Râmâjana

Râmâjana

Râmâjana (sanskr., »die Schicksale des Râma«), ind. Epos, angeblich von Vâlmîki verfaßt, jedenfalls das Werk eines Kunstdichters, dem spätere Redaktion verhältnismäßig weniges hinzugefügt hat, und das darum in seinem Bau von höherm künstlerischen Wert als das Mahâbhârata (s. d.) ist. Freilich steht es hinter einzelnen Teilen jenes Epos an echter Leidenschaft wie an Resten altertümlicher Ursprünglichkeit weit zurück. Es ist in drei Rezensionen auf uns gekommen, von denen die bengalische 24,000 Strophen (Cloka) zählt. Die Ansicht von A. Weber, daß Bekanntschaft mit den Homerischen Gedichten wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Sagenstoffs gehabt habe, hat sich keiner weitgehenden Billigung erfreut. Entstanden ist das R. wohl in den letzten Jahrhunderten vor Christo. Die Anschauung von der Wesenseinheit Râmas mit Vischnu scheint sich allein in den jüngern Bestandteilen des Gedichts zu finden. Der Inhalt ist folgender: Erstes Buch (wohl teilweise spätere Zufügung): König Daçaratha von Ajodhjâ (Audh) ist ohne männlichen Nachkommen und veranstaltet zur Erlangung eines solchen ein kostbares Opfer. In der Tat werden ihm von drei Frauen vier Söhne geboren, darunter Râma. Als Jüngling schon erweist sich dieser als Held; durch Spannen eines vom Gott Çiva (s. d.) herrührenden gewaltigen Bogens gewinnt er Sîtâ, die schöne Tochter des Königs von Videha. Zweites Buch: Obschon Râma zum Thronerben ausersehen ist, erwirkt doch die Mutter seines Halbbruders Bharata diesem die Thronfolge auf Grund eines unbedacht gemachten Versprechens des Vaters. Râma wird verbannt und zieht sich mit Sîtâ in die Waldgebirge zurück. Bharata erfährt erst nach dem Tode des Vaters seine Bevorzugung vor Râma, weigert sich, den Thron einzunehmen, kann aber den Bruder nicht zur Übernahme der Regierung bestimmen; der edle Wettstreit der beiden Brüder schließt damit, daß Bharata die Sandalen Râmas als Symbol von dessen Herrschaft installiert. Drittes Buch: Râmas Wanderungen im mittlern Indien. Die Schwester des Dämons Râvana entbrennt in Liebe zu Râma, wird aber von diesem zurückgestoßen, wofür sie sich dadurch rächt, daß sie Râvana, den das Gedicht als ein erschreckliches Ungeheuer darstellt, Liebe zu Sîtâ einflößt; Râvana lockt mit Hilfe einer goldenen Gazelle Râma in das Walddickicht und entführt Sîtâ durch die Luft in seinen Palast auf Lankâ (Ceylon). Sîtâ weist alle Anträge ihres Räubers von sich. Râmas Verzweiflung und Suchen nach Sîtâ. Viertes Buch: Râmas Freundschaft mit dem Affenkönig. Dieser sendet seine Affenarmee aus zur Aufsuchung der Sîtâ. Der unter dem Affen Hanuman südwärts gesandten Abteilung gibt Râma seinen Ring mit als Erkennungszeichen für Sîtâ; wirklich erhält Hanuman sichere Kunde von Sîtâs Aufenthalt auf Ceylon. Fünftes Buch: In ungeheuerm Sprunge setzt Hanuman über das Meer, überwindet alle Schwierigkeiten und händigt Sîtâ den Ring ein. Sein Anerbieten, sie auf seinem Rücken durch die Luft zurückzubringen, weist Sîtâ zurück, weil sie keines andern Leib berühren könne als den ihres Gatten. Nach mannigfachen Schicksalen gelangt Hanuman glücklich wieder zu Râma. Sechstes Buch: Râma setzt sich an der Spitze einer Armee von Affen gegen Ceylon in Bewegung. Eine ungeheure Brücke wird gebaut, auf der er nach Lankâ (Ceylon) hinüberzieht. Schilderung des Kampfes Râvanas und seiner dämonischen Spießgesellen mit Râma und seinen Helden. Endlich fällt Râvana, und Sîtâ wird befreit. Vom Verdacht, von Râvana berührt worden zu sein, reinigt sie sich durch das Gottesurteil der Feuerprobe, worauf Râma erklärt, nur der Welt wegen habe er solche Probe für nötig erachtet. Die getöteten Affen werden vom Gott Indra (s. d.) wieder ins Leben zurückgerufen. Râma und Sitâ kehren auf dem Götterwagen nach Audh zurück, und Râma, feierlich gesalbt, übernimmt die Regierung. Ein später hinzugefügtes siebentes Buch führt aus, daß Râma, veranlaßt durch Bedenken seines Volkes in bezug auf Sîtâs Unschuld, sie verbannte. Sie will von der Erde in ihren Tiefen aufgenommen werden, und da die Erdgöttin ihren Wunsch erhört, so ist sie zum zweitenmal gerechtfertigt, für Râma aber verloren. Dieser, der in Wahrheit Avatâra Vischnus ist, kehrt wieder in den Götterhimmel zurück. Ausgaben der ersten zwei Bücher von Carey und Marshman (Serampur 1806–10, 3 Bde.) u. A. W. v. Schlegel (Bonn 1829–38, 2 Bde.), des ganzen Epos von Gorresio mit italienischer Übersetzung (Par. 1843–58, 10 Bde.; die Übersetzung in 2. Aufl., Mail. 1869–70), von Kâcînâth Pândurang Parab (Bombay 1888, 2 Bde.). Eine englische Übersetzung in Versen lieferte Griffith (Benares 1895), in Prosa Dutt (Kalkutta 1891 ff.). Vgl. A. Weber, Über das R. (Berl. 1870); H. Jacobi, Das R., Geschichte und Inhalt etc. (Bonn 1893); A. Baumgartner, Das R. (Freib. i. Br. 1894). Wichtige Bemerkungen zur Vorgeschichte des R. gibt H. Lüders in den »Nachrichten der Göttingischen Gesellschaft der Wissenschaften«, philologisch-histor. Klasse, 1897, S. 126 ff.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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