Cid Campeadōr

Cid Campeadōr

Cid Campeadōr, der in Geschichten, Sagen und Liedern gefeierte Nationalheld der Spanier, dessen eigentlicher Name Ruy (Rodrigo) Diaz de Vivar ist. Die Geschichte seines Lebens erscheint so reich mit mythischem Schmuck umgeben, daß manche geneigt waren, ihm die historische Existenz ganz abzusprechen. Erst den gründlichen Untersuchungen der Neuzeit (namentlich Dozys, s. unten) ist es gelungen, die wirklich historischen Daten festzustellen und eine vollständige Biographie des Helden zu geben, deren wesentlichster Inhalt sich auf folgendes beschränkt: Der C. stammte von Lain Calvo ab und war als Sohn eines kastilischen Granden gegen die Mitte des 11. Jahrh. geboren. Seine ersten Heldentaten verrichtete er in einem Krieg, den Sancho II., Sohn Ferdinands d. Gr., gegen seinen Vetter Sancho von Navarra führte. Der C. stand auf kastilischer Seite und riet im Erbfolgekampf dem König, seinen Bruder Alfons zu überfallen, wodurch dieser gezwungen ward, zum König Ali Maimon nach Toledo zu flüchten. Schon damals sollen ihm seine Landsleute den Ehrennamen CampeadorKämpfer«) gegeben haben, während der Name Cid oder Mio Cid, »mein Herr« (arab. Seid, »Herr«) von den Mauren herrührt. Nach Besiegung seiner Brüder zog Sancho II. gegen Zamora, das Erbteil seiner Schwester Urraca, fand aber vor die sei Stadt durch Meuchelmord den Tod. Alfons wurde nun Herr von Kastilien, mußte aber auf Verlangen des C. vorher schwören, daß er keinen Anteil an dem Morde des Bruders gehabt habe. Infolgedessen nährte Alfons Haß gegen den C., obschon er ihn vorerst verbarg. Ja, C. vermählte sich mit Jimena, einer Nichte des Königs, und begleitete diesen auf einer Wallfahrt nach Santiago de Compostella. 1087 wurde er aber auf Anstiften des Garcia Ordoñez vom König verbannt, begab sich nach Saragossa zu einem maurischen Fürsten aus dem Stamm der Beni Hud, dem er im Kampf gegen seinen Bruder und dessen spanische Bundesgenossen beistand, und verrichtete hier Heldentaten, die seine Zurückberufung durch Alfons zur Folge haben. Voll Mißtrauen gegen diesen wendete er sich jedoch bald wieder nach Saragossa, kehrte abermals zu Alfons zurück und stand so, wie es sein Vorteil oder die Lage verlangte, abwechselnd auf beiden Seiten, verband äußersten Heroismus mit großer Schlauheit und diente lediglich dem eignen Interesse. Er wurde der Schrecken der Mauren und eroberte 1094 für sich Valencia, wobei er die bei der Übergabe eingegangenen Bedingungen treulos brach und trotz versprochener Schonung mit barbarischer Grausamkeit verfuhr. Nachdem er sich unter steten Kämpfen gegen das Heer der Mauren 5 Jahre lang in der Stadt behauptet hatte, starb er 1099. Jimena verteidigte die Stadt noch 7 Monate lang, aber trotz Alfons' Hilfe zogen die Mauren wieder ein. Jimena brachte den Leichnam des Helden nach dem Kloster San Pedro de Cardeña unfern Burgos, von wo die Gebeine später nach Burgos übergeführt und nebst denen seiner Gemahlin im Rathaus beigesetzt wurden. Von hier 1808 von den Franzosen fortgeschleppt, kamen sie in den Besitz des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern, wurden von diesem aber 1883 dem König Alfons von Spanien zurückgegeben, der sie von neuem in Burgos beisetzen ließ. An der Stelle seines Wohnhauses zu Vivar (bei Burgos) wurde dem Helden ein Denkmal errichtet. Von den beiden Töchtern des C., Cristina und Maria, vermählte sich die eine mit dem Infanten von Navarra, wodurch das Blut des Recken in das Königshaus von Kastilien kam, die zweite mit Berengar von Barcelona. C. erscheint somit nicht als ein nach heutigen Begriffen reiner, edelgesinnter Charakter; allein zu seiner Zeit sah man in einer kriegerischen Erscheinung von höchster Energie, Tapferkeit und Klugheit, wie er sie darstellte, das Muster eines Helden, und so wurde er der ideale Grundtypus eines Nationalheros, den der Mund des Volkes und die Dichtung in der Folgezeit immer mehr verklärten. Daß er seinem Lehnsherrn untreu wurde, daß er den Mauren diente, tat ihm in der Beurteilung seines Volkes keinen Abbruch; es verehrte in ihm den ritterlichen spanischen Häuptling und liebte den ungerecht Verfolgten.

Das älteste der vorhandenen Gedichte, die den Helden feiern, ist das »Poëmad el Cid« (oder »de mio Cid«), das noch aus dem 12. Jahrh. stammt und offenbar aus Volksliedern hervorgegangen ist. Die Bemerkung: »Per Abbat le escriuioen el mes de Mayoen era de mille CCCXLV annos«, nach unsrer Zeitrechnung also 1307, bezieht sich auf den Schreiber der einzig erhaltenen Auszeichnung. Diese wurde lange zu Vivar im Haus des C. aufbewahrt und 1779 von Sanchez in seiner »Coleccion de poesías castellanas anteriores al siglo XV« (Madr., 4 Bde.; neue Ausg. von E. Ochoa, Par. 1842) gedruckt; dann von Janer in Ribadeneyras Sammlung »Poetas castellanos anteriores al siglo XV« (Madr. 1864), später von Vollmöller (Halle 1879ff., mit Glossar) und Huntington (1898), neuerdings paläographisch von R. Menendez Pidal (Madr. 1900), nach der Madrider Handschrift von O. L. B. Wolff (Jena 1850) ins Deutsche, von Damas-Hinard ins Französische (Par. 1858), von Ormsby ins Englische (Lond. 1879) übersetzt. Die Anfangsblätter des Gedichts fehlen sowie hin und wieder einzelne Verse. Das angewendete Versmaß ist eine ungefüge Langzeile, deren zwischen 12 und 18 Silben schwankender Bau sowohl Vertrautheit mit dem Romanzenvers als auch Bekanntschaft mit dem zünftigen Alexandriner zeigt. Aus Tradition, Volksdichtungen und Prosaberichten schöpfend, erzählt der Autor in schlichter, doch markiger Darstellung im ersten Cantar die historischen Taten des C. während der Verbannung; im zweiten die Eroberung von Valencia, Versöhnung mit König Alfons, sagenhafte Vermählung der Töchter Iimenens mit den Infanten von Carrion; im dritten ihr Mißgeschick, den Schmerz des Vaters, seine Rache und zum Schluß die ruhmreiche Doppelhochzeit mit den Königssöhnen. Geschildert wird der C. als Krieger, Gatte, Vater und Freund; doch hat der Dichter die historische Gestalt veredelt, indem er das Rühmliche hervorhebt und alles Unrühmliche verschweigt, ohne daß die historische Wahrheit gänzlich verloren wäre. Als hauptsächlichste Eigenschaft wird seine unbedingte Lehnstreue hervorgehoben. Refrainmäßig kehrt der Ausruf wieder: »Gott, welch guter Lehnsmann, hätte er einen guten Herrn!« Dabei nimmt sich der C. dem Könige gegenüber des Volkes an und verteidigt dessen Rechte gegen die Granden. Verschieden von diesem »Poëma« ist die »Crônica rimada del Cid«, die, ein halbes Jahrhundert später entstanden, zuerst von Fr. Michel im 116. Bande der »Wiener Jahrbücher« (später im »Romancero« von Duran) herausgegeben wurde und nicht nur in Einzelheiten von der Erzählung des »Poëma« abweicht, sondern auch den Charakter des Helden in anderm Licht erscheinen läßt. Hier ist der C., der als jugendlicher Kraftbursche dargestellt wird (im Zweikampf mit Graf Gormaz), der Repräsentant der Gesamtheit der Granden, die gegen die Idee einer absoluten Monarchie kämpfen. Mehrere Jahrhunderte hindurch wechselten die beiden Cid-Auffassungen, bis Kastilien ganz dem Monarchismus huldigen mußte; damit wurde der Cid-Typus des »Poëma« feststehend. So in der »Crónica general de España« aus dem Ende des 13. und in der »Crónica del Cid« aus dem 14. Jahrh. Die Lieder selbst, aus denen der alte Kunstdichter schon so früh ein Ganzes schuf, haben sich bis auf den heutigen Tag in sich immer verjüngenden Formen, den berühmten Cid- Romanzen, erhalten, deren älteste auf uns gekommene Gestalt zwar kaum über den Anfang des 16. Jahrh. zurückreicht, deren Grundlagen und Urformen aber älter als das »Poëma« sein müssen. Sie gehören teils der Volks-, teils der Kunstpoesie an, und man darf daher in ihnen nicht die strenge Charaktereinheit des Helden suchen, weil sie sich in die beiden Haupttypen, die von ihm entstanden waren, teilen und in ihrer Gesamtheit sein Bild durch viele individuelle Züge vervollständigen. Da diese Gedichte alle im C. ein ritterliches Ideal aufzustellen suchen, zu der Ritterlichkeit des romantischen Zeitalters aber auch die Liebe gehörte, so erleidet auch die Darstellung der Jimena Veränderungen. Einzelne Romanzen vom C. erschienen zuerst gedruckt in »Pliegos sueltos« und den allgemeinen Romanzensammlungen; so die ältesten und echtesten in der »Silva de varios romances« (1550), im »Cancionero de romances« (1550), im »Romancero de Sepulveda« (1566), andre im »Romancero general« (1604) etc., dann in besondern Sammlungen, wie in der von Escobar (Lissab. 1605, Alcalá 1612; neueste Auflagen von Reguero, Madr. 1818 u. Frankf. 1828) und in der von Metge (Barcelona 1626). Zu einem Ganzen geeint in Durans »Romancero de romances caballerescos é historicos« (Madr. 1832) und in dessen »Romancero general« (das. 1849–51, 2 Bde.); in besonderm Abdruck als »Romancero del Cid«, herausgegeben von Keller (Stuttg. 1840), am vollständigsten von Karoline Michaelis (Leipz. 1872); neuerdings mehrmals in Madrid (1876 u. 1878), in gediegener Auswahl von Milá y Fontanals (1884).

Die erste und bekannteste deutsche Bearbeitung der Romanzen ist die von Herder (1806; neue Ausg. von Julian Schmidt, mit Erläuterungen von Karoline Michaelis, Leipz. 1868), womit den Deutschen zuerst ein voller Blick in die Welt spanischer Dichtung eröffnet wurde. Indessen gibt diese Übertragung kein treues Abbild des Originals; der Herdersche C. ist ein in deutsch-humanistischer Gesinnungsweise aufgefaßter Held und zum größern Teil Übersetzung einer französischen Prosabearbeitung der Cid-Romanzen, die sich mit willkürlichen Änderungen und Hinzufügungen in der »Bibliothèque universelle des romans« von 1783 findet (vgl. Köhler, Herders Cid und seine französische Quelle, Leipz. 1867, und Vögelin, Herders Cid. Die französischen und spanischen Quellen zusammengestellt, Heilbronn 1879). Wirkliche Übersetzungen der echten Cid-Romanzen, nach Durans und Kellers Sammlungen, sind die von Duttenhofer, Leipz. (1841 u. 1886), Regis (Stuttg. 1842; neue Ausg., das. 1893) und Eitner (Hildburgh. 1871 u. ö.). Französische Bearbeitungen erschienen von Creuze de Lessert (2. Aufl. 1821), Renard (Burgos 1830, 2 Bde.) und Renal (1843, 2 Bde.); engl. von G. LewesBallads«, 1883) und Young Gibson (1887); eine italienische von Pietro Monti (Mail. 1838). Nach den Romanzen dichtete Diego Jimenes de Ayllon eine schulgerechte Epopöe in 32 Gesängen (zuerst Antwerp. 1568); Guillen de Castro (gest. 1631) behandelte die Jugendtaten und die Liebesgeschichte des C. dramatisch, und sein Stück »Las mocedades del Cid« ist die Quelle von Corneilles berühmtem Drama »Cid« (s. Castro 3).

Historische Berichte über den C. finden sich in größerm Umfang seit dem 13. Jahrh. bei christlichen und mohammedanischen Geschichtschreibern. So besitzen wir eine wahrscheinlich aus dem Anfang des Jahrhunderts stammende »Genealogia del Cid Ruy Diaz« und die von Risco im Kloster Santo Isidoro zu Leon entdeckte, im Anhang seines Werkes »La Castilla y el mas famoso Castellano« (Madr. 1792) abgedruckte lateinische Spezialchronik »Gesta Roderici Campidocti«, die z. T. Sagenhaftes enthält. Noch mehr entstellt sind die den C. betreffenden Teile der auf Befehl Alfons' des Weisen verfaßten »Crónica general« und die von den Mönchen von Cardeña herausgegebene »Crónica particular del Cid« (Burgos 1512 u. ö.; am besten von Huber, Marb. 1844). Früher noch erschien ein Auszug aus dem den C. betreffenden Teil der »Crónica general« u. d. T.: »Crónica del Cid Ruy Diaz« (Sevilla 1498 u. ö.) und wurde Volksbuch. Von den neuern Historikern lieferten Monographien von des C. Leben und Taten: der Portugiese Jos. Pereyra Bayam (Lissab. 1731 u. 1751); die Spanier Risco (1792), Quintana (Madr. 1807), Malo de Molina (das. 1857); der Engländer Southey (Lond. 1808, hrsg. von Morley 1883); sowie Johannes v. Müller (1806, im 8. Band seiner Werke), die aber alle von der »Kritischen Geschichte des C.« von V. A. Huber (Brem. 1829) übertroffen wurden. Die neuesten und gründlichsten Forschungen über den historischen C. verdankt man Dozy in seinen »Recherches sur l'histoire politique et littéraire de l'Espagne pendant le moyen-âge« (Leiden 1849; 3. veränderte Aufl., das. 1881), neben dem noch Willemaers, »Le Cid. Son histoire, ses légendes, ses poétes« (Brüssel 1873) zu erwähnen ist.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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