- Nährpräparate
Nährpräparate, fabrikmäßig hergestellte Substanzen, durch die der Mensch, besonders in Krankheiten, zweckmäßiger und gefahrloser als durch gewöhnliche Nahrungsmittel ernährt werden soll. Die Darreichung solcher Präparate ist erwünscht in allen Zuständen, welche die Aufnahme und Verwertung gewöhnlicher Speisen erschweren, stets aber ist im Auge zu behalten, daß sie in quantitativer Hinsicht nur ihrem Gehalt an Nahrungsstoffen entsprechend wirken können. Das beste Nährpräparat versagt, wenn es in zu kleinen Mengen genossen wird. Qualitative Gesichtspunkte kommen erst in zweiter Reihe in Betracht. Zur Anregung des Appetits kann die Küche in der Regel mehr leisten als das fabrikmäßig hergestellte Präparat. Immerhin wirken Liebigsches Fleischextrakt, Malzextrakt auch in dieser Hinsicht günstig. Nicht selten wird der Appetit von der Vorstellung bedingt, und N., die im Publikum besondern (nicht immer berechtigten) Rufes sich erfreuen, vermögen durch rein suggestive Nebenwirkung zu nutzen.
Bei gestörten Mundfunktionen kann flüssige Nahrung nötig sein, indes wird man in solchen Fällen mit Milch, Suppen, durch Ei nahrhaft gemachten Brühen etc. ausreichen, ohne N. anwenden zu müssen. Gewisse Magenkrankheiten fordern ebenfalls flüssige Nahrung, doch darf man hier keine Milch genießen, weil sie im Magen gerinnt und dann reizend wirkt. Mil Getreidemehl bereitete Milchsuppen geben seine Gerinnsel, vorzuziehen ist aber stets flüssig bleibende Nahrung. Hier kommen Suppen in Betracht, Ei, Fleischsäfte, Peptone, Albumosen und die seinen, löslichen Kunstmehle. Vermag der Kranke aber gut zu kauen und ist seine Eßlust rege, so kann er durch systematisches Durchkauen und Einspeicheln und gleichzeitige Aufnahme von Wasser manche feste Nahrung für seinen Zustand geeignet machen. Wenn die verdauende Salzsäure im Magen fehlte, gab man N., die durch Einwirkung von Salzsäure auf Eiweiß erhalten waren, namentlich Pepton. Jetzt weiß man, daß im gefunden Magen kein Pepton gebildet wird, daß vielmehr die Umwandlung des Eiweißes durch Salzsäure bei Albumosen und Propeptonen stehen bleibt, und man benutzt deshalb nunmehr derartige Präparate. Dabei kommt in Betracht, daß Eiweiß auch ohne Salzsäure verdaut werden kann. Das Pankreasferment peptonisiert das Eiweiß, und die Darmschleimhaut bewirkt die Resorption. Man hat daher auch Eiweiß in leicht löslichen Verbindungen, wie Eukasin, Nutrose etc., empfohlen. Gegenüber allen diesen Mitteln ist daran festzuhalten, daß ein Mensch, der Fleisch gut kauen und weich gekochte Eier gut zerkleinern kann, keines künstlich gelösten Eiweißes bedarf. Man kann zerschnittenes fettfreies Fleisch im Wasserbade trocknen und im Mörser sein zerstoßen. Dies Fleischmehl (s. d.) wird in Aufschwemmungen ebensogut resorbiert wie die genannten Eiweißverbindungen aus ihren Lösungen. Zusätze von Fleischmehl, Peptonen, Albumosen etc. zu andern Speisen sind am Platz, wenn es gilt, reichlich Eiweiß zuzuführen; bei hochgradigen Schwächezuständen können sie dem Kranken in möglichst konzentrierter Form eingeflößt werden, und auch zu Nährklistieren finden sie unter Umständen nützliche Verwendung. Mehr als vorübergehender, mäßig unterstützender Wert kommt ihnen in der Ernährung der Kranken nicht zu.
Zur Beförderung der Verdauung des Stärkemehls wird die Kornfrucht staubfein gemahlen, damit jedes Partikelchen vom Mund- und Bauchspeichel leicht verzuckert wird. Hierher gehören die Knorrschen Mehle und die Hartensteinschen Leguminosen, die auch durch Eiweiß- und zum Teil Fettgehalt sehr günstig wirken. In andern Präparaten ist das Stärkemehl durch Diastase in Dextrin und Zucker verwandelt. Diese Kindermehle (s. d.) etc. sind namentlich für Säuglinge, die Stärkemehl noch nicht verdauen, von großem Wert, ob sie bei Erwachsenen den zuerst genannten Mehlen vorzuziehen sind, ist fraglich, jedenfalls aber bieten auch Honig und die verschiedenen Zuckerarten genügende Gelegenheit, um Kohlehydrate reichlich und ungefährlich zuzuführen. N. zur Erleichterung der Fettassimilation sind wenig zahlreich vorhanden, wir besitzen genug leicht verdauliche Fette (Butter, Sahne, Eigelb, Käse, Kaviar, Speiseöle, Lebertran), und die Funktion der Fettresorption entzieht sich im wesentlichen der künstlichen Nachhilfe. Bekanntlich werden die Fette zum Teil in emulgiertem und verseiftem Zustand aufgenommen, und die Emulgierbarkeit erleichtert man durch Zusatz von Ölsäure. Lipanin, Kraftschokolade und Kakao Prometheus sind derartige Mischungen, die dem Abgezehrten und Schwachen zu guter Gewichtszunahme verhelfen.
Von den aus Fleisch, bez. Milcheiweiß bereiteten Nährpräparaten reizt das Fleischextrakt den Appetit, wirkt anregend auf das gesamte Nervensystem und ist in vieler Hinsicht geeignet, die Ernährung zu unterstützen. Sein Nährwert ist bei den geringen Mengen, in denen es genossen wird, ohne Bedeutung. Wohl aber hat es durch seinen hohen Gehalt an Salzen einen besondern Wert, der z. B. auch bei der Ernährung rachitischer Kinder in Betracht kommt. Ähnliche Präparate sind die Flaschen bouillon (Fleischsaft, Wyeters Beefjuice, Valentines Meat Juice), die durch Fleischextrakt leicht und sehr viel billiger ersetzt werden kann. Scholls Puro ist reicher an Eiweiß und gleicht den flüssigen Pepton- und Albumosepräparaten, leider wirkt er durch seine blutrote Farbe oft appetithemmend. Von den ernährenden Präparaten wurde das Fleischmehl bereits erwähnt, in Mosqueras Fleischmehl ist ein Teil des Eiweißes durch Ananassaft in Albumose übergeführt. In Krankheitsfällen, in denen reichliche Eiweißzufuhr erwünscht ist, die Aufnahme genügender Mengen von Fleisch, Eiern, Milch etc. aber Schwierigkeiten macht, benutzt man N., die Eiweiß als leicht lösliches Pulver darbieten, von dem der Kranke 25 bis 50 g in Wasser, Suppe, Milch ohne Mühe zu sich nehmen kann. Derartige Präparate sind Eukasin (Kaseinammoniak), Nutrose (Kaseinnatrium), Plasmon (Siebolds Milcheiweiß), weiße, fast geschmacklose und geruchlose Pulver, die 85–90 Proz. reines Eiweiß enthalten, gut vertragen und resorbiert und auch bei fehlender Salzsäureabscheidung verdaut werden. Ernährungsstörungen oder Reizungen von seiten des Magens und Darmes treten selbst nach größern Mengen nicht auf. Dabei beeinflussen sie in keiner Weise die Bildung und Ausscheidung von Harnsäure, so daß sie bei Gicht und harnsaurer Diathese besonders empfehlenswert sind. Für manche Fälle der versiegten oder verminderten Abscheidung von Salzsäure im Magen werden die Präparate, die peptonisiertes Eiweiß enthalten, empfohlen. Man kann diese aber nicht in großen Mengen geben, da sie die Magenschleimhaut reizen, die Resorption verzögern und leicht Diarrhöen hervorrufen. Einen höhern Nährwert als Eiweiß haben die Peptonpräparate nicht. Reines Pepton, das gallebitter schmeckt, wird in der Diätetik kaum noch angewendet, die neuern Präparate enthalten geruch- und geschmacklose Albumosen, die ohne weitere Umwandlung im Organismus resorbiert und wieder in Eiweiß verwandelt werden, in konzentrierter Lösung auf Magen- und Darmschleimhaut aber wie Pepton wirken. Zu diesen Präparaten gehören Denaeyers flüssiges Fleischpepton, nach Aussehen und (durchaus angenehmem) Geschmack eine starke Fleischbrühe, Pepton der Kompanie Liebig (Kemmerich), Kochs Pepton, Antweilers Albumosenpepton, Somatose, Maggipepton, Tropon etc. Ein Teelöffel (10 g) Somatose enthält 8 g lösliches, gut resorbierbares Eiweiß, also ebensoviel wie 40 g mageres Fleisch. Man kann diese Dosis 2–9mal am Tage in Suppe, Milch, Kakao, Kaffee einrühren, wobei man freilich nicht selten Diarrhöen und Übelkeit hervorruft. Da die Somatose ganz frei ist von Extraktivstoffen, so regt sie zwar Appetit und Nervensystem nicht an, beeinflußt aber auch nicht die Harnsäureausscheidung. Darüber hinausgehende besondere Wirkungen besitzt die Somatose nicht.
Nimmt man die Verbrennungswärme der Nahrungsstoffe als Wertmesser an, so ergibt sich folgende Übersicht. Man erhält für 1 Mark:
Die Tabelle zeigt, wie teuer die bessere Verdaulichkeit der N. bezahlt wird, und daß ihr Preis in gar keinem Verhältnis zum Nährwert steht. Der Nährwert von einem Ei (oder 80 g Schabfleisch) ist enthalten in
Diese Zahlen zeigen, wieviel von jedem Präparat zur Erzielung wirklicher Nährwirkungen genommen werden müßte.
Die Kohlehydratnährpräparate sind sein verteilte Mehle mit möglichst geringem Gehalt an Holzfaser. Am bekanntesten sind die Knorrschen Mehle, daneben solche von Weibezahn, Rademann u.a., sowie die Leguminosenmehle von Hartenstein und die englischen Präparate Oat meal und Quakers Oat. Man gibt diese Präparate in Form von Suppe, wenn Kranke den Genuß von Milch verweigern, die ein weit vorzüglicheres Nährmittel darstellt. 1 Lit. Milch enthält 35 g Eiweiß, 35 g Fett, 45 g Kohlehydrate; 1 Lit. Hafermehlsuppe enthält 5,6 g Eiweiß, 2,6 g Fett, 36,8 g Kohlehydrate (50 g Mehl). Man kann den Nährwert dieser Suppen durch Eigelb, Butter, Zucker erhöhen, auch Eiweißpräparate zusetzen und den Geschmack durch Fleischsaft oder Extrakt verbessern. Alle diese Mehle werden ausgezeichnet ausgenutzt, die Kohlehydrate vollständig, das Eiweiß bis auf 8 Proz.
In allen Mehlen ist ein kleiner Teil des Stärkemehls löslich, die Knorrschen und Hartensteinschen Mehle enthalten 10 Proz. lösliche Kohlehydrate. Durch den Backprozeß wird der Gehalt an löslicher Stärke bedeutend gesteigert, in Opels Nährzwieback sollen 28,6 Proz. der gesamten Stärke in Wasser löslich sein. Man stellt aber auch Mehle dar, die wesentlich nur lösliche Kohlehydrate enthalten, wie Kufekes Mehle, Liebeslösliche Leguminose, Maltoleguminose, Rademanns Kindermehl, Theinhardts Hygiama aus Weizenmehl, kondensierter Milch und Kakao, Odda u.a. Diese Mehle sind in erster Linie für Säuglinge als Ersatz der Muttermilch bestimmt, sie können auch in der Krankenpflege Verwendung finden, indes vermag der Organismus nach Abschluß der Säuglingsperiode fein verteilte Mehle auch ohne künstliche Dextrinisierung zu verarbeiten, und somit besitzen die aufgeschlossenen Mehle vor den sein verteilten in der Krankenpflege kaum einen Vorzug. Diesen Mehlen schließt sich das Malzextrakt an, von dem ein Eßlöffel (20 g) so viel Wärmeeinheiten enthält wie ein Ei. Man kann also mit Malzextrakt die Ernährung wesentlich unterstützen, doch ist der Preis des Extraktes im Verhältnis zum Nährwert außerordentlich hoch, und die gleiche stoffliche Wirkung wird von gewöhnlichen Nahrungsmitteln, die ebenso leicht resorbiert werden, erreicht. Namentlich ist hier der Honig zu nennen, von dem ein Eßlöffel 75 Wärmeeinheiten, also mehr als ein Ei, enthält; er ist nahrhafter als Malzextrakt. Zu den Nährpräparaten gehören auch Kakao und Schokolade, die, namentlich mit Milch bereitet, nicht unwesentlich zur Ernährung beitragen, auch Mischungen von Kakao mit Hafermehl, Eukasin, Leguminose, Pepton, wie Lehmanns Nährsalzkakao, Plasmon-Haferkakao, Kasseler Haferkakao sind im Gebrauch. Große Beachtung verdient der Zucker. Ein Stückchen Würfelzucker von 5 g enthält ca. 20, Wärmeeinheiten, auch Levulose, Sorhlets Nährzucker (s. Kinderernährung, S. 9) und Milchzucker werden angewendet. Namentlich letzterer verdient die weitestgehende Anwendung als Zusatz zu Milch, Suppen etc. Alkarnose enthält 23,8 Proz. Albumose, 2,3 Proz. Fleischextraktivstoffe, 67,1 Proz. lösliche Kohlehydrate, 6,8 Proz. Salze. Alkarnose ist in Dosen von 12 g in Gelatinekapseln eingeschlossen und soll unter Zusatz von Butter genossen werden. Man kann das Präparat leicht durch eine Mischung aus einem Eiweißpräparat und einem löslichen Kohlehydrat (Malzextrakt) ersetzen. Von den Fettpräparaten wurde oben bereits gesprochen. Über Milchpräparate s. Milch, S. 803; auch gehören Kefir und Kumys hierher. Vgl. Klemperer, N., in Leydens »Handbuch der Ernährungstherapie«, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1903); Fürst, Die Nährmittelindustrie (das. 1900); Heim, Die künstlichen Nährpräparate und Anregungsmittel, mit Anhang: Diätetische Kuren (Berl. 1901).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.