- Zinnguß
Zinnguß (hierzu die Tafeln »Zinngußwaren I und II«). Zinn wurde zwar schon im frühen Altertum, meist zur Verzierung andrer Metalle, verarbeitet, und bei den Römern wurden auch großere und kleinere Gefäße aus Zinn gegossen. Eine Verwendung des Zinns in großem Umfange begann aber erst, seitdem im 13. Jahrh. im Erzgebirge Zinnerzlager entdeckt wurden. Aus dem Mittelalter sind uns kleine Schmuckkasten aus durchbrochenem Zinnmantel mit Adlern und Wappentieren, die ursprünglich vergoldet waren, erhalten. Im Anfang des 14. Jahrh. werden die Arbeiten eines Augsburger Zinngießers als etwas Besonderes gerühmt, was auf ein noch seltenes Vorkommen solcher Waren deutet. In die Zeit der Renaissance fällt die größte Verbreitung des Zinns, bis es im 18. Jahrh. durch das billige Porzellan, Steingut und das Glas ersetzt wurde, dessen Stelle es bis dahin im bürgerlichen Haushalt vertreten hatte. Eine große Rolle haben Trinkgefäße aus Z. in den Wirtshäusern und Zunftstuben gespielt, und selbst Kirchenkelche wurden bisweilen aus Zinn gefertigt. Die glänzendste Epoche der Zinngießerei für Frankreich, Deutschland und die Schweiz fällt in die Zeit von 1570 bis gegen 1640, während welcher der Z. neben der Massenfabrikation für den Tagesgebrauch auch hervorragende künstlerische Leistungen zustande gebracht hat (Tafel I, Fig. 1–3). Diese Gattung von Zinngefäßen und -Geräten, von Pokalen, Kannen, Humpen, Bechern und Schüsseln, die meist mit figurenreichen Reliefs und Ornamenten in Nachahmung der Edelschmiedekunst geschmückt sind, wird jetzt als Edelzinn bezeichnet. Die Verzierungen wurden eingraviert, gepunzt, geätzt und hauptsächlich in Formen gegossen. Die ältesten Zunftkannen zeigen noch einfache gotische Formen, seit etwa 1520 kommt der Renaissancestil völlig zum Durchbruch (Tafel I, Fig. 2). Der Wettbewerb mit dem reichern Silbergeschirr regte sich erst gegen das Ende des 16. Jahrh., wo hervorragende Künstler sich der Herstellung der Gußformen mit Reliefs unterzogen (Fig. 3). Der bedeutendste dieser Künstler war François Briot aus Damblain in Lothringen, der von 1580–1616 als Zinngießer und Medailleur in dem damals noch deutschen Mömpelgard (Montbéliard) tätig war. Sein Hauptwerk ist die berühmte Temperantiaschüssel, so genannt nach der Figur der Mäßigkeit in der Mitte, die von den Gestalten der vier Elemente in Querovalen, auf dem äußern Rande von den Figuren der Minerva und der freien Künste in acht Ovalen umgeben ist (Tafel I, Fig. 4). Zu dieser Schüssel gehört eine ebenfalls über und über mit Reliefs geschmückte Kanne (Tafel II, Fig. 5). Ein Nachahmer Briots war der berühmteste Zinngießer Nürnbergs, des Hauptsitzes des deutschen Zinngusses, Kaspar Enderlein aus Basel (1560–1633), der Briots Hauptwerk getreu kopierte, aber verschiedentlich auch die Temperantia durch eine Madonna ersetzte; in dieser Gestalt hat die Schüssel als Taufschüsse in der Lorenzkirche gedient (jetzt im Germanischen Museum zu Nürnberg). Enderlein lieferte auch Zinngefäße und -Geräte für den gewöhnlichen Gebrauch. Martin Harscher (gest. 1523) war der erste, der im Z. mit den Goldschmieden gewetteifert und gleich ihnen Kannen, Schüsseln, Teller, Leuchter, Becken und allerlei Ziergerät angefertigt hat. Von hervorragender Bedeutung war auch der von 1561–83 tätige Nikolaus Horchhaimer, dessen aus geätzten Formen gegossene Teller mit flacherhabenem Ornament von Rankenwerk und Figuren versehen sind. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Nürnberger Teller, die in der Mitte den Kaiser Ferdinand II. zu Pferde und auf dem Rande die sieben Kurfürsten oder auch Christus und die zwölf Apostel zeigen (Tafel I, Fig. 6 u. 7). Die Gefäße des 17. Jahrh. übernehmen die schweren, kräftigen Formen des Barockstils (Tafel I, Fig. 1). Nach hundertjährigem Verfall ist der künstlerische Z. erst seit Beginn der 80er Jahre des 19. Jahrh. wieder aufgenommen worden, in Deutschland zuerst durch Engelbert Kayser in Köln, in einer neuen, nach ihm »Kayserzinn« genannten Legierung, die das Matt- und Blindwerden des Metalls verhindert. Kayser hat sich den modernen Reformbestrebungen angeschlossen und Trink- und Wirtschaftsgeräte geschaffen, in denen bei voller Wahrung des schlichten Charakters des Materials und bei sparsamer Ornamentik ein ernstes Streben nach neuen, zweckgemäßen Formen erkennbar ist (Tafel II, Fig. 2, 3, 5 u. 6). Ähnliche Arbeiten, teils Trinkgefäße (Bierkrüge und Kannen), teils Ziergefäße (Fig. 1 u. 4), hat Karl Groß in Dresden in Guß- und in Treibtechnik ausgeführt.
In Paris haben A. Charpentier, Desbois und Brateau (Fig. 7) Gefäße und Geräte für den täglichen Gebrauch, auch Ziergefäße, Plaketten, Reliefs und andre Werke der Kleinplastik hergestellt, die durch die meisterliche Behandlung des figürlichen und vegetabilischen Schmuckes in zartem Flachrelief eine höchst reizvolle Wirkung erzielen. In Brüssel hat Paul Maurice Dubois in kleinen Schmuckreliefs mit Blumen, Köpfen, Einzelfiguren und Gruppen durch die Verbindung von Zinn und Bronze seine malerische Wirkungen erreicht. Auch in England, wo Zinngefäße besonders als Bierkrüge immer in Gebrauch geblieben waren, hat der Z. in jüngster Zeit eine künstlerische Behandlung nach französischem Vorbild erfahren.
Schon im 16. Jahrh. wurden aus Zinn gegossene Kirchengeräte (Monstranzen, Ziborien, Ostensorien u. dgl.), um dem schlichten Material den Anschein der Kostbarkeit zu geben, vergoldet. Solche Kirchengeräte finden sich z. B. im Louvre zu Paris. Diese Technik ist in neuester Zeit von der Bronzegießerei von F. H. Schmitz in Köln-Ehrenfeld, die ihre Luxus- und Gebrauchsgegenstände aus vergoldetem Edelzinn (unter anderm auch Teeservice) unter der Fabrikmarke »Orivit« in den Handel bringt, und einer zweiten Gießerei, welche die Fabrikmarke »Osiris« führt, aufgenommen worden. Vgl. Salmon, Art du potier d'étain (Par. 1788); Bapst, Études sur l'étain (das. 1884); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 3 (Stuttg. 1893); Demiani, François Briot, Kaspar Enderlein und das Edelzinn (Leipz. 1897); Lüer, Kunstgeschichte der unedlen Metalle (Stuttg. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.