- Affen
Affen (Simiae, Pitheci, hierzu Tafel »Affen I-VI«), fälschlich Vierhänder (Quadrumana) genannt, bilden mit dem Menschen die erste Ordnung der Säugetiere, die Primaten, und sind unter allen Tieren dem Menschen körperlich und geistig am ähnlichsten. Der Schädel erscheint tierischer durch die starke Ausbildung der Kiefer- und Muskelleisten, er ist in der Jugend menschenähnlicher, weil die Kiefer weit weniger als im Alter prävalieren; später beträgt der Gesichtswinkel bei den verschiedenen Arten 60,45 und nur 30°, gegenüber dem des Menschen von 80–85°. Die Nase geht ohne Absatz in die Lippe über und tritt nur bei Semnopithecus nasica beträchtlich aus dem Gesicht hervor. Die Zähne nähern sich denen des Menschen, doch findet sich niemals eine geschlossene Zahnreihe, vielmehr ragen die Eckzähne auch bei den höchsten A. stark hervor, und zwischen ihnen und den nächsten Zähnen ist stets eine derartige Lücke, daß beim Schluß der Kiefer die Eckzähne nicht auf-, sondern nebeneinander greifen. Die Augen stehen näher beieinander als beim Menschen; das mäßig große Ohr ist stets ohne Ohrläppchen. Wie der Daumen läßt sich zumeist auch die große Zehe den andern vier gegenüberstellen (Greiffuß). Die vordern Gliedmaßen sind oft länger als die hintern; letztere sind ebensowenig wie das Becken für den aufrechten Gang geeignet, da sie, wie auch die Muskulatur, zu schwach sind. Trotzdem erheben sich die A. gelegentlich zu aufrechter Stellung, müssen sich jedoch dabei stützen; ihr Gehen ist (auch bei den höhern A.) sehr unbehilflich. Die hauptsächlichste Ortsbewegung besteht im Klettern, das sie mit Hilfe ihres Greif- oder Wickelschwanzes vorzüglich ausgebildet haben. Der Körper ist bis auf einzelne Stellen des Gesichts, der innern Hand und des Gefäßes mit Haaren bedeckt; die haarlosen Stellen zeigen oft auffallende, rote oder blaue Färbung. Das Gehirn hat einfachere Windungen und ist auch relativ leichter als beim Menschen. Die Muskulatur ist bei vielen Arten äußerst kräftig. Die Spitzen der Finger und des Greifschwanzes sind mit sehr seinem Gefühl begabt. Auch der Geruchssinn ist gut ausgebildet. Die seelischen Eigenschaften der A., besonders ihr Talent zu geschickter Nachahmung, sind sehr entwickelt. Der »Sprache« der A. hat man in neuerer Zeit ein genaueres Studium gewidmet (Garner, Die Sprache der A., deutsch von Marshall, Leipz. 1900). – Die A. fressen vorzugsweise Früchte, auch Insekten; in der Gefangenschaft gewöhnen sie sich meist an die Speisen des Menschen. Sie bringen die Nahrung mit den Händen oder dem Greifschwanze zum Munde. Das Weibchen wirft in der Regel nur ein Junges und säugt es an den Zitzen der Brust. Unter den A. finden sich Monogamisten und Polygamisten; jene leben vereinzelt, diese bilden aus Familien bestehende Scharen, die das älteste Männchen anführt, zumeist leben sie auf Bäumen. Sie sind fast nur auf die heiße Zone beschränkt und überschreiten nirgends den Verbreitungskreis der Palmen; am nördlichsten wohnen die Makakos (Inuus ecaudatus) von Nordafrika und Gibraltar. In der Gefangenschaft sind die A. sehr hinfällig und gehen in nicht langer Zeit an Erkrankungen der Lunge und des Magens zu Grunde; im ganzen halten sich die der Alten Well besser als die der Neuen Welt.
Die lebenden A. (25 Gattungen mit über 230 Arten; wegen der fossilen s. unten) bringt man in 3–5 Familien unter.
1. Familie: Krallenaffen (Arctopitheci, Hapalidae). Niedliche Äffchen mit meist dichtem Wollpelz, langem, bebuschtem Schwanz und rundlichem Kopf, platter Nase mit seitlichen Nasenlöchern und vorstehenden, oft mit Haarpinseln geschmückten Ohren. Finger mit spitzen Krallennägeln, nur die große Zehe mit Plattnagel; Daumen den andern Fingern sehr wenig oder gar nicht entgegenstellbar. Meist wenig größer als ein Eichhörnchen; gesellig auf Bäumen von Früchten und Insekten lebend, zähmbar und eßbar. In den tropischen Wäldern Südamerikas. Nur Hapale mit über 30 Arten; hierher unter andern H. jacchus, Seidenaffe, H. leonina, Löwenäffchen, H. rosalia, Röteläffchen (Tafel V, Fig. 3).
2. Familie: Breitnasen, Plattnasen (Platyrrhini, Cebidae), mit breiter Nasenscheidewand und daher weit voneinander getrennten Nasenlöchern. Alle Finger mit Nägeln; Daumen nie vollkommen gegenstellbar, kann auch fehlen; der Schwanz ist gewöhnlich sehr lang, nur selten zum Greifen geeignet. Mehrere Arten haben am Zungenbein eine weite Knochenblase, die mit dem Kehlkopf in Verbindung steht und die Stimme verstärkt. Namentlich ist dies bei den Brüllaffen (s. d.) der Fall. Ausschließlich amerikanische A., daher auch A. der Neuen Welt genannt. Meist kleiner als die A. der Alten Welt, weniger wild und lebhaft, leichter zu zähmen. Die 10 Gattungen mit etwa 80 Arten bringt man in zwei oder mehrere Unterfamilien: a) mit schlaffem Schwanz (Pitheciina), hierher Brachyurus, Kurzschwanzaffe (Scharlachgesicht, B. calvus, Tafel V, Fig. 1), Pithecia, Schweifaffe (Satansaffe, P. satanas, Zottelaffe, P. hirsuta, Tafel VI, Fig. 3 u. 4), und Nyctipithecus, Nachtaffe (Mirikina, N. trivirgatus, Tafel VI, Fig. 5); b) mit Greif- oder Wickelschwanz (Cebina), hierher Ateles, Klammeraffe (Goldstirnaffe, A. Bartlettii, Tafel V, Fig. 4), Lagothrix, Wollaffe (grauer Wollaffe, L. Humboldtii, Tafel V, Fig. 2), Mycetes, Brüllaffe (M. niger, Tafel VI, Fig. 1), Cebus, Rollschwanzaffe (Kapuziner, C. capucinus, Tafel VI, Fig. 2), und das Totenköpfchen (Chrysothrix sciurea, Tafel V, Fig. 5).
3. Familie: Schmalnasen (Catarrhini), mit schmaler Nasenscheidewand und daher dicht nebeneinander stehenden Nasenlöchern. Dem Menschen am ähnlichsten; dies gilt auch für das Gebiß, das freilich noch mit starken Eckzähnen und schräg nach vorn gestellten Schneidezähnen versehen ist. Das Gesicht meist dünn behaart, jedoch an Lippen, Kinn und Backen Bärte bildend, zuweilen mit Backentaschen und Gesäßschwielen. Beine lang und dünn; die Füße meist vollständiger entwickelt als die Hände, an denen der Daumen zuweilen nur ein Stummel ist; Finger und Zehen sämtlich mit Nägeln. Schwanz nie ein Greif- oder Wickelschwanz, häufig kurz oder fehlend. Die Schmalnasen sind die A. der Alten Welt. In der Jugend und sie sehr gelehrig, im Alter sehr kräftig, verteidigen sie sich, indem sie Stöcke und Steine als Waffen benutzen. Drei Unterfamilien: a) Die Hundsaffen (Cynopithecina), zum Teil mit Hundegesichtern, d.h. mit hervorragender Schnauze, Backentaschen und Schwänzen, alle mit Gesäßschwielen. Sieben Gattungen mit fast 70 Arten; hierher unter andern Cynocephalus, Pavian (Hamadryas, C. hamadryas, Mandrill, C. mormon, und Dril, C. leucophaeus, Tafel IV, Fig. 1–3), Cercopithecus, Meerkatze (Mohrenaffe, C. fuliginosus, Tafel III, Fig. 4), und Macacus, Makako (Makak, M. cynomolgus, und Magot, Inuus ecaudatus, Tafel IV). b) Die Schlankaffen (Semnopithecina), mit langen Schwänzen und runden Gesichtern, ohne vorspringende Schnauze und Backentaschen. Nur zwei Gattungen (mit etwa 40 Arten), Colobus, Stummelaffe (Guereza, C. guereza, Tafel III, Fig. 3), und Semnopithecus, Schlankaffe (Hulman, S. entellus, Budeng, S. maurus, Tafel III, Fig. 1 u. 2). c) Die menschenähnlichen A. oder Anthropoiden (Simiina, Anthropomorpha), alle ohne Backentaschen und Schwanz, fast alle ohne Gesäßschwielen. Nur die 4 Gattungen (mit 12 Arten) Gorilla, Gorilla (Tafel II), Troglodytes, Schimpanse (Tafel I), Pithecus, Orang-Utan (Tafel I), und Hylobates, Gibbon (Lar, H. Lar, Tafel II).
Den letztern steht der fossile, von Dubois auf Java entdeckte, in mancher Hinsicht sehr menschenähnliche Pithecanthropus nahe. Reste anthropomorpher A. kennt man aus dem Tertiär, und ebenda finden sich auch Reste von A., die sich an die heute lebenden anschließen. Solche Funde sind sowohl in Europa als auch in Amerika und Asien gemacht worden, und ganz besonders wichtig sind die auf Madagaskar gefundenen fossilen A., die auf der einen Seite die echten A. mit den Halbaffen zu verbinden scheinen und auf der andern Seite geeignet sind, eine Brücke zwischen den A. der Alten und der Neuen Welt zu schlagen. In den Knochenhöhlen Brasiliens hat man neben Resten von Hapale, Mycetes, Cebus etc. auch eine ausgestorbene Art von bedeutender Größe, Protopithecus, gefunden. In der ältesten Tertiärzeit bewohnte ein Makako das südöstliche England und Frankreich, doch scheint er den indischen näher gestanden zu haben als den jetzt auf dem Felsen von Gibraltar hausenden. In der mittlern Tertiärzeit fanden sich menschenähnliche A. (Pliopithecus, Dryopithecus [s. Tafel »Tertiärformation III«], Troglodytes) in Ostindien, Süd- und Mitteleuropa. Vgl. Audebert, Histoire naturelle des singes (Par. 1800); Schlegel, Monographie des singes (Leid. 1876); Hartmann, Die menschenähnlichen A. (Leipz. 1883); Deniker. Recherches anatomiques et embryologiques für les singes anthropoïdes (Par. 1886); Broca, Mémoires für le cerveau de l'homme et des primates (das. 1888); Selenka, Studien über Entwickelung und Schädelbau der Menschenaffen (Wiesbad. 1898–1900,3 Hefte; Heft 4 von Walkhoff, 1902).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.