Langobarden

Langobarden

Langobarden (»Langbärte«; Longobarden ist die spätere romanisierte Namensform), eine Völkerschaft suevischen Stammes, wohnte zu Anfang unsrer Zeitrechnung am linken Ufer der untern Elbe, wo der Bardengau mit Bardowiek ihren Namen bewahrt hat (s. die Karte »Germanien«, Bd. 7, S. 648). Ursprünglich hießen die L. nach einer Sage Winnili (»die Kampflustigen«). Ihre dem 7. nachchristlichen Jahrhundert angehörenden Nationalsagen sind uns zwar nicht in der ursprünglichen Form und Sprache, ooch dem Inhalt nach in der lateinisch geschriebenen Geschichte der L. von Paulus Diaconus, einem Zeitgenossen Pippins und Karls d. Gr., erhalten; sie endigt mit dem Tode Liutprands 744. In den Jahren 4–6 n. Chr. wurden sie von Tiberius als Kronprinz unterworfen, standen im Kampfe zwischen Arminius und Marbod auf des erstern Seite und führten 30 Jahre nach Marbods Niederlage den von den Cheruskern verjagten König Italicus zurück. Einige tausend L. machten sich zusammen mit andern Nordgermanen gelegentlich des großen Markomannenkriegs unter Marcus Aurelius nach Süden auf, wurden aber in Pannonien geschlagen und kehrten in die Heimat zurück. Die an der Elbe bleibenden L. gingen später in den Sachsen auf; der größere Teil des Volkes zog zu unbestimmbarer Zeit über die Mark und Böhmen nach dem Donaulande. Nach Westberg jedoch verlief die Wanderung folgendermaßen: zunächst (etwa 165 n. Chr.) nach der untern Oder hin, dann (gegen 200) nach Pommern (Scoringa) und wenig später, jedenfalls aber nach 200, über die untere Weichsel in litauische Gebiete (Galinden), wo die Namen Barterland und Bartenstein noch an den Aufenthalt der L. erinnern. Um 370 brachen die L. unter König Agelmund aus Galinden auf, überschritten die Weichsel, wurden danach (etwas nach 375) durch bulgarische Hunnen überrumpelt und trafen um 380 im Lande der Ostslawen (Anten) nördlich von den Karpathen ein. Ein Jahrhundert später, um 488, sollen nach der Zerstörung des Rugierreiches durch Odovakar die L. unter Godeoch (Godehoc) in das verlassene Rugiland eingewandert sein und nahmen hier an der Donau den arianischen Glauben an. Um 490 wurden sie von den Herulern unterworfen, stürzten aber deren Herrschaft um 510 unter ihrem Könige Tato und besetzten nun das ganze linke Donauufer von der Wachau bis an den Granfluß. Von hier breiteten sie sich unter ihren Königen Wacho, Waltari und Audoin (546) in der ungarischen Tiefebene weiter aus und wurden um 565 vom Kaiser Iustin gegen die Gepiden ausgespielt, die schließlich 566–567 durch den von den Avaren unterstützten König Alboin (um 560–572) vernichtet wurden. Ostern 568 zogen die L. unter Alboin im Bunde mit zahlreichen beutelustigen Scharen (unter andern 20,000 Sachsen) über die Alpen (Predilpaß) und eroberten innerhalb weniger Jahre den größten Teil Nord- und Mittelitaliens; Mailand fiel 4. Sept. 569. Pavia leistete dreijährigen Widerstand und wurde 572 von Alboin zur Hauptstadt erhoben. Nach der Ermordung Alboins (Ende Mai oder Anfang Juni 572) vertrieben die L. die Mörderin Rosamunde und ihren neuen Gemahl Helmechis und wählten den Herzog Kleph aus dem Stamme Beleos zum König, der jedoch nach anderthalbjähriger Regierung 574 erschlagen ward.

Während der nächsten zehn Jahre herrschten (angeblich) 35 Herzoge, von denen die zu Friaul, Trient, Brescia, Bergamo, Turin, Pavia, Verona, Piacenza, Reggio, Parma und in dem während dieser Zeit eroberten Mittel- und Unteritalien die zu Spoleto und Benevent residierenden die mächtigsten waren. 575 bis 576 wurde Justins Schwiegersohn Baduarius in offener Feldschlacht von den L. besiegt. Doch 579 und 581 scheiterten ihre Belagerungen Roms und Neapels ebenso wie vorher (574–575) Einfälle ins Frankenreich; ja, 584 unterwarfen sich die nördlichen Herzoge der L. sogar dem austrasischen König Childebert. Eine Zusammenfassung der Kräfte tat dringend not; so kam es endlich 584 zur Königswahl, und Klephs Sohn Authari (584–590) übernahm die Regierung. Er gab dem Staatswesen die feste monarchische Form wieder und ordnete das Verhältnis des Königs zu den Großen des Reiches, wie es im wesentlichen bis zum Untergange bestanden hat. Die Gesetze wurden von dem König mit den Großen beraten, in der Volksversammlung angenommen und im Namen des Königs erlassen. An der Spitze dieser Aristokratie standen die Herzoge (duces), ursprünglich vom Volke gewählt, seit der Einwanderung der L. in Italien vom König aus den hervorragendsten Geschlechtern ernannt. Sie waren sowohl Heerführer als auch Richter in den Städten und den dazugehörigen Gebieten. Über den königlichen Grundbesitz und die reichsunmittelbaren Gebiete waren als Verwaltungsbeamte die (den deutschen Pfalzgrafen vergleichbaren) Gastalden gesetzt, die gelegentlich auch Comites genannt wurden. Ihnen, d.h. den Herzogen und Gastalden als Oberrichtern, war der Sculdahis oder Schultheiß, der im Lande Schuld und Pflicht einforderte, untergeben, diesem wiederum die Dekane und Saltarii, die Vorstände kleinerer Ortsbezirke. Seit 643 wurden die langobardischen Gesetze in Schrift gefaßt (s. Langobardisches Recht). Eine neue Blüte der Gesittung erwuchs; Landbau, Gewerbfleiß, Kunst, Handel und Verkehr gediehen.

Die Zeiten Autharis wurden für die spätere Stellung der L. auch durch die am 15. Mai 588 geschlossene Ehe des Königs mit der bayrischen Königstochter Theodelinde bedeutungsvoll. Unter ihrem Einfluß begann die Bekehrung der noch immer arianischen L. zur athanasianischen Religion; sie war um die Mitte des 7. Jahrh. nahezu vollendet. Nach Autharis Tod (5. Sept. 590) wählte seine Witwe Theodelinde Anfang November 590 den Schwager Autharis, Herzog Agilulf von Turin, zum Gemahl (590–616) und bewog auch diesen (einen Zeitgenossen des großen Papstes Gregor 1.), den katholischen Glauben anzunehmen. Auf Agilulf folgte sein erst 603 geborner und katholisch getaufter Sohn Adaloald (616–626). Dieser verfiel aber bald in Wahnsinn, worauf sein arianischer Schwager, Herzog Arioald von Turin (625–636), auf den Thron erhoben wurde. Herzog Rothari von Brescia, von Arioalds Witwe Gundeberga zum Gemahl und König erwählt (636 bis 652), beschränkte die Macht der Griechen in Italien und ließ 22. Nov. 643 die bis dahin ungeschriebenen Volksrechte der L. in einem Gesetzbuch (Edictum, langobard.: Edictus) zusammenstellen. Sein Sohn Rodoald ward bereits nach einem knappen halben Jahr im März 653 von einem L., dessen Gemahlin er verführt hatte, erschlagen. Theodelindens katholischer Neffe Aripert I. (653–661), ein Agilolsinger, tat sich als Beschützer der Künste und Wissenschaften hervor. Nach seinem Tode stritten seine Söhne Godepert und Perctarit (Berthari) um die Herrschaft. Godepert rief den mächtigen Herzog von Benevent, Grimoald, zu Hilfe; dieser ermordete 662 Godepert in Pavia, vertrieb Perctarit aus Mailand, heiratete beider Schwester und wurde hierauf Ende 662 von den L. zum König (662–672) erwählt. Er schlug die Angriffe der Griechen und Franken sowie die Einfälle der Avaren zurück. Auch um die Ordnung im Innern machte sich Grimoald durch ein Ergänzungsgesetz (668) verdient. Unter seiner Regierung wurde zwar die katholische Kirche bei den L. herrschend; doch gelang es ihr nicht, einen solchen Einfluß auf den Staat zu erlangen, wie sie ihn unter den übrigen katholischen germanischen Völkern errang. Als Grimoald 671 starb, wurde sein unmündiger zweiter Sohn, Garibald, König, während Romuald, der ältere, auf Benevent beschränkt blieb. Doch die L. riefen schon nach drei Monaten Perctarit (Berthari, 672–690) zurück. Diesem folgte sein Sohn Cunincpert (Kunibert), der seit 680 Mitregent des Vaters gewesen war (690–700). Während Cunincpert abwesend war, fiel Alahis, arianischer Herzog von Trient und Brescia, in Pavia ein und machte sich zum König, trat aber alle Volksrechte so mit Füßen, daß Cunincpert wieder auf den Thron kam; Alahis fiel in der Schlacht auf dem Feld Coronate an der Adda (gegen 693). Unter Cunincperts minderjährigem Sohn Liutpert (700 bis 701), für den sein Vater den »weisen« Herzog Ansprand zum Vormund eingesetzt hatte, erlebte das Langobardenreich schwere Zeiten. Raginpert, Godeperts Sohn, Herzog von Turin, erhob begründete Ansprüche auf den Thron und besiegte (um 701) Ansprand bei Novara, starb jedoch bald. Raginperts Sohn Aripert (702–712) behauptete durch einen zweiten Sieg bei Pavia die Herrschaft. Liutpert wurde umgebracht; Ansprand floh 703 nach Bayern, wo er erst Anfang 712 die erbetene Heereshilfe erhielt. Aripert entwich und ertrank auf der Flucht im Ticino, von dem Gold, womit er sich beladen hatte, niedergezogen.

Ansprand (712) wurde nun König, hinterließ aber den Thron schon 13. Juni 712 seinem Sohn Liutprand (712–744), dessen Streben dahin ging, die ganze Halbinsel zu einem großen Langobardenreich zu vereinigen. Der Widerstand, den er hierbei bei Papst Gregor II. (gest. 731), der noch bis 728, namentlich des Bildersturms wegen, mit den L. gemeinsame Sache gegen Byzanz und seine Exarchen gemacht hatte, und den mit diesem verbündeten Herzogen von Spoleto und Benevent fand, bewog ihn, mit dem griechischen Statthalter im Bunde die beiden Herzoge einzuschüchtern und gegen Gregor zu ziehen. Der Papst mußte den Exarchen in Rom wieder aufnehmen und war damit von neuem ein Bischof des Reiches. Sein Nachfolger, Gregor III., bat 739 und 740 Karl Martell durch Übersendung von Schlüsseln zum Grab des heil. Petrus und andre Kostbarkeiten um Schutz; aber die Verhandlungen versprachen wegen der damaligen fränkisch-langobardischen Freundschaft von vornherein wenig Erfolg, außerdem starben Karl und Gregor kurz hintereinander (741). Gregors Nachfolger Zacharias schloß mit Liutprand einen 20jährigen Waffenstillstand (742) und gab die Herzoge auf, die nun ihre Länder verloren. Ebenso energisch griff Liutprand im eignen Lande durch: die Herzoge wurden in ihrer Macht beschränkt und mußten wesentliche Rechte an die königlichen Gastalden abtreten. Ihm folgte Anfang 744 sein bisheriger Mitregent Hildeprand (744); doch wurde dieser schon nach acht Monaten gestürzt. Der neue König, Ratchis (Rachis) von Friaul (744–749), zeigte sich so friedlich und römisch gesinnt, daß die L. ihn im Juni 749 des Thrones entsetzten und seinen kriegerischen Bruder Aistulf (749–756) erhoben. Dieser nahm 751 Ravenna, zog im Juni 752 vor Rom und brachte danach den Papst Stephan II. in solche Bedrängnis, daß er Pippin und im November 753 persönlich in Pavia den Langobardenkönig um Hilfe bat. Pippin zwang Aistulf durch zwei Feldzüge (754 und 756), von seinen Angriffen auf Rom abzustehen und die fränkische Oberhoheit anzuerkennen. Auf Aistulf (gest. Dez. 756) folgte, nachdem der aus Monte Cassino entwichene frühere König Ratchis im Norden nochmals Anerkennung gefunden, aber im März 757 endgültig abgedankt hatte, Desiderius, Herzog von Tuscien (756–774). Dieser, aufgebracht, daß Karl d. Gr. seine Tochter verstoßen hatte, nahm die Witwe Karlmanns (gest. 4. Dez. 771), Gerberga, mit ihren kleinen Söhnen auf und wollte den Papst Hadrian zwingen, diese zu fränkischen Königen zu salben. Der Papst bat Anfang 773 Karl um Hilfe, der mit einem Heer über die Alpen kam und Desiderius nach fast neunmonatiger Belagerung (Ende September 773 bis Anfang Juni 774) in Pavia zur Ergebung zwang. Desiderius wurde mit Frau und Tochter nach Frankreich gebracht. Die langobardische Verfassung wurde anfänglich beibehalten, Karl d. Gr. nannte sich König der L. Indessen wiederholte Aufstände unter Hrodgaud von Friaul (Anfang 776) und Adelgis, dem verbannten Sohne des Desiderius, sowie die gegen den Papst gerichteten Drohungen und Übergriffe des mit Adelgis verschwägerten Herzogs Arichis von Benevent (gest. 26. Aug. 787) führten seit 788 zur Auflösung der alten Verfassung und Einführung fränkischer Institutionen. Da die L. inzwischen romanisiert worden waren, so verschmolzen sie mit der übrigen Bevölkerung Italiens, in dessen Geschichte die ihrige ausgeht (s. die erste der vier »Karten zur Geschichte Italiens«, Bd. 10, S. 82). Germanisch gebliebene Reste der L. will man in einigen deutschen Gemeinden in den Tälern Südtirols erkennen. Vgl. Bethmann-Hollweg, Ursprung der lombardischen Städtefreiheit (Bonn 1846); Hegel, Geschichte der Städteverfassung von Italien, Bd. 1 (Leipz. 1847); S. Abel, Der Untergang des Langobardenreichs in Italien (Götting. 1858); Pabst, Geschichte des langobardischen Herzogtums (»Forschungen zur deutschen Geschichte«, Bd. 2, das. 1862); Bluhme, Die gens Langobardorum und ihre Herkunft (Bonn 1868); Baxmann, Die Politik der Päpste von Gregor 1. bis auf Gregor Vl I., Bd. 1 (Elberf. 1868); Wisbaum, Die wichtigsten Richtungen und Ziele der Tätigkeit Papst Gregors d. Gr. (Bonn 1884); L. Schmidt, Älteste Geschichte der L. (Leipz. 1884); Galetschky, Die Urgeschichte der L. (Weißenf. 1885); Tamassia, Longobardi, Franchi e Chiesa romana (Bologna 1888); Bury, A history of the later Roman Empire, Bd. 2 (Lond. 1889); Cohn, Die Stellung der byzantinischen Statthalter in Ober- und Mittelitalien 540–751 (Berl. 1889); Bruckner, Die Sprache der L. (Straßb. 1895); Hogdkin, Italy and her invaders, Bd. 5–6 (Oxf. 1895); Braun, Forschungen auf dem Gebiete gotisch-slawischer Beziehungen (St. Petersb. 1899, russ.); Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, Bd. 2 (Gotha 1900); Westberg, Zur Wanderung der L. (Mémoires de l'Académie impériale des sciences de Saint-Petersbourg, Bd. 6, 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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