- Zinn
Zinn (Stannum) Sn, Metall, findet sich selten (Sibirien, Guayana, Bolivia) gediegen, mit Sauerstoff verbunden als Zinnerz SnO2 (mit 78,6 Z.), mit Schwefel, Kupfer, Eisen im Zinnkies, außerdem in geringen Mengen in einigen Mineralien, Mineralwässern und Meteorsteinen. Es wird aber nur aus Zinnerz dargestellt. Während das reinere Seifenzinnerz ohne weiteres oder nach einigem Schlämmen zur Reduktion des Zinnoxyds in Flammöfen mit Reduktionsmitteln (Steinkohle, Anthrazit etc.) erhitzt wird, bedarf das unreinere Bergzinnerz noch einer vorherigen Reinigung auf teils mechanischem, teils chemischem Wege, weil sonst bei der hohen Reduktionstemperatur, deren das Zinnerz bedarf, durch die erdigen Beimengungen beim Schmelzen Zinnoxyd stark verschlackt und das gewonnene Z. von den metallischen Begleitern verunreinigt werden würde. Zur Vorbereitung wird das Erz durch Brennen mürbe gemacht, gepocht, zur Beseitigung der spezifisch leichtern erdigen Beimengungen geschlämmt, dann in Flammöfen geröstet, wobei die hierbei gebildete Arsenige Säure in langen Kanälen aufgefangen wird. Das Röstgut wird zur Entfernung der beim Rösten der Schwefel- und Arsenmetalle gebildeten leichtern Oxyde abermals geschlämmt und bei Gegenwart von Eisenoxyd, Kupferoxyd und namentlich von Wismutoxyd mitunter mit Salzsäure behandelt, um die Metalloxyde zu lösen (aus der Lösung läßt sich Wismut gewinnen). Bei Anwesenheit von Wolframerz, das sich durch die vorhergehenden Operationen von dem Zinnerz nicht trennen läßt, erhitzt man das Erz in einem Flammofen mit schwefelsaurem Natron zur Bildung von wolframsaurem Natron, das sich durch Wasser aus der gefritteten Masse ausziehen läßt. Auf diese Weise kann der nur 0,3–0,5 Proz. betragende Metallgehalt eines Gesteins auf 50–70 Proz. im Schlich angereichert werden. Das gereinigte Zinnerz wird im Gemenge mit 0,25–0,5 magerm Steinkohlenklein oder Anthrazit und etwas gelöschtem Kalk und Flußspat bei hoher Temperatur im Flammofen (England), oder mit wenig Schlacken im Schachtofen (Sachsen, Böhmen, Banka) geschmolzen. Hierbei erfolgen meist unvollständig geschmolzene Schlacken mit eingemengten Zinnkörnern, die durch Zerkleinern und Verwaschen der Schlacken oder durch nochmaliges Umschmelzen als Schlackenzinn im Gegensatz zum Erzzinn (Steinzinn) gewonnen werden. Das bei dem Schmelzen erfolgende Z. (Werkzinn) enthält häufig noch strengflüssigere Metalle (Eisen, Kupfer, Wolfram etc.), zu deren Entfernung (Läutern, Pauschen) das Werkzinn zwischen glühenden Kohlen auf einer geneigten Eisenplatte (Pauschherd, Floßherd) eingeschmolzen wird, wobei jene als ungeschmolzene Masse (Zinnpausche, Seigerdörner) zurückbleiben, während das leichtschmelzige Z. ausseigert und abfließt. Nach dem englischen Läuterverfahren wird das geseigerte Werkzinn in einem eisernen Kessel eingeschmolzen und in die flüssige Masse ein grünes Holzstück eingesteckt, wobei das Metall hoch aufsprudelt (Polen) und seine Unreinigkeiten durch die zutretende Luft oxydiert und als Krätze abgeschieden werden. Läßt man das Metall nach dem Abziehen der Krätze stehen, so setzen sich die spezifisch schweren Metalle zu Boden, und man erhält beim Ausschöpfen zuerst die reinsten und zuletzt unreinere Sorten Handelszinn. Die größte Menge alles gewonnenen Zinns wird zum Verzinnen von Eisenblech (Weißblech) benutzt, und die Wiedergewinnung des Zinns aus Weißblechabfällen (mit ca. 3 Proz. Z.) ist daher sehr wichtig. In Deutschland werden jährlich 30,000 Ztr. Weißblechabfälle entzinnt. Man hat die Abfälle mit Chlor oder bei 400° mit Chlorwasserstoff behandelt, um Chlorzinn zu gewinnen. Auch mit Salzsäure oder saurer Eisenchloridlauge hat man das Z. gelöst, um es dann durch Zink oder Eisen zu fällen. Man kocht auch die Abfälle unter Zutritt von Luft mit Natronlauge oder mit Bleioxyd und Wasserdampf, wobei zinnsaures Natron entsteht. Hauptsächlich entzinnt man die Abfälle elektrolytisch, man bringt sie als Anode in ein Natronlauge enthaltendes Bad und gewinnt das Z. schwammförmig an der Kathode.
Das Z. des Handels enthält als Verunreinigungen Arsen, Antimon, Wismut, Blei, Eisen, Kupfer, Schwefel. Die erstern beeinträchtigen mehr die Festigkeit, Blei und Eisen mehr den Glanz des Zinns. Kupfer erhöht die Härte und Festigkeit. Die Zusammensetzung einiger Sorten von käuflichem Z. ergibt die folgende Tabelle:
Z. ist um so reiner, je weißer und weicher und von je geringerm spezifischen Gewicht es ist; auch Glanz, Gefüge, Hämmerbarkeit, das Knirschen beim Biegen (Zinngeschrei) dienen zur Beurteilung der Qualität.
Chemisch reines Z. erhält man durch Oxydation des Handelszinns mit Salpetersäure, Auswaschen und Trocknen und des gebildeten Zinnoxyds mit Zuckerkohle. Es ist fast silberweiß, sehr glänzend und erteilt der Haut, wenn man es einige Zeit in der Hand hält, einen eigentümlichen Geruch. Es kristallisiert rhombisch und tetragonal, erstarrt nach dem Schmelzen kristallinisch, und beim Hin- und Herbiegen einer Zinnstange bemerkt man ein eigentümliches Geräusch (Zinngeschrei) und Erwärmung infolge der gegenseitigen Reibung der Kristalle. Die Oberfläche von gegossenem Z. (auch von Weißblech) zeigt nach dem Ätzen mit Säuren eisblumenartige Zeichnungen (Moiré métallique), entsprechend dem kristallinischen Gefüge. Taucht man eine Zinnstange in eine gesättigte Lösung von Zinnchlorid und schichtet vorsichtig Wasser darauf, so entstehen auf dem Z. an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten, die hier durch ihre Berührung ein galvanisches Element bilden, glänzende Zinnkristalle (Zinnbaum, Arbor Jovis). Z. ist wenig härter als Blei, ist mit dem Daumennagel kaum ritzbar, läßt sich aber schlecht feilen. Es besitzt geringen Klang, ist sehr geschmeidig, kann zu sehr dünnen Blättchen (Stanniol) ausgewalzt und ausgeschlagen und bei 100° zu dünnem Draht ausgezogen werden, der sehr weich und biegsam ist, aber nur geringe Festigkeit besitzt (3,6–4,7 kg auf 1 qmm). Zu heiß gegossenes Z. ist rotbrüchig, während das vor dem Gießen bis zum Mattwerden der Oberfläche abgekühlte kaltbrüchig wird. Durch schnelles Abkühlen nach dem Gießen wird es etwas härter. Bei 200° läßt sich das Z. pulverisieren. Das Atomgewicht des Zinns ist 119,0, das spez. Gew. 7,3 (elektrolytisch abgeschiedenes Z. 7,0); es schmilzt bei 232° und verdampft bei etwa 1500°. Bei starker Kälte verwandelt sich Z. in eine metalloide Modifikation vom spez. Gew. 5,8, indem es unter starkem Aufblähen zu grauem Pulver zerfällt. Das Temperaturoptimum für diese Umwandlung ist -48°, sie erfolgt aber bei gepulvertem Z. und Gegenwart von Zinnsalzlösung schon bei -15° (vgl. Zinnpest). Der Glanz des Zinns verschwindet wegen der Weichheit des Metalles bald beim Gebrauch, sonst hält sich Z. an der Luft und im Wasser unverändert; beim Schmelzen bedeckt es sich mit einer grauen Haut (Zinnkrätze) und geht endlich in Zinnoxyd (Zinnasche) über; bei Weißglut verbrennt es mit weißer Flamme zu Zinnoxyd. Es löst sich in Salzsäure unter Entwickelung von Wasserstoff zu Chlorür, wird von verdünnter Schwefelsäure nur beim Kochen langsam angegriffen, aber von konzentrierter unter Entwickelung von Schwefliger Säure in schwefelsaures Zinnoxydul verwandelt. In kalter verdünnter Salpetersäure löst es sich ohne Gasentwickelung und bildet salpetersaures Zinnoxydul neben salpetersaurem Ammoniak; von sehr konzentrierter Salpetersäure wird es nicht angegriffen, auf Zusatz von wenig Wasser entsteht in Salpetersäure unlösliches Zinnoxyd. In Königswasser löst es sich zu Zinnchlorid; mit Kalilauge erhitzt, gibt es unter Entwickelung von Wasserstoff zinnsaures Kali. Manche Salze, wie Salmiak, Kochsalz, Weinstein, Alaun, lösen geringe Mengen Z. Aus seinen Lösungen wird Z. durch Zink kristallinisch gefällt. Z. ist zwei- und vierwertig und bildet mit Sauerstoff Oxydul SnO und Oxyd SnO2. Es dient zu allerlei Geräten, Geschirren, Destillierhelmen, Kühlapparaten, Röhren, Kesseln für Färber und Apotheker etc., ferner zum Verzinnen von Kupfer und Eisen (Weißblech), als Stanniol zum Belegen der Spiegel und zum Einwickeln von allerlei Sachen, die nicht austrocknen sollen. Mit Kupfer gibt es wichtige Legierungen: Bronze, Glockengut, Kanonengut; auch wird es viel mit Blei legiert und dient außerdem zur Darstellung von Zinnpräparaten für Färber, zur Herstellung von Email, Glasuren etc. Reines Z. ist beim Gebrauch in der Küche nicht ganz unbedenklich, da es von einigen organischen Stoffen, wie Asparagin, Eiweiß, angegriffen wird und dann Vergiftungserscheinungen veranlaßt. Über bleihaltige Zinnlegierungen s. d.
Z. spielte in vorgeschichtlicher Zeit, sowohl für sich als mit Kupfer legiert, als Bronze eine große Rolle. Die Pfahlbauten der Schweiz lieferten mit Stanniolstreifen belegte Tongefäße, Nadeln, Knöpfe, Ringe aus Z. und Fragmente von Gefäßen. Auch die Gräber von Amrum aus der Bronzezeit, dänische und fränkische Gräber enthielten Zinngeräte und Zinngeschirre, keltische Münzen der La Tène-Periode aus Z. und Blei mit etwas Kupfer wurden in Böhmen gefunden, ebenso kennt man britische und gallische Münzen aus Z. Ein Zinnbarren aus einer verlassenen Grube in Cornwall wird den Phönikern zugeschrieben. Übrigens kann sehr wohl die Bronze früher bekannt geworden sein als das Z., wenn man kiesige Kupfererze mit Zinnerzen verschmolz. Das Z. scheint im Altertum von Hinterindien aus über Asien und Ostafrika verbreitet worden zu sein. Zinngruben in Chorasan und Drangiana, einer Provinz südlich von Chorasan, sind wahrscheinlich schon im Altertum in Betrieb gewesen. Homer kannte es unter dem Namen Kassiteros. Phöniker brachten Z. aus Spanien und von den Kassiteriden (s. Cassiterides insulae), für den Welthandel aber war wohl das indische Z. am wichtigsten, von dem bedeutende Mengen für die Bronzebearbeitung der asiatischen Kulturstaaten verbraucht wurden. Man verzinnte damals bereits Küchengeräte, und in Indien wie in China war 1800 v. Chr. die Bronzeindustrie hoch entwickelt, auch prägte man in China Münzen aus Z. In Europa war Cadiz, unter den Römern Marseille Hauptstapelplatz für spanisches und englisches Z., das die Römer als Plumbum candidum von Blei (Plumbum nigrum) unterschieden. Der spanische Zinnbergbau wurde bis zum Eindringen der Mauren 711, vielleicht auch noch von den Mauren selbst betrieben, ging dann aber ein. Reines Z. benutzte man zum Verzinnen von Kupfer, zu Geräten und bisweilen als Münzmetall, Bronze wurde wohl durch Verhüttung gemischter Kupfer- und Zinnerze dargestellt. Das lateinische Stannum stammt vom cornwallischen stean, als Zeichen, daß Cornwall in den ersten Jahrhunderten n. Chr. den Markt beherrscht haben muß. Einen bedeutenden Aufschwung nahm die Zinnindustrie durch die Ausbreitung des Glockengusses, der früh nach Byzanz gelangte und im 6. Jahrh. bereits in Italien im Dienste des christlichen Kultus stand. Geber nennt das Z. Jupiter, wie die abendländischen Alchimisten, die es wegen der Sprödigkeit mancher Legierungen auch als Diabolus metallorum bezeichneten. Im frühen Mittelalter scheint Devon die größte Zinnproduktion gehabt zu haben, aber seit dem 14. Jahrh. behielt Cornwall den Vorrang. Um diese Zeit blühte auch die böhmische Zinnproduktion, die bei Graupen 1146 begonnen haben soll. Sehr viel Z. konsumierte dann die Artillerie, überdies wurde die Verwendung des Zinns zu Tafelgeschirr in Italien und Deutschland volkstümlich. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. lieferte auch Sachsen viel Z. (Altenberg). Im 16. Jahrh. entdeckte man die Verwendung der Zinnfolie als Spiegelbelag, die Zinnglasur für Cochgeschirre und Majolika, das Zinnemail für Metallwaren, und bald wurden Zinnpräparate in der Färberei unentbehrlich, seitdem Libavius das Zinnchlorid und Drebbel dessen Wichtigkeit für die Cochenillefärberei entdeckt hatte. Im 17. Jahrh. hob sich die Industrie in Cornwall durch Verbesserung im Bergbau und durch Einführung der Steinkohle bei der Verhüttung der Zinnerze, auch in Böhmen und Sachsen blühte noch im 18. Jahrh. die Zinnproduktion, um dann im 19. Jahrh. fast vollständig zu sinken. Das Verzinnen von Eisenblech ist eine böhmische Erfindung, die 1620 nach Sachsen und 1670 nach England kam. Im 16. Jahrh. erschien auch das erste Z. aus Malakka auf dem europäischen Markt, seit 1829 lieferte auch Banka, seit 1855 Billiton und seit den 1870er Jahren Australien Z. für den europäischen Markt. Die Abfälle der Weißblechindustrie werden seit 1848 auf Zinnpräparate verarbeitet. Die Zinnproduktion betrug 1901: 88,516 Ton. Davon entfallen auf England 4267, Deutschland 1463, Böhmen 48, Banka 15,218, Billiton 4457, Australien 3398, Straits Settlements 50,724, Bolivia 8941 Ton. Deutschland produzierte 1905: 5233 Ton., die Einfuhr betrug 1905 an Z. und Zinnwaren 136,608 dz, die Ausfuhr 53,236 dz. Vgl. Reyer, Z., eine Monographie (Berl. 1881); Posewitz, Das Zinnerzvorkommen etc. in Bangka (Pest 1886); Stelzner, Die Silber-Zinnerzlagerstätten Bolivias (Freiberg 1897); Thibault, Metallurgy of tin (Lond. 1908); Lewis, The stannaries, a study of the English tin miners (das. 1908).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.