- Kreisverfassung
Kreisverfassung, diejenige Verwaltungseinrichtung, bei der die Zusammenfassung der Gemeinden in Bezirke oder Kreise (Gemeindeverbände) nicht nur zum Zweck der Landesverwaltung, sondern auch zur Erreichung selbständiger wirtschaftlicher Zwecke erfolgt ist. Namentlich in Preußen ist der Kreis nicht nur der Verwaltungsbezirk der untersten Verwaltungsbehörde (des Landrates), sondern zugleich das Organ der Selbstverwaltung. Der Landrat ist zugleich Beamter der innern Verwaltung des Staates und als Kreisvorstand Leiter der Selbstverwaltung desselben. Ursprünglich waren in Preußen die Provinzen, in welche die Monarchie, und die Kreise, in welche die Regierungsbezirke der Provinzen zerfallen, lediglich Verwaltungsbezirke des Staates mit staatlichen Organen. Erst die neuere Zeit schuf aus dem Kreis wie aus der Provinz Gemeindeverbände höherer Ordnung mit körperschaftlichen Rechten und mit Organen der Selbstverwaltung, indem Hand in Hand mit der Ausbildung der K. diejenige der Provinzialverfassung (s. d.) ging. Dies ist die Bedeutung der Dreiteilung des Landes in Provinzen, Kreise und Gemeinden.
Für sechs östliche Provinzen Preußens: Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen, erging eine Kreisordnung unterm 13. Dez. 1872, neu redigiert durch Gesetz vom 19. März; 1881. Weitere Kreisordnungen wurden erlassen für Hannover am 6. Mai 1884, Hessen-Nassau 7. Juni 1885, Westfalen 31. Juli 1886, Rheinprovinz 30. Mai 1887, Schleswig-Holstein 26. Mai 1888. Über die K. von Posen, welche in die Reformgesetzgebung nicht einbezogen ist, enthält das Gesetz vom 19. Mai 1889 einige Bestimmungen (s. unten). Durch die Kreisordnungen ist der Schwerpunkt der Verwaltung aus den Bezirksregierungen in die Kreise gelegt. Größere Städte (die begrenzende Ziffer schwankt nach den einzelnen Kreisordnungen zwischen 25,000 und 40,000 Einw. mit Ausschluß der aktiven Militärpersonen), ausnahmsweise auf Grund königlicher Verordnung auch kleinere Städte können aus dem Kreisverband ausscheiden und Stadtkreise bilden. Die Hauptorgane der Landkreise sind der Kreistag, der Kreisausschuß und der Landrat. Die Zahl der Mitglieder des Kreistages, die nach der Bevölkerungsziffer bemessen wird, ist mindestens 20–25. Zum Zweck der Wahl der Kreistagsabgeordneten werden die drei Wahlverbände der größern ländlichen Grundbesitzer, der Landgemeinden (in Westfalen Amtsverbände, in der Rheinprovinz Landbürgermeistereien) und der Städte gebildet. Der Kreistag vertritt den Kreisverband, beschließt über die Kreis- und über die sonstigen Angelegenheiten, die ihm zur Beratung und Beschlußfassung überwiesen sind. Insbesondere ist er zum Erlaß von Kreisstatuten und von Reglements für besondere Kreiseinrichtungen, z. B. für Kreissparkassen, befugt. Ihm liegt die Beschlußfassung ob über Kreisanleihen, die Feststellung des Kreishaushaltungsetats und der Kreisabgaben, die Verfügung über das Grund- und Kapitalvermögen des Kreises (Kreisdotation), die Repartition der Staatsleistungen, die »kreisweise« aufzubringen sind, die Begutachtung von Staatsangelegenheiten, die Wahl des Kreisausschusses, die Beschlußfassung über Kreisämter und Kreisbeamte, die Wahl der Kommissionen für die Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung und für besondere Kreiszwecke (Kreiskommissionen). Die Beschlüsse des Kreistages werden im Kreisblatt veröffentlicht. Den Vorsitz auf dem Kreistag führt der Landrat. Die laufende Kreisverwaltung führt der Kreisausschuß, der aus sechs vom Kreistag gewählten Mitgliedern, ebenfalls unter dem Vorsitz des Landrates, besteht. Der Kreisausschuß bildet den Mittelpunkt der Selbstverwaltung des Kreises, indem ihm als Organ der Kreiskörperschaft die Verwaltung der Kreisgemeindeangelegenheiten, als Organ des Staates die Wahrnehmung von Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung obliegt. Zu den letztern gehören die armen-, wege-, feld-, gewerbe-, bau- und feuerpolizeilichen und die Dismembrationsangelegenheiten, die Gemeindesachen, insbes. das Schulwesen der Landgemeinden und die Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege. Als einer Gemeindebehörde liegt dem Kreisausschuß die Ernennung und Beaufsichtigung der Kreisbeamten ob, z. B. der Kreisbaumeister, die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse des Kreistages und die Erledigung der Kreisangelegenheiten überhaupt. Außerdem bildet der Kreisausschuß das Verwaltungsgericht erster Instanz. In dieser letztern Hinsicht und als Beschlußbehörde in Landesverwaltungssachen entspricht ihm in Stadtkreisen der Stadtausschuß. Zur Vertretung des Landrates, insbes. auch auf dem Kreistag und im Kreisausschuß, werden von dem Kreistag auf jeweilig sechs Jahre zwei Kreisdeputierte gewählt; für kürzere Verhinderungsfälle tritt der Kreissekretär als Stellvertreter ein. Der Landrat selbst wird zwar vom König ernannt, doch kann der Kreistag geeignete Personen vorschlagen, die dem Kreis durch Grundbesitz oder Wohnsitz seit mindestens einem Jahr angehören und die gesetzlichen Eigenschaften besitzen. Die Staatsaufsicht über die Landkreise wird von dem Regierungspräsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten ausgeübt. In der Provinz Posen sind, nach der Kreisordnung vom 20. Dez. 1828, aus den drei Ständen der Rittergutsbesitzer, Städte und Landgemeinden (Kreisstände) Kreistage gebildet. Das Gesetz vom 19. Mai 1889 schreibt auch die Bestellung von Kreisausschüssen vor. In Hohenzollern sind die vier Amtsverbände mit Amtsversammlungen als Vertretungskörpern versehen.
Auch außerhalb Preußens bestehen fast in allen deutschen Staaten Organisationen der gemeindlichen Selbstverwaltung. In verschiedenen Kleinstaaten, Anhalt, Braunschweig und Waldeck, sind nach Analogie der preußischen K. Kreisversammlungen, die einen Kreisausschuß wählen, zur Wahrnehmung der gemeindlichen Interessen der Kreise bestellt, während in verschiedenen Thüringer Staaten keine Kreis- oder Bezirksversammlungen, sondern lediglich Bezirks- oder Kreisausschüsse, in Reuß ältere Linie ein Landesausschuß existieren. In Bayern wird der Gemeindeverband des Distrikts als Distriktsgemeinde bezeichnet und von einem Distriktsrat vertreten, welch letzterer sich nach dem Gesetz vom 28. Mai 1852 aus Abgeordneten der Gemeinden und größern Grundbesitzern (teils Personalisten, teils gewählte) zusammensetzt; hierzu kommt ein Vertreter des Fiskus (Staatsärars), wenn letzterer an den Distriktsumlagen beteiligt ist. Für Armenpflegesachen treten noch die Bezirksärzte und zwei Pfarrer hinzu. Die Beschlüsse des Distriktsrates bedürfen der Genehmigung der Kreisregierung. Zum Zweck der laufenden Verwaltung wählt der Distriktsrat aus seiner Mitte einen Distriktsausschuß von 4–6 Mitgliedern. Die bayrischen Regierungsbezirke bilden Kreisgemeinden, deren Vertretungsorgane der Landrat und der Landratsausschuß sind. Der Landrat besteht aus Vertretern der Distriktsgemeinden, der unmittelbaren Städte, der größern Grundbesitzer, der Pfarrer und gegebenenfalls der Universität. Seine Beschlüsse bedürfen der Genehmigung des Königs. Der Ausschuß von sechs Mitgliedern wird vom Landrat aus seiner Mitte gewählt. Im Königreich Sachsen bildet jede Amtshauptmannschaft einen Bezirksverband, der durch die Bezirksversammlung vertreten wird. Diese setzt sich aus den Vertretern der Höchstbesteuerten und der Stadt- und Landgemeinden zusammen. Diese Bezirksversammlung wählt einen Bezirksausschuß. Für die Regierungsbezirke oder Kreishauptmannschaften ist ein Kreisausschuß vorhanden. In Württemberg stehen den Oberamtmännern Amtsversammlungen als Vertretungen der Bezirke zur Seite. In Baden bestehen für die Verwaltungsbezirke Bezirksräte, auch können mehrere Bezirke zu einem »Kreis« vereinigt werden, der durch eine Kreisversammlung vertreten wird, die den Kreisausschuß wählt. Im Großherzogtum Hessen bilden die Kreistage die Vertretung der Kreise. Aus den Kreistagen gehen die Provinzialtage für die Provinzen hervor. Der Kreisrat, als Kreisvorstand, bildet mit sechs gewählten Mitgliedern den Kreisausschuß, der Provinzdirektor mit acht gewählten Mitgliedern den Provinzialausschuß. In Elsaß-Lothringen bestehen für die Bezirke, Kreise und Gemeinden in den Bezirkstagen, Kreistagen und Munizipalräten besondere Vertretungen, die aus den Wahlen der Bezirks-, Kreis- und Gemeindeangehörigen hervorgehen. Vgl. außer den Lehrbüchern des Staatsrechts: v. Brauchitsch, Die neuen preußischen Verwaltungsgesetze (Berl., 6 Bde., in zahlreichen Auflagen); v. Stengel, Die Organisation der preußischen Verwaltung (Leipz. 1884); Illing, Handbuch für preußische Verwaltungsbeamte (§. Aufl., Berl. 1903, 2 Bde.); Bornhak, Die Kreis- und Provinzialordnungen des preußischen Staats (das. 1887); Schön, Das Recht der Kommunalverbände in Preußen (Leipz. 1897).
K. heißt auch die Organisation des alten Deutschen Reiches in geographisch abgegrenzten Bezirken (Kreisen), in denen nach der Zertrümmerung der alten Reichsverfassung und Verselbständigung der vielen kleinen zersplitterten Territorien wenigstens einigermaßen eine Durchführung der Reichsgesetze etc. möglich war. Tatsächlich hat die K. auch im Laufe des 16.–18. Jahrh. vielfach recht segensreich gewirkt und den Verfall des Reiches etwas aufgehalten. An der Spitze jedes Kreises stand als Kreishauptmann meist ein angesehener Fürst, für Kriegszwecke auch ein Kreisoberst. Die dem Kreis angehörigen Reichsstände waren zugleich Kreisstände, die sich zu Kreistagen versammelten, und sie ernannten zur Unterstützung des Kreishauptmanns vier »zugeordnete Räte«. Innerhalb des Kreises wurden die Reichsmilitärlasten verteilt, die Wahlen für das Reichskammergericht vollzogen und reichsgerichtliche Urteile vollstreckt, Landfrieden und Polizei gewahrt und die Aussicht über das Münzwesen gehandhabt. Der Gedanke an eine Einteilung des Reiches in vier Kreise ist zuerst auf dem Reichstag zu Eger 1436 von Kaiser Siegmund ausgesprochen worden, während Nikolaus von Cusa gleichzeitig in der »Concordantia catholica« die Einteilung des Reiches in zwölf Kreise vorsieht; der Nürnberger Landfriede Albrechts 11. von 1438 nimmt den Gedanken auf, und die sogen. Reformation des Kaisers Siegmund fordert vier Reichsvikare. Erst die Regimentsordnung von 1500 kommt aber darauf zurück, wenn auch in andrer Form: sechs Kreise (der fränkische, bayrische, schwäbische, oberrheinische, niederrheinisch-westfälische und niedersächsische) wurden gebildet, aber die kaiserlichen Erblande und die Gebiete der Kurfürsten noch nicht einbezogen. Dies geschah erst 1512, als vier neue Kreise (der österreichische, burgundische, kurrheinische und obersächsische) hinzugefügt wurden (s. Deutschland, S. 808), während eine Neueinteilung 1521 die zehn Kreise besser abrundete und den Zustand schuf, der mit geringen Veränderungen bis 1803 bestanden hat. Über die den einzelnen Kreisen angehörenden Gebiete s. die besondern Artikel. Vgl. Langwerth v. Simmern, Die K. Maximilians I. und der schwäbische Reichskreis in ihrer rechtsgeschichtlichen Entwickelung bis 1648 (Heidelb. 1896).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.