- Orchideen
Orchideen (Orchidazeen, Kuckucksblütler, hierzu Tafel »Orchideen I u. II«), monokotyle Familie aus der Ordnung der Gynandrae, perennierende Kräuter, von denen die auf der Erde wachsenden meist einen aufrechten, einfachen Stengel mit wechselständigen, einfachen, an der Basis scheidenförmigen, parallel-nervigen Blättern und entweder ein kriechendes Rhizom oder Knollenwurzeln von rundlicher oder handförmig geteilter Gestalt besitzen; von letztern sind im Sommer eine ältere und eine jüngere nebeneinander vorhanden, im Herbst stirbt die alte Knolle zugleich mit dem Blütensproß ab. Viele tropische O. wachsen auf Bäumen (Epiphyten) und haben meist einen verkürzten, mit fleischig verdickten, grünen Blattbasen besetzten, daher mehr eine zwiebelähnliche Verdickung bildenden Stengel (Scheinknollen, Luftknollen), der sich aus mehreren Stengelgliedern (homoblastisch) zusammensetzt oder aus einem einzigen Stammglied (heteroblastisch) besteht. Aus dem Stamm der epiphytischen Arten entspringen zahlreiche, oft zu großen Büscheln vereinigte Luftwurzeln (z. B. Huntleya violacea, Tafel I, Fig. 5), die teils zur Anheftung dienen, teils zur Aufnahme von Wasser eingerichtet sind (s. Epiphyten). Eine biologisch interessante Gruppe der O. bilden die Humusbewohner (Saprophyten), die sich durch den Mangel von Chlorophyll sowie reduzierte Blätter auszeichnen und unter Vermittelung von Mykorrhizapilzen von den organischen Stoffen des Bodens leben (Tafel I, Fig. 1, Bulbophyllum minutissimum).
Die traubigen Blütenstände der O. stehen entweder an der Spitze des Jahrestriebes (Orchideae acranthae) oder auf besondern blattachselständigen Seitenzweigen (O. pleuranthae). Die von einem Deckblatt gestützten Einzelblüten sind vollständig, zwitterig und stets von symmetrischer Gestalt (Textfig. 1 u. 2, S. 98). Das oberständige Perigon besteht aus drei äußern und drei mit jenen abwechselnden innern Blättern. Das nach hinten gekehrte unpaare Blatt des innern Kreises ist abweichend gestaltet und bildet oft eine vorgestreckte oder herabgeschlagene, nicht selten dreilappige und mit farbigen Zeichnungen versehene, oft auch hinterrücks gespornte Lippe (Labellum). Bei gewissen tropischen O. besteht die Lippe aus drei verschiedenen Abschnitten, dem meist blumenblattartigen Vorderlappen (Epichilium), dem Mittelstück (Mesochilium) und dem fleischigen Lasalabschnitt (Hypochilium). Die Lippe wendet sich an der geöffneten Blüte meist nach unten und vorn, was entweder durch Achsendrehung (Resupination) oder durch Überkippen der Blüte beim Aufblühen bewirkt wird. Von den sechs nach der Anlage der Blüte zu erwartenden Staubblättern ist meist (bei den Orchideae monandrae) nur das der Lippe gegenüberstehende vollkommen entwickelt und mit der über dem Fruchtknoten sich in der Blüte erhebenden Griffelsäule (gynostemium) verwachsen.
Bei einer zweiten Gruppe der O., z. B. bei Cypripedium (Tafel I, Fig. 2 u. 3), sind die paarigen Glieder des innern Staubblattkreises ausgebildet (O. pleiandrae oder diandrae); die Pollenkörner sind miteinander zu einer staubigen oder wachsartigen Masse (pollinium) vereinigt; bisweilen (z. B. bei den Neottiineen) zerfällt das Pollinium in eine größere Anzahl von Stücken (massulae), die bei Ophrydeen durch klebrige Fäden zusammengehalten werden. Dicht unterhalb der Anthere liegt ein als Schnäbelchen (rostellum) bezeichneter Teil, der eigentümliche Haftapparate entwickelt, durch welche die Pollinien dem Körper der die Blütenbestäubung (s. d.) vermittelnden Insekten angeheftet werden. Bei den einheimischen Ophrydeen bildet das Rostellum ein im Innern mit einer Klebemasse (glandula) erfülltes Beutelchen (bursicula) aus, dessen Inhalt durch zwei stielartige Stränge (die caudiculi) aus erhärtendem Schleim mit den Pollinien in Verbindung tritt. Die Lage der Anthere zum Rostellum ist bei einigen Gruppen der O. (Orchideae basitonae), wie z. B. den Ophrydineen, derart, daß sie mit der Basis ihrer Fächer dem Rostellum anliegt, bei andern Gruppen (den O. acrotonae) berührt sie dasselbe dagegen mit ihrer Spitze. Der unterständige, einfächerige Fruchtknoten enthält zahlreiche wandständige Samenanlagen. Die Fruchtwand spaltet sich bei der Reise in der Regel in sechs Klappen, die oben und unten miteinander verbunden bleiben. Die zahlreichen staubfeinen Samen besitzen eine dünnhäutige Schale, kein Nährgewebe und nur einen kleinen, wenigzelligen Keimling und sind der Verbreitung durch den Wind angepaßt.
Die O. sind über die ganze Erde verbreitet, doch nimmt ihre Anzahl nach dem Äquator hin bedeutend zu, und der heißen Zone gehören zugleich die Arten mit den mannigfaltigsten, größten und schönsten Blüten an. Die in den gemäßigten Zonen vorkommenden O. wachsen auf der Erde, besonders auf feuchten Wiesen und in Wäldern, die tropischen dagegen meistens auf den Baumstämmen, in feuchten, schattigen Wäldern. Es sind ungefähr 5000 Arten bekannt, von denen die Mehrzahl im tropischen Amerika, im Indischen Archipel und in Neuholland, nur wenig über 100 in Europa vorkommen. Die kleine, von den O. durch fast strahlige Blüten sowie durch drei freie Staubgefäße und durch die dreiklappige, dreifächerige Kapsel unterschiedene Familie der Apostasieen, deren wenige Arten im tropischen Asien vorkommen, wird neuerdings mit dieser Familie vereinigt. Die Hauptgruppen der O. werden nach der Ausbildung der Staubgefäße als Pleiandrae (Diandrae, mit den Unterfamilien der Apostasieen und Cypripedileen) und Monandrae unterschieden; letztere zerfallen in die Abteilungen der Basitonae (Ophrydeen u.a.) und Acrotonae, die weiter in die Gruppen der Acranthae und Pleuranthae geteilt werden (s. oben). Die an Schleim und Stärkemehl reichen Wurzelknollen einiger auf der Erde wachsender O. liefern den Salep und Vanilla planiolia in ihren Früchten die Vanille. – O. werden wegen ihrer sich lange frisch erhaltenden farbenprächtigen bizarren Blüten von fast unerschöpflicher Mannigfaltigkeit immer häufiger kultiviert, zumal sie dem herrschenden Geschmack, Einzelblumen als Schmuck auf Tafeln etc. zu verwenden, wegen ihrer dekorativen Wirkung mehr als jede andre Pflanzengruppe entsprechen. Die Kultur der O. erfordert besondere Gewächshäuser (Orchideenhäuser) und hat einen großen Aufschwung genommen, seitdem man den verschiedenen klimatischen Verhältnissen der Heimatländer der Pflanzen mehr Rechnung trägt und nicht mehr Arten jeglicher Herkunft in möglichst warmen und feuchten Häusern zusammenstellt. Besonders die aus den Gebirgen und gemäßigtern Klimaten stammenden O., deren Kultur die größten Schwierigkeiten bereitet, bringt man jetzt ohne große Mühe zur Blüte, indem man vor allen Dingen für die ihnen nötige längere Ruhezeit sorgt. Durch künstliche Befruchtung hat man zahlreiche Bastarde gezüchtet, unter denen die sogen. bi- und trigenerischen auch großes wissenschaftliches Interesse beanspruchen. Eine größere Anzahl von O., sogar viele der schönsten, sind selbst im Zimmer zu kultivieren, z. B. Cattleya labiata, C. Trianae, Odontoglossum grande, Coelogyne cristata und verschiedene Cypripedium-Arten. Auch im Garten werden O. der kühlern Zonen kultiviert, doch bieten sie fast mehr Schwierigkeiten als die Gewächshauspflanzen. Am besten gedeihen noch die Cypripedium-Arten. Zu den in unsern Gewächshäusern beliebtesten und am meisten kultivierten O. gehören die Gattungen Dendrobium (D. Brymerianum, Tafel II, Fig. 5), Coelogyne (C. pandurata, Tafel II, Fig. 10), Epidendron, Laelia (L. elegans, Tafel II, Fig. 9), ferner Cattleya (C. Trianae, Tafel II, Fig. 7), Vanda (V. Boxallii, Tafel I, Fig. 10), Angraecum, Lycaste, Odontoglossum, Oncidium (O. Papilio, Tafel I, Fig. 7), Miltonia (M. Blunti, Tafel II, Fig. 3), Coryanthes (C. macrantha, Tafel II, Fig. 2), Taphinia (T. Randi, Tafel II, Fig. 11), Brassia (B. caudata, Tafel II, Fig. 6), Aganisia (A. tricolor, Tafel II, Fig. 1), Nanodes (N. Medusae, Tafel II, Fig. 4), Masdevallia (M. spectrum, Tafel II, Fig. 8, und M. Lindeni, Tafel I, Fig. 6), Cypripedium (C. caudatum und tesselatum, Tafel I, Fig. 2 u. 3), Anoectochilus, Disa (D. grandiflora, Tafel I, Fig. 4), Sobralia (S. liliastrum, Tafel I, Fig. 8), Trichocentron (T. tigrinum, Tafel I, Fig. 9), Zygopetalum, Stanhopea und Gongora. Als Schnittblumen werden von O. besonders Arten der Gattungen Cattleya, Coelogyne, Cypripedium, Dendrobium, Laelia, Lycaste, Odontoglossum, Oncidium, Phalaenopsis, Vanda kultiviert. Die größten Orchideenkulturen finden sich in England, Belgien, Frankreich, neuerdings auch in Deutschland. Manche Züchter und Liebhaber senden Reisende zum Sammeln lebender Pflanzen nach Hinterindien, Mittel- und dem nördlichen Südamerika. Zur Förderung der Orchideenkultur bestehen Gesellschaften in London (Orchid Committee der Royal Horticultural Society, Zeitschrift: »The Orchid Review«), Paris (Comité des Orchidées der Société nationale d'Horticulture de France, Zeitschrift: »Journal de la Société d'Horticulture«), Gent (Comité des Orchidées de la Société d'Horticulture de Gand, Zeitschrift: »Dictionaire iconographique des Orchidées«) und Berlin (Deutsche Gesellschaft für Orchideenkunde, Zeitschrift: »Orchis«).
Schon die Väter der Botanik beschäftigten sich eingehend mit den O., und die Tierähnlichkeit der Blüten derselben verführte zu dem wunderlichsten Aberglauben. Sehr viel später lernte man die tropischen O. kennen. 1605 erwähnt Clusius die Frucht der Vanille, allein erst am Ausgang des 17. Jahrh. gaben Rheede tot Drakenstein, Sloane, Plumier u.a. die ersten Beschreibungen und Abbildungen. Linné kannte 1764 nur 102 Arten, darunter 30 Epiphyten, Willdenow (1805) 391 Arten mit 140 Epiphyten. Lindley beschrieb in seinem 1830–40 erschienenen ersten Hauptwerk an 2000 Arten, unter denen sich gegen 1000 epiphytische befanden. 1880 schätzte de Puydt die Zahl aller bekannten O. auf 6000! Am Ausgang des 18. Jahrh. gelang es, ein paar Epidendron-Arten zu kultivieren. 1813 zog man in Kew nicht mehr als 40 Arten. In den 1830er Jahren befanden sich O. zu Hamburg und Dresden schon in Privatgärten, und 1851 kultivierte man im Garten des Grafen Thun gegen 500 tropische Arten, worauf sehr bald allerorten eigne Orchideenhäuser erbaut wurden. Gegenwärtig schätzt man die Zahl der kultivierten Arten auf 2000. Dabei erreichte die Liebhaberei eine erstaunliche Höhe, und einzelne Pflanzen wurden mit mehr als 10,000 Mk. bezahlt. Vgl. die Spezialwerke von Lindley und Heinrich Gustav Reichenbach, ferner Moore, Illustrations of orchidaceous plants (Lond. 1857); Burbidge, Die O. des temperierten und kalten Hauses (deutsch von Lebl, 2. Aufl., Stuttg. 1882); Fitzgerald, Australian Orchids (Lond. 1876–1888); Dechevalerie, Les Orchidées (Par. 1879); Pfitzer, Grundzüge einer vergleichenden Morphologie der O. (Heidelb. 1882) und Entwurf einer natürlichen Anordnung der O. (das. 1887); Veitch, Manual of orchidaceous plants cultivated under glass (Lond. 1887–91); »Lindenia. Iconographie des Orchidées« (hrsg. von J. Linden, L. Linden, Rodigas u.a., Brüssel 1884 ff.); Stein, Orchideenbuch (Berl. 1892); Schulze, Die Orchidazeen Deutschlands, Deutsch-Österreichs und der Schweiz (Gera 1892–94); Linden, Les Orchidées exotiques (Brüssel u. Par. 1894); Boyle, Über O. (deutsch von Kränzlin, Berl. 1896); Kränzlin, Orchidacearum genera et species (das. 1897–1904, 2 Bde.); Sanders, Orchid guide (Lond. 1902); W. Müller, Abbildungen der in Deutschland und den angrenzenden Gebieten vorkommenden Grundformen der Orchideenarten (mit Text von Kränzlin, Berl. 1904); Braecklein, Die O. und ihre Kultur im Zimmer (Frankf. a. O. 1904). Periodisch erscheint Sander, Reichenbachia; Abbildung, Beschreibung und Kulturanweisung der schönsten O. (Lond. und Berl., 2. Serie 1890 ff.); »L'Orchidophile« (Argentan 1881 ff.); »Le moniteur d'horticulture«.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.