- Lüttich [2]
Lüttich (fläm. Luik, franz. Liège, lat. Legia oder Leodium), Hauptstadt der gleichnamigen belg. Provinz (s. oben), zugleich eine der wichtigsten Industriestädte Belgiens, liegt 65–150 m ü. M., zum Teil an einen von einer Zitadelle gekrönten Berg sich anlehnend, zu beiden Seiten der Maas, die hier die Ourthe aufnimmt, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Brüssel-L., L.-Herbesthal (Aachen) und L.-Marloie und der Bahnen L.-Namur, L.-Flémalle, L.-Maastricht und L.-Eindhoven.
Der Fluß teilt die Stadt und wird von sechs Brücken, darunter die schöne, 152 m lange und 14 m breite Eisenbahnbrücke, Pont du Val-Benoît, der Pont des Arches (1860–63 neu erbaut) und der Pont de Fragnée (1905 errichtet), überspannt. An die eigentliche Stadt schließt sich ringsum ein Kranz von Vorstädten. Das vormals enge und düstere Innere der Stadt verschönert sich mehr und mehr. L. hat schöne öffentliche Plätze, worunter der St. Lambertsplatz (einst mit der Lambertskirche, die 1794 die französischen Sansculotten zerstörten), der Marktplatz mit schönem, marmornem Springbrunnen, der Universitäts- und der Theaterplatz (ersterer mit der Bronzestatue des Geologen André Dumont, von E. Simonis, letzterer mit dem Standbilde des in L. gebornen Komponisten Grétry, von W. Geefs) zu erwähnen sind. Unter den Kirchen sind hervorzuheben: die Jakobskirche im spätgotischen Stil (1016 gestiftet, 1522 erneuert und neuerdings glänzend restauriert); die gotische Hauptkirche zu St. Paulus (zum Teil aus dem 13. Jahrh., vollendet 1528) mit einer von W. Geefs in Holz geschnittenen Kanzel; die Bartholomäuskirche, eine fünfschiffige Basilika aus dem 12. Jahrh., kürzlich restauriert, mit zwei romanischen Türmen u. einem merkwürdigen bronzenen Taufbecken (von 1112); die Martinskirche, die Geburtsstätte des Fronleichnamsfestes (im gotischen Stil, jetziger Bau von 1542); die alte Kreuzkirche (schon 979 geweiht, neuerdings mit Geschick restauriert) und die 987 gegründete Kirche St.-Denis (aus dem 15. und 18. Jahrh.) mit schönem Flügelaltar. Das sehenswerteste weltliche Gebäude ist der Justizpalast am Lambertsplatz, ehemals Residenz der Fürstbischöfe (1508 im Renaissancestil erbaut, 1848–56 erneut), mit schöner Vorderseite, die erst 1737 errichtet ward; darin befinden sich auch das Staatsarchiv und das Archäologische Museum.
Unter den modernen Bauten sind bemerkenswert das Theater (1808 bis 1822 erbaut), das 1889–93 im Renaissancestil errichtete Universitätsgebäude, dem sich die Gebäude für die akademischen Institute, wie die Bibliothek und das Naturgeschichtliche Museum anreihen, und das königliche Konservatorium für Musik (am Boulevard). Zu den Zierden Lüttichs gehören die prachtvollen Kais mit großen, eleganten Häusern an der Maas, darunter der Square d'Avroy, die Hauptpromenade Lüttichs, mit der Reiterstatue Karls d. Gr. (von Jehotte). Sehenswert ist die Passage Lemonnier, eine großartige, mit Glas überdeckte Straße mit Kaufläden (1837–39 erbaut). Die Bevölkerung der Stadt beträgt (1904) 168,532 Seelen, zum größten Teil Wallonen, deren Hauptort L. ist. L. gehörte von jeher zu den gewerbtätigsten Städten Europas. Die Hauptindustrie bildet die Gewehrfabrikation; 1901 wurden erzeugt: 501,717 Gewehre, 475,783 Revolver, 87,453 kleinere Kriegswaffen, 43,433 Sattelpistolen etc.; außerdem beschäftigen die königliche Waffenfabrik (1840 errichtet) und Geschützgießerei (beide in der Vorstadt St.-Léonard) viele Menschen. Nächst der Waffenindustrie ist namentlich seit alters die Gerberei berühmt. L. nebst Umgegend besitzt ferner Kupferschmelzen, Zinkhütten nebst Zinkwalzwerken, zahlreiche Eisenwerke mit Hochöfen und Eisengießereien, Stahl-, Eisen-, Quincaillerie-, Gold- und Silberwaren-, Amboß-, Sägen-, Feilen-, Schrauben-, Glas-, Leder- und Tabakfabriken, Leimsiedereien, Öl- und Zichorienmühlen, eine Menge Brauereien und Brennereien sowie berühmte Dampf- und andre Maschinenfabriken. In der Nähe liegt Seraing (s. d.). Der Handel ist ebenfalls von großer Bedeutung, besonders in Kolonialwaren, Produkten und Fabrikaten der Stadt und Umgegend, Steinkohlen, Wolle etc. Er wird unterstützt durch die Schiffahrt auf der Maas u. dem von L. nach Maastricht führenden Kanal (auf diesem wurden 1903: 1,783,115 Ton. Waren befördert) und zahlreiche Eisenbahnen (s. oben). Das Straßenbahnnetz (1903: 36,2 km) erstreckt sich bis nach Seraing, Aus, Barchon etc.
L. hat eine 1816 von der niederländischen Regierung gegründete Staatsuniversität mit fünf Fakultäten, die (1903/04) 1166 Studenten (dazu in der technischen Fakultät 650 Hörer) zählt, eine Bibliothek von ca. 200,000 Bänden, ein anatomisches Theater, ein chemisches Laboratorium, ein Archäologisches Institut, einen Botanischen Garten sowie reiche naturhistorische Sammlungen besitzt, und der eine Bergbauschule, eine Polytechnische Schule (Ecole des arts et manufactures) und ein Institut électro-technique beigeordnet sind. Außerdem besitzt L. ein Athenäum, eine Mittelschule für Mädchen, ein Lehrerinnenseminar, ein bischöfliches Seminar, Gewerbe- und Handwerkerschulen, Zeichen- und Malerakademie, ein Konservatorium der Musik, eine Taubstummen- und Blindenanstalt, eine Synagoge, mehrere gelehrte Gesellschaften, eine Börse, Gemäldegalerie und viele Hospitäler. L. ist der Sitz der Provinzial- und Bezirksbehörden, eines Bischofs, eines Domkapitels, eines Appellhofs für die Provinzen L., Limburg und Luxemburg, eines Tribunals, eines Handelsgerichts, eines Militärgouvernements und eines deutschen Konsuls. Die vom Fürstbischof Maximilian 1650 erbaute Zitadelle auf dem linken Flußufer (158 m ü. M.) gewährt eine treffliche Aussicht über die Stadt und die gewerbreichen Täler der Maas, Ourthe und Vesdre; gegenüber auf dem rechten Ufer der Maas steht die Kartause (Fort de la Chartreuse), höher noch Robermont. – Seit 720 Hauptstadt des Bistums L. (s. oben, S. 878), war L. im 11. u. 12. Jahrh. Mittelpunkt eines regen wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens. Seine freiheitliebende Bevölkerung erlangte schon um 1200 weitgehende Privilegien und wußte sich zu Beginn des 14. Jahrh. von den Bischöfen fast unabhängig zu machen. Indes brachen die Kämpfe zwischen letztern und der Bürgerschaft immer von neuem aus. Nach der Niederlage bei Othée (1408) büßte L. alle Vorrechte ein und 1468 ward es, nach Niedermetzelung der Bewohner, von Karl dem Kühnen von Burgund in Brand gesteckt. 1649 erzwang Bischof Ferdinand, 1684 Bischof Maximilian Heinrich von Bayern mit Waffengewalt den Einzug in L., dessen 1650 ausgeführte und später verstärkte Zitadelle 1691 von den Franzosen, 1702 von Marlborough erstürmt ward. 1792–94 war L. der Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen den Franzosen und Österreichern. 1905 fand in L. eine Weltausstellung statt. Vgl. Gerlache, Histoire de Liège (3. Aufl., Brüss. 1874); Hock, Liège an XV. siècle (Lütt. 1881) und Liège an XIX. siècle (das. 1885); Dute, Die Schulen im Bistum L. im 11. Jahrhundert (Marb. 1882); Dognée, Liège, origines, histoire, monuments etc. (Brüss. 1889); C. de Borman, Les échevins de la souveraine justice de Liège (Lütt. 1892–99, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.