Hus

Hus

Hus (besser als Huß), Johann, böhm. Reformator, geb. wahrscheinlich 1369 in Husinetz (wonach er sich zuerst Johannes de Husinetz, später H. nannte), gest. 6. Juli 1415 in Konstanz, war Sohn armer Bauern, studierte in Prag Theologie, erlangte 1393 das Bakkalaureat der freien Künste, 1394 das der Theologie und wurde 1396 Magister der freien Künste. Zu seinen Lehrern gehörte unter andern Mag. Nikolaus Biceps, Nikolaus von Leitomischl, Stephan Palec von Kolin und Mag. Stanislaus von Znaim, sein späterer Gegner, vielleicht auch Albertus Ranconis. Seit 1398 hielt er Vorlesungen an der Universität, um 1400 wurde er zum Priester geweiht, 1401–1402 war er Dekan, 1403 Rektor und gleichzeitig Prediger an der durch ihn berühmt gewordenen Bethlehemskapelle, als Nachfolger Stephans von Kolin. Wichtig für seine Entwickelung, in gewisser Beziehung entscheidend für sein weiteres Leben, wurde die Bekanntschaft mit den theologischen Schriften Wiclifs, die Mag. Hieronymus etwa 1401 nach Prag mitgebracht hatte. Wie seine sogen. »Vorläufer«, Waldhauser und Militsch von Kremsier, beschäftigte er sich in seinen Predigten lebhaft mit den damals akuten Fragen nach Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Schon als im J. 1403 das Prager Kapitel ein Gutachten von der Universität über die von der Londoner Synode (1382) verurteilten 24 Wiclifitischen Lehrsätze, denen Mag. Johannes Hubner noch 21 neue hinzugefügt hatte, abverlangte, soll H. neben Nikolaus von Leitomischl, Palec und Stanislaus von Znaim auf der Seite der Verteidiger Wiclifs gestanden haben; gleichwohl wurde beschlossen, daß diese Artikel, wenn sie auch nicht als ketzerisch angesehen werden, nicht gelehrt werden sollten. In dem damals oder kurz nachher verfaßten Traktat »De corpore Christi« steht H. auf vollkommen kirchlichem Boden. Auch erfreute er sich damals der vollen Gunst des Prager Erzbischofs Sbinko, wurde von ihm 1405 mit zwei andern Kollegen zur Prüfung des Wunderbluts von Wilsnack (s. d.) bestimmt, das er verurteilte, worauf der Erzbischof die Wallfahrten dahin untersagte; auch nahm er in einer eignen Schrift: »De ommi sanguine Christi glorificato«, Stellung zu dieser Frage. Damals beschäftigte er sich auch mit der Reinigung und Vereinfachung der böhmischen Orthographie, schrieb seine »Orthographia bohemica« und legte die Grundlage zur heutigen böhmischen Rechtschreibung.

Der immer deutlichere Anschluß H.' an die Lehre Wiclifs bot den Gegnern jeder Kirchenreform Anlaß, ihn der Ketzerei zu verdächtigen, und wenn auch diese Anklagen beim Prager Erzbischof keinen Erfolg hatten, so kam doch aus Rom schon 1405 eine Bulle Innozenz' VII., worin der Erzbischof aufgefordert wurde, dem Ketzertum in seiner Diözese entgegenzutreten. Doch noch stand H. in vollem Einvernehmen mit dem Erzbischof und genoß auch am Hofe Wenzels als königlicher Kaplan und vielleicht auch Beichtvater der Königin Sophie große Gunst. Aber schon 1407 wurde H. das Amt eines Synodalpredigers, das er seit 1405 innegehabt hatte, vom Erzbischof genommen; und als der Erzbischof im folgenden Jahre die 45 Artikel gegen Wiclif trotz des wiederholten unentschiedenen Gutachtens der Universität vom 20. Mai 1408 auf der Junisynode verbot und die Ablieferung der ketzerischen Bücher bis zum 4. Juli verfügte, vollzog sich der Bruch. Zwar kam auch H., wie die meisten seiner Anhänger, der Aufforderung bezüglich der Bücher widerstrebend nach; in seinen Predigten aber fuhr er fort, die Lehren Wiclifs zu verteidigen.

Die Frage für und gegen die kirchliche Reform hatte schon seit langem an der Universität in Prag eine Spaltung unter den Professoren hervorgerufen, und zwar standen die der tschechischen Nationalität angehörigen mehr auf der Seite der Reform. So bildete sich, durch andre Verhältnisse mit beeinflußt, hier ein nationaler Gegensatz immer schärfer heraus. Als die böhmische Nation an der Universität im Gegensatz zu den drei übrigen Nationen dem Wunsche König Wenzels entsprechend beschloß, betreffs des päpstlichen Schismas Neutralität zu bewahren, änderte der König laut dem Kuttenberger Dekret vom 18. Jan. 1409 das bisherige Stimmenverhältnis zugunsten der böhmischen Nation, so daß die deutschen Studenten mit ihren Lehrern Prag 16. Mai 1409 verließen. Der Einfluß, den H. auf diese Verfügungen hatte, ist nicht sichergestellt; jedenfalls war H. der erste Rektor, der nach der neuen Stimmordnung gewählt wurde.

Erzbischof Sbinko, der sich 2. Sept. 1409 zur Obedienz Papst Alexanders V. bekannt hatte, schritt nun, da H. in seinen Predigten fortfuhr, gegen ihn ein, erlangte vom Papst eine Bulle (erlassen 20. Dez. 1409, in Prag verkündet im März 1410), die das öffentliche Predigen nur in bestimmten Kirchen gestattete, wodurch H. die Wirksamkeit in der Bethlehemskapelle unmöglich gemacht werden sollte, und sprach schließlich 18. Juli 1410, nachdem zwei Tage zuvor die Verbrennung der Wiclifitischen Bücher im erzbischöflichen Hofe stattgefunden hatte, den Bann über H. aus. H. verteidigte sich in Disputationen und Schriften (»De libris haereticorum legendis« u. a.), und König Wenzel nahm sich seiner in Rom an; allein auch Johann XXIII. bestätigte die Verfügungen seines Vorgängers und zitierte H. nach Rom. Eine weitere Verschärfung der Verhältnisse ergab sich, als der Papst (Mai 1412) die Ablaßbulle wegen des Kreuzzuges gegen den König Ladislaus von Apulien verkünden ließ und H. offen gegen die Ablaßverkünder auftrat. Damals trennten sich Palec und Stanislaus von Znaim von H., der in der Universität, in der Bethlehemskapelle und auch außerhalb Prags gegen den Ablaß predigte und auch einen Traktat »Quaestio de indulgentiis sive de cruciata papae Johannis XXIII. fulminata contra Ladislaum Apuliae regem« verfaßte. Im Verlaufe von Straßenunruhen in Prag wurden drei junge Leute, die zum Anhange H.' gehörten, hingerichtet; vom Volke wurden die Leichname in die Bethlehemskapelle gebracht, wobei das Lied »Isti sunt sancti« gesungen wurde, und von H. feierlich begraben. Die Wirren in Universität und Volk wurden immer stärker, die Ausbreitung der Anhänger H.' nahm im Land und in den Nachbargebieten immer mehr zu, so daß im Juli 1412 über H. der große Kirchenbann verhängt wurde. Da die Anwesenheit des Gebannten allen Kirchendienst hemmte, veranlaßte König Wenzel H. (im Dezember 1412), Prag zu verlassen. H. verbrachte die folgende Zeit auf Schlössern befreundeter Adliger, schrieb hier eine Anzahl von Wiclifsche Anschauung vertretenden Traktaten, darunter »De ecclesia«, woraus später der Anklagestoff in Konstanz wider ihn genommen wurde. Hier und in andern gleichzeitigen Schriften stellte sich H. bereits vollständig auf den Standpunkt der Schrift als Quelle des Glaubens; dagegen hielt er an der Wandlungslehre, Anrufung der Heiligen etc. fest und leugnete noch nicht die konziliare Autorität in der Kirche. Als daher das Konstanzer Konzil (s. d.) 1414 zusammentrat, veranlaßte König Siegmund im Herbst H. gegen Zusicherung sichern Geleites, dahin zu kommen. H. folgte der Einladung in der Hoffnung, die Väter zu seinen (d. h. zu Wiclifs) Lehren bekehren zu können. Am 3. Nov. 1414 traf er ein, fast gleichzeitig seine bittersten Feinde und Ankläger, darunter auch Stephan von Palec. Wenige Wochen später (28. Nov.) wurde er unter dem Vorwand eines beabsichtigten Fluchtversuchs verhaftet, und nach der Ankunft Siegmunds traten bald politische, bald kanonische Hindernisse einer versuchten Vermittelung seitens des Königs entgegen. In der Nacht des Palmsonntags 1415 ließ der Bischof von Konstanz H. in seine Burg Gottlieben verbringen. Proteste blieben erfolglos, und nachdem das Konzil 4. Mai 1415 die Verwerfung der Wiclifschen Lehren feierlich verkündigt hatte, war H.' Schicksal entschieden. In drei Verhören, am 5., 7. und 8. Juni, die beiden letzten Male in Gegenwart des Königs, beharrte H. bei seinen Sätzen, solange ihm kein Irrtum nachgewiesen werde. In der 15. öffentlichen Sitzung des Konzils 6. Juli 1415 erfolgte die feierliche Verurteilung. Noch am selben Tage bestieg er auf dem »Brühl« den Scheiterhaufen und litt den Tod standhaft und mit Seelengröße. Sein Todestag ward in Böhmen lange als kalendermäßiges Fest gefeiert, das erst durch die Heiligsprechung des Johann von Nepomuk (s. d.) verdrängt wurde. Sein Bildnis s. Tafel »Reformatoren«. Am Altstädter Ring in Prag soll ihm ein großartiges Denkmal errichtet werden. Eine Ausgabe seiner tschechischen Werke besorgte Erben (Prag 1865–68, 3 Bde.), eine neue (»Mag. Joh. H. opera omnia«) W. Flajshans (das. 1903 ff.), die seiner Briefe und einiger Aktenstücke Palacky (das. 1869); »Ausgewählte Predigten« gab Langsdorff deutsch heraus (Leipz. 1894). Eine kritische Ausgabe der Werke ist erst nach Vollendung der Wiclif-Ausgabe zu erwarten. Die Literatur vor Palackys Geschichte Böhmens (Prag 1845–67) ist veraltet. Vgl. Friedrich, Die Lehre des Joh. H. (Regensburg 1862); Höfler, Johann H. und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag (Prag 1864); Palacky, Die Geschichte des Hussitentums und Professor C. Höfler (das. 1868); Berger, Joh. H. und König Sigmund (Augsb. 1872); Lechler, Joh. Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation (Leipz. 1872, 2 Bde.) und Johannes H. (Halle 1890); Loserth, H. und Wiclif (Prag 1884). S. Hussiten und Hussitenkriege.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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