- Metternich [2]
Metternich, altes rhein. Dynastengeschlecht, das die Erbkämmerei von Köln bis in den Anfang des 19. Jahrh. innehatte, benannt nach dem Dorfe Metternich im preußischen Kreis Euskirchen. Die von den zwölf frühern Linien noch bestehende einzige Linie erhielt 1635 den Reichsfreiherrenstand, 1679 die reichsgräfliche, 1803 die reichsfürstliche und 1813 die fürstliche Würde. Als im Anfang des 17. Jahrh. die Linien Winneburg und Beilstein erloschen und ihre Besitzungen an Trier zurückfielen, gab der damalige Kurfürst, Lothar von M. (1599–1623), diese Grafschaften seinen Vettern Karl Heinrich von M. und Phil. Emmerich von M. zu Lehen. Als die ebengenannten und andre unmittelbare reichsritterschaftliche Herrschaften und Güter jenseit des Rheins durch den Lüneviller Frieden an Frankreich fielen, wurde die Familie M. durch die Reichsabtei Ochsenhausen in Schwaben entschädigt, die als Lehnsherrschaft den Namen Fürstentum Winneburg erhielt, 1806 mediatisiert und an Württemberg abgetreten und 1825 für 1,300,000 Gulden vom König von Württemberg angekauft wurde. Jetzt gehören der Familie M. die Herrschaften Königswart und Plaß in Böhmen, die Herrschaft Kojetein in Mähren und die übrigen Allodialgüter, am Rhein die Güter Gramme, Bornbach, Oberehe, Reinhardsstein und Johannisberg und am Bodensee das Gut Hersberg. Die namhaftesten Glieder des Geschlechts sind:
1) Franz Georg Karl, Fürst von, geb. 9. März 1746 in Koblenz, gest. 11. Aug. 1818 in Wien, kam 1768 in politischer Mission nach Wien und ward hier durch Kaunitz' Einfluß zum ständigen trierschen Gesandten ernannt; 1774 trat er in kaiserliche Dienste über, war 1790 Wahlbotschafter bei der Wahl Leopolds II., 1791–94 dirigierender Minister in den Niederlanden, dann österreichischer Prinzipalkommissarius bei dem Rastatter Kongreß und 1810 für seinen Sohn stellvertretender Minister des Auswärtigen.
2) Klemens Lothar Wenzel, Fürst von, österreich. Staatskanzler, Sohn des vorigen, geb. 15. Mai 1773 in Koblenz, gest. 11. Juni 1859 in Wien, studierte 1788–90 in Straßburg und, nachdem er bei der Krönung Leopolds II. (im Oktober 1790) als Zeremonienmeister des katholischen Teiles des westfälischen Grafenkollegiums fungiert, noch bis 1794 in Mainz. 1795 vermählte er sich mit der Gräfin Eleonore Kaunitz, einer Enkelin des großen Staatskanzlers. 1797–99 nahm er am Rastatter Friedenskongreß als Gesandter des westfälischen Grafenkollegiums teil. 1801 kam er als kaiserlicher Gesandter nach Dresden und 1803 nach Berlin. Seit 1806 Gesandter in Paris, erwirkte er 10. Okt. 1807 den Abschluß der Konvention von Fontainebleau. Bei Ausbruch des Krieges von 1809 von Napoleon zurückgehalten und erst 2. Juli an die österreichischen Vorposten ausgeliefert, schlug er nach der unglücklichen Schlacht bei Wagram in einer Beratung zu Ernstbrunn 7. Juli Friedensverhandlungen mit Frankreich vor. Dies hatte den Rücktritt des bisherigen Ministers des Auswärtigen, Grafen Philipp Stadion, zur Folge, worauf M. erst provisorisch, bald (8. Okt.) aber definitiv sein Nachfolger wurde. Als politisches Prinzip für den Augenblick empfahl er dem Kaiser in einem Vortrag 10. Aug. 1809 »Anschmiegung an das triumphierende französische System«, um Österreichs Integrität zu sichern und dessen Kraft »auf bessere Zeiten aufzuheben«. Er begrüßte die Verbindung der Erzherzogin Maria Luise mit Napoleon, begab sich 1810 selbst nach Paris, schloß 14. März 1812 einen Allianzvertrag mit Frankreich, durch den sich Österreich gegen Zusicherung von Gebietsvergrößerungen zur Stellung eines Hilfskorps verpflichtete, beruhigte aber gleichzeitig insgeheim Rußland über den Wert dieser Unterstützung und knüpfte mit Hardenberg, dem Leiter der preußischen Politik, freundschaftliche Beziehungen an. So eröffnete sich für ihn nach der Katastrophe von 1812 eine Politik von großer Bedeutung. Nachdem nach einer Zusammenkunft Metternichs mit dem Kaiser Alexander I. zu Opotschno an der schlesischböhmischen Grenze Anfang Juni 1813 die Verbündeten die Vermittelung Österreichs angenommen hatten, begab sich M. nach Dresden zu Napoleon I., mit dem er 26. Juni eine neunstündige Unterredung hatte, aus der M. erkannte, daß der Kaiser die österreichischen Friedensbedingungen, die ihm das französische Kaiserreich ohne Illyrien, die Hansestädte, das Herzogtum Warschau und den Rheinbund ließen, nicht annehmen würde. Nachdem sich Österreich 27. Juni durch den Vertrag von Reichenbach zum Kriege mit Frankreich bereits verpflichtet hatte, erfolgte 11. Aug. die Kriegserklärung und 9. Sept. der Abschluß der Quadrupelallianz zwischen Österreich, Rußland, Preußen und England. Innerhalb dieser Koalition wußte aber M. dennoch die Interessen Österreichs zu wahren, indem er durch das Sonderbündnis mit Bayern (8. Okt.) Preußens deutsche Politik durchkreuzte und durch immer erneute Anknüpfung von Friedensverhandlungen die energische Ausbeutung der von Preußen und Rußland errungenen kriegerischen Erfolge verhinderte. Auch noch nach der Schlacht bei Leipzig vertrat M. den Standpunkt, daß die Zurückführung Frankreichs auf seine natürlichen Grenzen die Grundlage für den Friedensschluß bilden müsse, und gab ihm auch in dem Manifest von Frankfurt vom 1. Dez. offen Ausdruck. Wenige Tage nach dem Einzug der verbündeten Truppen in Paris (31. März 1814) kam auch M. dahin, vereinbarte daselbst (11. April) Napoleons Thronentsagung und Überführung nach Elba und unterzeichnete im Namen der verbündeten Mächte den Pariser Frieden vom 30. Mai. Darauf begab er sich mit den Ministern Preußens und Rußlands nach England, wo er von der Oxforder Universität die Doktorwürde empfing und 29. Juni eine neue Quadrupelallianz abschloß. Nach Wien zurückgekehrt und mit den größten Ehren und Auszeichnungen von seinem Souverän überhäuft, eröffnete er hier 8. Okt. 1814 den Wiener Kongreß, auf dem er den Vorsitz führte. Mit seltenem diplomatischen Geschick löste er die polnische und sächsische Frage, regelte die Verhältnisse Deutschlands durch Schaffung eines Staatenbundes, in dem Österreich ein überwiegender Einfluß gewahrt blieb, sowie Italiens durch Errichtung des Königreichs Lombardo-Venetien und der österreichischen Nebenlinien in Toskana und Modena. Am 20. Nov. 1815 unterzeichnete er den nach seinen Vorschlägen zustande gekommenen zweiten Pariser Frieden, nachdem kurz vorher (26. Sept.) die Heilige Allianz zunächst zwischen Rußland, Österreich und Preußen geschlossen worden war, der sich bald alle übrigen europäischen Staaten zur Aufrechterhaltung des europäischen Friedens anschlossen. In einem Sondervertrage (14. April 1816) verpflichtete er Bayern zur Abtretung Salzburgs und des Innviertels an Österreich. In den folgenden Jahren widmete er den innern Angelegenheiten Italiens, das er 1816 und 1817 mehrmals bereiste, und Österreichs größere Aufmerksamkeit, war aber weit entfernt, durch gründliche Reformen die unhaltbaren Zustände zu bessern, sondern begnügte sich mit kleinen Änderungen in der Verwaltung, ja er erklärte ausdrücklich, daß die Zeit für bedeutsame Reformen nicht gelegen sei (Vortrag an den Kaiser vom 27. Okt. 1817). In diese Zeit fallen zwei der bedeutendsten Auszeichnungen, die ihm, der stets auf seinen Privatvorteil bedacht war, zufielen: am 1. Juli 1816 hatte er den Johannisberg als Geschenk vom Kaiser erhalten, 1818 ernannte ihn der König von Sizilien zum Herzog von Portella mit einer Dotation von 60,000 Dukaten. In diesem Jahre nahm M. am Monarchenkongreß in Aachen als österreichischer Bevollmächtigter teil, und 1819 präsidierte er dem Kongreß in Karlsbad. Ebenso war er bei dem deutschen Ministerkongreß in Wien und bei den Kongressen in Troppau 1820, in Laibach 1821 und in Verona 1822 im Interesse der österreichischen Reaktionspolitik tätig. Es gelang ihm auch, unterstützt von so gewandten Federn wie der von Gentz, seinen Grundsatz, »daß es den Fürsten allein zustehe, die Geschicke der Völker zu leiten, und daß die Fürsten für ihre Handlungen niemand außer Gott verantwortlich seien«, zur Annahme zu bringen und die Mächte zur solidarischen Unterdrückung aller revolutionären Völkerbewegungen zu vereinigen. Allein die freiheitlichen Bestrebungen brachen sich dennoch unaufhaltsam Bahn; M. konnte nicht hindern, daß Rußland den griechischen Aufstand unterstützte und die Türkei zur Abtretung Griechenlands zwang, in Frankreich das legitime Königtum gestürzt und das neugeschaffene Königreich der Niederlande wieder zerrissen wurde. Nur in Deutschland und Italien behauptete er sein System, besonders aber in Österreich, wo er 1821 zum Haus-, Hof- und Staatskanzler ernannt worden war und 1826 mit dem Vorsitz der Ministerkonferenzen für die innern Angelegenheiten die oberste Leitung des gesamten Staatswesens erhalten hatte. Damals stand Österreich völlig isoliert. Erst nach dem Ausbruch der Pariser Revolution von 1830 arbeitete M. wieder an der Herstellung näherer Beziehungen mit Rußland und Preußen, die im Berliner Vertrag von 1833 greifbare Gestalt annahmen. Auch nach dem Tode des Kaisers Franz 1. (1835) blieb M. im Besitz aller seiner Ämter und seines Einflusses auf die auswärtige Politik, während die Leitung der innern auf die Staatskonferenz überging, in der der reformfreundliche Graf Kolowrat zu ihm in scharfem Gegensatz stand. Nach außen hin wurde der Bund mit Preußen und Rußland durch die Zusammenkunft Kaiser Ferdinands mit Kaiser Nikolaus und König Friedrich Wilhelm III. zu Teplitz (im September 1835) erneuert, aber schon im nächsten Kriege zwischen Ägypten und der Pforte lehnte Rußland die von M. in Wien geplante Konferenz ab und schloß sich an England an. Doch war es wieder auf seinen Einfluß zurückzuführen, daß in den Wirren der Jahre 1840 und 1841 in dem Traktat vom 15. Juli 1841 ein Einvernehmen aller fünf Großmächte hergestellt ward. Aber der ganze Haß des über seine kläglichen politischen Verhältnisse und die gegen die Freiheit des Denkens und Glaubens gerichteten Gewalttaten erbitterten deutschen und österreichischen Volkes wendete sich gegen M., den man als die verkörperte Reaktion, als den Geist der Finsternis und Tyrannei ansah, während er vielfach schließlich nur aus Bequemlichkeit und Mangel an Energie seine Herrschaft in Ruhe ausüben wollte. Die Bewegung von 1848 richtete sich daher vor allem wider M. Er ward durch den Wiener Aufstand vom 13. März gezwungen, seine Entlassung zu nehmen, und vermochte sich kaum vor der Erbitterung des Volkes zu retten. Er wandte sich über Holland nach England, siedelte im Oktober 1849 nach Brüssel über, bezog im Juni 1851 den Johannisberg im Rheingau und kehrte im September nach Wien zurück. Ohne öffentlichen Anteil an der Politik zu nehmen, diente er seitdem doch dem Kaiserhaus mit seinem Rat; er starb, nachdem er noch den Beginn des italienischen Krieg es 1859 erlebte, und wurde in der Familiengruft zu Plaß in Böhmen beigesetzt. Er war vermählt zuerst seit 1795. mit der Gräfin Eleonore von Kaunitz (gest. 1825), dann seit 1827 mit der Freiin Antonie v. Leykam, die zur Gräfin von Beilstein erhoben wurde (gest. 1829), seit 1831 mit der Gräfin Melanie Zichy-Ferraris (gest. 1854). Von seinen elf Kindern überlebten ihn nur drei Söhne und drei Töchter. Sein literarischer Nachlaß, darunter Memoiren, welche die historische Kritik nicht zu ertragen vermochten, erschien zugleich französisch (1879) und deutsch (»Aus Metternichs nachgelassenen Papieren«, Wien 1880–84, 8 Bde.), von seinem Sohn (s. unten 3) und Klinckowström herausgegeben. Seinen Briefwechsel mit dem Kardinal Consalvi gab C. van Dueren heraus (Brüss. 1899). Vgl. Binder, Fürst Klemens v. M. und sein Zeitalter (3. Ausg., Schaffh. 1845); Groß-Hoffinger, Fürst M. und das österreichische Staatssystem (Leipz. 1846, 2 Bde.); Schmidt-Weißenfels, Fürst M., Geschichte seines Lebens und seiner Zeit (Prag 1860, 2 Bde.); A. Beer, Zehn Jahre österreichischer Politik 1801–1810 (Wien 1877); Mazade, Le règne diplomatique de M. de M. (Par. 1889); v. Lanna, M. und seine Politik bis zum Sturze Napoleons (Triest 1897); Demelitsch, M. und seine auswärtige Politik (Stuttg. 1898, Bd. 1); Strobl von Ravensberg, M. und seine Zeit (Wien 1906 f.).
3) Richard, Fürst von, ältester Sohn des vorigen aus zweiter Ehe, geb. 7. Jan. 1829 in Wien, gest. daselbst 1. März 1895, war zuerst bei den Gesandtschaften in Paris, London und an den sächsischen Höfen tätig und wurde im Dezember 1859 Botschafter in Paris, wo er und seine Gemahlin, Gräfin Pauline Sandor (geb. 26. Febr. 1836), die Tochter seiner Stiefschwester, sich dem kaiserlichen Hof eng anschlossen und bei den Festlichkeiten desselben eine Rolle spielten. 1870, nach dem Sturz Napoleons, zog er sich vom politischen Leben zurück.
4) Paul, Graf M. zur Gracht, deutscher Diplomat, s. Wolff-Metternich.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.