Gefäße, vorgeschichtliche

Gefäße, vorgeschichtliche

Gefäße, vorgeschichtliche, aus vorgeschichtlicher Zeit stammende Ton-, seltener Metallgefäße, bieten zur Unterscheidung der verschiedenen vorgeschichtlichen Entwickelungsstufen und Völkergruppen Material, und die Tongefäße sind deshalb wohl als die »Leitfossilien der Prähistorie« bezeichnet worden. Im Gegensatze zu vielen andern Gerätschaften des vorgeschichtlichen Lebens, wie Waffen und Schmuckstücken, sind die Gefäße fast stets Erzeugnisse einer örtlichen Industrie. Ihrem Zwecke nach zerfallen sie in Gefäße für den Haushalt, in Urnen mit den beim Leichenbrand übriggebliebenen Körperresten (Aschenurnen, Aschenkrüge) und in Beigefäße, die zur Aufnahme von Nahrungs- und Genußmitteln für den Toten dienten oder leer waren. Die ältesten uns erhaltenen Gefäße sind aus mangelhaft geschlämmter, grobkörniger Tonmasse hergestellt und nicht genügend gebrannt. Um das Zerreißen der Gefäßwandungen beim Trocknen des Tones und bei Feuereinwirkung zu vermeiden, hat man diesem häufig groben Quarzsand, sein zerstampften Granit, hier und da wohl auch kleine Fragmente von Muschelschalen beigemengt. Die Rauhigkeiten, die sich infolge dieser Zusätze an der Oberfläche zeigen, wurden häufig durch einen dünnen Überzug aus seinem Ton verdeckt, auch nachträglich mit Steinen oder Knochenwerkzeugen geglättet.

Vorgeschichtliche Gefäße.
Vorgeschichtliche Gefäße.

Während der Steinzeit und der ältern Abschnitte der Metallzeit wurden die Gefäße regelmäßig aus freier Hand geformt, wobei man zunächst eine den Boden des Gefäßes bildende Platte knetete, um deren Rand dann ein dünner runder Tonzylinder gelegt wurde, den man an den Boden fest andrückte und durch Kneten dünner machte; alsdann wurde ein neuer Tonzylinder aufgelegt, an den vorhergehenden festgeknetet und auf diese Weise fortgefahren, bis das Gefäß die erforderliche Höhe hatte. Darauf wurde das Gefäß gebrannt. Die La Tène-Zeit (s. Metallzeit) zeigt die ersten Spuren des Gebrauchs der Töpferscheibe, die in der römischen Periode in den dem römischen Reich unterworfenen Gebieten, aber erst während der fränkischen Herrschaft allgemein in fast ganz Europa zur Anwendung kam.

Die Ornamente der Tongefäße sind vertieft, plastisch aufgelegt oder farbig ausgemalt. In der Steinzeit wurden lineare Zeichnungen mit einem Knochengriffel eingestochen und die Vertiefungen mit einer weißen Masse (Kalk oder Kreide) ausgefüllt (Tupfenverzierungen); auch erzeugte man die Linien durch Eindrücken von Haarschnüren. Die ursprünglichsten Verzierungen sind bloße Fingereindrücke oder solche von Fingernägeln. Sie wurden in dem noch feuchten Ton erzeugt. Stichverzierungen wurden hervorgebracht durch dicht nebeneinander angebrachte Eindrücke von Pfriemen, Holzsplitterchen oder Schilfrohr. Die Stichmuster sind dann mit Schnittverzierungslinien eingefaßt, Fig. 4. Neben, z. T. aber hinter diese Arten der Verzierung tritt die Bandkeramik, Fig. 2,3,5,6,8–12, entweder in gebrochenem oder bogenförmigem Verlauf (Winkelbandverzierung, Fig. 2,8,12 und Bogenbandverzierung, Fig. 3). Ihre Weiterentwickelung äußert sich in einer Verbindung der Bänder mit geometrischen Figuren (schraffierten Dreiecken und Vierecken, Mäanderlinien, konzentrischen Kreisen, Sonnenrädern), Kreuzen und Spiralen. Diese letzte Stufe gehört zweifellos dem letzten Stadium der neolithischen Zeit, gleichzeitig auch der ersten Metallzeit an, Fig. 9 u. 12.

Die plastischen Ornamente bestehen in ausgelegten horizontalen, ring- und bogenförmigen Leisten, in Knöpfen und Buckeln, die z. T. an die Form der Weiberbrust erinnern (Buckelurnen), oder es sind einzelne Teile des Gefäßes figürlich entwickelt, indem der obere Teil des Gefäßhalses ein Gesicht und der darauf passende Deckel eine Kopfbedeckung darstellt (Gesichtsurnen, Fig. 6,7). Einzelne Gefäße stellen Nachahmungen von Häusern dar (Hausurnen, s. Tafel »Bauernhaus I«, Fig. 1–3) und liefern über die Beschaffenheit der vorgeschichtlichen Wohnungen Aufschlüsse. Beide Urnenarten gehören der Bronzezeit an, die sie beide überdauern; ja, die Entwickelung der eigentlichen Gesichtsurnen gehört, im Norden wenigstens, erst der Eisenzeit an. Andre Urnen führen ihres Aussehens wegen die Bezeichnung Eulenurnen, Fensterurnen etc. Die Ornamente bestehen, abgesehen von der Färbung der Wandungen durch Schwärzung im Rußfeuer, Beimengung oder Austragung von Graphit, Austragung weißer kreideartiger oder rötlicher ockerhaltiger Schichten, aus Linien und Figuren, die rot auf weißem Grund, rot auf schwarzem Graphitgrund, schwarz auf gelblichem oder rotem Grund ausgemalt oder aber mit seinen Strichen eingeritzt sind (Fig. 1).

Ob bereits während der ältern Periode (s. Steinzeit) Gefäße aus Ton hergestellt wurden, ist zweifelhaft. In belgischen Höhlen, die von dem paläolithischen Menschen bewohnt wurden (Höhle Petit Modave, Engishöhle etc.), aufgefundene Scherben von roh geformten, schlecht gebrannten Tongefäßen können erst nachträglich in die betreffenden Höhlen gelangt sein. Dagegen kann das Vorkommen von Tongefäßen in den dänischen Küchenabfällen (s. Kjökkenmöddinger) nicht bezweifelt werden. In den steinzeitlichen schweizerischen Pfahlbauten treten anfangs nur plumpe, schlecht gebrannte Gefäße auf; allmählich vervollkommt sich aber die Töpferei, Henkel und vielfältige Verzierungen werden an den Gefäßen angebracht; zugleich vergrößerten sie sich bis zu solchem Grade, daß sie den Umfang kleiner Vorratsmagazine erreichen. Die Mannigfaltigkeit der keramischen Erzeugnisse nimmt dann immer mehr zu; ohne Kenntnis der Töpferscheibe verfertigte man gegen Ende der neolithischen Periode Schüsseln von mannigfaltigster Form, Teller, hohe henkellose Töpfe, engmündige Henkelkrüge sowie allerlei Näpfe, tönerne Löffel, Spinnwirtel (d. h Gewichte zum Beschweren des Fadens beim Spinnen), aus Ton geformte Idole (Mondbilder und andre symbolische Figuren) etc. Aus gewissen, vom neolithischen Menschen bewohnten Höhlen wurden bombenförmige Tongefäße mit nach innen gewölbtem Rande zutage gefördert. Aus besserm Material bestehen die aus den bronzezeitlichen Pfahlbauten der Schweiz stammenden Töpferwaren; sie besitzen auch größere Formvollendung; die Schalen und Schüsseln sind z. T. mit hohen Henkeln versehen; die Gefäßboden sind häufig bis zu solchem Grade sphärisch gewölbt, daß die Gefäße ohne einen kranzförmigen Untersatz nicht aufrecht stehen können. Unter den Gefäßen des Lausitzer Typus, die nach ihrem häufigsten Vorkommen in der Lausitz benannt sind, finden sich die mannigfaltigsten Formen: einfache runde, flache Untersätze und Deckel, kleine Teller mit reichverziertem Boden, schüssel- und napfförmige Gefäße, einhenkelige Schalen und Tassen, Kannen, Krüge, Räuchergefäße, große weitbauchige Urnen und Vorratsgefäße. Je nach der Gebrauchsweise sind die Gefäße entweder ganz roh gehalten oder sauber ornamentiert, gehenkelt oder ungehenkelt. Auf Grund zahlreicher Ausgrabungen im südwestlichen Deutschland stellt Köhl sechs vorwiegend durch ihre Ornamentik unterschiedene Gruppen der neolithischen Keramik Südwestdeutschlands auf, die zugleich ebenso viele Abschnitte der neolithischen Periode überhaupt bedeuten sollen. Es sind das: die ältere Winkelbandkeramik (Hinkelsteintypus), die Bogenbandkeramik, die jüngere Winkelbandkeramik, der Pfahlbautentypus vom Bodensee, die Schnurkeramik und die Zonenbecherkeramik. Die letztere vermittelt schon den Übergang zur Bronzezeit. In der La Tène-Periode werden die Tongefäße wieder einfacher, vielleicht weil Metall- und Holzgefäße häufiger werden. In der römischen Periode findet sich nur in den römischen Provinzen eine große Mannigfaltigkeit vorzüglich gearbeiteter Tongefäße aus einer feinkörnigen Tonmasse, während in den nichtprovinzialen Ländern noch Gefäße von relativ einfachem Charakter in alter Weise gefertigt wurden. Erst in der fränkisch-merowingischen Zeit zeigt sich wieder eine z. T. sogar sehr reiche Verzierungsweise; weitbauchige und weitmundige, terrinenähnliche Gefäße herrschen vor. Die eigentlich wendischen Gefäße sind höchst einfach, ohne Henkel, in Form von tiefen Schalen oder Bechern, und zeigen sehr häufig ein horizontales Wellenornament (Burgwalltypus). Von den Tongefäßen, die Schliemann zu Hissarlik ausgegraben hat, lassen die bis zu 2 m hohen Krüge (Pithoi), die wohl zur Aufbewahrung von Wein u. Getreide gedient haben, eine hochentwickelte keramische Technik erkennen.

Die verschiedenen Gefäßtypen haben ihre bestimmten Verbreitungsgebiete. Die Gefäße der Steinzeit mit eingestochenem Ornament finden sich in Skandinavien und Nordwestdeutschland, hauptsächlich aber in dem Verbreitungsgebiet der Dolmen (s.d.); die mit Schnurornament verzierten Gefäße sind ebenfalls nur auf bestimmte Gebiete beschränkt. Hausurnen einer bestimmten Form finden sich in Dänemark und auf Bornholm; bienenkorbförmige Hüttenurnen in der Priegnitz, eigentliche Hausurnen in der Provinz Sachsen, außerdem aber in Italien im alten Latium und Etrurien, Albano und Corneto. Gefäße des Lausitzer Typus, deren charakteristischste Formen die Buckelurnen sind, erstrecken sich von Brandenburg durch Posen und Schlesien bis nach Ungarn hinein. Gesichtsurnen finden sich auf dem linken Weichselufer, in Westpreußen, Hinterpommern und Posen. Die von Schliemann in Hissarlik entdeckten Gesichtsurnen gehören einem weit ältern Abschnitt der Prähistorie an als die baltischen. Ähnliche Gefäße wurden auch auf Cypern gefunden.

Metallgefäße (Bronzegefäße, s. Metallzeit) kommen bereits in der ältesten Metallzeit vor und sind größtenteils Einfuhrartikel. Die ältesten Formen sind getrieben oder aus dünn gehämmerten Blechen zusammengenietet. Besondere Wichtigkeit haben die Bronzecisten (situlae), horizontal gerippte, eimerförmige Gefäße mit einem oder zwei Henkeln. Eimerförmige Gefäße kommen auch in der La Tène-Zeit, am häufigsten jedoch in der römischen Zeit vor, wo sie aus Bronze, nicht selten auch aus gediegenem Silber hergestellt wurden (s. Tafel »Bronzekunst I«, Fig. 1 u. 9). Namentlich ist die spätrömische Zeit reich an Gefäßen aus Edelmetallen, wenngleich goldene Gefäße auch schon in der ältesten Metallzeit im Norden vorkommen. Gefäße aus Glas finden sich erst zur Römerzeit. Von den Römern haben die Franken wahrscheinlich die Fabrikation des Glases überkommen. Endlich wurden auch Holzgefäße in vorgeschichtlicher Zeit vielfach benutzt. Die ältesten erhaltenen Holzgefäße, die im Kopenhagener Museum aufbewahrt werden, stammen aus jütischen Grabhügeln der Bronzezeit (ältesten Metallzeit). Eine reiche Ausbeute an Holzgefäßen aus spätrömischer Zeit lieferten die Moorfunde in Schleswig und Dänemark. Nal. Lindenschmit, Das Gräberfeld vom Hinkelstein bei Monsheim (»Zeitschrift zur Erforschung der Rheinischen Geschichte und Altertümer«, Bd. 3, Mainz 1868); Koenen, Gefäßkunde der vorrömischen, römischen und fränkischen Zeit in den Rheinlanden (Bonn 1895); Klopffleisch in den »Vorgeschichtlichen Altertümern der Provinz Sachsen«, Heft 1 u. 2 (Halle 1883 bis 1886); Götze, Die Gefäßformen und Ornamente der neolithischen schnurverzierten Keramik im Flußgebiete der Saale (Jena 1891); Brunner, Die steinzeitliche Keramik in der Mark BrandenburgArchiv für Anthropologie«, 1898); Berendt, Die pommerellischen Gesichtsurnen (in den »Physikalisch-ökonomischen Abhandlungen«, Königsb. 1872 u. 1878); Undset, Über italische Gesichtsurnen (1890); Lissauer, Altertümer der Bronzezeit in Westpreußen (Danz. 1891); Krause, Über die Herstellung vorgeschichtlicher Tongefäße (»Zeitschrift für Ethnologie« 1903); Hörnes, Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa (Wien 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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