- Englische Sprache
Englische Sprache. Zur Zeit Cäsars, als Britannien in das Licht der Geschichte trat, war es von Kelten bewohnt, deren Sprache in zwei Stämme zerfällt: das Irisch-Gälische, das heute noch in Irland, auf der Insel Man und in den schottischen Hochlanden erklingt, und das Kymrisch-Britannische. das durch die germanische Einwanderung allmählich auf das heutige Wales beschränkt wurde, in Cornwall erst im 18. Jahrh. ausstarb, durch Flüchtlinge auch in die Bretagne verpflanzt wurde und dort als Mundart noch zu hören ist. Als die Römer das Land bis hinauf nach Edinburg in Besitz nahmen, gründeten sie Städte mit den Namen -coln (colonia) oder -chester (castra), vielleicht sogar mit lateinischer Umgangssprache. Aber britische und römische Sprache wurden fast in gleicher Weise ausgetilgt (vgl. Kluges »Abriß der englischen Sprachgeschichte«) in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, Bd. 1 (2. Aufl., Straßb. 1901), als seit 428 drei niederdeutsche Stämme einrückten, die Angeln, Sachsen und Jüten; denn es war nicht eine Unterjochung, sondern meist eine Austilgung der frühern Bewohner Englands, die zwischen Feuer und Schwert zu wählen hatten. Ihre Dialekte, am nächsten dem friesischen verwandt, sind im Volksmunde bis auf den heutigen Tag auseinander zu halten: der anglische in den mittlern und nördlichen Grafschaften bis hinauf nach Edinburg; der sächsische in den Gegenden an der Themse und südlich von ihr; der jütische in Kent. Die Grammatik ist stets ihrem niederdeutschen Charakter treu geblieben, obwohl aus andern Sprachen (Latein, Skandinavisch, Normannisch) eine außerordentliche Menge von Lehnwörtern aufgenommen wurde; kaum daß sich einige Flexionsformen aus dem Dänischen, einige syntaktische Konstruktionen aus dem Lateinischen, einige Schriftzeichen aus dem Französischen eindrängten. Das Englische ist nur in lexikalischer Hinsicht eine Mischsprache, ungefähr wie es das Kanzleideutsch des 17. Jahrh. auch war. Um diese Kontinuität auszudrücken, nennt man jetzt die älteste Periode (bis ca. 1100) statt Angelsächsisch lieber Altenglisch.
Die zweite Periode, das Mittelenglische, hebt sich besonders dadurch ab, daß die englische Gemeinsprache sächsischer Herkunft, in der im 10. und 11. Jahrh. fast überall geschrieben wurde, durch die normannischen Gesetzgeber und Geistlichen nicht mehr gepflegt wurde, daher ausstarb und überall wieder der Mundart des gemeinen Mannes Platz machte. In dieser waren die Flexionen in einem Zustande der Verwirrung, der Uniformierung und z. T. des Abfalls, der in konsequenter Weiterentwickelung dem heutigen Englisch fast den Charakter einer agglutinierenden Sprache verliehen hat. Der Infinitiv z. B. hieß im Altenglischen singan, im Mittelenglischen des Südens singen oder singe, in dem des Nordens meistens schon sing. Die Mehrzahl wurde altenglisch in verschiedener Weise gebildet: weall – weallas, word – word, dor – doru, mete – mete, hand – handa, tunge – tungan, man – men; diese Bildungen begannen sich schon vor der Normannenzeit auf das heutige walls, words, doors, meats, hands, tongues zu vereinen, und nur die Umlautform men fristete ihr separates Dasein. Eine weitere Haupteigentümlichkeit des Mittelenglischen besteht in der massenhaften Aufnahme fremder Wörter. Früher hatte nur das lateinische Lexikon durch die Kirche und die Schule eingewirkt. Seit dem 11. Jahrh. aber, wo ja dänische Könige in London herrschten, brachten zunächst die nordischen Kolonisten ihre Ausdrücke vielfach zur Geltung, z. B. statt niman (nehmen) taka, statt singende (singend) singand, statt hira (ihrer) theirra (neuengl. their). Noch ergiebiger war dann seit dem 13. Jahrh. der normannische Einfluß, so daß z. B. Chaucer ungefähr 40 Proz. normannische Wörter enthält. Die Abschleifung der alten Flexionen hatte ihrem Eindringen vorgearbeitet. Fremdwörter wurden flektiert wie die nächstverwandten heimischer Art; selbst Ablautbildungen wurden ihnen oktroyiert, z. B. estriver = strive, strove, striven. Der romanische Akzent auf der letzten Silbe wich langsam dem germanischen auf der ersten Silbe; z. B. mountain konnte bis ins 15. Jahrh. auf der ersten oder zweiten Silbe betont werden, und dann erst zeigen Schreibungen, wie mountan, mounten, daß sich die zweite in heutiger Art verflüchtigte Dieser Prozeß ist noch in diesem Jahrhundert im Gange; von alten Leuten, in der Provinz oder in Amerika kann man charácter, theátre hören, während die gebildete Durchschnittsaussprache von London cháracter, théatre ist. Das Normannische war die Sprache der Regierung und gewann daher, als es nach der politischen Abzweigung der Normandie einen starren Schriftcharakter angenommen hatte, vorherrschende Verwendung in den Urkunden bis ins 15. Jahrh.; es war die Sprache der obern Kirchenbehörden bis zur Zeit des Thomas Becket (gest. 1170), der Gerichtshöfe bis 1362, der Schulen bis um 1385, des Hofes bis zur Zeit Chaucers und des Parlaments bis ins 15. Jahrh. Es lieferte vorwiegend Ausdrücke für wissenschaftliche und staatsmännische Dinge, für Titel, Würden, Künste, Abstraktionen, während die Benennungsweise im gewöhnlichen Leben, in der Kinderstube und Werkstätte, in Dorf und Feld, auf dem Schiff und in der Gemütserregung streng germanisch blieben. Selbst wenn für einen Begriff zwei Wörter vorhanden sind, hat das germanische einen andern Klang als das romanische, einen heimlichern, volkstümlichern, poetischern, z. B. freedom gegenüber liberty, begin gegenüber commence. Ochse, Kalb, Schwein heißen germanisch bull, calf, pig, aber ihr Fleisch, wenn zubereitet, romanisch beef, veal, pork. Die Zusammenstellung des Lexikons ist daher ungemein verschieden, je nach der Art eines Schriftstellers oder seines Stoffes; Volksballaden und Shakespeare sind sehr reich an germanischen Wörtern, Milton verhältnismäßig arm; bei einem reflektierenden Autor wie Macaulay und Gibbon steigt die Zahl der französischen Wörter auf 50, ja 70 Proz. Es gibt tausend seine Nuancen der Bedeutung, die es dem Ausländer schwer machen, das in grammatischer Hinsicht so leichte Englisch gut zu schreiben, während anderseits dem Englischen die zahlreichen Vorsilben und subjektiven Partikeln des Deutschen knapp zugemessen sind. Namentlich aber brauchen die edlen Poesiewörter nicht durch den geschäftsmäßigen Alltagsgebrauch abgenutzt zu werden, wodurch sich wohl die Beliebtheit der Verslektüre in England erklärt.
Die neuenglische Periode wurde dadurch eingeleitet, daß sich unter dem Einfluß des großen höfischen Dichters Chaucer, der Oxforder Schulkreise, aus denen z. B. der Bibelübersetzer Wiclif hervorging, und des Londoner Parlaments- und Geschäftslebens eine neue Schriftsprache entwickelte, die bei dem ersten Buchdrucker, Caxton (seit 1477), greifbare Gestalt annahm. Die Dialekte verschwanden jetzt zugunsten dieser wesentlich ostmittelländischen Gemeinsprache. Freilich dauerten die Schwankungen der Aussprache und Schreibung noch lange fort. Auch das Anglo-Schottische (eigentlich nur ein nordenglischer Dialekt jenseit der schottischen Grenzpfähle) wurde bald, besonders durch die englische Bibelübersetzung von 1567, aus dem Schriftgebrauch verdrängt, um erst bei Burns wieder literarisch verwendet zu werden. Folgende Merkmale unterscheiden es hauptsächlich von dem Englischen: oft steht a (vereinzelt ai) für o (lang = long, stane = stone, baith = both), au für o und ou (auld = old, saul = soul), u, ui, eu für oo (gude = good, bluid = blood, neuk = nook); ll fällt im Auslaut ab (a' = all; zuweilen im Inlaut: haud = hold); das gutturale ch (h), englisch gh, erhält sich auch in der Aussprache (nicht = night, dochter = daughter), ebenso gewöhnlich k (kirk = church, bink = bench); g in der Endung -ing verliert sich (mawin = mowing), ebenso d nach n (men' = to mend); I canna, winna, dinna stehen für I cannot, I will not, I do not; I' se für I shall, ha'e für have.
Die e. S. wird gegenwärtig auf der Welt von ungefähr 125 Millionen gesprochen; zur Zeit der Königin Elisabeth von ungefähr 5 Millionen. Sie hat die beste Aussicht, das allgemeine Verständigungsmittel der Menschheit zu werden.
[Literatur.] J. Grimm gebührt der Ruhm, in seiner »Deutschen Grammatik« auch den Grund für eine wissenschaftliche Behandlung der englischen gelegt zu haben. Ihm folgten Fiedler, Wissenschaftliche Grammatik der englischen Sprache (Leipz. 1850 ff., 2 Bde.; neue Bearbeitung von Kölbing, 1877); Koch, Historische Grammatik der englischen Sprache (Götting. 1863–69, 3 Bde.; vom Alten glischen ausgehend); Mätzner, Englische Grammatik (Berl. 1860 ff., 3 Bde.; 3. Aufl. 1880–85; ins Englische übersetzt 1874; vom Neuenglischen ausgehend). In England gehoren zur Schule Grimms besonders: Oliphant (»Old and middle English«, 1878, 2. Aufl. 1891) und R. Morris (»Historical outlines of English accidence«, 1872, neue Ausg. 1892; dazu Kellner, »Historical outlines of English syntax«, 1892); in Amerika: Marsh (»Origin and history of the English language«, New York 1862). Einen wesentlichen Fortschritt über Grimm hinaus ermöglichten die reichen Abdrucke von Handschriften, welche die Early English Text Society (seit 1864) und Chaucer Society (beide gegründet und geleitet von Furnivall) veröffentlichten. Die mittelenglischen Dialekte, auf deren Bedeutung zuerst Garnetts »Essays« (1859) hinwiesen, wurden jetzt auf Grund ausgiebigen Materials erforscht; zur Aufhellung der altenglischen trug besonders Sweet durch seine Ausgaben der Alfredschen Werke und der »Oldest English texts« (1885) bei. Deutsche Gelehrte, besonders Zupitza und Kölbing, wendeten die Grundsätze strenger Textkritik auf alt- und mittelenglische Denkmäler an. Sievers schrieb eine »Angelsächsische Grammatik« (Halle 1882, 3. Aufl. 1898), welche die Merkmale der altenglischen Dialekte klarlegte, ten Brink eine Chaucer-Grammatik (Leipz. 1884), Morsbach ging dem Ursprung der neuenglischen Schriftsprache in einer Grammatik der Londoner Urkunden von 1380–1430 nach (Heilbr. 1888), Behrens handelte über die französischen Lehnwörter im Mittelenglischen (das. 1886), Pogatscher über die lateinischen und griechischen im Altenglischen (Straßb. 1888), Luick über die Entwickelung der Vokale mit Hilfe der heutigen Dialekte (Straßb. 1896). Eine Gesamtdarstellung der historischen Grammatik ist von mehreren Seiten versucht worden. Am nächsten kommt ihr gegenwärtig Sweet, History of English sounds (Oxf. 1888), und Skeat, Principles of English etymology (das. 1887–91, 2 Bde.). Über das Anglo-Schottische ist das Grundwerk J. Murray, Dialect of the Southern counties of Scotland (1870). Das reichste Material für die historische Lautlehre und die modernen Dialekte hat A. E. Ellis gesammelt (»On early English pronunciation«, 1889 ff., 5 Bde.).
Etymologische Wörterbücher, die Wert besitzen, sind geschrieben von Skeat (»Etymological dictionary«. 3. Aufl., Oxf. 1898; Auszug, 5. Aufl. 1901) und Kluge und Lutz (»English etymology, a select glossary«, 1899). Über altenglische Wörterbücher vgl. Angelsächsische Sprache. Mittelenglische besitzen wir von Stratmann (3. Aufl., Krefeld 1878, Suppl. 1881; Neubearbeitung von Bradley, Oxf. 1890) und noch vollständiger von Mätzner (Berl. 1872 ff., fortgeführt von Bieling, noch unvollendet). Ein »Shakespeare-Lexikon«, das selbst für Engländer zum richtigen Verständnis des Dichters oft nötig ist, schrieb Alexander Schmidt (3. Aufl., Berl. 1902, 2 Bde.), ein »Bible word book« Aldis Wright (2. Aufl. 1884). Altertümliche Wörter sind gesammelt von Halliwell (»Dictionary of archaic and provincial words«, 10. Aufl. 1887, 2 Bde.), Thomas Wright (»Dictionary of obsolete and provincial words«, 1857) u. Nares (»Glossary, or collections of words, phrases, names«, 1822; neu hrsg. von Halliwell u. Wright, 1872–75, 2 Bde.). Ein großes Dialektwörterbuch gibt Joseph Wright heraus (Oxf., seit 1897). Beschreibende Wörterbücher des Neuenglischen haben geliefert: S. Johnson (1755 u. ö.; ein historisch wichtiges Werk, das durch seine scharf zutreffenden Belege und Definitionen autoritativ gewirkt hat); John Walker (»Critical pronouncing dictionary«, 1791 u. ö.); Webster (1828 u. ö.), Worcester (1830 u. ö.), Flügel (Leipz. 1830, 3. Aufl. 1848; neubearbeitet Braunschw. 1891; sehr gute Handausgabe von Im. Schmidt und Tanger, das. 1896); Lucas (Brem. 1854–68), früher geschätzt, zur Erklärung von Realien fortgesetzt in Hoppes unvollendetem »Supplement-Lexikon« (2. Aufl., Berl. 1888); Ogilvie (»Imperial dictionary«, Lond. 1861; neue Ausg. von Annadale, 1881, 4 Bde.); Hunter (»Encyclopaedic dictionary«, das. 1879–83, 14 Tle.); Cassel (»English dictionary«, 1891); Muret-Sanders, Enzyklopädisches Wörterbuch mit der Aussprachebezeichnung nach Toussaint-Langenscheidt (Berl. 1891–99, 4 Bde.; sehr gute Handausgabe 1898); James A. H. Murray, New English dictionary on historical principles (Oxf. 1884 ff.), ein großartiges, nationales 23erk. – Für den Handgebrauch sind zu nennen: Köhler, Thieme (neubearbeitet von L. Kellner, Braunschw. 1902) und Grieb (neubearbeitet von A. Schröer, mit Etymologien und sorgsamer Bezeichnung der Konversationsaussprache, Stuttg. 1902). Außerdem vgl. Crabb, English synonyms (1816 u. ö.), das Grundwerk für diesen Gegenstand, und Klöpper, Englische Synonymik (größere Ausgabe, Rostock 1880); Roget, Thesaurus of words and phrases (Lond. 1852, zuletzt 1901); Walker, Rhyming dictionary (das. 1775, zuletzt 1899); Tanger, Englisches Namenlexikon (Berl. 1888); »Slang dictionary« (anonym, Lond. 1874); Farmer u. Henley, Slang (1890 ff., 6 Bde.); Baumann, Londinismen, Slang und Cant (2. Aufl., Berl. 1902); Barrère und Leland, Dictionary of slang, jargon and cant (Lond. 1897, 2 Bde.). – Bibliographie der Wörterbücher: Elze, Grundriß der englischen Philologie (2. Aufl., Halle 1888); Körting, Enzyklopädie der englischen Philologie (Heilbr. 1888); Storm, Englische Philologie (2. Aufl., Leipz. 1892–1896; Bd. 1 mit eingehenden Kritiken und Nachträgen). Die Literatur bis 1500, die Realien und Grammatik verzeichnet möglichst sorgfältig der »Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der germanischen Philologie«, herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche Philologie in Berlin (seit 1879). Ein knappes Verzeichnis sämtlicher Bucherscheinungen, die neuesten Autoren mit eingeschlossen, gibt der Jahresbericht in der »Anglia« (Halle, seit 1876). Zahlreiche Rezensionen erscheinen in Kölbings »Englischen Studien« (Leipz., seit 1876), den »Mitteilungen« zur »Anglia« und dem »Archiv für das Studium der modernen Sprachen« (Braunschw., seit 1846).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.