- Kindbettfieber
Kindbettfieber (Puerperalfieber, Febris puerperalis), eine fieberhafte Erkrankung der Wöchnerin, die ihre Ursache in einer von den Geschlechtsteilen ausgehenden Wundinfektion hat. Sie kommt dadurch zustande, daß Ansteckungsstoffe in Form von pathogenen Mikroorganismen (Staphylococcus pyogenes aureus, S. p. puerperalis, Gonococcus Neisser, Bacterium coli, Bacillus diphtheriae, Diplococcus pneumoniae u. a.) an die Wundfläche des Geburtskanals gelangen, von hier aus längs den Blut- und Lymphbahnen in das lebende Gewebe eindringen und sich hier massenhaft vermehren. Ihre Einwirkung auf den Körper ist eine doppelte. Neben der unmittelbaren Schädigung der Gewebe durch die eingedrungenen Bakterien selbst erfährt der Organismus schwere Störungen durch Aufnahme ihrer giftigen Stoffwechselprodukte ins Blut. In der übergroßen Mehrzahl der Fälle wird der Infektionsstoff von außen der Geburtswunde zugeführt. Der untersuchende Finger und die bei der Geburt Verwendung findenden Instrumente sind als die häufigsten Überträger des Infektionsstoffes auf die Geburtswunde anzusehen. Gewöhnlich erfolgt die Infektion von den frischen Einrissen an den Muttermundsrändern aus; seltener sind die Innenfläche der Gebärmutter, die Scheide oder die äußern Geschlechtsteile die Eingangspforte für das Wundgift. Die meisten Infektionen geschehen unter der Geburt. In der Schwangerschaft können sie nur zustande kommen, wenn eine Verletzung der Geschlechtsteile besteht oder geschaffen wird. Auch im Wochenbett ist eine frische Infektion selten, wenn unnötige Manipulationen an den Geschlechtsteilen vermieden werden. – Die Kenntnis von der Ursache und dem Wesen des Puerperalfiebers ist noch verhältnismäßig jung. Noch um die Mitte des 19. Jahrh. war die Zahl der Wöchnerinnen, die am K. starben, sehr groß. In den Entbindungsanstalten kamen ganze Epidemien von K. vor. Da wies Semmelweis darauf hin, daß die schweren, meist tödlich verlaufenden Wochenbettserkrankungen durch Infektion-mit Leichengift hervorgerufen würden, indem die Ärzte unmittelbar nach ihrer Beschäftigung an Leichen Untersuchungen an Gebärenden vornähmen. Allmählich erweiterte er seine Lehre dahin, daß das K. durch Resorption eines zersetzten, tierisch-organischen Stoffes entstände, der meist von außen in die Geschlechtsteile eingebracht würde. Auch empfahl er bereits Waschungen der Hände mit Chlorwasser zur Abtötung des infektiösen Stoffes. Aber erst die Errungenschaften der modernen Bakteriologie haben der geburtshilflichen Antisepsis eine sichere wissenschaftliche Grundlage geschaffen.
Der Verlauf des Kindbettfiebers ist je nach der Schwere der Infektion sehr verschieden. In leichten Fällen besteht nur ein mehrtägiges Resorptionsfieber, das sich in mäßigen Grenzen hält, ohne daß lokale Symptome in die Erscheinung treten. In andern Fällen bildet sich an der Eintrittspforte des Wundgiftes ein Geschwür mit graugelbem Belag und verdickten Rändern (Puerperalgeschwür), das einen beträchtlichen Umfang annehmen kann. Sehr häufig ist die Erkrankung der Innenfläche der Gebärmutter (Endometritis puerperalis), die sich durch hohes Fieber, Druckempfindlichkeit der Gebärmutter und faulige Zersetzung des Wochenflusses kenntlich macht. Gelangt der Infektionsstoff von der infizierten Wunde direkt in das Beckenbindegewebe, so bildet sich eine Phlegmone des Beckenbindegewebes aus (Parametritis exsudativa), die in der Nähe des Halsteils der Gebärmutter beginnt und sich von hier aus nach den verschiedensten Richtungen im Bindegewebe ausbreiten kann. Kleinere Ergüsse können zur Resorption kommen, größere pflegen zu vereitern und ihren Inhalt nach außen oder in benachbarte Organe zu entleeren. Doch nicht immer handelt es sich beim K. um lokalisierte Erkrankungsprozesse; bei den schwersten Formen der Wundinfektion wird vielmehr der gesamte Organismus in Mitleidenschaft gezogen. Die Allgemeininfektion des Körpers kann auf zwei verschiedenen Wegen zustande kommen. Entweder gelangen die Giftstoffe in die Lymphbahnen und teilen sich auf diese Weise dem Organismus mit (lymphatische Form, Septichämie); dann werden in der Regel auch das Bauchfell und andre seröse Häute (Rippenfell, Herzbeutel) davon ergriffen und eine allgemeine Bauchfellentzündung (Peritonitis) pflegt zum tödlichen Ausgang zuführen. Oder die Infektionskeime dringen in venöse Gefäße ein, bewirken eiterigen Zerfall von Thromben der Uterus- und Beckenvenen und führen durch Einschwemmung der infektiösen Zerfallsprodukte in die Blutbahn zu Embolien in den verschiedensten Organen des Körpers (phlebothrombotische Form, Metrophlebitis, Pyämie). So verschieden demnach die Erscheinungsformen sind, unter denen das K. auftritt, so ist ein Symptom doch allen Fällen gemeinsam, das Fieber. Und da unter normalen Verhältnissen das Wochenbett völlig fieberfrei verläuft, so wird jede Temperatursteigerung im Wochenbett den Verdacht der Wundinfektion erwecken und es angezeigt erscheinen lassen, möglichst bald ärztlichen Rat einzuholen.
Die Behandlung des Kindbettfiebers zerfällt in eine lokale und allgemeine. Überall, wo es sich um lokalisierte Krankheitsprozesse handelt, wird man durch eine energische örtliche Behandlung der weitern Ausbreitung des Krankheitsherdes Einhalt zu tun suchen. So werden Puerperalgeschwüre durch Ätzen zerstört; bei fauliger Zersetzung des Wochenflusses werden Ausspülungen der Scheide und der Gebärmutter mit desinfizierenden Flüssigkeiten (z. B. 1–2proz. Lysollösung) vorgenommen, entzündliche Zustände erfordern antiphlogistische Maßnahmen (Eisblase, hydropathische Einwickelungen), bei Eiteransammlung ist für Eröffnung und Entleerung des Eiterherdes rechtzeitig Sorge zu tragen. Daneben ist es Aufgabe der Allgemeinbehandlung, die Widerstandskraft des erkrankten Körpers im Kampfe gegen die Infektionsstoffe nach Möglichkeit zu erhöhen. Dazu gehört in erster Linie eine reichliche Nahrungszufuhr, und die Darreichung von Mitteln, welche die Herztätigkeit günstig zu beeinflussen imstande sind (Wein). Zur Belebung der Respiration und Zirkulation sind laue Vollbäder zuweilen ein wirksames Mittel. Bei drohendem Kollaps kommt Kampfer, Äther etc. zur Anwendung. In den Fällen von intensivster Vergiftung des Körpers erweist sich jede Therapie als machtlos. Rascher Verfall der Kräfte und Herzschwäche führen in kurzer Frist zum Tode. Vgl. auch Pyämie und Septichämie.
So hoffnungslos die Bekämpfung der schweren Formen des Kindbettfiebers ist, so große Erfolge erzielen geeignete Vorbeugungsmaßregeln zur Verhütung desselben. Denn da es feststeht, daß die Krankheit durch Verunreinigung der Geburtswunde mit Infektionsstoffen zustande kommt, so wird sich das K. in allen Fällen vermeiden lassen, wo es gelingt, derartige ansteckende Keime von der Gebärenden fernzuhalten. Hierzu sind besondere Vorsichtsmaßregeln erforderlich. Das Gebärzimmer muß allen Anforderungen der Hygiene entsprechen, es soll vor allen Dingen hell, lustig und staubfrei sein, das Bett und die zum Gebrauch dienende Wäsche und Gerätschaften müssen sich in sauberstem Zustande befinden. Ferner müssen die Hände des Untersuchenden und die zur Anwendung gelangenden Instrumente, bevor sie mit der Gebärenden in Berührung kommen, aseptisch, d. h. keimfrei gemacht werden. Zu diesem Zweck sind die Instrumente auszukochen, die Hände mit antiseptischen, d. h. keimtötenden Lösungen (z. B. Sublimat, Karbolsäure, Lysol, Alkohol) vorschriftsmäßig zu reinigen. Auch auf die äußern Geschlechtsteile der Gebärenden hat sich die Desinfektion zu erstrecken. Niemals darf eine Hebamme eine Geburt übernehmen, wenn sie eine am K. erkrankte Wöchnerin in ihrer Obhut hat, da die Gefahr der Übertragung des Ansteckungsstoffes auf die Gebärende außerordentlich groß ist. Je strenger die Regeln der geburtshilflichen Antiseptik gehandhabt werden, desto sicherer wird der Entstehung des Kindbettfiebers vorgebeugt. Seit der Einführung der antiseptischen Prophylaxis ist die Zahl der puerperalen Erkrankungen im Wochenbette beträchtlich zurückgegangen, und Todesfälle an K. in den Geburtsanstalten gehören mehr und mehr zu den Seltenheiten. Vgl. Semmelweis, Ätiologie, Begriff und Prophylaxis des Kindbettfiebers (Wien 1861); Spiegelberg, Über das Wesen des Puerperalfiebers (Leipz. 1870); Heiberg, Die puerperalen und pyämischen Prozesse (das. 1873); Brennecke, Praktische Regeln zur Sicherung eines gesundheitsgemäßen Wochenbettverlaufs (Magdeb. 1883); Credé, Gesunde und kranke Wöchnerinnen (Leipz. 1886); Fehling, Physiologie und Pathologie des Wochenbettes (2. Aufl., Stuttg. 1897); Ehlers, Die Sterblichkeit im Kindbett in Berlin und in Preußen (das. 1900).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.