Invaliditätsversicherung

Invaliditätsversicherung

Invaliditätsversicherung, Versicherung für den Fall dauernder Arbeitsunfähigkeit infolge von eingetretenen Unfällen, Siechtum oder Altersschwäche, bei der sich Dritte verpflichten, dem Versicherten gegen Zahlung von Prämien im Fall der Invalidität eine bestimmte Summe (Kapitalversicherung) oder eine lebenslängliche Rente zu entrichten. Die Prämienhöhe müßte nach Alter und Gesundheitszustand des Beitretenden, nach dem Grade der Gefährdung durch die Beschäftigung etc. bemessen werden. Diese Art der Versicherung ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Es fehlt nicht allein an statistischem Material, um die Prämiensätze richtig abstufen zu können, sondern es würde auch solches nur schwer anwendbar sein, sobald die verschiedensten Berufszweige und Örtlichkeiten zur Versicherung zugelassen werden sollen. Dazu kommt, daß auch der Zeitpunkt, zu welchem die Invalidität eintritt, nicht leicht zu bestimmen ist, zumal wenn keine genügende Kontrolle ausgeübt werden kann und gar bei Persönlichkeiten, die ein Urteil abgeben könnten (Gemeindevorstand, Fabrikant etc.), die Neigung vorhanden ist, Lasten möglichst von sich selbst fern zu halten. Aus diesen Gründen war auch die I. in Deutschland bis zur Neuzeit, in andern Ländern ist sie auch jetzt noch wenig entwickelt. Die Invalidenversorgung blieb im wesentlichen auf solche Fälle beschränkt, in denen gegenseitige Kontrolle durch die Interessenten die Durchführung erleichterte und korporativer Geist oder bestimmte Festsetzung von strenger Ausgleichung nach Leistung und Gegenleistung abzusehen gestatteten, ferner wenn das Arbeitsverhältnis der zu versichernden Personen ein dauerndes war. Dementsprechend finden wir denn auch (abgesehen von der Pensionierung von Beamten), daß die I., meist im Zusammenhang mit andern Gemeinschaften stehend, entweder auf größere Fabriken und Bergwerke in den Fabrik- und Knappschaftskassen (s. d.) beschränkt ist, in welchem Falle der Arbeitgeber die Kasse durch Beiträge zu unterstützen und sich dafür auch gewisse Rechte bezüglich der Verwaltung vorzubehalten pflegt, oder daß zu Gewerkvereinen (s. d.) verbundene Arbeiter sie in ihre Hand nehmen. Beiträge für Invalidenkassen werden am besten in kleinen Raten, wöchentlich, monatlich oder überhaupt jeweilig zur Zeit der Lohnzahlung, entrichtet, die Unterstützungen besser in Form einer lebenslänglichen Rente als einer Kapitalabfindung gewährt, wenn auch letztere in besondern Fällen persönlich erwünschter sein kann. Im Interesse der Sache liegt es, die Wartezeit (s. unten) möglichst abzukürzen. Beruht die I. auf genossenschaftlicher Grundlage, so kann schon eine schärfere Kontrolle bei Feststellung der Invalidität und bei der Unterscheidung zwischen Ganz- und Halbinvaliden ausgeübt werden, d. h. zwischen solchen, die vollständig erwerbsunfähig sind, und solchen, die noch durch leichtere Arbeiten etwas verdienen können.

Nachdem die Unfallversicherung (s. d.), die einen Teil der I. bildet, für das Deutsche Reich gesetzlich geregelt und bereits in der kaiserlichen Botschaft vom 17. Nov. 1881 auf die Notwendigkeit hingewiesen worden war, auch denjenigen, die durch Alter und Invalidität erwerbsunfähig geworden seien, ein höheres Maß staatlicher Fürsorge zuteil werden zu lassen, wurden von der Reichsregierung 17. Nov. 1887 die »Grundzüge« zu einer Alters- und Invalidenversicherung für die deutschen Arbeiter zu dem Zweck veröffentlicht, eine Besprechung derselben in den weitesten Kreisen zu veranlassen. Darauf erschien 22. Juni 1889 das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung (dazu ein Ergänzungsgesetz vom 8. Juni 1891), das für eine große Anzahl von Personen den Versicherungszwang einführte. Durch die Novelle vom 13. Juli 1899 bedeutsam abgeändert, wurde das Gesetz 19. Juli 1899 neu publiziert.

Der Versicherungspflicht sind unterworfen vom vollendeten 16. Lebensjahr ab: 1) Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge oder Dienstboten, die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden; 2) Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker sowie Handlungsgehilfen und -Lehrlinge (ausschließlich der in Apotheken beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge), sonstige Angestellte, deren dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, sowie Lehrer und Erzieher, sämtlich sofern ihr regelmäßiger Jahreslohn oder -Gehalt 2000 Mk. nicht übersteigt; 3) die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen der Schiffsbesatzung deutscher Seefahrzeuge und von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt (Schiffsführer nur, wenn ihr Jahresgehalt oder -Lohn 2000 Mk. nicht übersteigt). Durch Bundesratsbeschluß kann die Versicherungspflicht auch auf Betriebsunternehmer, die nicht regelmäßig wenigstens einen Lohnarbeiter beschäftigen, sowie auf solche selbständige Gewerbtreibende erstreckt werden, die in eignen Betriebsstätten im Auftrag und für Rechnung andrer Gewerbtreibender beschäftigt werden (Hausgewerbtreibende). Die genannten Betriebsunternehmer sind, wenn kein für sie bindender Beschluß gefaßt wird, zur freiwilligen Selbstversicherung berechtigt, sofern sie noch nicht 40 Jahre alt und nicht invalid sind. Zur freiwilligen Versicherung sind auch berechtigt Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker, Handlungsgehilfen, sonstige Angestellte, Lehrer, Erzieher, Schiffsführer mit einem Einkommen über 2000, aber unter 3000 Mk. Der Versicherungspflicht sind nicht unterworfen solche Personen, denen als Entgelt für ihre Beschäftigung nur freier Unterhalt gewährt wird, ferner Beamte des Reiches und der Bundesstaaten und der Kommunalverbände, sowie Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, solange sie lediglich zur Ausbildung für ihren künftigen Beruf beschäftigt werden, oder sofern ihnen eine Anwartschaft auf Pension im Mindestbetrag der Invalidenrente nach den Sätzen der ersten Lohnklasse gewährleistet ist, ferner nicht Personen, die Unterricht gegen Entgelt erteilen, sofern dies während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für ihren zukünftigen Lebensberuf geschieht, sowie Personen des Soldatenstandes, die dienstlich als Arbeiter beschäftigt sind, endlich solche Personen, die nicht mehr imstande sind, ein Drittel des nach Maßgabe des Krankenversicherungsgesetzes festgesetzten Tagelohns zu verdienen, oder die auf Grund des Reichsgesetzes eine Invalidenrente beziehen. Versicherungspflichtige Personen, die in Betrieben des Reiches, eines Bundesstaats oder eines Kommunalverbandes beschäftigt sind, genügen der gesetzlichen Versicherungspflicht durch Beteiligung an einer für den betreffenden Betrieb bestehenden oder zu errichtenden besondern Kasseneinrichtung, durch die ihnen eine den reichsgesetzlich vorgesehenen Leistungen gleichwertige Fürsorge gesichert ist. Den vom Bundesrat anerkannten Kasseneinrichtungen dieser Art wird der Reichszuschuß gewährt. Andre solche Kassen können nur als Zuschußkassen die gesetzliche Fürsorge ergänzen. Endlich nennt das Gesetz in § 6 Personengruppen, die auf ihren Antrag durch die untere Verwaltungsbehörde von der Versicherungspflicht befreit werden können.

Gegenstand der Versicherung ist der Anspruch auf Gewährung einer Rente für den Fall der Erwerbsunfähigkeit oder des Alters. Invalidenrente erhält ohne Rücksicht auf das Lebensalter derjenige Versicherte, der dauernd erwerbsunfähig ist, dann auch derjenige, der während 26 Wochen ununterbrochen erwerbsunfähig gewesen ist, für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit, doch steht ein Anspruch denjenigen nicht zu, die erweislich die Erwerbsunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt haben; haben sie sich dieselbe bei Begehung eines durch strafgerichtliches Urteil festgestellten Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens zugezogen, so kann die Gewährung der Rente ganz oder teilweise versagt werden; in Fällen der letztern Art kann die Rente nur der in Deutschland wohnenden bedürftigen Familie überwiesen werden. Erwerbsunfähigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Versicherte wegen körperlichen oder geistigen Leidens nicht mehr durch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufs zugemutet werden kann, ein Drittel desjenigen zu erwerben vermag, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Bei schwerer Erkrankung von Versicherten, die das Entstehen eines Rentenanspruches befürchten läßt, hat die Versicherungsanstalt das Recht, zur Abwendung dieses Nachteils ein Heilverfahren in dem ihr geeignet erscheinenden Umfang eintreten zu lassen; während desselben ist an die Angehörigen eine Unterstützung zu leisten. Altersrente erhält, ohne daß es des Nachweises der Erwerbsunfähigkeit bedarf, derjenige Versicherte, der das 70. Lebensjahr vollendet hat. In Gemeinden, in denen land- und forstwirtschaftliche Arbeiter nach Herkommen ihren Lohn ganz oder zum Teil in Naturalleistungen erhalten, kann auch die Rente bis zu zwei Dritteln in dieser Form gewährt werden. Solchen Personen, denen wegen gewohnheitsmäßiger Trunksucht geistige Getränke in öffentlichen Schankstätten nicht verabfolgt werden dürfen, sind nur Naturalleistungen zu gewähren. Ist der Berechtigte ein Ausländer, so kann er, falls er seinen Wohnsitz im Deutschen Reich ausgibt, mit dem dreifachen Betrag der Jahresrente abgefunden werden. An Stelle der Rente kann auf Antrag die Aufnahme in ein Invalidenhaus oder eine ähnliche Anstalt gewährt werden. Ist der Empfänger der Rente nicht mehr als dauernd erwerbsunfähig zu betrachten, so kann die bewilligte Rente wieder entzogen werden. Die Rente kann mit rechtlicher Wirkung weder verpfändet, noch übertragen, noch (mit gewissen Ausnahmen) gepfändet werden. Sie ruht, solange der Berechtigte eine Freiheitsstrafe von über einen Monat verbüßt, in einem Arbeitshaus oder einer Besserungsanstalt untergebracht ist (hier ist die Rente der im Inlande wohnenden Familie, deren Unterhalt der Betreffende aus seinem Arbeitsverdienste bestritt, zu überweisen), eine Unfallrente, bez. Pension oder Wartegeld bezieht, soweit diese Bezüge einschließlich der zugesprochenen Invaliden- oder Altersrente den 71/2fachen Betrag der Invalidenrente übersteigen, sowie ferner, solange der Berechtigte nicht im Inlande seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Ausnahmen von letzterm Punkte kann der Bundesrat bestimmen). Weibliche Personen, die sich verheiraten, ehe sie in den Genuß einer Rente gelangten, können die Hälfte der für sie geleisteten Beiträge zurückverlangen, sofern letztere wenigstens für 200 Wochen entrichtet wurden. Einen gleichen Anspruch (auf Erstattung) haben Witwen und Waisen unter 15 Jahren männlicher Personen, die, nachdem sie wenigstens 200 Wochen lang Beiträge gezahlt haben, sterben, ehe sie eine Rente erhielten. Das gleiche gilt zugunsten von vaterlosen Kindern unter 15 Jahren weiblicher Arbeiter sowie von Kindern unter 15 Jahren, wenn der Ehemann sich von der ehelichen Gemeinschaft fern gehalten hat, und des Witwers, wenn die Ehefrau die Ernährerin war. Die Anwartschaft der Versicherten erlischt, wenn während zweier Jahre ein die Versicherungspflicht begründendes Arbeits- oder Dienstverhältnis, auf Grund dessen Beiträge entrichtet sind, oder die Weiterversicherung nicht oder in weniger als 20 Beitragswochen bestanden hat. (Bei der Selbstversicherung müssen zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft in dieser Frist mindestens 40 Beiträge entrichtet werden.) Doch lebt die Anwartschaft durch Wiedereintritt in eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder durch freiwillige Beitragsleistung wieder auf, wenn darauf eine Wartezeit von 200 Beitragswochen zurückgelegt ist. Zur Erlangung eines Rentenanspruches ist außer dem Nachweis der Erwerbsunfähigkeit, bez. des gesetzlich vorgesehenen Alters erforderlich die Leistung von Beiträgen sowie die Zurücklegung der vorgeschriebenen Wartezeit, die beträgt bei der Invalidenrente, wenn mindestens 100 Beiträge auf Grund der Versicherungspflicht geleistet worden sind, 200 Beitragswochen, sonst 500 Beitragswochen, bei der Altersrente 1200 Beitragswochen. Die Beitragswochen brauchen nicht unmittelbar auseinander zu folgen. (S. jedoch oben über Erlöschen der Anwartschaft.) Zeiten einer mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krankheit und militärischer Dienstleistungen in Friedens- und Kriegszeiten werden in diesen Zeitraum eingerechnet, ohne daß Beiträge für dieselben zu entrichten sind. Doch darf die Krankheit nicht vorsätzlich oder bei Begehung eines durch strafgerichtliches Urteil festgestellten Verbrechens, durch schuldhafte Beteiligung bei Schlägereien oder Raufhändeln, durch Trunkfälligkeit zugezogen sein. Bei Krankheiten, die über ein Jahr dauern, kommt die über diese Zeit hinausreichende Dauer der Krankheit als Beitragszeit nicht in Betracht. Die für die freiwillige Versicherung geleisteten Beiträge kommen auf die Wartezeit für die Invalidenrente nur dann zur Anrechnung, wenn mindestens 100 Beiträge auf Grund eines die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Selbstversicherung begründenden Verhältnisses geleistet worden sind. Unzulässig ist die nachträgliche Errichtung von Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach Ablauf von zwei Jahren; auch dürfen freiwillige Beiträge und Beiträge einer höhern als der maßgebenden Lohnklasse für eine länger als ein Jahr zurückliegende Zeit nachträglich oder für die fernere Dauer der Erwerbsunfähigkeit nicht entrichtet werden. (Invaliditätsversicherungsgesetz, § 146.) Für jede Woche darf nur ein Beitrag geleistet werden.

Die Mittel zur Gewährung von Renten werden vom Reich in Form eines Zuschusses von 50 Mk. für jede Rente jährlich (wozu noch Ersatz für die wegen militärischer Dienstleistungen auf die Wartezeit nicht in Anrechnung gebrachten Beitragswochen kommt), dann von den Arbeitgebern und von den Versicherten durch laufende Beiträge zu je gleichen Teilen aufgebracht. Die Beiträge entrichtet der Arbeitgeber, der berechtigt ist, die Hälfte derselben bei der Lohnzahlung in Abzug zu bringen. Hierbei hat er sich der Marken zu bedienen, welche die Versicherungsanstalten für die verschiedenen Lohnklassen ihrer Bezirke mit Bezeichnung ihres Geldwertes ausgeben, indem er einen entsprechenden Betrag von Marken in die Quittungskarte des Versicherten einklebt. Jede Quittungskarte bietet Raum zur Aufnahme der Marken für mindestens 52 Beitragswochen. Die Eintragung eines Urteils über die Führung oder die Leistungen des Inhabers sowie sonstige durch das Gesetz nicht vorgesehene Eintragungen oder Vermerke in oder an der Quittungskarte sind unzulässig. Quittungskarten, in denen derartige Vermerke oder Eintragungen sich vorfinden, sind von jeder Behörde, der sie zugehen, einzubehalten und durch neue zu ersetzen. Dem Arbeitgeber sowie Dritten ist untersagt, die Quittungskarte nach Einklebung der Marken wider den Willen des Inhabers zurückzubehalten. Ist die Karte voll beklebt, so ist sie umzutauschen, jedenfalls vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ausstellungstage; der Berechtigte erhält dann eine Bescheinigung über die Zahl der Beitragswochen und eine neue Karte; die alte wird der Versicherungsanstalt zur Aufbewahrung übersandt; diese darf übrigens auch besondere Sammelkarten (Konten) anlegen und die einzelnen Karten vernichten. Es kann übrigens auch angeordnet werden, daß die Krankenkassen oder die Gemeindebehörden oder eigene Hebestellen die Beiträge einziehen und das Bekleben der Karten besorgen.

Die Höhe dieser Beiträge ist so zu bemessen, daß durch dieselben gedeckt werden die Verwaltungskosten, die Rücklagen zur Bildung eines Reservefonds, die durch Erstattung von Beiträgen voraussichtlich entstehenden Aufwendungen sowie der Kapitalwert der von der Versicherungsanstalt aufzubringenden Anteile an denjenigen Renten, die in dem betreffenden Zeitraum voraussichtlich zu bewilligen sein werden. Man hat so das Kapitaldeckungsverfahren mit dem Umlageverfahren verbunden, um bei möglichst geringen Schwankungen der Beiträge größte Sicherheit der Leistungen und tunlichste Beschränkung der Kapitalansammlung zu erzielen. Die Höhe der wöchentlichen Beiträge ist für die Beitragsperiode bis 31. Dez. 1910 in jeder Anstalt für die Lohnklasse I: 14, II: 20, III: 24, IV: 30 und V: 36 Pf. Später sind die Beiträge für weitere zehn Jahre vom Bundesrat festzusetzen. Personen, die aus dem Versicherungsverhältnis ausscheiden (z. B. durch Eintritt in den Stand der selbständigen Betriebsunternehmer), sind berechtigt, dasselbe freiwillig fortzusetzen, bez. zu erneuern, ebenso Personen, die freiwillig in die Versicherung eingetreten sind, beim Ausscheiden aus dem die Berechtigung der Selbstversicherung begründenden Verhältnis.

Zum Zweck der Bemessung der Beiträge und Renten werden nach der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes Lohnklassen der Versicherten gebildet und zwar Klasse I bis 350; II: 350–550; III: 550–850; IV: 850–1150; V: über 1150 Mk. Die Renten werden für Kalenderjahre berechnet und in monatlichen Teilbeträgen im voraus gezahlt.

Bei Berechnung des von der Versicherungsanstalt aufzubringenden Teiles der Invalidenrente werden einem Grundbetrag die der Zahl der Beitragswochen entsprechenden Steigerungssätze hinzugerechnet. Der Grundbetrag beträgt für Lohnklasse I: 60, für Klasse II: 70, für Klasse III: 80, für Klasse IV: 90, für Klasse V: 100 Mk. Hat ein Versicherter in mehreren Lohnklassen Beiträge geleistet, so findet eine Durchschnittsrechnung statt. Zu diesem Grundbetrag treten außer dem feststehenden Reichszuschuß von 50 Mk. zu jeder Rente die der Zahl der Beitragswochen entsprechenden Steigerungssätze. Dieselben betragen für jede Woche je nach den Lohnklassen 3, 6, 8, 10, 12 Pf. Eine Höchstgrenze der Invalidenrente ist nicht normiert. Der von den Versicherungsanstalten aufzubringende Teil der Altersrente beträgt, je nach den Lohnklassen, 60, 90, 120, 150, 180 Mk. Kommen Beiträge in verschiedenen Lohnklassen in Betracht, so wird der Durchschnitt der diesen Beiträgen entsprechenden Altersrente gewährt. Sind mehr als 1200 Beitragswochen, d. h. die Wartezeit, nachgewiesen, so tritt keine Steigerung ein, wie bei der Invalidenrente, aber es sollen dann die 1200 Beiträge der höchsten Lohnklasse der Berechnung zugrunde gelegt werden. Hierzu tritt dann der feste Reichszuschuß von 50 Mk. Die Altersrente fällt fort, wenn der Berechtigte Invalidenrente bezieht.

Die Invaliditäts- und Altersversicherung erfolgt durch Versicherungsanstalten, die mit dem Rechte der juristischen Persönlichkeit nach Bestimmung der Landesregierungen mit Genehmigung des Bundesrats für weitere Kommunalverbände ihres Gebiets oder für das Gebiet eines oder mehrerer Bundesstaaten oder eines Teiles eines Bundesstaates errichtet werden. (Eine Ausnahme von der territorialen Gliederung ist für die Seeleute offen gelassen. Invaliditätsversicherungsgesetz, § 11–13.) Dieselben haften für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem ganzen Vermögen, bei Unvermögensfall tritt der Kommunalverband, bez. der Staat für sie ein. Mehrere Anstalten können sich vereinbaren, die Lasten ganz oder zum Teil gemeinsam zu tragen. In der Versicherungsanstalt sind alle diejenigen Personen versichert, deren Beschäftigungsort im Bezirk der Versicherungsanstalt liegt. (Vgl. jedoch Invaliditätsversicherungsgesetz, § 65, Absatz 3.) Die Versicherungsanstalt wird durch einen Vorstand verwaltet, soweit nicht einzelne Angelegenheiten durch Gesetz oder Statut dem Ausschuß oder andern Organen übertragen sind. Der Vorstand besteht aus einem oder mehreren Beamten des weitern Kommunalverbandes, bez. Bundesstaates; außerdem können ihm nach dem Statut noch Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten angehören. Für jede Anstalt wird ein Ausschuß gebildet, der aus einer gleichen Anzahl (mindestens fünf) Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten besteht und etwa die Rechte einer Generalversammlung besitzt. Als lokale Organe fungieren die untern Verwaltungsbehörden, bez. die ausdrücklich bezeichneten Gemeindebehörden. Sie nehmen insbes. die Anträge auf Renten entgegen und begutachten sie. Es sind ihnen je vier Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten durch Wahl beizugeben. An ihrer Stelle können eigne Rentenstellen errichtet werden (Invaliditätsversicherungsgesetz, § 79 ff.).

Für den Bezirk jeder Anstalt wird mindestens ein Schiedsgericht bestellt, das aus einem Vorsitzenden und mindestens vier Beisitzern besteht. Letztere werden von dem Ausschuß und zwar zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und den Versicherten gewählt. Ansprüche auf Renten sind bei der untern zuständigen Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle anzumelden. Die Entscheidung erfolgt durch die Versicherungsanstalt, an die zuletzt Beiträge entrichtet wurden. Hiergegen findet Berufung an das Schiedsgericht statt, gegen dessen Entscheidung Revision beim Reichsversicherungsamt (s. d.) zugelassen ist. Ist die Rente anerkannt und festgestellt, so erfolgt ihre Auszahlung auf Anweisung des Vorstandes vorschußweise durch die Postverwaltung, und zwar in der Regel durch die Postanstalt des Wohnsitzes des Berechtigten. Ferner ist der Rechnungsstelle des Reichsversicherungsamtes Mitteilung zu machen, das die Renten auf das Reich, das Gemeinvermögen und das Sondervermögen der beteiligten Versicherungsanstalten verteilt. Die Versicherungsanstalten unterliegen in bezug auf Befolgung des Gesetzes der Beaufsichtigung durch das Reichsversicherungsamt. In denjenigen Bundesstaaten, in denen Landesversicherungsämter errichtet sind, übt das Landesversicherungsamt die Aussicht über solche Versicherungsanstalten aus, die sich nicht über das Gebiet des Bundesstaates hinaus erstrecken.

Im ganzen bestehen 31 Versicherungsanstalten und 9 besondere Kasseneinrichtungen. Vom 1. Jan. 1891 bis Ende 1903 waren nach dem »Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich« (Berl. 1904) Ansprüche anerkannt auf Invalidenrente 1,029,872, Altersrente 415,284, Krankenrente 32,258. Im J. 1903 wurden gezahlt 126,2 Mill. Mk., und zwar 94,5 Mill. Invalidenrente, 22 Mill. Altersrente, 2,8 Mill. Krankenrente und 7,4 Mill. Mk. Beitragserstattungen. Der Vermögensbestand aller Versicherungsanstalten betrug 1902: 1,007,477,531 Mk. Der Reichszuschuß stellte sich 1901 auf 33,870,735 Mk. Er wird etwa sein im 45. Versicherungsjahr 45 und im 80. Versicherungsjahr 69 Mill. Mk. (von da ab für den jetzigen Bevölkerungsstand gleichbleibend).

Kommentare zum Gesetz schrieben: Bosse u. v. Woedtke (3. Aufl., Leipz. 1891; Nachtrag 1893), Bebel u. Singer, v. Borries, Eger, Freund, Fuld, Gebhard, Geibel, Hahn, Hallbauer, Henning, Just, Kulemann, Landmann u. Rasp (für Bayern), Latour (Schiedsgerichtsverfahren, Berl. 1891), Pfafferoth, Rumpelt (für Sachsen), Schicker (für Württemberg), Schneider (für Landwirte), Stenglein, Trutzer, Zeller u. a. Für das Gesetz in der neuen Fassung vgl. die Kommentare von Gebhard und Jüttmann (Altenburg 1901), v. Woedtke (9. Aufl., Berl. 1902), Weymann (das. 1902), Hoffmann (3. Aufl., das. 1904), Biesenberger (Stuttg. 1900, auch für Württemberg), Elle (Eisenach 1901, für die thüringischen Staaten), Menzen (Paderb. 1902), Isenbart u. Spielhagen (2. Aufl., Berl. 1903). Vgl. außerdem Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd. 2: Invaliden- und Altersversicherung (Berl. 1904); v. List, Das neue Invalidenversicherungsrecht (das. 1900); Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 3, S. 312ff. (4. Aufl., Tübing. 1901); Laß u. Zahn, Einrichtung und Wirkung der deutschen Arbeiterversicherung (Berl. 1900); Keiner, Die Entwickelung der deutschen Invalidenversicherung (Münch. 1904); populäre Darstellung von Hitze (Berl. 1901), Kamp (für Fortbildungs- und Volksschulen, 7. Aufl., Hamm 1902), Freund (Berl. 1899), Wengler (Leipz. 1900), Rothholz (Berl. 1900). Über die freiwillige Versicherung nach dem Invaliditätsversicherungsgesetz vgl. die kleinern Schriften von Passarge (Königsb. 1903); Römer (6. Aufl., Berl. 1904); Beckmann u. Niebour, Tafeln zur Ermittelung der Invaliden- und Altersrenten (das. 1890); Friedrich, Mathematische Theorie der reichsgesetzlichen Invaliditäts- und Altersversicherung (Leipz. 1895). Zeitschriften: »Die Arbeiterversorgung« (Berlin), »Die Invaliditäts- und Altersversicherung im Deutschen Reich« (Mainz) Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes bringen die »Entscheidungen in Angelegenheiten der Invaliditäts- und Altersversicherung«. Eine Sammlung dieser Entscheidungen gab Keidel heraus (2. Aufl., Münch. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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