- Lemonnier
Lemonnier (spr. lömonnjé), Camille, der bedeutendste der lebenden belgischen Schriftsteller, geb. 24. März 1841 in Ixelles bei Brüssel als Sohn eines Advokaten, der ihn zum gleichen Berufe bestimmte. L. schwärmte aber schon als Knabe für Literatur und Kunst, namentlich für die Dichtungen Baudelaires, vernachlässigte die Rechtswissenschaft und war nur als Schreiber in einem Ministerialbureau zu gebrauchen. Mit 22 Jahren lieferte er seine ersten Kunstkritiken und verließ hierauf den Staatsdienst. Nach dem Tode seines Vaters mietete er 1866 das abgelegene Schloß von Burnot bei Namur und führte bis 1869 ein freies Naturleben, dessen erste Frucht »Nos Flamands« waren, worin er als Verehrer von Rubens und J. J. Rousseau den Kult der gesunden Natur pries. Während des Krieges von 1870 ließ er in Brüssel anonym einen beredten Ausruf zugunsten Frankreichs »Paris-Berlin« erscheinen, den viele Leser V. Hugo zuschrieben. Allgemeines Aufsehen erregte jedoch erst »Sedan (Les Charniers)« (Brüssel 1871), worin L. nach einem Besuche des Schlachtfeldes seinem Abscheu vor jedem Krieg heftigen Ausdruck lieh. Nach den »Contes flamands et wallons« (Par. 1875) und dem grundlegenden Werk über den Maler Gustave Courbet (1878) erschien das charakteristische Hauptwerk »Un Mâle« (Brüssel 1881; illustrierte Neuausgabe, Par. 1904), die tragisch-wilde Liebesgeschichte eines Wildschützen und einer Bauerntochter. Es folgte die auf gleicher Höhe stehende Mordgeschichte »Le Mort« (1882). Als L. der Fünfjahrespreis der belgischen Regierung versagt wurde, entschädigte ihn die jüngere Schule 1883 durch ein großes Bankett in Brüssel, das zu einem wahren Passahfest der belgischen Literatur wurde. In »Happe-Chair« (1886) entwarf L., vor Zolas »Germinal«, ein ergreifendes Bild der Grubenarbeit. Als Mitarbeiter des Pariser »Gil Blas« wurde er 1888 wegen angeblicher Unsittlichkeit der Novelle »L'Enfant du Crapaud« zu einer Geldbuße verurteilt. Im gleichen Jahr erschien sein großes Beschreibungswerk »La Belgique«, für das er endlich den Fünfjahrespreis erntete, den die belgische Bureaukratie seinen »gewagten« Romanen auch diesmal versagte. Eine neue Manier entwickelte L. in dem gemütvollen Pariser Familienroman »L'Arche, journal d'une maman« (Par. 1894), und in »L'lle vierge« (1894) versuchte er sich mit Glück in einem von jeder Wirklichkeit losgelösten poetischen Symbolismus. »Adam et Eve« (1899) gehört der gleichen Richtung an. »L'Homme en amour« (1897) dagegen, eine sehr naturalistische Geschichte sexueller Exzesse, führte zu einem Sittenprozeß in Brügge, der freilich mit der Freisprechung endigte. »Le Vent dans les Moulins« (1901), »Les deux Consciences« (1902), »Le Petit Homme de Dieu« (1902), »Comme va le Ruisseau« (1903) zeigen ernste Erörterung sozialer und religiöser Probleme, wogegen der Schwindsuchtsroman »L'Amant passionné« (1904) wieder mehr der Pathologie angehört; in seinem letzten Roman »Le droit an bonheur« (1905) tritt L. als Verteidiger der Ehescheidung auf. Vgl. Bazalgette, Camille L. (Par. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.