Humanismus

Humanismus

Humanismus und Humanisten des Zeitalters der Renaissance. Als Pfleger wahrer Humanität (s. d.) und der studia humaniora nannten die Gelehrten zur Zeit der sogen. Wiedergeburt der Künste und Wissenschaften (rinascimento) oder des Wiederauflebens der klassischen, griechisch-römischen Kultur sich Humanisten (Gräzisten, Latinisten, Poeten, Oratoren). Die Bewegung des Humanismus ging von Italien aus, wo die Traditionen des alten Römertums naturgemäß am unmittelbarsten nachwirkten und zugleich die Nachbarschaft der byzantinisch griechischen Kulturwelt öftere Berührungen mit dieser brachte. Man pflegt als seine Ahnen mit gewissem Recht Dante Alighieri (1265–1321), Francesco Petrarca (1304–74) und Giovanni Boccaccio (1313–75) zu nennen. Ihrem Jahrhundert gehörten an die italienischen Lehrer des Griechischen Barlaam und Leonzio Pilato. Eigentliche Schute im Sinne des Humanismus machte jedoch erst der Grieche Manuel Chrysoloras, Lehrer des Griechischen in Florenz seit 1396, starb 1415 auf dem Konzil zu Konstanz. Wie schon er zugleich gegenüber der vom Islam drohenden Gefahr die Vereinigung der abendländischen und der morgenländischen Kirche eifrig betrieb, so gereichte das Unionskonzil zu Ferrara und Florenz (seit 1438) dem Humanismus zur besondern Förderung. Dessen eigentliche Seele, Kardinal Bessarion (1403–72), blieb in Italien und auf römischer Seite, als das Einheitswerk bald wieder zerfiel. In seinem Kreise war Georgios Gemistos Plethon (gest. 1455) als maßgebender Gelehrter verehrt. Nach der türkischen Eroberung Konstantinopels kamen mit manchen andern Landsleuten Georgios Trapezuntios, Theodoros Gaza und Konstantinos Laskaris nach Italien herüber. Hier hatte indes der Humanismus fürstliche Gönner gefunden an Cosimo de' Medici (1389–1464) in Florenz, Alfonso dem Großmütigen von Neapel (1400–1458), Papst Nikolaus V. (zuvor Thoma Parentucelli von Sarzano, 1398–1455, Papst seit 1447) u. a., denen als leuchtendstes Beispiel eines fürstlichen Mäcenas Lorenzo Magnifico Medici (1449–92) von Florenz sich anschloß. Unter ihrem Schutze fanden sich begabte Forscher, Redner, Dichter zusammen, wie Gian Francesco Poggio Bracciolini (1380–1459), Francesco Filelfo (1398–1481), Giovanni Gioviano Pontano (1426–1503), Enea Silvio Piccolomini (1405–64, als Papst Pius II. seit 1458), Poliziano, Pompon io Leto u. a. Mehrfach, wie in Neapel, Florenz, Rom etc., bildeten diese Gelehrten förmliche Gesellschaften: Akademien, deren von Platons Schule zu Athen entlehnte Bezeichnung dadurch in Europa für gelehrte Gesellschaften allgemein wurde. Besondere Aufmerksamkeit widmeten verschiedene unter ihren, wie Enea Silvio, Filelfo, Pier Paolo Vergerio (geb. 1349, gest. um 1430), Maffeo Vegio (1406–1458), Vittorino Ramboldini da Feltre (1378 bis 1446), Battista Guarino (1370–1460), der Erziehungswissenschaft. Doch stand nicht immer der sittliche Ernst unter den Humanisten auf gleicher Höhe mit dem wissenschaftlichen Eifer und dem Kunstgeschmack. Besonders bekannt als kühner Kritiker der KirchengeschichteDe donatione Constantini«) ist Lorenzo Valla (1406–57). Glänzende Nachblüten des Humanismus sah auch noch das 16. Jahrh. in Italien, namentlich unter Papst Leo X. (Giovanni Medici 1475 bis 1521, Papst seit 1513); dieser Zeit gehören neben andern berühmten Humanisten an die Kardinäle Pietro Bembo (1470–1547) und Jacopo Sadoleto (1477 bis 1547). Nur allmählich und zumeist erst nach dem Aufkommen des Buchdrucks verbreitete der Humanismus sich auch über die Alpen. Zuerst nach Frankreich, wo schon 1430 an der Pariser Universität Griechisch und Hebräisch gelehrt ward, und wo im 15. Jahrh. Johannes Laskaris, Gregorios Tiphernas, Georgios Hermonymos wirkten, im 16. Jahrh. Guillaume Budé (Budäus, 1467–1540), die gelehrten Buchdrucker Robert Estienne (Stephanus, 1503–59) und sein Sohn Henri (1528–98) bis zur Übersiedelung nach Genf (1551), Marc Antoine Muret (1526–85), Isaak Casaubon (1559–1559–1614, seit 1608 in England) sowie der Italiener Julius Cäsar Scaliger (1484–1558) und sein Sohn Joseph Justus (1540–1609; seit 1593 in Leiden) blühten. Aus Spanien sei Juan Luiz Vives (1492–1540) genannt, der jedoch meist in England und Belgien lebte, aus England der unglückliche Kanzler Thomas Morus (1480–1535). Betreffs Englands ist daneben an die bedeutende Zahl großartiger Schulanstalten zu er. unern (Et on 1441 u. s. f.), die das Jahrhundert des Humanismus entstehen sah. Besonders wohl vorbereitet fand der Humanismus den Boden in den deutschen Niederlanden durch die Brüder des gemeinsamen Lebens, deren Gesellschaft, durch Geert Groot (1340–84) von Deventer gestiftet, mit Vorliebe die Jugenderziehung be: rieb. Hier erwuchsen für Deutschland die ersten bedeutenden Lehrer des Griechischen, Rudolf Agricola (Roelof Huysmann, 1443–85) und Alexander Hegius (van der Heck, 1433–93). Von dort gingen aus Johannes Murmellius, Rektor in Münster (1480–1517), Ludwig Dringenberg in Schlettstadt (dort Rektor 1441–77, gest. 1490) und mittelbar Dringenbergs Schüler Jakob Wimpheling (1450–1528), Konrad Celtes (Pickel, 1459–1508) u. a. Als Häupter des Humanismus in Deutschland während der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrh. galten anerkannt Johannes Reuchlin von Pforzheim (Kapnio, 1455 bis 1522) und Desiderius Erasmus von Rotterdam (Geert Geerts; 1466–1536). Jener als Förderer hebräischer Studien, dieser als Herausgeber des griechischen Neuen Testaments und scharfer Kritiker der kirchlichen Mißstände, arbeiteten auch der kirchlichen Reformbewegung vor, mit der fortan in Deutschland mehr und mehr der Humanismus verschmolz. Den Wendepunkt bezeichnet in dieser Hinsicht Reuchlins Streit mit dem getauften Juden Pfefferkorn und den Kölner Theologen, besonders bekannt durch die Spottschrift »Epistolae obscurorum virorum« (s. d.) des Crotus Rubianus, Ulrich von Hutten (1515–17) u. a. Als Vertreter dieses jüngern reformatorischen Humanismus ragen hervor: Philipp Melanchthon (Schwarzerd, 1497–1560), Joachim Camerarius (1500–74) und die vier berühmten praktischen Schulmänner Valentin Friedland, genannt Trotzendorf (1490–1556), in Goldberg und Liegnitz, Johannes Sturm (1507–81) in Straßburg, Michael Neander (1525–95) in Ilfeld und Hieronymus Wolf (1516–80) in Augsburg. Nirgends ist der Kampf des Humanismus mit der herrschenden Scholastik heftiger und dramatischer gewesen als eben in Deutschland. In den religiösen Kämpfen des 17. Jahrh. jedoch verwischten sich die Grenzen der Parteien und die bezeichnenden Züge des Humanismus allmählich, so daß man die Ausläufer der humanistischen Philologie, namentlich in Holland, weiterhin kaum noch unter diesen Begriff fassen kann. Vgl. Heeren, Geschichte des Studiums der klassischen Literatur seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften (Götting. 1797–1802, 2 Bde.; neue Ausg. 1822); Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums (2. Aufl., Berl. 1880, 2 Bde.); Geiger, Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland (in Onckens »Allgemeiner Geschichte«, das. 1882) und die von Geiger herausgegebene »Vierteljahrschrift für Kultur und Literatur der Renaissance« (Leipz. 1885–86); Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien (8. Aufl. von Geiger, das. 1901, 2 Bde.); Gaspary, Geschichte der italienischen Literatur, Bd. 2 (Berl. 1888); Strauß, Ulrich von Hutten (6. Aufl., Bonn 1895); Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen (2. Aufl., Leipz. 1896–97, 2 Bde.); Hartfelder, Erziehung und Unterricht im Zeitalter des Humanismus (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 2, Stuttg. 1889); »Reden und Briefe italienischer Humanisten« (hrsg. von Müllner, Wien 1899).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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