- Eiszeit
Eiszeit ist ein Abschnitt der ältern Diluvialzeit, in den die größte Verbreitung der Gletscher fällt. Während man früher annahm, daß in den ältesten Perioden herab bis etwa zur Kreidezeit überhaupt keine klimatischen Unterschiede existierten und während der Kreideperiode und dem Tertiär höhere Mitteltemperaturen herrschten als jetzt, läßt sich zeigen, daß viele Orte während der ältern Diluvialzeit eine niedrigere Mitteltemperatur hatten als heutzutage. Die Kenntnis der Merkmale der E. rührt von der Schweiz her. Das großartige, den Alpen entstammende Material von erratischen Blöcken, das im W. das Land zwischen Alpen und Jura bis hoch hinauf an den Abhängen, im N. die Vorschweiz und die Gegenden nördlich des Bodensees bedeckt, wurde zuerst auf Transport durch Wasserfluten zurückgeführt, ja selbst auf Rechnung lokaler Eruptionstätigkeit gesetzt, bald aber und jetzt allgemein als Produkt einer sehr bedeutenden Gletschertätigkeit aufgefaßt, deren Entwickelung in die Periode der E. fällt. Die Schweizer Geologen unterscheiden in dem alpinen Glazialgebiete mehrere große Diluvialgletscher. Der größte, der Rhonegletscher, kam aus dem Wallis; er verbreitete sich über den Genfer See bis an den Jura, erfüllte das ganze Haupttal des Wallis mit seinen zahlreichen Nebentälern und reichte um mehrere tausend Fuß über die jetzige Talsohle hinauf, wie die polierten Felswände mit Gletscherschliffen und -Schrammen und Blockwälle (Moränen, Glazialschotter) zeigen. Kleiner waren der Aargletscher, der die Täler des Berner Oberlandes bis 650 m über die jetzige Talsohle füllte, der Reußgletscher, der seine Zuflüsse aus den Tälern des Kantons Uri erhielt, der Linthgletscher, der einen großen Teil des Kantons Zürich überzog, und der Gletscher des Rheintals, der sein Material aus Graubünden bezog, den Bodensee und seine Umgebungen bedeckte und bis nach dem Hegau und der Donau hinausreichte. Im S. der Alpen drang ein großer Gletscher aus dem Tessin in die lombardische Ebene vor und erfüllte das Becken des Lago Maggiore; ein zweiter kam vom Splügen und Bergell, bildete, mit dem Gletscher des Veltlin sich vereinigend, eine Brücke über den Comersee und rückte seine Endmoräne bis in die Gegend von Monza vor. Auch über den Gardasee reichte ein Gletscher und wurden Schuttmassen geschoben, die jetzt bis über Peschiera hinaus das Land bedecken. – Das Studium dieser Verhältnisse in der Schweiz bot den Schlüssel zum Verständnis ähnlicher Erscheinungen an andern Orten. Fremdes (»erratisches«), aus N. stammendes Material bedeckt die norddeutsche Tiefebene; dieses, glaubte man, sei durch Eisberge, die sich von den südlicher als heute reichenden, in das Meer mündenden skandinavischen Gletschern abgetrennt hätten, unter dem Einfluß nordsüdlicher Strömungen nach S. geschafft worden. Diese sogen. Drifttheorie ist jetzt ziemlich allgemein aufgegeben; man nimmt für den Norden Europas eine gewaltige, von Skandinavien ausgehende Vergletscherung während der altern Diluvialperiode an. Die Südgrenze des skandinavischen Eises und somit des nordeuropäischen Glazialgebietes verlief von den Rheinmündungen an den Gehängen des Rheinisch-westfälischen Schiefergebirges, Harzes, Thüringer Waldes, Erz- und Riesengebirges entlang bis zum Nordabhang der Karpathen östlich von Krakau (s. Norddeutsches Tiefland). In Zentralrußland verbreitete sich der skandinavische Gletscher, dessen Mächtigkeit in den zentralen Teilen Norwegens u. Schwedens mindestens 1700 m betrug, bis Kiew am Dnjepr und Nishnij Nowgorod an der Wolga. Aus der an verschiedenen Orten Norddeutschlands beobachteten Wechsellagerung mehrerer Grundmoränen mit Kiesen und Sanden, die Meeres- oder Süßwasserkonchylien, auch Knochen von Säugetieren und Pflanzenreste enthalten, geht hervor, daß das Inlandeis sehr beträchtliche Oszillationen zeigte und eine wiederholte Vergletscherung des nördlichen Europa unterschieden werden muß, unterbrochen durch sogen. Interglazialperioden, Zeiten des Abschmelzens, des zeitweiligen Gletscherrückganges. So muß man für das norddeutsche Tiefland drei Perioden der Vereisung, getrennt durch zwei Interglazialperioden, annehmen, während anderseits in Rußland nur eine Grundmoräne beobachtet und deshalb für dort nur eine einmalige Vereisung angenommen wird.
Die Spuren und Ablagerungen, die das skandinavische Inlandeis auf dem zur E. von ihm bedeckten Gebiete zurückgelassen hat, sind folgende: 1) Gletscherschliffe und -Schrammen (auch Rundhöcker, s. d.) auf dem anstehenden Felsen des Untergrundes, sehr zahlreich in Skandinavien, in Finnland, Estland und Livland, aber auch im norddeutschen Tiefland; mehrfach sind zwei verschiedene Schrammensysteme beobachtet, so bei Rüdersdorf bei Berlin, Velpke, Gommern und Landsberg, woraus man auf wiederholte Eisbedeckung mit verschiedener Bewegungsrichtung schließen darf. Auf der Höhe der Insel Bornholm und mehrorts in Schonen werden die Schrammen der ältern Richtung nicht von denjenigen der jüngern gekreuzt, die Felsen ragten also, wie heute die höchsten Berge auf Grönland, als Nunatakers aus dem Eismantel der spätern E. heraus. 2) Grundmoränen, lokal bis 200 m mächtige Ablagerungen eines rauhen, gelbbraunen bis dunkelgrauen Lehms oder Mergels (Blocklehm, Geschiebemergel), der zahlreiche Mineralsplitter und wirr eingelagerte größere und kleinere Geschiebe (oft gekritzt und geschrammt) enthält und das Zermalmungsprodukt der verschiedenartigsten Gesteine von nordischer Herkunft (wie Granit, Syenit, Rappakiwi, Diabas, Porphyr, Gneis, Hälleflinta, Quarzit, silurische Kalksteine etc.) darstellt (s. Diluvium). Auch größere und kleinere Fragmente des Untergrundes sind mit dem weiterher stammenden Moränenmaterial verbunden und, wie z. B. die Kreidestücke und Feuersteine der deutschen und dänischen Küste, oft weithin fortgeführt. Zuweilen hat sich das Grundmoränenmaterial zu länglichen, rückenförmigen Anhäufungen parallel der Bewegungsrichtung des Eises geordnet (sogen. Drumlins). 3) Strudellöcher (Gletschermühlen, Gletschertöpfe, Riesentöpfe) im Untergrunde der Grundmoräne finden sich außer in Schweden und Norwegen auch bei Rüdersdorf, in Oberschlesien, bei Wapno, Ülzen etc. und als sogen. Pfuhle oder Sölle, kreisrunde, trichter- oder schüsselförmige, mit Wasser oder Torf ausgefüllte Strudellöcher, im Blocklehm selbst recht verbreitet auf Rügen und im Gebiete des baltischen Höhenrückens.
Beim Rückzug und Abschmelzen des Inlandeises bildeten sich aus dem im Eis eingeschlossen gewesenem nordischen Material auf der Grundmoräne oder an deren Stelle geschiebeführende Sande und Grande mit eingestreuten Blöcken; sie sind oft reich an Geschieben von eigentümlich pyramider Gestalt (sogen. Kantengeschieben, Dreikantner) u. bilden ausgedehnte Decken (daher die Bezeichnung Geschiebedecksand, Decksand, aber auch Geschiebesand,
Rullsteensand) auf den Hochflächen von Schonen, Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern etc. oder unregelmäßig aneinandergereihte, von erratischen Blöcken überstreute Hügel, zwischen denen abflußlose Weiher und Moore eingesenkt sind, also typische Moränenlandschaften, wie sie für Ostpreußen, Pommern und Mecklenburg so bezeichnend sind. Endmoränen in langen Zügen entstanden vornehmlich in den Stillstandsperioden beim Rückzuge des Inlandeises (s. Norddeutsches Tiefland); es sind langgestreckte, aus Sand und Geschiebelehm zusammengesetzte wallartige Bildungen, die sich parallel dem Rande des abschmelzenden Eises hinziehen. Ihnen reihen sich an die sogen. Kames, regellos angeordnete Hügel und kurze Rücken, durch tal- und wannenförmige Einsenkungen voneinander getrennt, und gebildet aus horizontal geschichteten Sanden und groben Granden; sie finden sich besonders in Schottland da, wo vergletschert gewesene Gebirgstäler in das flache Land ausmünden, sind aber auch im Glazialgebiet Nordamerikas häufig und in Norddeutschland in der Lüneburger Heide (bei Ülzen, Dannenberg etc.). Jedenfalls sind die Kames in einer Abschmelzzone des Inlandeises entstanden, doch so, daß, wie die starke Abrollung und Schichtung ihres Materials andeutet, strömende Wasser bei ihrer Bildung mitgewirkt haben. Sie gehören demnach in gewisser Weise zu den sogen. fluvioglazialen Absätzen, d.h. den Ton-, Sand-, Grand- und Geröllbildungen, die unter Vermittelung der Gletscherschmelzwasser aus den Moränen (Geschiebemergel) ausgeschlämmt und im Vorlande des Eises, z. T. mit abgeschwemmtem Material von Tertiärschichten zusammen, abgelagert worden sind. Derartige Gebilde nehmen in hervorragender Weise teil an der Zusammensetzung des nordeuropäischen Glazialgebietes. Zu ihnen gehören auch die Åsar, scharf hervortretende Sand- oder Grandrücken, die sich im Randgebiete des Eises in subglazialen Kanälen bildeten und deshalb eine Längsausdehnung haben, die der Bewegungsrichtung des Eises entspricht. – Weniger groß als das nordeuropäische sind das britische Glazialgebiet, das von den Gebirgen Englands, Schottlands u. Irlands seinen Ausgang nahm und fünf verschiedene Vergletscherungen (richtiger periodische Vorstöße und Rückzüge des Inlandeises) besaß, das uralo-timanische Glazialgebiet, das sich um den nördlichen Teil des Urals und das Timangebirge ausbreitete, sowie die Glazialgebiete, die an den Kaukasus, die Hohe Tatra und Südkarpathen, das Riesengebirge, Erzgebirge, den Schwarzwald, die Vogesen, den Jura, das französische Zentralplateau, die Pyrenäen, Abruzzen, das Bosnisch-Montenegrinische Hochgebirge etc. sich anschlossen. – Dagegen ist das nordamerikanische Glazialgebiet von ganz außerordentlich großer Ausdehnung, doppelt so groß wie das nordeuropäische, mit dem es sonst in seinen Bildungen große Ähnlichkeit besitzt. Großartige Endmoränen finden sich in dem Gebiet südlich von den großen Seen, besonders am Erie- und Michigansee. Die Dicke der diluvialen Eisdecke Nordamerikas zwischen St. Laurence und der Hudsonbai wird auf 3200 m geschätzt (etwa ähnlich der des grönländischen Eises). – Eine Übersicht der hauptsächlichsten frühern und heutigen Gletschergebiete der Erde (nach Penck) geben die obenstehenden Polarkärtchen.
Spuren einer E. sind nach der Ansicht vieler Geologen auch schon in weit ältern geologischen Epochen vorhanden. So sind im Karbon Indiens und Australiens, auch in Afghanistan, am Kilimandscharo in Ostafrika, in Südafrika (Eccaschichten) und Brasilien Konglomerate beobachtet worden, die sich als große und kleine, z. T. geschliffene und geschrammte Blöcke der verschiedensten Gesteine, eingebettet in eine feinsandige oder tonige Grundmasse, darstellen und dadurch ganz den Habitus einer Grundmoräne besitzen. Im Silur und Devon Schottlands treten ähnliche Bildungen auf, die mit Eiswirkungen in Zusammenhang gebracht werden.
Weit gehen die Ansichten auseinander über die letzten Ursachen der E. Die ältesten Hypothesen knüpften an die lokalen Verhältnisse an, von deren Untersuchung die Kenntnis der Erscheinung selbst ausgegangen war: an die Alpen, und zwar nahm Charpentier an, daß die allmähliche Verringerung der Höhe der Alpen durch die Erosion genüge, um auch eine Verringerung der Gletschertätigkeit zu erklären. Der weitern Ausdehnung der Untersuchung glazialer Vorkommnisse entsprechend, beziehen sich später aufgestellte Hypothesen nicht auf die Alpen allein, sondern auf ganz Europa. Manche nehmen an, daß der Golfstrom während der Diluvialzeit einen andern Weg, weiter von Europa entfernt, genommen habe als jetzt und sahen darin eine Ursache für die Herabdrückung der mittlern Temperatur Europas während der E. Nach andern (Lyell) wich während der Diluvialperiode die Verteilung von Land und Wasser von der heutigen wesentlich ab, indem damals die nördliche, nicht wie jetzt die südliche Halbkugel die wasserreichere Hälfte der Erde war. Wie nun heute die südliche Halbkugel Gletscher, selbst bis zum Meer herabsteigend, noch unter Breiten besitzt, unter denen auf der nördlichen Hemisphäre die untere Gletschergrenze eine sehr bedeutende Meereshöhe zeigt (s. Gletscher), so traten in der Diluvialzeit ähnliche Verhältnisse für die nördliche Halbkugel ein. Man hat ferner die größere Abkühlung während der E. mit einer geringern Wärmeausstrahlung der Sonne (zahlreichern Sonnenflecken) in Verbindung gebracht oder mit einer Verminderung der Durchlässigkeit der Atmosphäre für die Sonnenstrahlung, bedingt teils durch eine größere Luftfeuchtigkeit, teils durch in der Atmosphäre aufgespeicherte staubartige vulkanische Massen; die Eiszeiten sollten also Folgeerscheinungen der in gewissen Perioden gesteigerten vulkanischen Tätigkeit sein. Auch in einer periodenweise raschern oder langsamern Bewegung der Sonne selbst, deren Umlaufszeit auf 22–28 Mill. Jahre geschätzt wird, hat man die Ursache verschiedener, periodenweise sich wiederholender Eiszeiten suchen wollen (Fischer)-es würden dann, da die Zeit seit Erstarrung der Erdkruste nach Thomson etwa 90–100 Mill. Jahre beträgt, im ganzen vier Eiszeiten (die diluviale, die karbonische, eine silurische und eine laurentische) angenommen werden müssen. Die meisten Vertreter hat eine Hypothese gefunden (Croll, Howorth, Belt, Pilar, Wallace, Penck, Becker, allerdings mit sehr wesentlichen Abweichungen im nähern Ausbau der Hypothese), welche die periodischen Schwankungen in der Exzentrizität der Erdbahn und in der Schiefe der Ekliptik, z. T. auch die säkulare Veränderlichkeit der Rotationsgeschwindigkeit der Erde, als Erklärung herbeizieht. Während jetzt die Sonne länger nördlich vom Äquator steht als südlich, kehren sich die Verhältnisse im Lauf der Zeiten um, die Klimate und die Meeresströmungen ändern sich, und die jetzt auf ein Minimum reduzierte Gletschertätigkeit auf der nördlichen Halbkugel wird wieder eine intensivere. Die Richtigkeit jener Hypothese vorausgesetzt, würde die diluviale E. nur als die letzte E. der nördlichen Halbkugel aufzufassen sein, der in ältern geologischen Perioden regelmäßige Eiszeiten vorausgegangen wären. Von Forel und Heim ist versucht worden, das absolute Alter der E., d.h. die Zahl der Jahre nach dem Ablauf der quartären E., zu bestimmen. Ersterer berechnete die Schlammassen, die nach dem Zurücktreten des diluvialen Rhonegletschers und nach Bildung des Rhoneflusses in dem Becken des Genfer Sees zur Ablagerung gekommen sind, und verglich sie mit den Massen, die jetzt jährlich die Rhone diesem Becken zuführt; so fand er 12,000 Jahre. Heim rechnete bei Betrachtung einer andern seit der E. zum Absatz gelangten Schuttmasse 16,000 Jahre aus. Die Dauer der diluvialen E. selbst schätzt Warren Upham in Nordamerika auf 10,000, höchstens 20,000 Jahre. Vgl. Adhémar, Révolutions de la mer (3. Aufl., Par. 1874); Croll, Climate and time in their geological relations (Lond. 1875); Geikie, The great ice-age and its relation to the antiquity of man (2. Aufl., das. 1876); Kjerulf, Die E. (Berl. 1878); Penck, Die E. in den Pyrenäen (Leipz. 1885); Hann, Handbuch der Klimatologie (2. Aufl., Stuttg. 1897, 3 Bde.); Hildebrandt, Untersuchungen über die Eiszeiten der Erde (Berl. 1901); Fischer, Eiszeittheorie (Heidelb. 1902), sowie die Artikel »Diluvium« und »Gletscher.«
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.