Atlas [3]

Atlas [3]

Atlas (s. Karte »Algerien« etc.), 2300 km langes, von der Küste von Tunis bis zur atlantischen Küste Marokkos reichendes Gebirgssystem, von dem auf den tunesischen A. 300, auf das algerische Steppenplateau der Schotts 1150 und auf denn marokkanischen A. 850 km entfallen. Von der tunesischen Küste erstreckt sich der A. in zwei Ketten nach SW. Die eine beginnt am Kap Bon, die andre am Kap Blanc. Beide ziehen, zahlreiche Lokalnamen führend, in Form stark verästelter Züge zur algerischen Grenze, entfernen sich mehr und mehr voneinander und erreichen im Mittel 600 m im N., 800 m im S., erheben sich aber in ihren höchsten Gipfeln noch nicht bis 1600 m. Westlich von Tebessa scheidet sich das Gebirge in drei Teile, den Kleinen A. oder Tellatlas im N., das Hochland der Schotts, ein Steppenplateau, und die südliche Kette des Großen oder Saharischen A. Letzterer erreicht im Dschebel Aurês bedeutende Höhen (Scheliah 2310, Mahmel 2306 m), erhebt sich 1200–1300 m über das Schottplateau, ist im Winter mit Schnee bedeckt und schickt in den Hodnabergen einen nordwestlichen Ausläufer zur nördlichen Randkette bei Aumale. Die Südkette setzt sich westwärts in unregelmäßigen, parallelen Bergzügen (Ulad Nayl, Dschebel Amour, Montagnes des Ksours) fort, die auf der Südseite meist kahl, auf der Nordseite mit Vegetation bestanden und von zahlreichen Schluchten durchfurcht sind, durch die bereits Eisenbahnen von Bone, Philippeville und Oran nach der Sahara führen. Die größte Höhe erreicht hier der Dschebel Touila (1940 m), an dessen Nordabfall Géryville in 1380 m, an dessen bereits Wüstencharakter zeigenden Südabfall Laqhouat in 790 m liegt. In Marokko steigt die Südkette im Dschebel Seffah zu 2140 m, nimmt aber dann schnell an Höhe ab und wird schließlich vom tiefen Tal des Wadi Gir (Gehr) durchbrochen. Die Mittelzone der Schotts (s. Schott) ist eine 800–1100 m hohe Hochebene, eben im W., in der Mitte hügelig, im O. bergig und in eine Reihe von abgeschlossenen, zwischen niedrigen Höhenzügen liegenden Becken zerfallend, in deren tiefsten Teilen im Winter das Wasser sich zu kleinen, im Sommer meist austrocknenden Salzseen sammelt. Die fließenden Gewässer der Hochebenen enden in diesen Schotts; nur der große Scheliff mündet ins Meer. Diese Hochebene ist ein Gebiet der Viehzucht, reich an den Weidekräutern und Halfa. Nur in den Ksur genannten Dörfern der Oasen unterstützt ein spärliches Wassernetz den Bodenbau seßhafter Stämme. Die Hochebene der Schotts ist im O. nur 80, im W. 170 km breit. Je mehr sie sich verbreitert, desto stärker werden der nördliche Zug des A. und die fruchtbare Küstenlandschaft, das Tell (s. d.), eingeengt. Das nördliche Randgebirge des Atlassystems, der Kleine A. oder Tellatlas, zerfällt in eine Reihe kleiner Gebirgsgruppen, unter denen die der Landschaft Kabylien im Dschebel Lalla 2308 m und das Setifgebirge im Dschebel Babor 2006 m erreichen. Nach W. erniedrigt sich die Nordkette und geht schließlich in die wilde und zerrissene Gebirgslandschaft Er Rif über, die das nördliche Marokko einnimmt und sich bis Tetuan erstreckt. In Er Rif wechselt das Streichen der Atlasketten, indem die einzelnen Falten nicht mehr von ONO. nach WSW., sondern von O. nach W. und dann nach NW. und N. verlaufen, so daß das Gebirge an der Straße von Gibraltar seine Fortsetzung in der Sierra Nevada Spaniens findet. Eine Anzahl von Flüssen (Scheliff, Seybuse, Medscherda) durchbricht die nördlichen Ketten auf dem zum Mittelmeer gerichteten Lauf. Wo an den Quellen des Wadi Gir die südliche algerische Randkette sich gegen NW. wendet, beginnt der Hohe oder Marokkanische A. (Idrâr-n-Dêrên, im Altertum Dyrin, kabylisch Dschebel Idrassen oder Drann), der in mehreren nebeneinander laufenden Zügen nach WSW. gegen das Meer zum Kap Gir zieht. Die Kammhöhe beträgt an der Küste 1500, weiter im Innern 1000, im O. bis über 2000 m. Die höchste Erhebung ist der Dschebel Ajaschi (4500 m) an den Quellen der Muluja, nach Thomson der Tamjurt (4700 m). Südwestlich der Stadt Marokko erreicht der Feliliß 3600 m. Während der Anstieg von N. allmählich erfolgt, fällt der A. nach S. steil ab. Von den Pässen sind die begangensten der Paß Tisi-n-Telremt (2182 m) von der Muluja zur Oase Tafilelt, Tisi-n-Teluet (2480 m), Tagherot (3500 m), Tisi Nimiri (3036 m). Im S. ist der nach Thomson 3000–3400 m hohe Anti-Atlas vorgelagert, der vom Wadi Draa durchbrochen wird. Der Südabfall des Marokkanischen A. trägt durchaus Wüstencharakter. In Marokko hat das Atlasgebirge noch ausgedehnte Waldungen von Zedern, verschiedenen Eichenarten, deren Bestände in Algerien meist schon verwüstet sind.

Morphologisch und genetisch trägt das Atlasland keinen afrikanischen, sondern europäischen Charakter. Da es einer intensivern Faltung in der Tertiärzeit unterworfen gewesen ist, so schließt es sich als ein aus mehreren parallel laufenden Zonen bestehendes Faltungsgebirge an den Apennin und die Gebirge Spaniens eng an. Sueß unterscheidet vier Zonen: Die nördlichste am Mittelmeer ist die vulkanische, wird meist aus Inseln und Teilen des Kleinen Atlas gebildet und zieht von der Insel Galita nördlich von der tunesischen Küste nach W., bildet einen Teil der Landschaft Kabylien südlich von Dellys, kann westlich von Oran bis zu den Chaferinasinseln verfolgt werden und wird aus Basalt, Trachyt und Phonolith sowie von wenigen Resten von Tertiärablagerungen zusammengesetzt. Darauf folgt eine zweite Zone aus alten Schiefern, Gneis und Granit, ein archäisches und altpaläozoisches Gebirge, das nahe der Küste bis zur Straße von Gibraltar verläuft. Eine dritte Zone besteht aus roten Sandsteinen und Konglomeraten der jungpaläozoischen Zeit, Karbon und Perm. Endlich folgt als vierte Zone das stark gefaltete Kreidekalkgebirge bis zur Sahara. Zwischen den durch das Kalkgebirge gebildeten Ketten liegen tertiäre Ablagerungen; im S. von Oran wird die Kreideformation durch den Jura abgelöst. Erzlagerstätten (Kupfer, Eisen, silberhaltiges Blei) sind vielerorts vorhanden, aber noch wenig aufgeschlossen, auch Steinsalz, Kalk, Marmor werden gefunden. Gletscher fehlen heute im A.; doch tragen die höchsten Gipfel den größten Teil des Jahres eine Schneekappe. Der A. ist arm an Pflanzen. An den gegen die trocknen Nordwestwinde geschützten Abhängen beginnt der Wald in 1200–1400 m Höhe. Er enthält sommergrüne Laubbäume des nordischen Florengebietes, Nadelhölzer wärmerer Klimate, vor allem Zeder (Pinus Cedrus var. atlantica), Pinsapo-Tanne und Eschen-, Erlen- und Eichenarten. Die Baumgrenze zwischen 2400 und 2700 m bezeichnet ein Kranz verkümmerter Eichen (Quercus Ilex) und der anmutige Zwergstrauch Prunus prostrata. Sträucher von Ribes, Rosa, Berberis und Juniperus (J. thurifera) bilden weiter hinauf die untere alpine Formation, die dann in Wiesenmatten, geschmückt mit wohlriechenden Labiaten (Lavandula, Mentha, Thymus, Calamintha, Hyssopus), zuletzt in die Bestände des Felsgerölles übergeht, dessen Pflanzen z. T. den Charakter der Alpenflora zeigen. Die Bewohner des A. sind Berber, die in den schwer zugänglichen Teilen noch in völliger Unabhängigkeit leben. – Der Name A., heute nirgends in Afrika in Gebrauch, stammt aus dem Altertum. Vgl. Schnell, Das marokkanische Atlasgebirge (Ergänzungsheft 103 zu »Petermanns Mitteilungen«, 1902); Rohlfs. Reise durch Marokko (4. Ausg., Norden 1884); Hooker und Ball, Journal of a tour in Morocco and the Great A. (Lond. 1879); Lenz, Timbuktu (2. Aufl., Leipz. 1892, 2 Bde.); I. Thomson, Travels in the A. and Southern Morocco (Lond. 1889); Graham, Mogreb el Acksa, journey in Morocco (das. 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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