- Dampfschiffahrt
Dampfschiffahrt (hierzu die »Weltverkehrskarte« mit Textbeilage), die Schiffahrt mit Dampfern. Die D. ist von Wind und Strömungen fast unabhängig, sie kann den kürzesten Seeweg einschlagen und sichert einen regelmäßigen und schnellen Verkehr zwischen den einzelnen Weltteilen. Ihre allgemeine Benutzung hat in volkswirtschaftlicher und handelspolitischer Beziehung eine große Umwälzung hervorgebracht. Der Personenverkehr hat eine früher nicht geahnte Ausdehnung erhalten, und die Ein- und Ausfuhr der Länder hat eine wesentliche Steigerung und zum Teil eine ganz neue Gestaltung erfahren. Die D. begann 1807 mit Fultons Fahrten auf dem Hudson zwischen New York und Albany; vgl. Dampfschiff (Geschichte), S. 466 s. Liverpool wurde der erste Hauptplatz für ozeanische Linien nach Amerika. 1840 eröffnete die Cunardlinie von da ihre Fahrten nach Halifax und New York, 1842 wurde von England aus die erste Dampferfahrt um die Erde unternommen. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrh. entwickelt sich die D. stetig und progressiv, so daß 1903 sogar für sehr große Entfernungen, wie Europa-San Francisco, die D. erfolgreich mit der Segelschiffahrt konkurriert und den Seeverkehr im Atlantischen Ozean und nach Ostasien fast ganz allein beherrscht. Erklärung dafür gibt die technische Entwickelung des Dampfschiffs (s.d.).
Die D. auf Binnengewässern (s. Binnenschifffahrt) ist in allen von Flüssen, Kanälen und Seen durchzogenen Ländern von größter Bedeutung. Die Wasserstraßen sind anfänglich die einzigen Verkehrsadern in unentwickelten Ländern. Im Osten von Europa entwickelte sich die D. auf der Donau, Kama und Wolga, in Nordamerika auf dem Mississippi, Missouri, dem St. Lorenzstrom, dem Erie-, Michigan-, Huronen-, Obern See u. a.; Südamerika verdankt der D. auf dem Orinoko, Amazonenstrom und dem La Plata mit dem Uruguay, Parana und Paraguay einen großen Teil seiner Entwickelung, und in China erschließt die D. auf dem Jangtsekiang das Innere des Landes dem europäischen Handel; auch die D. auf dem untern Kongo, dem Autur, dem Mekhong und auf den nordsibirischen Flüssen gewinnt Bedeutung. Bei der Küstenschiffahrt der Nord- und Ostsee, des Mittelmeeres und Schwarzen Meeres, in Afrika und Australien ist die D. in lebhaften Wettkampf mit der Segelschiffahrt getreten. Neben den Frachtdampferlinien zur Beförderung minderwertiger Massengüter sind jetzt die Linien zur regelmäßigen und schnellen Beförderung wertvoller Güter, von Passagieren und der Post (Schnelldampfer- oder Postdampferlinien) die wichtigsten Träger des überseeischen Verkehrs geworden.
Die erste Postdampfschiffverbindung wurde 1846 zwischen Amerika und Deutschland durch eine New Yorker Gesellschaft eingerichtet. Der Generalpostmeister der Vereinigten Staaten war 1845 vom Kongreß ermächtigt worden, wegen der Postbeförderung Verträge abzuschließen. Trotz der Bemühungen Englands und Belgiens gelang es dem preußischen Gesandten, Baron v. Gerold, die Wahl auf Bremen zu lenken. An der neugebildeten »Ocean Steam Navigation Compann« für die Linie New York-Bremen beteiligten sich auch mehrere deutsche Regierungen durch Übernahme von Aktien (Preußen mit 100,000 Tlr. Gold). Von der Regierung der Bereinigten Staaten erhielt die Unternehmung eine jährliche Beihilfe von 350,000, später sogar von 858,000 Dollar. Bremen hatte Hafenanlagen in Bremerhaven zu schaffen. Die monatlichen Fahrten begannen 1. Juni 1847 mit dem Dampfer Washington. Die Ocean Steam Navigation Company luste lich 1857 auf, als die amerikanische Regierung die Zahlung des Zuschusses einstellte. Geschäftsleute Bremeus gründeten 1857 den Norddeutschen Lloyd. Zurzeit sind am Postdampferverkehr alle Kulturnationen, auch asiatische, beteiligt. Viele Postdampfschifflinien sind durch staatliche Unterstützung (Subvention) entstanden, da der Verkehr zwischen den betreffenden Laudern vor Einrichtung der Linien meist noch nicht rege genug war, um die Kosten der Fahrten aus den Erträgnissen des Personenverkehrs und der Frachten zu decken. In neuester Zeit hat der Wettbewerb im Dampfschiffahrtsbetrieb ein gesteigertes, z. T. unnatürliches Bedürfnis nach Staatsbeihilfe erzeugt und zwar derart, daß manche Gesellschaften lediglich von den Staatsgeldern leben. Aus handelspolitischen Gründen steuern zurzeit die meisten Staaten namhafte Summen für die D. bei, um die eigne Flagge nicht vom fremden Wettbewerber verdrängen zu lassen. Nach einem englischen Parlamentsbericht vom Dezember 1902 wurden in folgenden Staaten Schiffahrtsbeihilfen gezahlt und zwar meist jährlich:
Alle Staaten setzen gewisse Bedingungen für die Beihilfen fest, meist über die Nationalität der Besatzungen, über die Schnelligkeit der Reisen, über Kriegsbrauchbarkeit der Dampfer etc.
Die Hamburg-Amerika-Linie, die 1879 durch Gewährung einer Beihilfe von der Postverwaltung bewogen wurde, eine direkte monatliche Verbindung mit Mexiko über Havre herzustellen, konnte schon nach wenigen Jahren freiwillig auf die staatliche Unterstützung verzichten, und auch noch 1903 betonte der Leiter dieser größten Dampfergesellschaft der Erde, daß alle Staatsbeihilfe nur ein künstlicher Notbehelf, daß auch heutzutage nur freie selbständige Entwickelung der D. gesund und nötig sei. Wie die Hamburg-Amerika-Linie durch Ankauf fremder Dampfergesellschaften ihren Betrieb im letzten Jahrzehnt um das Vierfache vergrößert und ihre Fahrten nach allen Erdgegenden ausgedehnt hat, so macht sich überhaupt überall in der D. das Bestreben des Zusammenschlusses vieler Gesellschaften zu großen Verbänden geltend, weil der verschärfte Wettbewerb mit dem gesamten Ausland nur noch den Großbetrieb lebensfähig läßt. Der am 4. Febr. 1902 in New York begründete Morgan-Schiffahrtstrust (sogen. North Atlantic Combine) ist das größte Beispiel dieser Art; nordamerikanische Milliardäre des Stahltrusts unter Leitung von Morgan kauften zu Spekulationszwecken europäische Schiffahrtsaktien auf und erwarben damit nacheinander eine Anzahl englischer und amerikanischer Dampfergesellschaften, nämlich die Leyland Line in Liverpool, die American Line (International Navigation Company) in Philadelphia, die White Star Line (Ismay, Imrie a. Sons) in Liverpool und London, die Mississippi and Dominion Line in Liverpool, die Oceanic Steam Navigation Company (Ismay, Imrie & Sons) in Liverpool und London und die Atlantie Transport Company in London. Die zu dem Trust gehörigen englischen Schiffe behalten auf 20 Jahre die englische Flagge; ihr Eigentumsverhältnis bei einem Kriege zwischen England und den Vereinigten Staaten ist unklar. Als Gegenschlag gegen den Morgantrust und um zu verhüten, daß auch die wichtige Cunard-Gesellschaft von Morgan angekauft würde, gewährte die englische Regierung der Cunard-Linie eine in der Geschichte der D. bisher beispiellos hohe Staatsbeihilfe: ein Darlehen zum Bau von zwei Schnelldampfern größter Geschwindigkeit, verzinsbar zu 23/4 Proz. und rückzahlbar in kleinen Raten, und außerdem, sobald die beiden Dampfer fertig sind, den jährlichen Staatszuschuß von 3 Mill. Mk. (also in Wirklichkeit ein Geschenk zweier Dampfer im Werte von etwa 40 Mill. Mk.) unter der Bedingung, daß die Cunard-Linie englisch bleiben muß. Den beiden großen deutschen Gesellschaften, der Hamburg-Amerika-Linie und dem Norddeutschen Lloyd, gelang es zwar, den drohenden Ankauf durch Morgan abzuwenden, sie mußten indessen ein Abkommen mit dem Morgan-Trust treffen, wonach sie einen Anteil ihres Reingewinns auszahlen müssen, während der Morgan-Trust ihnen auf den gleichen Betrag 6 Proz. Zinsen vergütet. Diese Vereinigung des Morgan-Trusts mit den beiden großen deutschen Gesellschaften soll ein Schutz- und Trutzbündnis gegen fremden Wettbewerb sein und bezweckt auch, die Überfahrtspreise möglichst hochzuhalten.
Bei der modernen D. muß man zwischen den regelmäßigen Dampferlinien und den Dampfern in wilder Fahrt (Tramps) unterscheiden; letztere besuchen nur solche Häfen, wa gerade lohnende Fracht zu finden ist, während die regelmäßigen Linien ihre Fahrzeiten und Fahrpläne oft schon Jahre voraus festlegen, um den Verfrachtern stetige Gelegenheiten für Warenlieferung zu bieten, selbst auf das Risiko, gelegentlich Plätze dabei anlaufen zu müssen, die nicht jedesmal Fracht und Reisende liefern. Deshalb werden von den Dampfern »in wilder Fahrt« mehr die Nebenplätze des Weltverkehrs besucht, von denen in Linienfahrt dagegen die Hauptstapelplätze und nur die bequem am Wege gelegenen Nebenplätze des Welthandels. Je nach den Erntezeiten tropischer und südlicher oder nördlicher subtropischer Gegenden wechselt in den Seehäfen der Erde der Bedarf nach Dampferräumte, d. h. nach Frachtgelegenheit auf Dampfern, nach den Jahreszeiten. Auf Dampfern werden heutzutage schon fast alle die Bulkladungen verfrachtet, die bis vor einem Jahrzehnt nur auf Segelschiffen verschifft wurden. Guano ist der einzige wichtigere Artikel, der auch jetzt noch nur auf Seglern verladen wird; Reis, Erze, Kohlen, Häute, Holz und andre frühere Segelschiffsartikel werden jetzt ebenso häufig und mit Gewinn auf Dampfern verschifft. Die D. dehnt sich jetzt bis zu den fernsten Seehäfen der Erde aus; früher waren die großen Entfernungen für Segelschiffe günstiger, aber seit Verbesserung der Dampfmaschinen ist die Ausdehnung regelmäßiger europäischer Dampferlinien bis nach San Francisco, Wladiwostok und Neuseeland möglich und gewinnbringend geworden. In gewissen Gebieten, z. B. in den ostasiatischen Gewässern, im Persischen Golf, in Insulindien und zwischen den Südseeinseln, werden Nebenlinien mit billigerm Betrieb an die von Europa kommenden Hauptlinien angeschlossen. Vgl. die Beilagen: I. Die wichtigsten Dampfschiffahrts-Reedereien; II. Dampferwege im Weltverkehr.
Zur Sicherung der Schiffahrt werden die Passagierdampferlinien in vielen Seestaaten, z. B. in England vom Board of Trade, in Deutschland von der Seeberufsgenossenschaft (s.d.), in Bezug auf Ausrüstung mit Rettungsmitteln, besonders mit Booten, sowie auf gesundheitsgemäße Größe und Ausrüstung der Passagierwohnräume und auf das Maß der Beladung (s. Tiefladelinie) genau überwacht.
Den Dampferbestand der Erde zeigt die folgende Übersicht (nach dem Generalregister der Handelsmarine aller Länder des Bureau Veritas für 1902/3).
Obwohl der gesamte Dampferbestand der Seestaaten der Erde von 1891 auf 1903 der Zahl nach nur um 1401 Dampfer zugenommen hat, ist doch der Zuwachs am Bruttotonnengehalte sehr beträchtlich, er beträgt 11,151,129 Ton.; im letzten Jahrzehnt hat sich, wie auch in jedem frühern Jahrzehnt, die gesamte Handelsdampferflotte im Raumgehalt nahezu verdoppelt, aber die einzelnen Dampfer sind beträchtlich größer als früher, daher der geringe Zuwachs der Zahl nach.
Am Ende des 19. Jahrh. wurden schon jährlich zehnmal mehr Dampfertonnen als Seglertonnen gebaut. Das schnelle Anwachsen der Dampferflotte zeigt folgende Übersicht nach Kiaer:
Eine Zusammenstellung der größten Dampferlinien der Erde in der Reihenfolge des Tonnengehalts ihrer Schiffe ergibt folgende Zahlen (1903):
Beim Vergleich der Schiffszahl mit dem Tonnengehalt erkennt man die Unterschiede in den Durchschnittsgrößen der Schiffe der einzelnen Gesellschaften, die durch den Zweck der einzelnen Dampferlinien bedingt sind; die englische White Star Line zeichnet sich durch besonders große Schiffe aus.
Für den Zusammenschluß zu großen Dampfergesellschaften ist es bezeichnend, daß heutzutage reichlich dreimal mehr Gesellschaften mit mehr als 50,000 Bruttotonnengehalt vorhanden sind als vor einem Jahrzehnt. Auch die Reihenfolge der Gesellschaften untereinander hat sich stark geändert; besonders auffällig ist das mächtige Anwachsen deutscher Gesellschaften, namentlich der Hamburg-Amerika-Linie, des Norddeutschen Lloyd, der Hansa-Linie, der Hamburg-Südamerikanischen und der Deutschen Austral-Dampfergesellschaft, ferner auch der Woermann- und der deutschen Levante-Linie.
Der jährliche Verlust an Dampfern infolge von Unglücksfällen beträgt erfahrungsgemäß etwa 2 Proz. Die Einbuße an Dampfern verteilte sich in den Jahren 1890 und 1902 auf die bedeutendern Verkehrsländer wie folgt:
Vgl. Lindsay, History of merchant shipping (Lond. 1872–74, 4 Bde.); H. Fry, History of North Atlantic steam-navigation (das. 1895); »Lloyd's Universal Register of British and foreign shipping« (jährlich); »Bureau Veritas, Generalregister der Handelsmarine aller Länder« (Par. 1902–1903; 33. Jahrg.); »Nauticus«, Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen (Bd. 8, 1903 u. früher); Fitger, Wirtschaftliche und technische Entwickelung der Seeschiffahrt (Leipz. 1902); Kiaer, Statistique Internationale, Navigation Maritime (Christiania 1876–87); Derselbe, Tabeller of Skibsfarts Bevægelsen (das. 1897); Speck, Welthandel und Seemacht (Leipz. 1900); Greve, Seeschiffahrts-Subventionen der Gegenwart (Hamb. 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.