Reiher

Reiher

Reiher (Ardea L.), Gattung der Watvögel aus der Familie der R. (Ardeidae), große Vögel mit auffallend schwachem Leib, sehr langem, dünnem Hals, schmalem, flachem Kopf, ziemlich starkem, geradem, seitlich zusammengedrücktem, mit schneidend scharfen Rändern versehenem, nächst der Spitze gezähneltem Schnabel von mindestens Kopfeslänge, mittelhohen Läufen und langen, dünnen Zehen. Die Flügel sind lang und breit, vorn stumpf, der Schwanz ist kurz und abgerundet, das Kleingefieder sehr reich, weich und locker, am Kopf und Hals oft verlängert, auch zerschlissen; an den Seiten des Leibes finden sich zwei mit seidigen, flockigen oder zottigen Flaumen bekleidete Stellen. Die R. fehlen nur im hohen Norden und bilden innerhalb der Wendekreise den Hauptbestandteil der Bevölkerung aller Gewässer; sie treten in großen Gesellschaften auf, sind ziemlich bewegungsfähig, stehen aber gegen Störche und Ibisse in jeder Beziehung zurück. Die größern nähren sich hauptsächlich von Fischen, die kleinern von Insekten. Sie nisten gern in Gesellschaft (Reiherstände, Reihergestände), selbst mit fremden Vögeln, bauen große Nester auf Bäumen oder im Röhricht und legen 3 bis 6 weiß- oder blaugrünliche Eier, die nur das Weibchen bebrütet. Der Fischzucht sind sie sehr schädlich. Der Fischreiher (Reigel, Grauer R., Ardea cinerea L., s. Tafel »Watvögel III«, Fig. 1), 1,1 m lang, 1,8 m breit, an der Stirn und am Oberkopf weiß, am Hals grauweiß, auf dem Rücken aschgrau, bandartig weiß gezeichnet, an den Seiten des Unterkörpers schwarz; Nacken und Unterhalsfedern sind schopfartig verlängert, ein von den Augen nach dem Hinterhals verlaufender Streifen, drei lange Schopffedern, eine dreifache Fleckenreihe am Vorderhals und die großen Schwingen sind schwarz; eine nackte Stelle im Gesicht ist grüngelb. Der Fischreiher ist in Europa, Asien bis etwa zum 60. Breitengrad, auch in Afrika und Madagaskar und ostwärts bis Australien verbreitet, lebt bei uns vom März bis Oktober, bleibt einzeln im Winter an offnen Gewässern und ist im Süden Strichvogel. Er findet sich überall an seichten Gewässern mit Waldungen oder hohen Bäumen, nährt sich von Fischen, Fröschen, Schlangen, jungen Wasservögeln, Sperlingen, Mäusen, Kerbtieren, Muscheln etc., brütet in Ansiedelungen von oft mehr als 300 Nestern, die durch den weißen Kot und faulende Fische sehr unangenehm ausfallen, und legt im April und Mai 3–4 grüne Eier (s. Tafel »Eier II«, Fig. 26), die in drei Wochen ausgebrütet werden. Früher (in Indien und Nordafrika noch jetzt) wurde der R. mit Falken gejagt (Reiherbeize); dem erbeuteten Vogel zog man die Schmuckfedern aus, legte ihm auch wohl einen Metallring mit dem Namen des Jägers und dem Datum des Fanges um die Ständer und ließ ihn wieder fliegen. Man will hierbei erfahren haben, daß der Vogel älter als 50 Jahre werden kann. Die Eier und Jungen werden gegessen. Vgl. Krohn, Der Fisch rei her und seine Verbreitung in Deutschland (Leipz. 1904). Der Silberreiher (Edel-, Schnee-, Buschreiher, Herodias alba L., A. egretta Naum., s. Tafel »Watvögel III«, Fig. 4), 1 m lang, 1,9 m breit, sehr schlank gebaut, rein weiß, mit weitstrahligen, langen Rückenfedern im Hochzeitskleid und grünlichgelber, nackter Wangenhaut, bewohnt Südeuropa, Mittel- und Südasien, Afrika und Australien, ist besonders häufig in den Ländern um das Kaspische Meer und in Nordafrika und erscheint in Deutschland sehr selten; er lebt in ausgedehnten Sümpfen, nährt sich wie der vorige, brütet im Röhricht oder auf Bäumen und legt 3–4 bläulichgrüne Eier. Seiner Schmuckfedern wegen, aus denen die Reiherbüsche (Aigretten) zusammengesetzt werden, wird er eifrig gejagt. Der Seidenreiher (Silberreiher, H. garzetta L.), 62 cm lang, 1,1 m breit, ebenfalls rein weiß, findet sich überall neben dem vorigen, ist aber häufiger, nährt sich hauptsächlich von kleinen Fischen, legt 4–5 hellgrüne Eier und liefert ebenfalls Schmuckfedern. Der Rallenreiher (Schopf-, Mähnenreiher, Ardeola ralloides Scop.), 50 cm lang, mit ziemlich kräftigem Schnabel und rostgelbem Schopf, weiß, an Kopf, Hals, Mantel- und Schulterdecken gelblichweiß, in den Mittelmeerländern, Rußland und Afrika, gelegentlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz, lebt mehr oder weniger versteckt, gern in der Nähe größerer Säugetiere, wie z. B. der Schweineherden Ungarns, nährt sich von kleinen Fischen, Fröschen und Insekten, nistet auf Bäumen und legt 4–5 Eier (s. Tafel »Eier II«, Fig 25). Der Kuhreiher (Viehreiher, A. bubulcus Pucher), 50 cm lang, 90 cm breit, von gedrungener Gestalt, mit kurzem Hals, kurzem, kräftigem Schnabel, niedern Beinen und zerschlissenen, haarartigen Schmuckfedern, ist blendend weiß, im Hochzeitskleid auf dem Oberkopf, an der Brust und am Rücken rostrot angehaucht. Er bewohnt Afrika, Madagaskar, Westasien und zählt in den Nilländern zu den gemeinsten Vögeln. Selten verfliegt er sich nach Europa. Er hält sich in der Nähe der Ortschaften, auf Feldern auf und begleitet namentlich auch das Weidevieh, Büffel, Elefanten, auf deren Rücken er Jagd auf Insekten macht. Er nistet auf Bäumen, oft gesellig und in den Dörfern, und legt 3–5 span grüne Eier. Von den Eingebornen wird der Kuhreiher geschützt, ja als heilig verehrt. Der Nachtreiher (Quak-, Schildreiher, Nachtrabe, Focke, Nycticorax nycticorax L., s. Tafel »Watvögel III«, Fig. 2), 60 cm lang, 1,1 m breit, von gedrungener Gestalt, mit kurzem, dickem, hinten sehr breitem, auf der Firste gebogenem Schnabel, mittelhohen, starken Füßen, sehr breiten Schwingen, und drei fadenförmigen, meist ganz weißen Schmuckfedern am Hinterkopf, ist oberseits aschgrau, am Oberkopf, Nacken, Oberrücken und an den Schultern grünlichschwarz, unterseits blaßgelb, mit nacktem, grünem Fleck im Gesicht. Er bewohnt Mittel- und Südeuropa, Asien, Afrika und Amerika und findet sich ziemlich zahlreich in Holland, einzeln in Deutschland vom April bis Oktober, massenhaft in den Donautiefländern, am Schwarzen und Kaspischen Meer. Er liebt Sümpfe mit Waldungen oder wenigstens vielen Bäumen, den Tag verbringt er in träger Ruhe und tritt erst in der Dämmerung in regellosen Haufen seine Streifereien an. Er nährt sich hauptsächlich von Fischen; sein Nest baut er in Reiherständen oder in eignen Ansiedelungen. und auf den ungarischen Reiherständen ist er stets das häufigste Mitglied. Er legt im Mai 4–5 grünliche Eier. Früher wurde der Nachtreiher zur hohen Jagd gerechnet und seines Fleisches halber hoch geschätzt, gegenwärtig stellt man ihm nur seiner Schmuckfedern wegen nach. Der Kahnschnabel (Savaku, N. cancrophagus L.), 58 cm lang, mit absonderlich ungestaltetem Schnabel, mäßig hohen Beinen, starken, ziemlich langen Flügeln und kurzem, gerade abgeschnittenem Schwanz, ist oberseits hellgrau, an Unterhals und Brust gelblichweiß, am Bauch rostrotbraun, seitlich schwarz, mit weißlichgrauen Schwingen und Steuerfedern, lebt an den Ufern aller Waldflüsse Brasiliens und nährt sich von allerlei Wassergewürm. Gefangen klappert er wie ein Storch. Die große Nachfrage nach Reiherfedern wird aus China, Indien, Tongking und Amerika (südamerikanischen Silber und Seidenreiher) gedeckt. In der Nähe der Stadt Tunis wird seit 1895 Reiherzucht betrieben. Seidenreiher (Herodias garzetta) werden mit dem Fleisch abgestandener Zugtiere ernährt, der Unterhalt des Vogels kostet im Jahr etwa 4 Mk. und der Ertrag an Putzfedern beträgt 28 Mk. Die R. beanspruchen in den Gehegen nur Wasser, Bäume und reichlichen Bewegungsraum und brüten dann regelmäßig. Der Silberreiher (Herodias alba) läßt sich ebenso leicht züchten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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