Chlor

Chlor

Chlor Cl, chemisch einfacher Körper, findet sich nicht im freien Zustand in der Natur, aber sehr verbreitet in Verbindungen, namentlich als Chlornatrium (Steinsalz, Kochsalz), Chlorkalium (Sylvin) und Chlormagnesium (im Carnallit), als Chlorblei, Chlorsilber, Chlorkupfer, im Apatit etc., Chlorwasserstoff wird von Vulkanen ausgestoßen. Gelöst finden sich Chlorverbindungen im Quell-, Fluß- und Meerwasser, auch fehlen solche in keiner Ackererde, und im Organismus der Pflanzen und Tiere spielen sie eine große Rolle. Zur Darstellung von C. erwärmt man Braunstein (Mangansuperoxyd MnO2) in einem Glaskolben mit Salzsäure (Chlorwasserstoffsäure HCl). Der Prozeß verläuft nach der Gleichung MnO2+4HCl = MnCl2+2Cl+2H2O. In der Technik benutzt man große, flaschenförmige Tongefäße, die in hölzernen verschließbaren Kasten durch Wasserdampf erwärmt werden. Für großen Betrieb konstruiert man Apparate aus Sandsteinplatten, die man in Teer kocht, um sie ganz undurchdringlich zu machen. Die Steintröge werden mit Braunstein in Stücken von Hühnereigröße beschickt und, nachdem die Fugen mit fettem Tonbrei verschmiert sind, langsam zu drei Vierteln mit möglichst starker Salzsäure gefüllt. Die Chlorentwickelung beginnt sofort und wird erst nach 8–12 Stunden durch vorsichtiges Einleiten von Dampf unterstützt. Nach obiger Gleichung wird bei diesem Prozeß nur die Hälfte des in der Salzsäure enthaltenen Chlors gewonnen. Der Rest bleibt als Manganchlorür in den Rückständen. Man benutzt diese als Desinfektionsmittel und zum Reinigen von Leuchtgas; auch stellt man daraus ein für den Hochofenprozeß oder für die Glasfabrikation geeignetes Manganpräparat sowie Übermangansäure, Nürnbergerviolett, Manganbister und Chlorbaryum dar oder benutzt sie zur Entwickelung von Kohlensäure, zur Extraktion von Kupfererzen, zur Absorption von Ammoniak, zum Reinigen des Braunsteins etc. Viel wichtiger aber ist das Regenerationsverfahren von Weldon, nach dem man aus den Rückständen Eisen, Tonerde und Schwefelsäure durch kohlensauren Kalk fällt, die klar abgezogene Lauge mit Kalkhydrat versetzt und das gefällte Manganhydroxydul durch Einleiten von sein verteilter Luft in eine Verbindung von Mangansuperoxyd mit Kalk verwandelt, die durch Absetzen von der Chlorcalciumlange getrennt und direkt in die Chlorentwickelungsgefäße gebracht werden kann. Wendet man bei der Chlorbereitung neben Salzsäure so viel Salpetersäure an, daß nach Austreibung des Chlors Mangannitrat zurückbleibt, so kann dies durch Erhitzen in Mangansuperoxyd verwandelt und das entweichende Stickstoffoxyd durch Luft und Wasser wieder in Salpetersäure verwandelt werden. Das Deaconsche Verfahren beruht darauf, daß mit Luft gemengtes Salzsäuregas (Chlorwasserstoff) leicht in C. und Wasser zersetzt wird (2HCL+O = 2Cl+H2O), wenn man es bei 400–460° über poröse, mit Kupfervitriol (und Natriumsulfat) getränkte und ausgeglühte Tonbrocken leitet. Das aus dem Apparat austretende Gas, ein Gemisch von Stickstoff (wenig Sauerstoff) und C., wird gekühlt und durch Waschen mit Wasser von unzersetzter Salzsäure befreit. Eine geringe Menge Kupfervitriol kann eine große Menge Chlorwasserstoff zersetzen.

Wichtig ist die Verarbeitung der beim Ammoniaksodaprozeß oder bei der Verarbeitung des Karnallits sich ergebenden Chloridlaugen, deren Chlormagnesium beim Erhitzen im Luftstrom C. liefert. Da das Chlormagnesium stets wasserhaltig ist, so entsteht auch viel Chlorwasserstoff. Im Laboratorium kann man C. bequem aus Chlorkalk und Salzsäure im Kippschen Apparat bereiten oder aus einer erwärmten Mischung von chromsaurem Kali und Salzsäure. Für die Technik ist gegenwärtig von größter Bedeutung das elektrolytische Verfahren, das bei Anwendung auf eine Chlorkaliumlösung an der Anode C., an der Kathode Kalilauge und Wasserstoff liefert. Als Nebenprodukt tritt C. bei der elektrolytischen Abscheidung des Zinks aus Chlorzink, des Magnesiums aus Karnallit und des Natriums aus Chlornatrium auf.

Zur Verflüssigung des Chlors komprimiert man das Gas in einem eisernen Behälter bei 50–80° durch Einpressen konzentrierter Schwefelsäure und läßt das komprimierte warme Gas in eine mit einem Drucktopf versehene Kühlschlange treten, in der die Verflüssigung erfolgt. Flüssiges C. darf im Deutschen Reich nur in Behältern von Schweißeisen, Flußeisen oder Gußstahl zur Beförderung mittels Eisenbahn ausgeliefert werden. Diese Behälter müssen einen innern Druck von 50 Atmosphären ohne bleibende Änderung aushalten. Die höchste zulässige Füllung beträgt 1 kg C. auf 1 Lit. Fassungsraum. 1 kg flüssiges C. entspricht 300 L. Gas.

C. ist ein gelblichgrünes Gas und hat von dieser Farbe (griech. chloros) den Namen, es riecht durchdringend erstickend und erregt auch bei starker Verdünnung mit Luft beim Einatmen heftigen Reiz in der Luftröhre, Husten, Beklemmung, Blutspeien; sein spezifisches Gewicht ist 2,49, oberhalb 1250° nur noch 1,63 (man muß annehmen, daß bei so hoher Temperatur das Molekül Cl2 sich in 2 Atome spaltet), das Atomgewicht 35,45. In einer Kältemischung aus starrer Kohlensäure und Äther und bei 15° unter einem Druck von 4 Atmosphären wird es zu einer gelben Flüssigkeit verdichtet, die bei 33,6° siedet und bei -102° erstarrt. Das flüssige C. übt einen Druck aus

Tabelle

Das flüssige C. dehnt sich beim Erwärmen sehr stark aus. Sein spezifisches Gewicht ist bei -50°1,595, bei 0°1,468, bei +80°1,203. 1 Volumen Wasser löst

Tabelle

Die grünlichgelbe Lösung bildet das Chlorwasser (Aqua chlorata, mit 0,4–0,5 Proz. C.), aus dem sich bei 0° blaßgelbes kristallinisches Chlorhydrat Cl2+10H2O abscheidet, das bei gewöhnlicher Temperatur wieder zerfällt. Am Licht zersetzt sich Chlorwasser unter Bildung von Chlorwasserstoff u. Sauerstoff; C. ist nicht brennbar und verbindet sich nicht direkt mit Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Argon, Helium und einigen seltenen Platinmetallen, sonst aber mit allen übrigen Elementen und bisweilen unter Feuererscheinung. Eine Mischung von Wasserstoff mit C. bleibt im Dunkeln unverändert, ein Sonnenstrahl, Magnesiumlicht oder elektrisches Bogenlicht, auch ein brennender Körper, Platinschwamm, unechtes Blattgold veranlassen aber sofortige Verbindung beider Gase unter Explosion (Chlorknallgas); im zerstreuten Tageslicht vereinigen sich die Gase allmählich. Auf dieser Verwandtschaft des Chlors zum Wasserstoff beruhen sehr viele Erscheinungen. Wasser, Schwefelwasserstoff, Ammoniak werden durch C. zersetzt, indem es deren Wasserstoff an sich reißt; Terpentinöl, das aus Kohlenstoff und Wasserstoff besteht, entzündet sich sogar im C., wobei sich der Kohlenstoff als Ruß ausscheidet. Trifft C. bei Gegenwart von Wasser mit oxydierbaren Körpern zusammen, so zersetzt es das Wasser, dessen Sauerstoff an jene Körper tritt; es wirkt daher kräftig oxydierend. Mit Alkalien oder alkalischen Erden bei Gegenwart von Wasser bildet C. ein Chlorid und das Salz einer Chlorsäure; so gibt Kalihydrat mit C. je nach den Verhältnissen Kaliumchlorid und unterchlorigsaures oder chlorsaures Kali; bei sehr huher Temperatur aber entsteht ein Chlorid, und Sauerstoff wird frei. Die Verbindungen des Chlors mit Sauerstoff und Wasserstoff sind sämtlich Säuren; die wichtigsten sind: Unterchlorige Säure HClO, Chlorige Säure HClO2, Chlorsäure HClO3 und Überchlorsäure HClO4; aber auch die Verbindung mit Wasserstoff HCl verhält sich wie eine Säure und heißt, weil sie gewöhnlich aus Kochsalz bereitet wird, Salzsäure. Vgl. Halogene. Auf organische Körper wirkt C. oft in der Weise, daß 1 Atom C. dem Molekül 1 Atom Wasserstoff entzieht und sich mit demselben verbindet, während ein zweites Atom C. an die Stelle des Wasserstoffs in das Molekül eintritt: C6H6+2Cl = C6H5Cl+HCl. Ist aber Wasser, wenn auch nur in Spuren, vorhanden, so wirkt C. auf organische Substanzen energisch oxydierend und zerstört sie oft vollständig. C. tritt meist einwertig, aber auch fünf- und siebenwertig auf.

Man benutzt C. zum Bleichen und Desinfizieren, zur Darstellung von Aluminiumchlorid, Zinnchlorid, Chlorschwefel, Chlorphosphor, Chloral, Chlorkalk und andern Bleichmitteln, chlorsaurem Kali, übermangansaurem Kali, Kaliumeisencyanid etc., ferner zur Extraktion von Gold aus kiesigen Erzen, zum Scheiden des Goldes vom Silber, zur Entzinnung von Weißblechabfällen und als Arzneimittel bei Typhus, torpiden Geschwüren, Augenkatarrh etc. Arbeiter, die vielfach Chlorgas einatmen müssen, leiden an Katarrhen und Lungenentzündungen. Viele Arbeiter gewöhnen sich mit der Zeit an das C., die meisten aber nicht, und solche mit krankhaft disponierten Atmungsorganen sind sehr gefährdet. Auch der Magen pflegt angegriffen zu werden. Bei akuter Chlorvergiftung läßt man vorsichtig Ammoniak, Alkoholdämpfe oder Salpeteräther atmen. Den Hustenreiz mildert man durch Einatmen von Chloroform. Chlorkalkkammern müssen vor dem Betreten ventiliert werden. Auch empfiehlt es sich, nasse Schwämme vor Mund und Nase zu tragen. Für die Umgegend ist das Entweichen von C. sehr lästig.

C. wurde 1774 von Scheele entdeckt und dephlogistisierte Salzsäure genannt; später hielt man es für ein Superoxyd des hypothetischen Muriums, während Salzsäure als Muriumoxyd betrachtet wurde. Davy wies 1810 nach, daß C. ein einfacher Körper sei. Berthollet lehrte 1785 das Bleichen mit C. und entdeckte 1792 das unterchlorigsaure Kali, während Tennant 1798 zuerst den Chlorkalk darstellte. Die Chlorkalkindustrie entwickelte sich dann in innigster Verbindung mit der Sodaindustrie, da sie ermöglichte, die massenhaft als Nebenprodukt auftretende Salzsäure vorteilhaft zu verwerten. 1866 nahm Weldon ein Patent auf Regeneration von Braunstein, und 1868 tauchte das von Deacon und Hurter angegebene Verfahren der Chlorbereitung auf.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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