Staël-Holstein

Staël-Holstein

Staël-Holstein (spr. ßtāl-), Germaine, Baronin von, berühmte franz. Schriftstellerin, geb. 22. April 1766 in Paris, gest. daselbst 14. Juli 1817, Tochter des Finanzministers Necker, entwickelte sich frühzeitig unter dem Einfluß einer streng protestantischen Mutter und der philosophischen Anschauungen, denen man im Hause ihres Vaters huldigte, verfaßte mit 15 Jahren juristische und politische Abhandlungen und verheiratete sich 1786 auf den Wunsch ihrer Mutter mit dem schwedischen Gesandten, Baron von S. Doch war diese Ehe nicht glücklich; 1796 trennte sie sich von ihrem geistig tief unter ihr stehenden Gemahl, näherte sich ihm aber 1798 wieder, als er krank wurde, um ihn zu pflegen, und blieb bei ihm bis zu seinem Tode (1802). Seit dem ersten Jahre ihrer Ehe entwickelte sie eine eifrige literarische Tätigkeit. 1786 war ihr Schauspiel »Sophie, ou les sentiments secrets« erschienen, dem als letzter Versuch dieser Art 1790 die Tragödie »Jane Gray« folgte; sie sah ein, daß sie für Bühnendichtung nicht geschaffen war. Besser gelangen ihr die überschwenglich lobenden »Lettres sur les écrits et le caractère de J. J. Rousseau« (1788); doch fehlt die Kritik fast ganz. Das immer reichlicher fließende Blut ließ ihre anfängliche Begeisterung für die Revolution bald schwinden; ein Plan zur Flucht, den sie der königlichen Familie unterbreitete, wurde nicht angenommen; am 2. Sept. 1792 mußte sie selbst flüchten. Auch ihre beredte Schrift zugunsten der Königin: »Réflexions sur le procès de la reine« (1793), hatte, keine Wirkung. Dagegen erregte sie Aufsehen durch ihre Schriften: »Réflexions sur la paix, adressées à M. Pitt et aux Français« (Genf 1795) und besonders durch »De l'influence des passions sur le bonheur des individus et des nations« (Lauf. 1796), ein Werk voll tiefer und lichtvoller Gedanken. In Coppet lernte sie 1794 Benjamin Constant kennen. Ihr schriftstellerischer Ruf hatte sich inzwischen in weitern Kreisen verbreitet durch ihre Schrift »De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales« (1799, 2 Bde., hierin zuerst die Ausdrücke »klassisch« und »romantisch« in dem seither üblichen Sinne gegenübergestellt) und durch den Roman »Delphine« (1802, 4 Bde., u. ö.; hrsg. von Sainte-Beuve, 1868; deutsch, Leipz. 1847, 3 Bde.). eine Schilderung ihrer eignen Jugend in Briefform. In Paris, wohin sie 1797 zurückgekehrt war, lernte sie Bonaparte kennen, der sie, weil sie mit den Gästen ihres Salons gegen ihn und für eine konstitutionelle Verfassung agitierte, 1803 aus Paris und 40 Meilen in der Runde verbannte. Sie reiste nach Deutschland, wo sie längere Zeit in Weimar und Berlin verweilte; 1805 bereiste sie Italien. Seit dieser Zeit war A. W. v. Schlegel, den sie in Berlin kennen gelernt hatte, ihr Begleiter, und sein Umgang ist nicht ohne Einfluß auf ihre Ansichten, besonders über Kunst und deutsche Literatur, geblieben. Die Frucht ihrer Reise nach Italien war der Roman »Corinne, ou l'Italie« (1807, 2 Bde., u. ö.; deutsch von Fr. Schlegel, Berl. 1807; von Bock, Hildburgh. 1868), eine begeisterte Schilderung Italiens und das glänzendste ihrer Werke. 1810 ging sie nach Wien, um Stoff zu ihrem schon lange geplanten Werk »De l'Allemagne« zu sammeln, einem Gemälde Deutschlands in Beziehung auf Sitten, Literatur und Philosophie; doch wurde die ganze Auflage auf Befehl des damaligen Polizeiministers Savary sogleich vernichtet und gegen die Verfasserin von Napoleon I. ein neues Verbannungsdekret erlassen,. das sich auf ganz Frankreich erstreckte. Erst zu Ende 1813 erschien das Werk (3 Bde.) in London, darauf 1814 auch in Paris. So reich es an geistvollen Gedanken ist und so achtenswert durch die Wärme, womit es den Franzosen deutsche Art und Kunst empfiehlt, so enthält es doch auch viele schiefe Ansichten und erhebliche Unrichtigkeiten. Jedenfalls aber hat es den größten und dauerndsten Eindruck gemacht und muß darum als ihr Hauptwerk gelten. S. lebte in der nächsten Zeit wieder zu Coppet, wo sie sich insgeheim mit einem jungen Husarenoffizier, de Rocca, verheiratete. Von der französischen Polizei fort und fort verfolgt, begab sie sich im Frühjahr 1812 nach Moskau und St. Petersburg und von da nach Stockholm, wo ihr jüngster Sohn, Albert, im Duell blieb. Im Anfang des folgenden Jahres ging sie nach England; erst nach Napoleons Sturz kehrte sie nach langer Verbannung, deren Ereignisse sie zum Teil in »Dix années d'exil« (1821; beste Ausg. von P. Gautier, 1904; deutsch, Leipz. 1822) erzählt, nach Paris zurück. Nach Bonapartes Rückkehr von Elba zog sie sich nach Coppet zurück. Nach der zweiten Restauration erhielt sie Vergütung für die alte Schuld von 2 Mill. Frank, die ihr Vater bei seinem Abschied im öffentlichen Schatze zurückgelassen hatte, und lebte fortan in einem glücklichen häuslichen Kreis und im engen Verkehr mit literarischen und politischen Freunden in Paris, bis zu ihrer letzten Krankheit mit Ausarbeitung der trefflichen »Considérations sur les principaux événements de la Révolution française« (1818, 3 Bde.; neue Ausg. 1861; deutsch von A. W. v. Schlegel, Heidelb. 1818, 6 Bde.) beschäftigt. Zu erwähnen sind noch die Werke: »Vie privée de M. Necker«, an der Spitze der Ausgabe der Manuskripte ihres Vaters (1804); »Réflexions sur le suicide« (1813); »Zulma et trois nouvelles« (1813); »Essais dramatiques« (1821), eine Sammlung von sieben Stücken in Prosa, darunter das Drama »Sapho«. Neuerlich erschienen noch: »Un ouvrage inédit de Mme. de Stael« (politischen Inhalts vom Jahre 1799, hrsg. von Herriot, Par. 1904) und »Des circonstances actuelles qui peuvent terminer la Révolution, etc.« (hrsg. von Viénot, das. 1906). Eine Ausgabe ihrer Werke (Par. 1820 bis 1821, 17 Bde.) veranstaltete ihr ältester Sohn, Auguste, Baron von S. (geb. 1790), der sich selbst als Schriftsteller bekannt machte und 1827 starb (seine »Œuvres diverses« gab seine Schwester, die Herzogin von Broglie, heraus, 1829, 3 Bde.); ihre »Œuvres complètes« erschienen auch 1871, 3 Bde. Vgl. Baudrillart, Éloge de Mad. de S. (1850); Norris, Life and times of Mad. de S. (Lond. 1853); Gérando, Lettres inédites et souvenirs biographiques de Mad. Récamier et de Mad. S. (Par. 1868); Amiel, Études sur Mad. de S. (1878); A. Stevens, Mad. de S. (Lond. 1881, 2 Bde.); Lady Blennerhassett, Frau von S. und ihre Freunde (Berl. 1887–89, 3 Bde.); Sorel, Mad. de S. (3. Aufl., Par. 1901); ferner »Correspondance diplomatique du baron de S., documents inédits« (hrsg. von Léouzon le Duc, das. 1881); E. Ritter, Notes sur Mme. de Staël (Genf 1899); »Lettres inédites de Mme. de S. à Henri Meister« (2. Aufl. 1904); Paul Gautier, Mme. de S. et Napoléon (Par. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Staël-Holstein — Staël Holstein, 1) Anne Louise Germaine Baronin von S., geb. 22. April 1766 in Paris, eine Tochter des französischen Minister Necker (s.d. 2); sie entwickelte schon frühzeitig ein glückliches Talent zu schriftstellerischer Thätigkeit u. vermählte …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Staël-Holstein — Staël Holstein, Anne Louise Germaine, Madame von, eine der interessantesten Frauen aus der Zeit der Revolution von 1789 und Napoleons I., geb. 1766 zu Paris, war eine Tochter des später so weltbekannt gewordenen franz. Ministers I. Necker,… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Staël-Holstein — (izg. stȃl òlstein), Germaine Necker de (poznata kao Madame de Staël) (1766 1817) DEFINICIJA francuska spisateljica, kći ministra Luja XVI, švicarskog porijekla; zalagala se za liberalne političke ideje i okupljala oko sebe istomišljenike diljem… …   Hrvatski jezični portal

  • Staël-Holstein — (spr. stahl), Anne Louise Germaine, Baronin von, franz. Schriftstellerin, geb. 22. April 1766 zu Paris, Tochter des nachmaligen Finanzministers Necker, vermählt 1786 mit dem schwed. Gesandten Baron von S. (gest. 9. Mai 1802), nahm an der… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Staël-Holstein — Staël Holstein, Anne Louise Germaine Necker, baronesa de …   Enciclopedia Universal

  • Staël Holstein, Anna Luise Germaine Necker, Baronin von — Staël Holstein, Anna Luise Germaine Necker, Baronin von, geb. zu Paris den 22. April 1766, empfing von ihrer Mutter (s. Necker) eine Erziehung, die nicht frei war von einer gewissen Einseitigkeit und pedantischen Steifheit. Nichts konnte jedoch… …   Damen Conversations Lexikon

  • Staël-Holstein — Staël Hols•tein [[t]ˈstɑl ɔlˈstɛn[/t]] n. big Anne Louise Germaine Necker, Baronne de, (Madame de Staël) 1766–1817, French writer …   From formal English to slang

  • Staël-Holstein — /stahl awl sten /, n. Anne Louise Germaine Necker /annn lweez zherdd men ne kerdd /, Baronne de, (Madame de Staël) 1766 1817, French writer. * * * …   Universalium

  • Staël-Holstein — /stahl awl sten /, n. Anne Louise Germaine Necker /annn lweez zherdd men ne kerdd /, Baronne de, (Madame de Staël) 1766 1817, French writer …   Useful english dictionary

  • Staël-Holstein, Anne Louise Germaine Necker, baronesa de — ► (1766 1817) Literata francesa conocida por Madame de Staël. A ella se debe una buena parte del ideario político, literario y moral de que se nutrió la primera mitad del s. XIX. Obras: Delphine (1802) y Corinne (1807), entre otras …   Enciclopedia Universal

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”