Thorwaldsen

Thorwaldsen

Thorwaldsen, Bertel (in Rom Alberto genannt), Bildhauer, geb. 19. Nov. 1770 in Kopenhagen als Sohn eines aus Island gebürtigen Zimmermanns und Bildschnitzers, gest. daselbst 24. März 1844, war schon als Knabe in demselben Beruf tätig und besuchte vom elften Jahr an die Kunstakademie, wo er mehrere Preise gewann. Durch eine später in Marmor ausgeführte Büste des Ministers Peter Andreas v. Bernstorff wurde der Minister Graf Reventlow auf ihn aufmerksam und verschaffte ihm ein dreijähriges Reisestipendium. Im Mai 1796 verließ T. Kopenhagen zu Schiff, kam aber erst im Februar des folgenden Jahres in Neapel und 8. März in Rom an. Außer den antiken Götter- und Heroenbildern wirkten hier besonders die Zeichnungen von Carstens und der dänische Archäolog Zoega auf ihn ein. Im Sommer 1798 übersandte er von Rom aus der Kopenhagener Akademie sein erstes selbständiges Werk: Bakchos und Ariadne. Gegen das Ende seines auf drei Jahre bestimmten Aufenthalts in Rom führte er noch einen das Goldene Vlies erobernden Jason aus, fand aber damit keinen Beifall und zerschlug ihn. Ein neuer Jason, in kolossaler Größe, hätte das Schicksal seines Vorgängers geteilt, wenn nicht unmittelbar vor der beabsichtigten Abreise Thorwaldsens nach Kopenhagen der Engländer Sir Th. Hope sein Atelier besucht und die Marmorausführung bestellt hätte. Dadurch wurde über Thorwaldsens fernern Aufenthalt in Rom und damit über seine Zukunft entschieden. In das Frühjahr 1805 fallen vier Statuen: Bakchos, Ganymed mit Jupiters Adler, Apollon und Venus mit dem Apfel. Von den Werken der nächstfolgenden Jahre sind die hervorragendsten: der Adonis in der Münchener Glyptothek; das Relief: A genio lumen, die Kunst als sitzende weibliche Gestalt darstellend; Hektor, den Paris auffordernd, die Waffen zu ergreifen, und vier Reliefs: Amor als Löwenbändiger, Venus, aus der Muschel ins Licht der Welt tretend, Amor, von der Biene verwundet und vor seiner Mutter klagend, und Bacchus, den Merkur der Ino übergibt, sämtlich für den Fürsten Malte von Putbus. Von der Akademie San Luca in Rom beauftragt, für den erwarteten Besuch Napoleons zur Ausschmückung eines Saales im Quirinal einen großen Fries anzufertigen, wählte T. den Triumphzug Alexanders d. Gr. in Babylon und vollendete das Werk im Juni 1812 (jetzt in der Villa Carlotta am Comersee; spätere veränderte Wiederholungen unter anderm für das Schloß Christiansborg in Kopenhagen, s. Tafel »Bildhauerkunst XIV«, Fig. 3; gestochen ist er am besten von Amsler, mit Beschreibung von L. Schorn, Münch. 1835, und mit Text von Lücke, Leipz. 1870). 1815 entstanden die beiden schönen Reliefs: Nacht und Morgen, 1817 und 1818 unter anderm eine Statue des Ganymed, die Büste Lord Byrons, ein Hirtenknabe mit seinem Hunde, die Statue der Hoffnung (für die Begräbnisstätte der Humboldtschen Familie bei Schloß Tegel bei Berlin), Merkur als Argustöter, eine Gruppe der Grazien. 1819 besuchte T. zum erstenmal wieder seine Heimat, wo er die Büsten des Königs und der Königin sowie mehrerer Prinzen und Prinzessinnen ausführte und zu einem seiner Hauptwerke, dem Zyklus für die Frauenkirche, die Aufträge erhielt. Im August 1820 verließ er, zum Etatsrat ernannt, die dänische Hauptstadt und ging über Deutschland, Polen und Österreich nach Italien zurück. In Rom modellierte er zunächst die treffliche Porträtstatue des Grafen Potocki (in der Kathedrale zu Krakau) und vollendete dann (1821) die Skizzen zu den Werken in der Frauenkirche. Unter seiner Aussicht führten seine Schüler die Statuen der Apostel und den aus 14 Statuen bestehenden Schmuck des Giebelfeldes: die Predigt des Johannes in der Wüste, aus. Die kolossale Statue des seine Arme ausbreitenden Christus, eins seiner volkstümlichsten Werke, schuf er dagegen allein. Zu Thorwaldsens Hauptarbeiten der folgenden Jahre gehören: das Kopernikusdenkmal für Warschau (1830), das Modell zur Reiterstatue des Fürsten Poniatowski, die 1830 in Warschau enthüllt werden sollte, aber später, wegen des polnischen Aufstandes, beseitigt wurde, die Büste und ein Relief für den Sarkophag des Kardinals Consalvi, das Marmordenkmal des Papstes Pius VII. in der Capella Clementina der Peterskirche, das Monument des Herzogs Eugen von Leuchtenberg in der St. Michaelskirche zu München und die Reiterstatue des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern auf dem Wittelsbacher Platz daselbst, die Statue Gutenbergs für Mainz (1837) und die Schillers für Stuttgart (1839). Während eines zweiten Aufenthalts in Dänemark (1838–41), wo er mit großer Begeisterung empfangen wurde, beschäftigte er sich vorzugsweise mit religiösen Werken, darunter den großen Reliefs mit dem Einzug Christi in Jerusalem und dem Zug des Heilands nach Golgatha in der Frauenkirche zu Kopenhagen. Damals modellierte er auch die Erzstatue König Christians IV. für den Dom zu Roskilde, die Büsten Holbergs, Öhlenschlägers, Steffens' und sein eignes Bild in Lebensgröße. In seine letzte römische Zeit fallen die Allegorien der sieben Wochentage in Genienfiguren und die Reliefs der vier Jahreszeiten (s. Tafel »Bildhauerkunst XIV«, Fig. 4 u. 5) und der Hirtin mit den Liebesgöttern im Nest. Im Oktober 1842 kehrte T. nach Kopenhagen zurück. Er starb hier plötzlich während einer Vorstellung im Theater; sein Leichenbegängnis trug das Gepräge nationaler Trauer. Thorwaldsens Hauptgebiet war die Darstellung idealer, mythologischer Gestalten; doch entsprach seinem Wesen eigentlich nur das Idyllische in der antiken Kunst, das unter seinen Händen neue Gestalt gewann. In dieser Beziehung hat er eine Zeitlang auf die Richtung der Kunst des 19. Jahrh., besonders aber auf die Bildhauerkunst und Kunstindustrie seines Vaterlandes, starken Einfluß geübt. Die Darstellung des Individuellen, Charakteristischen war ihm dagegen versagt, ebenso wie das Dramatische außerhalb seiner Begabung lag. Seinen künstlerischen Nachlaß nebst einem Kapital von 75,000 Talern hatte er seiner Vaterstadt zur Errichtung eines Thorwaldsenmuseums vermacht, das, nach Plänen des Architekten Bindesböll im streng griechischen Stil ausgeführt, seine sämtlichen Werke, teils in Originalen, teils in Abgüssen, und seine Sammlungen enthält. In dem von den vier Flügeln des Gebäudes umschlossenen Mittelraum befindet sich sein schmuckloses Grab. Einen Katalog des Museums veröffentlichte Müller (Kopenh. 1849–51, 8 Tle.). Denkmäler des Künstlers befinden sich im Garten des Palazzo Barberini zu Rom (nach Th. von Emil Wolff) und zu Reykjavik auf Island (seit 1875). Zu den bedeutendsten seiner Schüler gehören die Dänen Freund und Bissen, die Deutschen Emil Wolff, Schwanthaler, v. d. Launitz, die Italiener Tenerani und Bienaimé. Thorwaldsens Werke wurden veröffentlicht in Thiele, Leben und Werke des dänischen Bildhauers B. T. (Leipz. 1832–34, 4 Bde. mit 160 Kupfertafeln), und Sigurd Müller, T., hans Liv og hans Vaerker (Kopenh. 1890–93). Vgl. Thiele, Thorwaldsens Leben, nach eigenhändigen Aufzeichnungen (deutsch, Leipz. 1852–56, 3 Bde.); E. Plon, T., sein Leben und seine Werke (aus dem Franz., Wien 1875); Hammerich, T. und seine Kunst (deutsche Ausg., Gotha 1876); Rosenberg, Bertel T. (Bielef. 1896).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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