Blut [1]

Blut [1]

Blut (Sanguis, hierzu Tafel »Blut und Blutbewegung I« bei S. 82), die Flüssigkeit, die in einem geschlossenen Röhrensystem in beständigem Kreislauf den tierischen Körper durchströmt, hierbei den einzelnen Körperteilen ihr Nährmaterial liefert, aber auch die durch den Stoffwechsel unbrauchbar gewordenen Gewebsbestandteile aufnimmt und sie zum Zweck der Ausscheidung in besondere Organe leitet. Das B. vermittelt somit die gesamte Ernährung. Ein Organ, das man künstlich der Blutzufuhr beraubt, stirbt ab. Seine Verluste ersetzt das B. durch Aufnahme neuer Stoffe aus der aufgenommenen Nahrung und aus der Luft. Das B. der Wirbellosen ist in der Regel farblos oder gelblich, das der Wirbeltiere ist rot (nur Amphioxus lanceolatus hat farbloses B.), selbst in dünnen Schichten undurchsichtig, etwa vom spez. Gew. 1,055 und von alkalischer Reaktion. Es riecht eigentümlich, je nach der Tiergattung verschieden und für diese charakteristisch. Bei warmblütigen Tieren ist die Temperatur des Blutes höher als die der umgebenden Luft; sie beträgt beim Menschen etwa 38–40°. Unter dem Mikroskop zeigt sich, daß das B. aus einer fast farblosen Flüssigkeit (Plasma) und zahlreichen in dieser suspendierten zellenartigen Gebilden, den roten und farblosen Blutkörperchen, besteht.

Die Blutkörperchen.

Die roten Blutkörperchen oder Blutscheiben (1658 vom Swammerdam entdeckt) bilden beim Menschen (Fig. a) und bei fast allen Säugetieren runde, hei den übrigen Wirbeltieren (Fig. b-e) elliptische Scheiben. Der Gehalt des Blutes an Körperchen beträgt normal 30–50 Proz. seines Gesamtvolumens.

Blutkörperchen.
Blutkörperchen.

Die Größe der roten Scheiben schwankt in den verschiedenen Tierklassen und auch bei demselben Individuum, sie beträgt in 0,001 mm (L. = Längen-, Q. = Querdurchmesser):

Tabelle

Die kleinsten Blutkörperchen haben die Säugetiere (besonders das javanische Moschustier); die größten die Amphibien (besonders der Olm [Proteus anguineus]). Neben den Blutscheiben werden noch besonders kleine Blutplättchen angetroffen, deren Bedeutung noch nicht genügend festgestellt ist. 1 cmm Menschenblut enthält ca. 5 Mill. rote Blutkörperchen. Ihre Zahl schwankt nach Alter und Geschlecht und erfährt eine Erhöhung beim Aufenthalt in größern Höhen. Es sind eigne Methoden zur Zählung der Blutkörperchen ausgearbeitet worden, der gebräuchlichste Zählapparat ist Thomas Hämocytometer (s.d.); diese Zählung kann für den Arzt von Wichtigkeit sein, denn es gibt Krankheiten, bei denen die Blutkörperchenzahl sich merklich verringert. Schätzt man die Blutmenge eines Menschen auf 4400 ccm, und veranschlagt man mit Welcker die Oberfläche eines jeden Blutkörperchens auf 0,000128 qmm, so beträgt diejenige der gesamten Blutkörperchen 2816 qm oder eine Quadratfläche, die auf kürzestem Weg zu durchschreiten 80 Schritt kostet. Die roten Blutscheiben erteilen dem B. seine Farbe und machen es undurchsichtig. Einzeln erscheinen sie grünlichgelb, mehrfach übereinander geschichtet aber rot. Von oben gesehen, zeigen sich die der Säugetiere als runde Scheiben (Fig. a1), deren Mitte vertieft ist. Von der Kante gesehen (Fig. a2), sind sie biskuitförmig, woraus ihre bikonkave Gestalt erkannt ist. Im mikroskopischen Präparat sind die Blutscheiben oft so aneinander geklebt (Fig. a3), daß sie an Geldrollen erinnern (Geldrollenform). Unter gewissen Bedingungen (Verdünnung des Blutes mit Wasser) quellen die Blutkörperchen und nehmen Kugelform an; unter andern (wenn B. an der Luft stehen bleibt oder bei Zusatz gewisser Salze) schrumpfen sie und werden stachelig und zackig.

Frische rote Blutkörperchen sind außerordentlich geschmeidig und biegsam und passieren schon bei sehr mäßigem Druck Öffnungen von geringerm Durchmesser, als sie selbst haben. So passieren frische Blutkörperchen die Poren des Filtrierpapiers, bleiben aber auf dem Filter zurück, nachdem man sie durch Glaubersalzlösung gehärtet hat. Sie sind auch sehr elastisch und kehren sofort in ihre alte Form zurück, sobald sie sehr enge Blutgefäße passiert haben.

Die Blutscheiben enthalten einen roten Farbstoff, das Hämoglobin (s.d.), der für die Atmung (s.d.) von außerordentlicher Bedeutung ist. Bei öfterm Gefrieren und Auftauen, beim Verdünnen mit destilliertem Wasser, beim Versetzen mit Galle, Gallensäuren, Äther, Choroform etc. trennt sich der Farbstoff von den Körperchen, tritt in das Plasma über und färbt dieses rot. Dabei wird das B. durchsichtig (lackfarbig). Das dunkelrote Hämoglobin, ein krisrallisierbarer, eisenhaltiger Eiweißkörper, verbindet sich mit Sauerstoff leicht zu hellrotem Oxyhämoglobin. Daher ist das arterielle B. weit heller rot als das venöse. Bei Berührung mit der Luft wird venöses B. schnell arterialisiert, indem sein Hämoglobin den Sauerstoff der Luft aufnimmt. Im luftleeren Raum gibt das hellrote B. die in ihm enthaltenen Gase, auch den Sauerstoff ab und wird dunkel. Letzteres geschieht auch bei Zumischung leicht oxydierbarer Körper (z. B. Schwefelammonium). Das Spektrum verdünnten Blutes zeigt zwei dunkle Absorptionsbänder im gelben und grünen Teil des Spektrums, die für Oxyhämoglobin charakteristisch sind, und man erkennt daran B. noch in einer 1 cm dicken Schicht, wenn die Flüssigkeit davon nur 0,02 Proz. enthält. Das nicht oxydierte (oder reduzierte) Hämoglobin hat ein anderes Absorptionsspektrum. Die Menge des im B. vorhandenen Hämoglobins nimmt bei manchen Krankheiten beträchtlich ab. Man ermittelt sie mit Apparaten, welche die Färbekraft des Blutes quantitativ zu bestimmen erlauben (Hämometer, s.d.). Menschenblut enthält 12–14,5 Proz. Hämoglobin. Der Rest der Blutkörperchen, der nach der Entfernung des Blutfarbstoffes zurückbleibt, das Stroma, enthält Eiweißkörper, geringe Mengen von Lecithin und Cholesterin, mineralische Bestandteile (hauptsächlich phosphorsaures Kalium) und Wasser.

Die farblosen Blutkörperchen (weiße Blutkörperchen, Lymphkörperchen, Leukocyten) sind kernhaltige Zellen, die im Ruhezustand oder nach dem Absterben sphärische Form besitzen. Ihre Größe schwankt innerhalb weiter Grenzen, doch sind sie im B. der Säugetiere fast stets größer als die roten Blutscheiben. Ihre Menge ist nur gering, unter normalen Verhältnissen dürfte im Menschenblut ein farbloses Körperchen auf 500–750 rote kommen. Beobachtet man einen Blutstropfen unter dem Mikroskop bei Temperaturen von 35–40°, so sieht man, wie das Körperchen einen oder mehrere Fortsätze ausschickt, die allmählich an Umfang zunehmen und sich derartig flächenhaft ausbreiten, daß sie nach einiger Zeit der übrigen Zellmasse an Umfang nicht nachstehen. Bald erblickt man die ganze Zelle da, wo früher nur ein schmaler Fortsatz beobachtet wurde. Indem Protoplasmafäden sich bald hier, bald dahin ausbreiten und den übrigen Körper nachfließen lassen, kommen Form- und Ortsveränderungen zu stande, die lebhaft an die der Amöben erinnern (amöboide Bewegungen). Die Körperchen vermögen auch feste Partikelchen (Farbstoffkörnchen, Gewebstrümmer, Bakterien) ihrem Zellleib einzuverleiben, indem dieselben vom Protoplasma umflossen werden. Kraft ihrer amöboiden Bewegungen durchdringen die farblosen Blutkörperchen selbst die anscheinend ganz undurchdringlichen Wandungen der Blutgefäße und begeben sich in die benachbarten Gewebe hinein. Diese Auswanderung der farblosen Blukörperchen spielt besonders bei der Entzündung eine große Rolle. Die in den Saftlücken und zwischen den Gewebselementen vieler Organe auftretenden und ihren Ort wechselnden Leukocyten werden auch Wanderzellen genannt. Die Blutkörperchen der Wirbellosen entsprechen den Leukocyten der Wirbeltiere (Fig. f u. g, S. 80).

Blutplasma und Serum.

Die von den Blutkörperchen befreite Blutflüssigkeit bildet das Blutplasma. In abgekühltem oder auf andre Weise am Gerinnen verhinderten B. (s. unten) senken sich die Blutkörperchen, und es sammelt sich über ihnen das Plasma als klare, hellgelbliche bis bernsteingelbe Flüssigkeit, die alkalisch reagiert und ca. 90 Proz. Wasser, 7–9 Proz. Eiweißstoffe, wenig Harnstoff, Kreatin und andre stickstoffhaltige Zersetzungsprodukte, Traubenzucker, Fett, Cholesterin, Lecithin und mineralische Bestandteile, besonders Natriumchlorid und Natriumkarbonat enthält.

Kurze Zeit nach dem Ausfließen des Blutes aus dem Körper gerinnt es und erstarrt zu einer weichen, roten Gallerte, indem ein in Plasma gelöster Eiweißkörper, das Fibrinogen, durch die Einwirkung des Fibrinferments in sich ausscheidendes Fibrin (Blutfaserstoff) verwandelt wird. Nach einiger Zeit zieht sich das Gerinnsel fester zusammen und treibt eine völlig klare Flüssigkeit, das Blutwasser (Serum), aus. Der feste, rote Blutkuchen (placenta sanguinis) besteht aus vielfach sich durchkreuzenden, mikroskopisch feinen Fäden von Faserstoff (Fibrin) mit reichlich beigemengten Blutkörperchen. Quirlt man frisch gelassenes Aderlaßblut mit einem Holzstäbchen (Defibrination des Blutes), so scheidet sich der Faserstoff in Form langer, weißer, elastischer Fäden aus, die von eingeschlossenen roten Blutscheiben durch längeres Auswaschen völlig befreit werden. Das defibrinierte B. vermag nicht mehr zu gerinnen. Der Fibringehalt des Blutes beträgt meistens aber nur 2 auf Tausend.

Pferdeblut gerinnt langsam, Kaninchenblut sehr schnell; menschliches nach 3–10 Minuten. Verzögern läßt sich die Gerinnung durch Abkühlung des Blutes, Zusatz von schwefelsaurem, borsaurem, kohlensaurem Natron, Chlornatrium u. a. m. Völlig aufheben läßt sie sich während des Lebens durch Infektion von Pepton in die Blutbahn, bei Aderlaßblut durch Bittersalzlösung von bestimmter Konzentration, durch genaues Neutralisieren des angesäuerten Blutes mit Ammoniak, durch Zusatz von Oxalaten oder Fluoriden. Beschleunigen läßt sich die Gerinnung durch Erwärmen des Blutes über seine normale Temperatur hinaus, durch Zusatz gewisser Salze und verschiedener organischer Stoffe. Wird die Ausscheidung des Faserstoffes sehr verzögert, so senken sich die Blutkörperchen, und wenn dann die Gerinnung endlich eintritt, erscheint die obere Schicht des Faserstoffes weißgrau (Speckhaut, crusta phlogistica) und zieht sich stärker zusammen. Früher faßte man Speckhaut irrtümlich als Zeichen einer im Körper bestehenden Entzündung auf.

Aus defibriniertem B. erhält man nach dem Absetzen der Blutkörperchen, reichlicher durch Zentrifugieren das Serum. Dies enthält alle Stoffe des Plasmas mit Ausnahme des Fibrins. Es reagiert alkalisch, ist bei nüchternen Tieren völlig durchsichtig und meist gelblich gefärbt. Nach reichlichem Fettgenuß wird es trübe durch zahlreiche feine Fettkörnchen, die sich bei ruhigem Stehenlassen auf der Oberfläche in Form einer Rahmschicht absetzen. Durch längeres Erwärmen auf 60° wird es fest. Die so erhaltene, in dünnen Schichten fast durchsichtige Substanz wird zu Nährböden für Bakterienkulturen verwendet. Die Zusammensetzung des Serums ist bei einander verwandten Tierarten sehr übereinstimmend; bei solchen, die in der Tierreihe weiter voneinander entfernt sind, bestehen Verschiedenheiten. Dies spricht sich darin aus, daß die roten Blutkörperchen in fremdem Serum sich auflösen, woraus die Nichtverwendbarkeit fremden Blutes zur Transfusion folgt. Spritzt man einem Kaninchen B. einer nicht verwandten Tierart ein, so gewinnt das Serum des Kaninchens die Eigenschaft, mit einem Blutstropfen des Blutspenders oder ihm nahestehender Tiere einen Niederschlag zu geben, während dies mit andern Blutarten nicht gelingt. Zwischen verwandten Tierarten scheint demnach eine wirkliche Blutsverwandtschaft zu bestehen.

Einen wichtigen Bestandteil des Serums bilden seine Gase (Blutgase), die man durch Auspumpen vermittelst einer Luftpumpe gewinnen kann. Sie bestehen im wesentlichen aus Kohlensäure mit sehr wenig Sauerstoff und Stickstoff. Das Serum vermag fast das Doppelte seines Volumens an Kohlensäure zu absorbieren; diese beträchtliche Absorptionsfähigkeit ist im wesentlichen auf Rechnung des im Serum enthaltenen kohlensauren Natrons zu setzen; doch scheinen auch die Eiweißkörper des Serums Kohlensäure in lockerer Bindung zu enthalten.

Veränderung des Blutes auf seiner Wanderung.

Das in den Gefäßen kreisende B. ändert ununterbrochen seine physikalischen und chemischen Eigenschaften. An die Gewebe, die es durchströmt, gibt es fortwährend Nährmaterial und besonders Sauerstoff ab und nimmt dafür die Produkte ihres Stoffwechsels, besonders auch Kohlensäure, auf. Es dürfte kaum zwei Stellen im Organismus geben, an denen das B. von genau gleicher Beschaffenheit wäre. Sieht man von den feinen Differenzen ab, so hat man zwei Arten von B. zu unterscheiden, nämlich arterielles und venöses. Ersteres trifft man im linken Herzen, den gewöhnlichen Arterien und den Lungenvenen, letzteres im rechten Herzen, den übrigen Venen und in der Lungenarterie an. Arterielles B. enthält mehr Sauerstoff als venöses, während letzteres das Arterienblut im Kohlensäuregehalt übertrifft. 100 Volumina enthalten bei 0° und 760 mm Luftdruck:

Tabelle

Über die Bedeutung dieser Unterschiede im Gasgehalt s. Atmung, S. 54f. Arterielles B. gerinnt schneller als venöses, weil die Gerinnung durch Zuführung von Kohlensäure verzögert wird. Beide Blutarten zeigen auch Verschiedenheiten in der Temperatur, in Organen mit lebhaftem Stoffwechsel (z. B. in der Leber) ist das abfließende B. wärmer als das eintretende. Organe mit nur unbedeutendem Wärmebildungsvermögen, besonders wenn sie oberflächlich liegen (z. B. die äußere Haut), zeigen ein umgekehrtes Verhalten.

Das Verhältnis der Blutmenge zu dem Körpergewicht beträgt beim Menschen etwa 1:13, beim Hund 1:11 bis 1:18, bei der Katze 1:11 bis 1:20, beim Kaninchen 1:12 bis 1:22. Ein Mensch von mittlerer Größe würde danach etwa 5 kg B. besitzen. In der ersten Hälfte der Schwangerschaft sah man bei Tieren die Blutmenge nicht wesentlich verändert, während sie in der letzten Hälfte eine bedeutende Zunahme erfuhr. Bei hungernden Tieren nimmt die Blutmenge ab; doch geschieht diese Abnahme nicht schneller, als die des gesamten Körpergewichts, so daß der Prozentgehalt des Körpers an B. sich nicht ändert. Selbst sehr große Blutverlustepflegt der Körper ohne dauernde Störungen zu ertragen, da sehr bald ein Wiederersatz des verlornen Blutes stattfindet (s. Blutbildung). Über Veränderungen des Blutes bei Krankheiten s. Text zu beifolgender Tafel »Blut und Blutbewegung I«. Vgl. Hayem, Du sang et de ses altérations anatomiques (Par. 1889).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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