881ff.) in 10 Bänden herausgegeben, einen Auszug daraus Bonnard und Salmon (1898 bis 1902, mit Grammatik) in 1 Band. Die brauchbarste altfranzösische Chrestomathie lieferte Karl Bartsch (mit Grammatik und Glossar, 8. Aufl., Leipz. 1904). – Die alten Mundarten behandelte zuerst in grundlegender Weise Fallot (»Recherches sur les formes grammaticales de la langue française et de ses dialectes an XIII. siècle«, Par. 1839). Einzelne moderne Mundarten sind in ansehnlichen Glossarien bearbeitet, z. B. das patois picard von Corblet (1851), die verschiedenen Patois der Champagne von Tarbé (Reims 1851, 2 Bde.), die wallonische Sprache von Grandgagnage (Bd. 1, Lüttich, 1845; Bd. 2, 1880). Als Gesamtdarstellung der nordfranzösischen und zugleich der südfranzösischen Mundarten unsrer Zeit ist immer noch nichts Bedeutenderes nachzuweisen als Schnakenburgs »Tableau synoptique et comparatif des idiomes populaires ou patois de la France« (Berl. 1840). Vgl. Pierquin de Gembloux, Histoire littéraire, philologique et bibliographique des patois (2. Aufl., Par. 1858); D. Behrens, Bibliographie des patois gallo-romans (2. Aufl., Berl. 1893).

Für die neufranzösische Sprache ist, wenn von den ersten Versuchen abgesehen wird (vgl. darüber Stengel in Körting und Koschwitz' »Zeitschrift für neufranzösische Sprache«, Bd. 1), als die älteste Grammatik das große Werk des Engländers Palsgrave zu bezeichnen (»L'esclarcissement de la langue françoyse«, Lond. 1530; neu hrsg. von Génin, Par. 1852). Die erste in Frankreich geschriebene Grammatik ist die vom Arzt Sylvius (Jacques Dubois): »In linguam gallicam isagoge« (Par. 1531). Es folgte alsdann 1550 von Louis Meigret: »Tretté de la grammere françoęze« (neue Ausg. von W. Förster 1888). Der berühmte Robertus Stephanus (Etienne) veröffentlichte einen »Traicté de la grammaire françoise« (Genf 1557), der 1560 ins Lateinische übertragen wurde. Auch P. Ramus, Ant. Caucius und Joh. Pilotus verfaßten Grammatiken. Als Vorbereitung zu den Arbeiten der französischen Akademie sind Vaugelas' »Remarques sur la langue françoise« (Par. 1647) und Ménages »Observations sur la langue françoise« (das. 1675) zu nennen. Von den spätern grammatischen Schriften sind die merkwürdigsten: »Grammaire générale par MM. de Port-Royal« (1709, 1803), herausgegeben von de Wailly (1754, 1803), mit »Remarques« von Duclos (Par. 1830); Chifflet (1722), Girault-Duvivier (1821, 21. Aufl. 1879), Noël und Chapsal (Par., 3 Bde., in zahlreichen Auflagen), Bescherelle (1835 u. ö.), Chassang (»Nouvelle grammaire française«, 3. Aufl., Par. 1892), Larive et FleuryGrammaire«, 1892). Unter den in Deutschland erschienenen Schulgrammatiken sind die verbreitetsten die von Meidinger, Ahn, Borel, Knebel, Plötz u. a. Höher strebten die Grammatiken von Collmann (2. Aufl., Marb. 1865), Schipper (2. Aufl., Münster 1853), Schmitz (4. Aufl., Berl. 1880), Lücking (2. Ausg., das. 1880). Aber erst Mätzner lieferte eine wissenschaftliche »Syntax der neufranzösischen Sprache« (Berl. 1843–45, 2 Bde.). Historische Rückblicke geben Mätzners »Französische Grammatik mit besonderer Berücksichtigung des Lateinischen« (Berl. 1856, 3. Aufl. 1885); Koschwitz, Grammatik der neufranzösischen Schriftsprache (1894, nur 1 Lief.); Nyrop, Grammaire historique de la langue française (4 Bde., Par. 1899ff.). Der Sprachgebrauch der Gegenwart ist am besten dargestellt in Ph. Plattners französischer Schulgrammatik (2. Aufl., Karlsr. 1887) und »Ausführliche Grammatik der französischen Sprache« (das. 1899ff.), der Sprachgebrauch des 17. Jahrh. von A. Haase, »Französische Syntax des 17. Jahrhunderts« (Oppeln 1888; franz. Übersetzung, Par. 1898). Vgl. E. Stengel, Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken (Oppeln 1890).

Das erste nennenswerte Wörterbuch ist das von dem genannten Robert EtienneDictionnaire français-latin«, 1539); ihm folgte das französisch-lateinische von Jean Nicot (1572) und das französisch-englische von Randle Cotgrave (1630). Ein auf breiterer Basis angelegtes Wörterbuch ist das von Richelet (Genf 1680), das schon auf Etymologie Rücksicht nimmt. Das »Dictionnaire universel« von Ant. Furetière (Haag 1690) wurde, von den Jesuiten neu aufgelegt, berühmter unter dem Namen des »Dictionnaire de Trévoux« (1704 u. ö.), aber von der französischen Akademie für ein Plagiat erklärt; es beschleunigte das Erscheinen der eigentlich lexikalischen Autorität der Franzosen, des »Dictionnaire de l'Académie française« (zuerst 1694; Neudruck, Lille 1901; 6. Aufl. 1835, 7. Aufl. 1878). Spätere Wörterbücher sind von Boiste (1800; 14. Aufl. von Nodier und Barré 1857), Wailly (1801 u. ö.), BarréComplément du Dictionnaire de l'Académie«, neueste Ausg. 1881). Das wissenschaftlich bedeutendste ist Littrés großes »Dictionnaire de la langue française« (1863 bis 1872, 4 Bde.; Supplement 1892; Auszug 1875 u. ö.), das für alle Wörter Belege aus allen Jahrhunderten beibringt. Dem heutigen wissenschaftlichen Standpunkt entspricht am besten nach jeder Richtung das »Dictionnaire général de la langue française« von A. Hatzfeld, A. Darmesteter und A. Thomas (Par. 1889–1900, 2 Bde.). Unter den französisch-deutschen Wörterbüchern sind hervorzuheben: die von Mozin (Stuttg. 1811; später bearbeitet von Peschier), Thibaut (143. Aufl., Braunschw. 1900), Schuster und Regnier (15. Aufl. von Damour, Leipz. 1888, 2 Bde.) und besonders Karl Sachs' verdienstliches »Enzyklopädisches Wörterbuch mit durchgängiger Angabe der französischen Aussprache« (Berl. 1869–74, 2 Bde., Supplement 1894; Auszug von Sachs und Villatte: Hand- und Schulausgabe 1874 u. ö.). Vgl. auch Schwartze, Die Wörterbücher der französischen Sprache, 1350–1694 (Jena 1875). Bloß etymologische Wörterbücher erschienen von Ménage (Par. 1650) u. a.; die wichtigsten sind jetzt das von Aug. Scheler (Brüssel 1862, 3. Aufl. 1888), das kleinere von Aug. Brachet (Par. 1868 u. ö.) und das von der Akademie 1858 begonnene »Dictionnaire historique« (bis jetzt 4 Bde.). Die Synonymen behandelte ausführlich Lafaye (8. Aufl., Par. 1903), praktischer Schmitz (2. Aufl., Leipz. 1877) und Klöpper (3. Aufl., Dresd. 1899). Als Begründer der streng wissenschaftlichen Behandlung der französischen Sprache ist nach Roqueforts und Raynouards Vorgang F. Diez (s.d.) zu nennen. Der von ihm begründeten historischen Schule gehören in Frankreich Littré und viele jüngere Gelehrte, wie Paul Meyer, Gaston Paris, A. Darmesteter, Antoine Thomas u. a., in Belgien Scheler, Wilmotte, Doutrepont an. Eine »Zeitschrift für neufranzösische Sprache und Literatur«, herausgegeben von Körting und Koschwitz (jetzt von Behrens), erscheint seit 1879 in Oppeln, daneben die »Franco-Gallia«, herausgegeben von Kressner, seit 1884 in Wolfenbüttel. Vgl. Körting, Enzyklopädie und Methodologie der romanischen Philologie (Heilbr. 1883–86, 3 Tle.; Zusatzheft 1888) und Auszug daraus: »Handbuch der romanischen Philologie« (Leipz. 1896); Suchier, Die französische und provenzalische Sprache (in Gröbers »Grundriß der romanischen Philologie«, Bd. 1, 1886), auch separat in französischer Übersetzung (Par. 1891); Koschwitz, Anleitung zum Studium der französischen Philologie (2. Aufl., Marb. 1900). Eine reichhaltige Bibliographie gibt Braunholtz, Books of reference for students and teachers of French (Lond. 1901).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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