- Gewebe [2]
Gewebe (Zeuge, Stoffe) durch zwei sich kreuzende gesetzmäßig verschlungene Fadensysteme gebildete flächenartige Kunstprodukte. (Den Geweben werden nicht zugerechnet die Wirkwaren, die Bobbinets, Tülle oder Spitzengründe und die Netzwerke, Spitzen und ähnliche Arbeiten [s. die betr. Artikel].) Das in der Längenrichtung des Gewebes Fig. 1 verlaufende Fadensystem heißt Kette, Zettel, Werft, Schweif, Aufzug oder Anschweif und das darauf senkrecht nach der Breite des Gewebes verlaufende Schuß, Einschuß, Einschlag, Eintrag.
Die Kreuzungspunkte werden Bindungen genannt. Der Einschlag bildet einen ununterbrochenen Faden, der von den Rändern des Gewebes beständig zurückkehrt, wodurch die Kante (Egge, Leiste, Sahlleiste) entsteht, die das Ausfasern der Fäden an den Langseiten verhindert. Sämtliche G. lassen sich auf Grund der Bindungen nach folgenden Grundformen einteilen: 1) Glatte oder schlichte Stoffe, (Fig. 2), bei denen der Einschußfaden abwechselnd über und unter Einen Kettenfaden geht, so daß Kette und Schuß in zwei Hälften sich teilen, wovon je die eine Hälfte auf der einen, die andre auf der andern Seite zum Vorschein kommt. Zu diesen Geweben gehören die Leinwand, die meisten Baumwollzeuge, wie Kaliko, Nesseltuch, ferner Stramin, Seidentaft.
Die glatten G. sind die einfachsten, haben die meisten Bindungen und sind somit verhältnismäßig am festesten. Durch Zusammenweben von zwei Ketten erzeugt man die oft auf beiden Seiten verschieden gefärbten Doppelgewebe sowie auch hohle G., wie die Säcke ohne Naht, Schläuche und hohlen Lampendochte (Fig. 3). 2) Geköperte, gekieperte oder kroisierte Stoffe, deren Bindung eine solche ist, daß sowohl Schuß-als Kettenfäden zwischen den Bindungspunkten mehrere Fäden in regelmäßigen Wiederholungen überspringen.
Die zu einer Bindung gehörenden Fäden bestimmen die Stärke des Köpers, so daß man von drei-, vier-... zehnbindigem oder – fädigem Köper spricht, je nachdem die Fäden zwei, drei... neun Fäden überspringen (Fig. 4, 5, 6, 7).
Da sich bei dieser Gewebeart die Bindungen regelmäßig um einen Faden versetzen, so reihen sich die Bindungspunkte zu Linien aneinander, die schräg über das G. laufen, während die frei (flott) liegenden Fadenpartien zwischen diesen Linien Streifen bilden (Diagonal), die dem Köper das eigenartige Ansehen und eine weiche geschmeidige Beschaffenheit geben, die unter andern den Faltenwurf günstigt beeinflußt. Sind die Fäden in der Weise gebunden, daß sie die gleiche Zahl von Fäden über und unter sich lassen, so erscheinen die Streifen auf beiden Stoffseiten, daher beidrechter, zweiseitiger Köper (Fig. 6).
Werden die Bindungen zum Teil aus der Linie hinausgerückt, so entsteht der gebrochene oder versetzte Köper (Fig. 7); werden sie so verteilt oder zerstreut, daß sich die flott liegenden Fäden über die Bindungspunkte legen und diese dadurch dem Auge entziehen, so entsteht der besonders geschätzte Köper Atlas oder Satin (Fig. 8).
3) Gemusterte, façonnierte oder dessinierte Stoffe. Kette und Schuß werden derart geschlungen, daß auf dem G. bestimmt begrenzte Flächen entstehen, die sich als Muster, Figur oder Dessin vom G. abheben, und zwar oft nur durch Begrenzung dieser Flächen durch Bindungslinien (Fig. 9), die aber zugleich verschiedene Gewebearten (Köper, Atlas etc.) aus verschiedenem Material (gefärbtem Garn, Gold- und Silberdraht, Seide etc.) umschließen und damit einen großen Wechsel hervorbringen können.
Hierher gehören z. B. die Zeuge mit Streifen (Marseilles) oder Quadraten (karierter Damast); sodann die Stoffe mit Quadraten oder Rechtecken von verschiedener Größe (Fig. 10; Servietten, Tischtücher etc.) nebst dem eigentlichen oder geblümten Damast von Leinen, Baumwolle, Wolle, Seide, Goldstoff (Brokat) sowie zahlreichen Bändern. Große Abwechselung in farbigen Figuren erhält man durch Zusammenweben von zwei oder drei Ketten von verschiedenen Farben und Stoffen, wobei bald die eine, bald die andre in bestimmt begrenzten Figuren an die Oberfläche des Gewebes tritt.
Dahin gehören verschiedene Teppiche, die Pikee- und Doppelstoffe etc. Eine andre Art gemusterter G. (Fig. 11) entsteht dadurch, daß man in schlicht oder mit Köper- und Satinbildung gewebte Stoffe (Grundgewebe) andre Fäden (Figurfäden von andrer Farbe, Feinheit oder anderm Material, z. B. Gold, Silber etc.) einwebt, also die Figur für sich erzeugt, die dann auf dem G. liegt, z. B. bei Stoffen mit Blumen für Damenkleider sowie bei den gewöhnlichen weißen Fenstergardinen mit scheinbar darauf genähten Mustern. Sind diese Figuren durch Einschlag entstanden, so nennt man die Stoffe broschiert, wenn die Einschlagfäden sich nicht über den Umfang der Figur hinaus erstrecken, lanciert (überschossen) dagegen, wenn die figurmachenden Fäden über die ganze Breite des Zeuges hinlaufen, aber dabei außerhalb der Figur auf der verkehrten Seite des Zeuges entweder ganz flott liegen (z. B. bei Umschlagtüchern), oder an einzelnen Punkten durch die Kette gebunden, oder um die Figur herum abgeschnitten sind.
Werden die Figuren aus gefärbten, zwischen der Kette liegenden besondern Kettenfäden (Figurkette) gemacht, dann nennt man sie ausgelegte oder ausgeschweifte Muster.
4) Samtartige G. Diese besitzen (Fig. 12) eine eigentümliche haarartige Decke, gewöhnlich auf einer, manchmal auf beiden Seiten des Gewebes. Die Haardecke (Pol, Flor) entsteht durch kurze Faserenden, die aus dem eigentlichen Stoff (Grund) hervorragen. Die Pole werden beim Weben entweder mit einer besondern Kette (Polkette) oder mit einem besondern Schuß (Polschuß) gebildet durch Erzeugung von Noppen mittels Samtnadeln n n oder kurzen, reihenweise angeordneten Schlingen, die man entweder als solche stehen läßt (Bastardsamt, ungeschnittener Samt) oder aufschneidet, so daß sich Spitzen ausrichten (geschnittener Samt). Je nach der Länge des Flors unterscheidet man Samt, Plüsch und Felbel und zum Felbel gehörend die künstlichen Felle (Astrachan etc.). Aus Baumwolle fertigt man den Manchester- oder Baumwollsamt, aus Wollgarn den Möbelsamt. Einige Sorten wollener Teppiche zeigen auf der Oberfläche Noppen (türkische, New Doorniksche, Brüsseler), andre (englische, Patent) Flor. Fig. 12 zeigt den Schnitt durch ein Samtgewebe mit glattem Grund und Polschuß 1, 3, 5, 7 mit eingelegten Nadeln n n, ungeschnitten, bei g geschnitten und bei h als Haardecke. 5) Stoffe mit gekreuzter Kette (Gaze, gazeartige Stoffe, Fig. 13) entstehen dadurch, daß je zwei Nachbarfäden der Kette sich abwechselnd von links nach rechts übereinander legen und die Schußfäden zwischen diesen Kreuzungsstellen festhalten.
Die zwischen den Ketten- und Schußfäden gebildeten viereckigen Öffnungen sind genau gleich groß, und deshalb dienen diese G. unter anderm zu Sieben in der Müllerei (Beutelgaze, Beuteltuch).
Die sämtlichen Gewebegrundarten lassen sich beliebig in einem G. miteinander vereinigen unter gleichzeitiger Benutzung verschiedener Materialien und verschieden gefärbter sowie verschieden dicker (Rips) Fäden, daher die unendliche Mannigfaltigkeit der G.
Zur Prüfung der Festigkeit der G., die in der Richtung der Kettenfäden eine andre ist als in der Richtung des Schusses, schneidet man appreturfreie Streifen aus beiden Richtungen, 35 mm breit und 250 mm lang, und zupft an beiden Längsseiten in einer Breite von 5 mm die Fäden aus, so daß 25 mm breite volle Streifen stehen bleiben. Ein solcher Streifen wird in eine Festigkeitsmaschine eingespannt, die zugleich die Ausdehnung bis zum Zerreißen angibt. Die folgende Tabelle gibt einige Anhaltspunkte zur Beurteilung der Resultate. Die Appretur wird durch halbstündiges Auskochen in Wasser oder bei vegetabilischen Fasern durch Kochen mit 5 proz. Sodalauge, bei tierischen mit 3proz. Salzsäure entfernt.
Der Gewebeprüfer (Histometer) zur Prüfung der G. auf ihre Haltbarkeit durch Zug, Biegen, Abreibung (wie sie beim Gebrauch der Abnutzung unterworfen sind), der die G. unter gleichzeitiger Spannung und Abreibung über Walzen bewegte, ist nicht mehr in Gebrauch. Die Dichtigkeit (Schwere) der G. wird bedingt durch die Dicke (Nummer) und die Zahl der Fäden. Die Garnnummer erhält man durch Abziehen des Garnes aus dem appreturfreien G. und Abwägen einer bestimmten Länge (5, besser 10 m). Zum Abzählen der Fäden dient ein Weberglas (Fadenzähler) aus einer kleinen Messingplatte mit quadratischem Loch von 10 mm Seite, dessen Seiten abgeschrägt sind und über der ein Vergrößerungsglas sitzt, durch das man nach Aufsetzen des Apparates auf das Gewebe die Fäden leicht zählen kann. Um zu ermitteln, wie stark das G. einlaufen wird, übergießt man einen Längs- und Querstreifen von 0,5 m Länge und 30 mm Breite mit heißem Wasser, läßt ihn eine Nacht im Wasser liegen und dann im ungespannten Zustand bei gelinder Wärme trocknen. Gegen die in das G. gebrachten Appreturmassen und mineralischen Beimengungen ist nichts einzuwenden, solange sie nur zur Verschönerung des Ansehens und nicht zur Täuschung und Gewichtsvermehrung dienen. Baumwollgewebe z. B. enthalten im appretierten Zustand gewöhnlich 78 Proz. Fasern, 7,5 Proz. Feuchtigkeit, 7 Proz. Stärke und 7,5 Proz. mineralische Zusätze. Weniger als 78 Proz. Fasern darf das G. nicht enthalten. Leinengewebe sollen, wenn es nicht ausdrücklich verlangt wird, ohne jede Appreturmasse oder nur mit Stärke ohne mineralischen Zusatz so appretiert sein, daß 2–5 Proz. durch das Auskochen verloren gehen. G. aus Streichgarn sind ohne Appreturmasse, aber wegen der großen Neigung der Wolle, Wasser anzuziehen, gewöhnlich durch Feuchtigkeit beschwert; auch werden tuchartige Stoffe und Garne mit Stärkezucker, Dextrin, Glyzerin, Chlormagnesium etc. imprägniert und mit Scherflocken eingewalkt. Bei Kammwollstoffen gehört bisweilen Tränken mit Gummi-, Hausenblasen- oder Gelatinelösung zur Appretur. Bei Seide beträgt der in der Regel durch Beschwerungsstoffe ersetzte Verlust durch die Entschälung 12,5 Proz., es kommt aber Beschwerung bis zu 150 Proz. vor und häufig mit giftigen, im höchsten Grade nachteiligen Bleisalzen. Zur Ermittelung der Fasern dient in erster Linie das Mikroskop. Vegetabilische und tierische Fasern unterscheidet man durch Verbrennen (bei appretierten Stoffen, nachdem man sie 15 Minuten mit 5proz. Salzsäure gekocht, gut ausgewaschen und getrocknet hat). Pflanzenfasern brennen flott, tierische blähen sich dabei auf, bilden schwer verbrennliche Kohle und entwickeln Geruch nach verbranntem Horn. Zur Untersuchung gemischter G. legt man dieselben 15 Minuten in 3proz. Salzsäure, kocht auf, wäscht aus und trocknet. Von der Baumwolle löst sich hierbei die Farbe fast in allen Fällen, von der Wolle schwierig und von Seide sehr unvollständig. Eine derartig vorbereitete Probe wird 1–2 Minuten in eine siedende basische Chlorzinklösung, bereitet aus 100 Teilen Chlorzink, 85 Teilen Wasser und 4 Teilen Zinkoxyd, eingetaucht, dann mit angesäuertem, zuletzt mit reinem Wasser gewaschen, getrocknet und gewogen. Der Gewichtsverlust ergibt den Gehalt des Gewebes an Seide. Die Probe wird dann 15 Minuten in Natronlauge vom spez. Gew. 1,02 auf 100° erhitzt, gut ausgewaschen und getrocknet; der jetzt sich ergebende Gewichtsverlust rührt von Wolle her. Um vegetabilische Fasern von animalischen zu trennen, kocht man das G. 30–40 Minuten unter Ersatz des verdampfenden Wassers in einer Lösung von 1 Teil Kochsalz in 1 Teil Salzsäure und 5 Teilen Wasser, wodurch die Pflanzenfasern zerstört werden, so daß man sie durch Reiben in Wasser beseitigen kann. Über Nachweisung von Baumwolle in Leinwand s. d. Vgl. Herzfeld, Technische Prüfung der Garne und G. (Wien 1896); weitere Literatur s. Weben.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.