Glaskunstindustrie

Glaskunstindustrie

Glaskunstindustrie (hierzu die Tafeln »Glaskunstindustrie I-III«). Die ältesten Gläser, von denen wir Kunde haben, stammen aus Phönikien und Ägypten. Die phönikischen Städte Sidon und Tyros lieferten treffliches Hohlglas; die Blüte dieser Industrie fällt vor die römische Kaiserzeit, und noch im 12. Jahrh. wird sie rühmend erwähnt (Tafel I, Fig. 1). Alter ist wohl die ägyptische Glasmacherkunst. Aus dem 17. Jahrh. v. Chr. ist eine gläserne Urne erhalten, die zeigt, daß man schon damals die Kunst des Überfangens und die Anwendung des Schleifrades kannte. Ägyptische Gläser aus etwas späterer Zeit bekunden eine ungemein hoch entwickelte Technik; man schuf in Form und Farbe ausgezeichnete Sachen und auch, wie die Phöniker, kolossale Gegenstände (Sarkophage, menschliche Figuren, Obelisken). Sesostris ließ 1643 v. Chr. eine Bildsäule aus smaragdgrünem Glas gießen. Die Fabriken von Alexandria betrieben mit farbigem Hohlglas und Mosaiken bis in die späteste römische Kaiserzeit ein sehr bedeutendes Ausfuhrgeschäft. Während Ägypten und Phönikien Hauptproduzenten für seines und Luxusglas waren, wurden gewöhnliche Gläser auch in andern Ländern vielfach dargestellt; nur im alten Griechenland scheint keine Glashütte existiert zu haben. In Rom begünstigte die Prunksucht der römischen Kaiserzeit die Entwickelung der Glasindustrie, und man fertigte auch hier Luxusgläser in glänzenden Farben mit kunstvoller Filigran-, Mosaik- und angeschliffener Dekoration (Portlandvase, s. d.), ja mit frei stehendem Netzwerk (Diatreta, s. d. und Tafel I, Fig. 3) umgeben. Sehr allgemein diente Glas zur Nachahmung von Schmuck- und Edelsteinen. Viele altrömische Gläser (Fig. 2), unter andern auch die Goldgläser (s. d. und Fig. 4), haben sich in den christlichen Katakomben gefunden. Nach dem Eindringen der Barbaren in Italien gerieten hier die Glashütten in Verfall und produzierten nur noch gewöhnliches Glas. An ihre Stelle trat Byzanz, wo sich unter dem Einfluß ägyptisch-römischer und phönikischer Meister und des Orients, wo die Araber diese Kunst übten und bald über alle mohammedanischen Länder verbreiteten (Fig. 5, 10 u. 19), eine eigenartige Industrie entwickelte, die bald den Weltmarkt beherrschte und sich ein halbes Jahrtausend hindurch in Ansehen erhielt. Nach dem Fall des oströmischen Reiches wanderten aber die Glasmacher aus, und nun begann Venedig, die Mutter der westeuropäischen Glasfabrikation, den hervorragendsten Platz einzunehmen. Die Glasindustrie hatte sich hier seit alter Zeit festgesetzt und entwickelt; wiederholt herangezogene auswärtige Arbeiter führten neue Kunstzweige (die Byzantiner z. B. die Glasmosaik) ein, und in Venedig selbst wurden verschiedene Gattungen erfunden. Das tiefe und durch Androhung schwerer Strafe behütete Geheimnis, mit dem die 1289 nach Murano verlegten Fabriken umgeben waren, sicherte auf lange Zeit ein Monopol. Unter dem Einfluß der Renaissance entwickelte sich eine Glasmacherkunst, die im 16.und 17. Jahrh. ihre größten, noch heute mustergültigen Meisterwerke in Form und Farbe (Gefäße, Spiegel) schuf. Man behandelte das Glas durchgehends nur als weiche, bildsame Masse und erzeugte seine weichen und gerundeten Formen ausschließlich vor der Pfeife und mit der Pinzette. Der biegsame Faden war das Hauptmittel der Ornamentation, Filigranglas und Perlen sind spezifische Produkte Venedigs (Fig. 6–9). Der hohen Blüte folgte hier aber ein schneller Verfall.

Im frühen Mittelalter bestand in Deutschland eine sehr entwickelte Glasindustrie, die durch venezianische Glasbläser eingeführt worden zu sein scheint, aber bald in Formgebung und Ornamentation von der byzantinischen und venezianischen abwich. Namentlich im Süden und Westen des Reiches ansässig, konkurrierte sie früh mit dem Ausland, selbst auf venezianischem Markte. Die deutschen Glasbläser gefielen sich in eigenartigen, meist sehr praktischen Formen (Römer, weite zylindrische Humpen), oft aber auch in grotesken Gebilden (Stiefeln, Hörnern, Tieren, Vexierbechern etc.). Im 16. und 17. Jahrh. waren Humpen aus grünlichem Glas (Waldglas) und Kannen sehr beliebt, die mit Figuren und Ornamenten in bunten Emailfarben bemalt wurden (meist Zunftgläser, Willkommen etc.). Man schmückte sie gewöhnlich mit dem Reichsadler, den Wappen der Länder und Städte des Deutschen Reiches, den Kurfürsten, den Lebensaltern, Handwerkern, Bauern, Familienbildnissen etc. (Fig. 11 u. 12). Diese Gläser wurden besonders im Fichtelgebirge und im Thüringer Wald hergestellt. Eine Nürnberger Spezialität sind die nach dem in Nürnberg tätigen Johann Schaper (gest. 1670) benannten Schapergläser, helle, mit schwarzer Emailfarbe bemalte Glasgefäße meist kleinern Umfanges (Fig. 13). Edelsteinimitationen und gläserne Ringe waren sehr beliebt. Im 15. Jahrh. begann auch die böhmische Glasindustrie eine Rolle zu spielen. Steinschleifer, die in Prag seit alter Zeit einen gewerblichen Mittelpunkt gehabt, suchten daraus Formen im reinen Kristallstil zu bilden (böhmischer Kristall), aus Venedig wurde die Bereitung der Schmelzfarben und die Glasmalerei eingeführt, und so kam man, wie in Murano, zur Perlenfabrikation, zur Anfertigung falscher Steine etc. Zur Zeit des Verfalls der venezianischen Glasmacherei beherrschte Böhmen den Weltmarkt und behauptete seine Stellung bis gegen Ende des 18. Jahrh., wenn auch unter allmählichem Sinken der Leistungen (Fig. 15). Später belegten fast alle Staaten Europas das böhmische Glas mit hohem Einfuhrzoll und begünstigten die Einwanderung böhmischer Arbeiter, so daß die Industrie allmählich in Verfall geriet, aus dem sie sich erst in neuester Zeit wieder erhoben hat. Erwähnenswert ist die Förderung, welche die Glasindustrie in Deutschland durch mehrere Fürsten fand. Der Große Kurfürst errichtete z. B. auf der Pfaueninsel bei Potsdam eine Glashütte, die unter Kunckels Leitung namentlich durch ihren Goldrubin großen Ruf gewann (Fig. 14) und später nach Zechlin verlegt wurde.

Frankreich besaß schon zu Beginn unsrer Zeitrechnung eigne Glashütten, aber noch im 18. Jahrh. mußte es besseres Fensterglas aus Böhmen und Deutschland beziehen. 1740 wurde von Drolinvaux eine Gesellschaft zur Fabrikation von Walzenglas gebildet und zu Lettenbach (St.-Quirin) eine Fabrik mit deutschen Arbeitern gegründet, die zu großem Ruf gelangte und die Mutterfabrik der modernen französischen, belgischen und einiger englischer Tafelglashütten wurde. Großes und Selbständiges leistete Frankreich im 18. Jahrh. in der Spiegelfabrikation.

Die ältesten Nachrichten über englische Glasindustrie datieren aus dem 15. Jahrh., zu welcher Zeit schlechtes Fensterglas dargestellt wurde.

In Ostasien kommt nur die chinesische Glasindustrie in Betracht, deren Ursprung in das 5. Jahrh. n. Chr. zurückversetzt wird, deren höchste Blüte jedoch erst im 18. Jahrh. erreicht worden ist. Die Technik ist sehr ausgebildet; unter anderm versteht man verschiedenfarbige Glasmassen durcheinander zu arbeiten und auseinander zu schmelzen und aus den Schichten Figuren und Ornamente nach Art altrömischer Gläser herauszuschneiden und zu schleifen (Fig. 16–18).

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. machten die böhmischen Glasfabriken große Anstrengungen, um ihren alten Platz auf dem Weltmarkt wieder zu gewinnen, indem sie vorzügliches Kristallglas, in der Masse gefärbtes Goldrubinglas, dunkelblaues und tiefgrünes Glas und milchweißes Glas verfertigten. Man verstand es auch, Kristallglas an der Innen- oder Außenseite mit blassem Rot oder Blau zu überfangen, es rubinrot oder gelb zu ätzen, und hatte im Schleifen und Gravieren, Vergolden und Bemalen des Glases große technische Fertigkeit. Auch wurden durch Mattschleifen, Ätzen, durch verschiedene Mischungen neue Glassorten erfunden oder alte wiederbelebt, die unter den Namen Achat-, Biskuit-, Alabaster-, Hyalithglas u. dgl. in den Handel kamen. Endlich erzielte man, teils durch Überfangen des weißen Beinglases, teils durch Färbung in der Masse, völlig opake grüne, gelbe, blaue und violette Glasarten. Dazu fand man ein ganz sattes weißes Email, das sich zum Überfangen des Kristallglases wie andrer Glassorten besonders eignete, und kam so immer mehr dazu, dem Porzellan Konkurrenz zu machen, auf der andern Seite aber das mehr berechtigte Gebiet der Glasindustrie, die Kultivierung des transparenten farbigen Glases, zu vernachlässigen. Da daneben auch die künstlerische Seite vernachlässigt wurde, indem die Gläser mit naturalistischen Blumen, Landschaften, Genrebildern, Bildnissen etc. dekoriert wurden, geriet die böhmische G. vollends in Verfall. Ein Umschwung zum Bessern trat in Österreich erst durch die Bemühungen des 1864 eröffneten österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien ein. Lobmeyr in Wien suchte als geschulter Zeichner selbstschaffend nicht nur die Formen der Prunkgeräte und des kostbarern Glasgeschirrs, sondern auch die der gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände zu veredeln; auch brachte er mit Benutzung der besten alten Muster und durch Schaffung neuer Arten das transparente Farbenglas mannigfach zur Anwendung und verdrängte dadurch das opake Farbenglas allmählich vom Markt (Tafel II, Fig. 1). Seinem Beispiel folgten andre böhmisch-österreichische Fabrikanten. Eine neue Erscheinung waren die irisierenden Gläser. Schon in Kaiser Hadrians Briefen ist von farbenwechselnden ägyptischen Gläsern die Rede. Ob diese unsern jetzigen irisierenden Gläsern ähnlich waren, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Jedenfalls ist das prächtig Schimmernde mancher antiker Glasgefäße, überhaupt das Schillernde vieler ausgegrabener alter Gläser eine Folge der Verwitterung. Die irisierenden Gläser der Neuzeit verdanken ihre Entstehung einem Zufall, durch den Pantotsek in der ungarischen Fabrik in Zlatno 1856 entdeckte, daß das Irisieren der Gläser ein Produkt metallischer Dämpfe ist. Seit 1874 wurden irisierende Gläser auch in Böhmen erzeugt und dann überall nachgeahmt (s. Irisglas).

In Frankreich brachten die Fabriken Baccarat (Fig. 2) und St.-Louis wie zahlreiche andre kleinere, gut geleitete die G. zu fortschreitender Entwickelung. In den erstgenannten Etablissements führte man um 1830 das Preßglas ein, zu dessen Darstellung sich die weichere, bleihaltige Masse vorzüglich eignete. Die derart erzeugten Gefäße hatten reiche Ornamente auf gesandetem Grund und waren in ihrer Erscheinung so neu und bestechend, auch verhältnismäßig so billig, daß sie epochemachend wirkten. Die Produkte der G. Frankreichs zeichnen sich durch Eleganz und Grazie aus, leiden aber unter starker Neigung zu naturalistischen Auswüchsen. Eine erste Rolle spielt sie nicht. In England erfand man im 17. Jahrh. ein Kristallglas, das wegen seiner herrlichen Farbenbrechung richtiger den Namen Diamantglas verdiente, und das bis heute nirgends gleich schön erzeugt wird. Das böhmische Kristallglas ist die richtige Nachbildung des Bergkristalls, farblos und so wenig farbenbrechend wie der Bergkristall. Das englische Kristallglas dagegen zeigt, namentlich wenn es brillantartig geschliffen ist, ein Farbenspiel, das dem des facettierten Diamanten sehr nahekommt. Man kultivierte in England die Brillantierung des Kristallglases in hervorragender Weise, so daß man schließlich dazu kam, auch dünne Gläser mit solchem Schliff. auszuführen (Fig. 3). Das englische Glas ist nicht so weich wie das venezianische, doch ungleich weicher als das böhmische und darum auch bildsamer. Die Engländer kultivieren auch die Gravierung des Kristallglases mit großem Aufwand. In Deutschland wird die Glasindustrie auf der gräflich Schaffgotschschen Fabrik Josephinenhütte bei Warmbrunn in Schlesien (Fig. 4) und durch Heckert (Nachfolger Otto Thamm) ebendaselbst in hervorragender Weise gepflegt. Man fertigt vorwiegend Farbenglas mit Malereien, dann Nachahmungen von venezianischen Fadenglasgegenständen, von Gläsern mit Perlendekorationen, von orientalischen Gläsern u. dgl. Eine erste Stellung in der G. nimmt auch die Fabrik Ehrenfeld bei Köln a. Rh. ein, in der Oskar Reuter die alten deutschen Römer mit ihrem aus einem Glasfaden geringelten Fuß und andre derartige Becher, Humpen, Weinkelche etc. mit ihren hübschen Buckeln, Butzen, Traubenansätzen etc., die römischen Krüge mit ihren besondern Henkeln, die in den ersten Jahrhunderten nach Christo den Rhein entlang erzeugt wurden, die fränkischen Gläser, endlich venezianische Arbeiten, erfolgreich nachahmte (Fig. 5), aber auch vortreffliche freie Schöpfungen in modernem Stil aufzuweisen hatte. In Ehrenfeld werden auch Gefäße aus massivem Goldrubinglas hergestellt und Gravierungen mit dem Diamanten ausgeführt. Die kaiserlich russische Fabrik in Petersburg erzeugt unter anderm Gefäße aus weißem, grünlichem und andersfarbigem Glas mit Emailverzierungen im frühbyzantinischen oder russischen Stil (Fig. 6 u. 7). Die venezianische Glasindustrie (Fig. 8) erzeugt nur Spezialitäten, wie sie allgemein in andern Ländern nicht gemacht werden. Das venezianische Glas ist das weichste. Es lassen sich damit die feinsten und zierlichsten Gebilde schaffen; das weiße Glas ist nicht so farblos wie das Kristallglas, das man anderwärts erzeugt, und ebensowenig feurig und klar wie das blaue, grüne oder violette. Glas, das man dort schmelzt, was alles jedoch den Reiz der venezianischen Gefäße eher erhöht als vermindert. Ihr Hauptwert liegt in der kunstvollen Glasmacherarbeit. Die Artikel sind fast ausschließlich Ziergerät, unter anderm auch aus Blumen, Blättern, Ranken u. dgl. hergestellte Spiegelrahmen. In Venedig war in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. die Glasfabrikation, mit Ausnahme der Erzeugung von Perlen und andrer kleinerer Gegenstände, auf das tiefste gesunken. Wohl hatte Lorenzo Radi sich schon vor 1840 mit Geschick und einigem Erfolg bemüht, die Technik der Glasmosaik wieder zu erwecken; der Schöpfer der neuen Epoche der venezianischen G. wurde indes Salviati. Er zog seit 1859 Radi und andre tüchtige Glasarbeiter heran und sammelte aus alten Schriften und Überlieferungen die Behelfe, um wieder die alten Verfahren zur Übung zu bringen. 1866 übernahm eine englische Gesellschaft die Fortführung des von Salviati geleiteten Unternehmens, an dem Salviati bis 1877 mitwirkte. Castellani, der nun die Leitung übernahm, erzielte eine immer exaktere Arbeit bei Nachahmungen alter Muster oder Ausführungen neuer Schöpfungen, vervollkommte die Wiedererzeugung der sogen. Katakombengläser und ließ römische Mosaikschalen, Achatgläser u. dgl. mit der gleichen Kunstfertigkeit ausführen, mit der sie zu Anfang unsrer Zeitrechnung hergestellt wurden. Ende 1877 eröffnete Salviati eine Fabrik in Murano und leistete bis zu seinem 1892 erfolgten Tode besonders in Wandmosaiken Ausgezeichnetes.

Einen besondern Zweig der G. bilden die Kronleuchter. Die ersten aus nur weißem oder teils auch farbigem Glas, an denen auch die Arme aus solchem Material waren, dürften wohl im 14. oder 15. Jahrh. in Murano erzeugt worden sein. Man formte Blüten und Blätter und setzte daraus Blumenkronen zusammen, in die man hin und wieder noch Früchte oder Vögel einfügte. Man wußte dabei eine so reiche Abwechselung zu erzielen, daß man noch jetzt in Murano jene phantasievollen, schönen Gebilde früherer Zeit nachahmt (Fig. 9). Im 17. Jahrh. bildete die böhmische Glasindustrie auch die Bergkristallbehänge nach, mit denen man damals Messing- oder Stahllüster schmückte. Die größere Billigkeit der teils nur gepreßten Glasbehänge ermöglichte deren reichere Anwendung. Man schuf Kronleuchter mit einem Gerippe aus verzinnten, flachen Eisenstäben, die mit platt gedrückten, kurzen Glasröhren und Rosetten ganz belegt und mit meist breiten, geschliffenen oder gepreßten Behängen geziert sind. Solche Lüster finden sich noch zahlreich in alten österreichischen und deutschen Schlössern und werden, da ihre Form ebenso edel wie charakteristisch ist, heute noch vielfach nachgebildet, nur daß die neuen weit mehr Kerzenarme haben müssen. Es wurden ferner mancherlei Kronen aus zartern Messinggerüsten mit größern oder kleinern Glassteinen oder Glasketten reich verziert, auch solche mit geschliffenen Glasarmen im 17. und im 19. Jahrh. erzeugt, welche die größte Mannigfaltigkeit und Originalität der Formen aufweisen. Frankreich folgte m diesem Kunstindustriezweig anscheinend erst etwas später und hat hierin wohl nicht minder Gutes, doch kaum Eigentümliches geleistet; ebenso kam England erst später, auch dabei bald seine Vorliebe für das Massige und Bizarre zur Geltung bringend. Seine Kronleuchter sind meist für die Ausfuhr nach Indien berechnet. Auch Böhmen erzeugt zumeist in Haida und Steinschönau für den ganzen Orient ähnliche Lüster. Lobmeyr in Wien hat auch von diesem Artikel, teils alte Vorbilder verwertend, sich seine eignen Spezialitäten geschaffen (Fig. 10).

Die neueste Entwickelung der Glaskunstindustrie.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrh. ist unter dem Einfluß der allgemeinen Reform- und Neuerungsbestrebungen im modernen Kunstgewerbe auch in die G. eine neue Bewegung gekommen, die ihren Ausgangspunkt fast zu gleicher Zeit in New York und Nancy gehabt hat. In New York stellte der Maler L. C. Tiffany (s. d.) auf den amerikanischen Geschmack und zugleich auf amerikanische Geldverhältnisse berechnete, ungemein kostspielige Luxusgläser her, wobei er sich an orientalische und antike Muster hielt und eine Methode zu gewinnen suchte, um den alten Metallüster, aber auf Grund einer größern und tiefern Farbenskala, darzustellen. In der unendlichen Mannigfaltigkeit der Verbindung tiefleuchtender Farben mit dem in allen Schillertönen spielenden Metallglanz liegt der Hauptreiz dieser Luxusgefäße, die oft noch durch Montierung in Edelmetall und Bronze gehoben werden (Tafel III, Fig. 1–3). Auf neue Formenbildungen legte Tiffany wenig Gewicht. Er begnügte sich meist mit den chinesischen und orientalischen Flaschen- und Vasenformen, deren weite Bäuche reichlichen Raum für die Entfaltung des Farbenspiels gewähren. In neuerer Zeit hat er seine Erzeugnisse auch insofern dem praktischen Gebrauch dienstbar gemacht, als er die Glaskörper für Stand- und Hängelampen in reizvoller Verbindung mit Metall verwendete. Eine rein dekorative, auf das Luxusbedürfnis beschränkter Kreise berechnete Bedeutung haben auch die in Nancy zuerst durch E. Gallé begonnenen, später von Daum und Léveillé fortgesetzten Bestrebungen. Gallé ging bei seinen Reformversuchen von der chinesischen G. aus. Durch einen reichen Pflanzen- und Blumendekor weiß er jedem seiner Gefäße neben dem farbigen auch einen individuellen künstlerischen Reiz zu geben. In seinen Formen schließt er sich ebenfalls mehr oder weniger eng an seine asiatischen Vorbilder an, freilich in der Umwandlung, die durch das Streben nach echt französischer Anmut und Leichtigkeit gefordert wird (Fig. 4 u. 5). Letzteres tritt noch stärker in den auch in der Färbung reicher gehaltenen Luxusgefäßen von Daum hervor (Fig. 6 u. 7). Der Schmuck der Nancyschen Glasgefäße ist m Relief hergestellt, durch Auseinanderschmelzen verschiedenfarbiger Glasmassen, aus denen die Ornamente herausgeschliffen oder geschnitten werden. Es ist für den einseitigen, nur auf Sammler berechneten Luxuscharakter dieser Gefäße bemerkenswert, daß die Tiffanyschen Gläser ebensowenig in Amerika wie die Nancyschen in Frankreich einen Einfluß auf die übrige G. ausgeübt haben. Dagegen sind beide Arten von Gläsern neuerdings in Böhmen nachgeahmt worden und dadurch schnell zu wohlfeiler Fabrikware herabgesunken. Ein künstlerisches Verdienst beanspruchen darunter die Nachbildungen von Tiffanygläsern von M. v. Spann in Klostermühle.

Die deutschen Glasfabriken haben sich bisher an der modernen Bewegung wenig beteiligt. Eine Ausnahme macht die Fabrik von Vallerysthal im Elsaß, wo unter der Leitung der Maler Spindler in St. Leonhard bei Straßburg, B. Paul und F. A. O. Krüger in München reichfarbige Ziergläser hergestellt werden. Auf Grund einfacher Überfanggläser sucht man durch Einsetzen andersfarbiger Gläser in die Überfangkappen reichere Wirkungen zu erzielen. Auch die Fabrik von Fr. Heckert in Petersdorf im Riesengebirge hat moderne Gläser (nach Entwürfen von Sütterlin in Berlin u.a.) verfertigt.

Großen Beifalls haben sich in Frankreich und Deutschland die Ziergläser des Kupferstechers Karl Köpping in Berlin zu erfreuen gehabt, freilich auch nur in den engern Kreisen wohlhabender Kunstfreunde, da diese ungemein zerbrechlichen Gläser nur in wenigen Exemplaren (etwa 300) hergestellt und mit entsprechend hohen Preisen bezahlt worden sind (Fig. 8). Auf die Venezianer zurückgreifend, wollte Köpping im Gegensatze zu den geschnittenen und gepreßten Gläsern den eigentlichen Glasstil, d.h. die Blastechnik, wieder zu Ehren bringen. Unter Benutzung von Röhren, die vor der Glasbläserflamme verblasen wurden, ließ er nach seinen Zeichnungen Gebilde herstellen, die meist höchstengeligen Tulpen oder andern Blumenkelchen auf schlanken, dünnen Stengeln glichen. Die Färbung der Gläser erzielte Köpping dadurch, daß er die Glasröhren mit Chemikalien, besonders mit Metalloxyden, so präparieren ließ, daß sich die gewünschten Farben erst im Feuer entwickelten. Daneben hat Köpping auch Gebrauchsgläser (Wein- und Likörgläser) angefertigt, die meist in dunkelfarbiger, tieftöniger Masse (braun- und tiefrot, grün etc.) hergestellt werden (Fig. 9–11). Einen glücklichen Versuch in der Reform unsrer Gebrauchsgläser hat auch der Münchener Maler Peter Behrens (jetzt in Düsseldorf) gemacht, indem er eine Reihe von Entwürfen zu handlichen und gefälligen Wein-, Likör- und Biergläsern in Kristall gezeichnet hat, wie sie für die moderne Tafel erforderlich sind (Fig. 19–25).

Die englischen Glaskünstler haben nicht bloß in Gebrauchs-, sondern auch in Luxusgläsern stets darauf gehalten, daß der Charakter des Materials zu ausgesprochener Geltung komme und jedes Objekt in der vollkommensten Weise seinem Zweck entspreche. William Morris, der Reformator des modernen englischen Kunstgewerbes, hat auch auf diesem Gebiet einige mustergültige Vorbilder (für Gebrauchsgläser) geschaffen, und auf seinem Weg ist die englische G., an deren Spitze gegenwärtig Powell u. Söhne stehen, weiter fortgeschritten. Dabei hat sie sich eine möglichste Wohlfeilheit der Fabrikation zur Aufgabe gestellt, um die Massenverbreitung guter Formen sowohl in Gebrauchs- wie in Ziergläsern zu erleichtern (Fig. 12 bis 15) In denselben gesunden Bahnen bewegt sich die belgische Fabrik Val St. Lambert bei Lüttich, die teils Gebrauchsgläser (Wein- und Wassergläser), die ausschließlich geblasen werden (Fig. 18), teils Ziergläser (Blumenvasen, Fruchtschalen u. dgl.) aus geschnittenem, farblosem (Fig. 17) oder farbigem Glas (Fig. 16) fertigt. Vgl. Lobmeyr, Die Glasindustrie (Stuttg. 1874, mit Ilg und Böheim); Minutoli, über Anfertigung und Nutzanwendung der farbigen Gläser bei den Alten (Berl. 1836); Friedrich, Die altdeutschen Gläser (Nürnb. 1884); Bucher, Die Glassammlung des österreichischen Museums für Kunst und Industrie (Wien 1887); Schorn, Die Kunsterzeugnisse aus Ton und Glas (Leipz. 1888); Czihak, Schlesische Gläser (Bresl. 1891); Sauzay, La verrerie depuis les temps les plus reculés, etc. (4. Aufl., das. 1884); Deville, Histoire de l'art de la verrerie dans l'antiquité (das. 1873); Fröhner, La verrerie antique (das. 1879); Gerspach, L'art de la verrerie (das. 1885); Garnier, Histoire de la verrerie et de l'émaillerie (Tours 1885); Havard, La verrerie (Par. 1894); Schmoranz, Altorientalische Glasgefäße (Wien 1898); Vopel, Die altchristlichen Goldgläser (Freiburg 1899); Borrmann, Geschnittene Gläser des 17. und 18. Jahrhunderts (Berl. 1901); Haas, Moderne Glasätzereien (das. 1901 ff.); Pazaurek, Moderne Gläser (Leipz. 1901) und Die Gläsersammlung des nordböhmischen Gewerbemuseums in Reichenberg (das. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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