- Mittelländisches Meer
Mittelländisches Meer (Mittelmeer; hierzu die Karte »Länder des Mittelmeers«), bei den Alten Mare internum, bei den spätern Latinisten Mare mediterraneum, das größte Binnenmeer der Alten Welt, das Europa von Afrika trennt und im O. Asien bespült, und dessen Gesamtfläche bei einer Längenausdehnung von 3860 km und einer mittlern Breite von 670 km (breiteste Stelle zwischen Triest und der Großen Syrte 1665 km) zu 2,6 Mill. qkm berechnet wird; davon entfallen auf die Inseln rund 100,000 qkm. Das Meer steht im W. durch die Straße von Gibraltar mit dem Atlantischen Ozean, im O. durch den Hellespont mit dem Marmarameer und durch den (künstlich hergestellten) Kanal von Suez mit dem In dischen Ozean in Verbindung und zerfällt in ein größeres Ost- und ein kleineres Westbecken, die durch die unbenannte Meerenge zwischen Sizilien und Afrika verbunden sind. Charakteristischer ist indessen die Scheidung des Mittelmeers in seine Nord- und Südseite, die durch eine von der Südwestspitze Kleinasiens über Kreta und Malta bis zur Straße von Gibraltar gezogene (im allgemeinen den 36. Breitengrad einhaltende) Linie geschieden werden. Während die Küsten der Südseite fast ungegliedert und buchtenarm erscheinen und als einzige bedeutende Insel nur Cypern im äußersten Osten zu nennen ist, zeigt die Nordseite eine so großartige Küstenentwickelung, eine so reiche Fülle von tief einschneidenden Meerbusen und Buchten, vorspringenden Halbinseln, größern und kleinern Inseln, wie sie sich in so kurzer Entfernung kaum anderswo wiederfindet. An dieser Mannigfaltigkeit nimmt die Westküste von Kleinasien einen hervorragenden Anteil. Die drei größten, fast geschlossenen Meere dieser nördlichen Hälfte sind: das Ägäische, das Adriatische und das Tyrrhenische Meer.
Die Tiefe des Mittelländischen Meeres wechselt sehr auf kurze Entfernungen. Die größte bisher bekannte Tiefe liegt in der östlichen Hälfte, und zwar unter 35°45' nördl. Br. und 21°46' östl. L., nur etwa 100 km im SW. von Kap Matapan, und beträgt 4400 m. Die Straße von Gibraltar hat Tiefen von 200–950 m. Vor dem Nildelta ist eine der flachsten Partien des Mittelmeergebietes. Im Ägäischen Meer sind mehrere kleine, aber vergleichsweise tiefe, trog- oder kesselartige Becken vorhanden; die größte Tiefe beträgt 2250 m und liegt im N. der Ostspitze Kretas. Das Adriatische Meer ist in seinem nördlichen Teil (nördlich von Ancona) noch nicht 100 m tief, dagegen nimmt in dem südlichen Teil die Tiefe schnell zu; die größte Depression beträgt daselbst 1645 m. Der Zufluß zum Mittelmeer aus den umliegenden Erdteilen ist im Verhältnis zu seiner Ausdehnung gering. Es münden in dasselbe aus Europa nur drei größere Ströme: Ebro, Rhone und Po, dazu drei mittlere: Etsch, Tiber und Maritza, während auf der ganzen afrikanischen und asiatischen Seite der Nil der einzige Zufluß von Bedeutung ist. Bei der geringen Wassermasse, die diese Flüsse dem Mittelmeer zuführen, würde dasselbe infolge der starken Verdunstung, der es nach seiner Lage zwischen 31 und 45° nördl. Br. und bei den fast überall sehr geringen Niederschlägen ausgesetzt ist, an Umfang sehr bald unverhältnismäßig abnehmen, wenn nicht in der Meerenge von Gibraltar eine Zuströmung aus dem Atlantischen Ozean stattfände. In genannter Meerenge gewahrt man an der Oberfläche eine starke Strömung aus dem Ozean ins Mittelländische Meer, die kaum vorübergehend durch anhaltende Ostwinde unterbrochen wird, während in der Tiefe ein Unterstrom in entgegengesetzter Richtung läuft und dem Atlantischen Ozean von dem salzreichen Wasser des Mittelmeeres zuführt. Dieselbe Doppelströmung findet zwischen dem Mittelländischen Meer und dem Schwarzen Meer statt; während aus letzterm minder salzhaltiges Wasser an der Oberfläche ausfließt, ist in der Tiefe ein Rückfluß von Salzwasser aus dem Mittelländischen Meere beobachtet worden. Auf der starken Verdunstung beruht auch der starke Salzgehalt des Mittelländischen Meeres, der 3,8 bis etwas über 3,9 Proz. beträgt (sonstiges Mittel 3,5 Proz.). Sehr bedeutsam, besonders für die Tiefenfauna, ist der Umstand, daß selbst in den größten Tiefen die Wassertemperatur nicht unter 12,6–13,9° herabgeht, weil das Mittelmeer gegen das eiskalte Tiefenwasser des Ozeans abgesperrt ist. Im Ozean herrscht in den Tiefen von 3–4000 m nur eine Wasserwärme von etwa 2,5°. Das Mittelländische Meer hat nur eine schwache Ebbe und Flut. Im Merbusen von Venedig steigt die Flut bei Neumond und Vollmond fast 1 m, in der Kleinen Syrte 2,5 m, während sie sonst überall 0,33 m kaum überschreitet.
Es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß einerseits Europa und Afrika bei Gibraltar und Sizilien einst fest zusammenhingen, wie sich dies aus der geologischen Formation der Bergketten des Atlas und Spaniens und deren Parallelismus schließen läßt, und daß anderseits bei Konstantinopel Europa mit Asien verbunden und das Schwarze Meer ein Binnensee war, der erst später sich dort einen Ausweg öffnete. Bei der Bildung des Meeres zu seiner jetzigen Gestalt mögen wohl auch Erdbeben und vulkanische Explosionen mitgewirkt haben, wie denn noch heute das Becken desselben von Feuer unterwühlt ist (vulkanischer Ausbruch auf Santorin 1866–70); die Küsten sind zum Teil heftigen Erschütterungen durch Erdbeben ausgesetzt. An einigen Orten haben die Küsten sich in historischen Zeiten wiederholt gesenkt und sind wieder emporgestiegen, wie dies bei den Ruinen des Serapistempels bei Pozzuoli (vgl. Abbildung bei Artikel »Hebung«) sowie an den dalmatischen, sizilischen und sardinischen Küsten nachgewiesen werden kann. Hier sind große, noch in historischer Zeit blühende Städte vom Meer verschlungen worden, während dort berühmte Hafenplätze meilenweit vom Meeresufer entfernte Landstädte geworden sind (s. Ravenna). – Unter den Fischen, die das Mittelmeer bevölkern, herrschen die Lippfische (Labroiden) vor; auch schmackhafte Schollen und Barsche, große Thunfische, Sardinen und Sardellen u. a. gehören der reichen Fischfauna desselben (die über 400 Arten umfaßt) an. Weitere Bewohner des Meeres sind zahlreiche Kopffüßer (darunter das Papierboot), Schnecken, Muscheln, Polypen (darunter die Edelkoralle) und Badeschwämme. Der Pottwal erscheint nur selten, häufiger sind Delphine und Robben.
Das Mittelländische Meer wurde schon im frühen Altertum in bezug auf Kultur und Verkehr zum vermittelnden Gliede der drei Weltteile, die es bespült. An seinen Küsten spielte die Weltgeschichte zu den Zeiten der Juden, Phöniker, Karthager, der Küstenvölker Kleinasiens, vor allem aber der Griechen und Römer, und diese Bedeutung behielt es auch im Mittelalter (wo Venedig und Genua die große Rolle auf dem Meer spielten), bis die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien und die der Neuen Welt den Völkerverkehr in neue Bahnen lenkte. In jüngster Zeit, besonders seit Eröffnung des Suezkanals, hat sich der Verkehr auf dem Mittelländischen Meer wieder bedeutend gehoben. Gegenwärtig berühren das Mittelländische Meer alle Dampferlinien, die nach Ostasien aus nordeuropäischen Gewässern kommen, ferner sehr viele, die nur Mittelmeerhäfen besuchen. Die wichtigsten Linien sind: die Deutsche Levantelinie und Hamburg-Amerika-Linie sowie die Deutsche Ostafrika-Linie und der Norddeutsche Lloyd, die Messageries Maritimes, der Österreichische Lloyd, die Navigazione Generale Italiana, die ägyptische Khedivïe-Linie sowie viele englische und andre Linien. Vgl. Artikel »Dampfschiffahrt mit der Übersichtskarte des Weltverkehrs«. Drei große Kabel der indischen Linien durchziehen das Mittelländische Meer von Gibraltar bis Alexandria, neun Kabel verbinden Frankreich mit Algerien und je eines Triest mit Alexandria und Sizilien mit Tripolis. Kürzere Kabelverbindungen sind noch: Frankreich-Korsika, das Festland Italiens-Sardinien, Griechenland-Kleinasien, Candia- Alexandria, Alexandria-Cypern und Kleinasien, Alexandria-Port Said, Brindisi-Candia, Candia-Konstantinopel-Sulina. Die wichtigsten Seehäfen des Mittelmeers sind: Gibraltar, Malaga, Valencia, Barcelona, Marseille, Genua, Neapel, Brindisi (besonders für die Post nach Ostasien), Venedig, Triest, Malta, Port Said, Alexandria, Smyrna, Athen, Saloniki, Konstantinopel, Sulina, Odessa, Noworossisk, Batum, Tunis und Algier, außerdem sehr viele kleinere Seehäfen. Die Küstenschiffahrt blüht besonders im Ägäischen Meer und in der Levante, aber auch in der Adria. Vgl. Böttger, Das Mittelmeer (Leipz. 1859); v. Schweiger-Lerchenfeld, Das Mittelmeer (Freiburg 1888); Graf E. Wilczek, Das Mittelmeer, seine Stellung in der Weltgeschichte etc. (Wien 1895); Philippson, Das Mittelmeergebiet, seine geographische und kulturelle Eigenart (Leipz. 1904); Th. Fischer, Mittelmeerbilder (das. 1906) und dessen weitere Schriften (s. Fischer 14); Helmolts »Weltgeschichte«, Bd. 4: Die Randländer des Mittelmeeres (das. 1900); »Mediterranean Pilot«, herausgegeben vom Hydrographic Office in London (1885 bis 1892, 4 Bde.); »Mer Mediterranée«, herausgegeben vom Service hydrographique (Par. 1886); »Berichte der Kommission für Erforschung des östlichen Mittelmeers« (Wien 1892–98); Petermann, Karte des Mittelländischen Meers (8 Blatt, Gotha); Meyers Reisebücher: »Das Mittelmeer und seine Küstenstädte« (2. Aufl., Leipz. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.