Kossuth

Kossuth

Kossuth (spr. kóschschut), Ludwig (Lajos), ungar. Politiker und Führer während der Reformepoche, geb. 19. Sept. 1802 zu Monok im Komitat Zemplin, gest. 20. März 1894 in Turin, stammte aus einer armen adligen Familie evangelischer Religion, studierte in Eperies und Sátoralja-Újhely und Jura in Sárospatak (sein Advokatendiplom erwarb er sich in Pest), war dann eine Zeitlang Rechtsanwalt der Gräfin Szapáry, siedelte 1831 wieder nach Pest über und wurde 1832 Stellvertreter eines Magnaten am Preßburger Reichstag. Daneben redigierte er eine durch Abschriften vervielfältigte »Reichstagszeitung« über die Vorgänge am Reichstag. Als er diese trotz Verbotes weiter erscheinen ließ, ließ die Regierung ihn im Mai 1837 in Ofen verhaften und durch die Septemviraltafel 1839 zu einer vierjährigen Festungsstrafe verurteilen. Doch die vom Reichstag erzwungene Amnestie vom 29. April 1840 gab ihm die Freiheit wieder, worauf er die Journalistenlaufbahn betrat und im Januar 1841 die Redaktion des »Pesti Hirlap« übernahm, worin er den Hof und seine Anhänger mit rücksichtsloser Kühnheit angriff, die nationalen Rechte mit Eifer verteidigte und die populären Forderungen mit hinreißendem Feuer in prunkvoller Sprache vortrug. Seine Zeitung war bald die gelesenste in ganz Ungarn, und die Anfechtungen bedeutender Politiker, wie Dessewffy und Széchenyi, steigerten nur das Ansehen Kossuths. Nachdem er 1844 infolge eines Zerwürfnisses mit den Verlegern von der Redaktion des »Pesti Hirlap« zurückgetreten war, beteiligte er sich an verschiedenen nationalen Vereinen und ward unter anderm Mitbegründer des »Schutzvereins« (»Védegylet«), der bald 60,000 Mitglieder zählte. K. wollte nämlich in Ungarn durch ein absperrendes Schutzzollsystem Handel und Industrie begründen, um dadurch sein Vaterland von Österreich unabhängig zu machen. Auch plante er den Bau einer Eisenbahn nach Fiume. Um diese Zeit griff ihn Széchenyi aufs neue an und verurteilte seinen agitatorischen Eifer als staatsgefährlich. Trotz dieses Angriffs wurde K. durch den Einfluß Ludwig Batthyánys vom Pester Komitat 17. Okt. als Deputierter für den 1847er Reichstag gewählt, wo er als Sprecher, dann als Führer der Oppositionspartei bald die Versammlung beherrschte und durch die Mäßigung und Würde, die seine Reden für die Preßfreiheit, über die Gleichberechtigung der Nationalitäten, für die Emanzipation der Nichtchristen, für die Aufhebung der Bauernlasten, gegen die Privilegien des Adels und der hohen Geistlichkeit etc. auszeichneten, selbst den Beifall der Gegner gewann. Nachdem die Nachricht vom Ausbruch der Pariser Februarrevolution in Preßburg eingetroffen war, hielt K. 3. März 1848 im Ständehaus eine große Rede, die eine Repräsentation an den König mit der Forderung von konstitutionellen Reformen, namentlich eines verantwortlichen Ministeriums, beantragte. Er und Batthyány führten die Deputation mit dieser Adresse nach Wien, wo sie 15. März von der Bevölkerung begeistert empfangen wurde und jene Forderungen zugestanden erhielt, die dann als Grundlagen der 1848er Gesetze dienten, auf deren Zustandekommen K. den größten Einfluß nahm. In dem selbständigen ungarischen Ministerium, das Batthyány 17. März bildete, erhielt K. das Portefeuille der Finanzen, war aber die Seele des Ganzen. Sein eifriges Bestreben ging dahin, eine magyarische Großmacht zu schaffen; darüber aber die Rechte der Nichtmagyaren in Ungarn und Siebenbürgen vergessend, reizte er die Slawen und Rumänen zum Widerstand, und diese erklärten sich nach einigen Schwankungen, welche die Schaukelpolitik des Wiener Kabinetts hervorrief, endlich für das Kaiserhaus. Dies machte K. zum entschiedenen Gegner der Vermittelungspolitik, und obwohl er im Reichstag für die Bewilligung der Truppensendung nach Italien sprach, traf er doch alle Anstalten, um die erwirkten Reformen und die Verfassung gegen Österreich und die Zentralregierung mit Waffengewalt aufrecht zu erhalten, wozu er 11. Juli vom Reichstag die Anwerbung von 200,000 Soldaten verlangte und auch erhielt. Nach der Auflösung des ungarischen Ministeriums im September 1848 riß K. im Reichstag die Diktatur an sich und behielt auch, nachdem sich ein neues Ministerium gebildet, tatsächlich die Zügel der Regierung in seiner Hand. Am 22. Sept. trat er dann an die Spitze des Landesverteidigungsausschusses, mit dessen Mitwirkung seine Politik zur vollen Geltung gelangte. Mit leidenschaftlicher Energie wirkte er seitdem für die Herstellung der ungarischen Armee (Honvéd), die Bewaffnung des Landsturms, die Eröffnung von Hilfsquellen, sowie durch Reisen und feurige Ansprachen für die Entzündung des revolutionären Geistes im Volke. Während aber Wien von Windisch-Grätz belagert wurde, versäumte die ungarische Armee den rechten Zeitpunkt zum Entsatz der Hauptstadt, und als endlich K. selbst nach dem Lager eilte, war es zu spät und die Schlacht bei Schwechat (30. Okt.) ein verlornes Unternehmen. Als bei dem Anrücken der österreichischen Armee unter Windisch-Grätz der Reichstag und die Regierung Anfang Januar 1849 nach Debreczin übersiedelten, trug er durch seinen Mut und seine außerordentliche Tätigkeit wesentlich dazu bei, daß der siegreiche Frühlingsfeldzug von 1849 begonnen werden konnte. Am 14. April bestimmte er den Reichstag als Antwort auf die Proklamation des jungen Kaisers vom 4. März 1849, welche die Rechte Ungarns vernichtete, zu dem Beschluß, Ungarn für unabhängig und die habsburgische Dynastie des Thrones entsetzt zu erklären. Zugleich ward er zum verantwortlichen Landesgouverneur (Diktator) ernannt und hielt 5. Juni in das von den Ungarn wiedereroberte Pest einen feierlichen Einzug. Hier entfaltete er eine ungemeine Tätigkeit, um Ungarn die Mittel zum Kampfe zu schaffen. Nach seinem und Dembinskis Plan sollte die eine Hälfte der ungarischen Armee in Österreich, die andre in Galizien einfallen, um vor der drohenden russischen Intervention den Kampfplatz hinaus zu verlegen und die Revolution über die Grenzen Ungarns hinauszutragen; der Plan scheiterte jedoch an Görgeis Widerspruch, und die anfänglichen Siege der Ungarn verwandelten sich bald in Niederlagen. Pest ging (im Juli) wieder verloren, und K. mußte mit dem Ministerium hinter die Theiß flüchten. Görgeis Opposition brach in offenen Ungehorsam aus; Zwietracht und Ränke unter den Generalen beschleunigten die Niederlage der ungarischen Sache. Görgei zwang nach der verlornen Schlacht bei Temesvár in einem Kriegsrat zu Arad 11. Aug. K., ihm die Diktatur zu übergeben, und K. überschritt 17. Aug., nachdem er die Reichskleinodien bei Orsova vergraben hatte, gebrochen die türkische Grenze, um sich nach England zu retten. Seine Hauptfehler waren seine Neigung zu Effekthascherei, die Unklarheit seiner Ziele, seine phantastische Begeisterung für die damals politisch und wirtschaftlich unmögliche Umwandlung Ungarns in ein selbständiges, unabhängiges Reich, während ihm ein bedeutendes Redner- und Agitationstalent, eine rastlose Tätigkeit, Unbestechlichkeit und eine glühende, reine Begeisterung für die Größe seines Vaterlandes nicht abzusprechen sind. Er ward auf türkischem Gebiet zuerst in Widdin, dann in Schumla in Hast gehalten, von März bis August 1851 mit seinen Genossen zu Kutahia in Kleinasien interniert. Gedrängt von Frankreich und Amerika, gab die Pforte endlich K. frei, und 7. Sept. 1851 fuhr er auf der nordamerikanischen Dampffregatte Mississippi von Gemlik ab, während er 22. Sept. zu Pest in effigie hingerichtet wurde. Am 23. Okt. langte er in England an, wo seine Gegenwart in einer langen Reihe von Meetings gefeiert wurde. Von vielen Städten kamen Einladungen an K., doch folgte er nur denen nach Birmingham und Manchester. Auch in Nordamerika wurde er mit Enthusiasmus aufgenommen, wo er auch eine beträchtliche Summe sammelte, die als Fonds für die künftige Revolutionierung Europas dienen sollte. 1853 nach England zurückgekehrt, stellte sich K. hier mit Ledru-Rolin und Mazzini an die Spitze der roten Demokratie und wurde das Haupt der ungarischen Emigration. Beim Ausbruch des oberitalienischen Krieges 1859 trat er mit Kaiser Napoleon III. in Unterhandlungen und ging mit andern Häuptern der ungarischen Emigration nach Sardinien, um von dort aus im Interesse der Thronkandidatur des Prinzen Jérôme (des »Roten« Prinzen) die allgemeine Insurrektion Ungarns anzubahnen; doch verhinderten der rasche Abschluß des Friedens von Villafranca den Ausbruch, und K. kehrte hierauf getäuscht nach London zurück, wo er seine agitatorische Tätigkeit fortsetzte und sich abermals trügerischen Hoffnungen hingab. 1867 erlangte er durch die Krönungsamnestie das Recht zur Rückkehr nach Ungarn und wurde 1867 und nochmals 1877 in den Reichstag gewählt. Doch lehnte K. ab, da er sich nicht dazu entschließen mochte, den von Deák geschlossenen Ausgleich anzuerkennen und den Eid der Treue zu leisten, und beteiligte sich nur zuweilen durch offene Briefe, insbes. an die Führer der sogen. Unabhängigkeitspartei, die er zuweilen auch bei sich in Turin sah, an den öffentlichen Angelegenheiten Ungarns. Als er durch das 1879 von Tisza geschaffene Gesetz seines Heimatrechtes verlustig ging, wählten ihn viele Städte zum Ehrenbürger. Nach seinem 1894 in Turin erfolgten Tode wurde seine Leiche (zugleich mit jener seiner Frau, Therese Meszlényi, und der seiner Tochter) nach Ungarn übergeführt und 1. April in Budapest unter großen Feierlichkeiten beigesetzt, denen stürmische Volksdemonstrationen vorausgegangen waren. Statuen (Büsten) wurden ihm bisher in 20 ungarischen Städten errichtet. Für das an seinem Grabe zu erbauende Mausoleum (von Strobl) und für sein in Budapest zu errichtendes Denkmal gingen bereits über 1 Mill. Kronen ein. – Von K. sind seit 1880 die auf Veranlassung seines Freundes Helfy verfaßten »Schriften aus der Emigration« in ungarischer, französischer und englischer Sprache, insgesamt 9 Bände (deutsch, Preßb. 1881–82, 3 Bde.), veröffentlicht worden, die interessante Mitteilungen enthalten, wie auch »Kossuths Briefe« (Pest 1862) und »Briefe an Bem 1849« (hrsg. von Makray, das. 1872). Außerdem erschienen »Kossuths parlamentarisches Wirken« (1850) und seine »Reden« (1867); ferner »La question des nationalités« (3. Aufl. 1859) sowie eine weitere Sammlung »Briefe«, herausgegeben von Franz K. (Budap. 1898, 2. Bde.). Vgl. Horn, Ludwig K. (Leipz. 1851, Bd. 1); Frey, Ludwig K. und Ungarns neueste Geschichte (Mannh. 1849); Szemere, L. Batthyányi, A. Görgei und Ludwig K. (Hamb. 1852); Wacquant, die ungarische Donauarmee 1848–1849 (Bresl. 1902); Somogyi, Ludwig K., sein Leben und Wirken (Leipz. 1894); Baron S. Kemény, K. und WesselényiStudien«), die Monographien von Hentaller (1894) und Gracza (2. Aufl. 1902); über die Zeit der Emigration vgl. auch die Werke von Chiala.

Von Kossuths zwei Söhnen ist der eine, Ludwig Theodor, als Eisenbahndirektor in Italien tätig. Der zweite, Franz, kam 1894 nach Ungarn, wo er sich naturalisieren ließ und ein Mandat in den Reichstag erwarb. Seit 1895 ist er der nominelle Führer der 1848er Unabhängigkeitspartei, ohne indessen die großen Hoffnungen und Befürchtungen, die man an seine Person geknüpft hatte, zu verwirklichen. Während des Exlex-Zustandes (1903–04) geriet er mit seiner Partei wiederholt in Zwiespalt; auch hinderte ihn ein langwieriges Leiden an energischem Auftreten. Als sich die oppositionellen Parteien Ende 1904 zum Sturz Tiszas verbündeten, leitete K. als Vorstand der koalisierten Parteien die Wahlbewegung und errang im Januar 1905 im Bunde mit A. Apponyi nicht nur 165 Mandate für seine Partei, sondern brachte auch das Kabinett Tisza und die alte liberale Partei zum Sturz. Fortan war er der Führer der stärksten Partei im neuen Reichstag und wurde 12. Febr. vom König empfangen. Die auch in der Adresse angeführten Forderungen der Koalition wurden aber von der Krone (bis Mitte Mai) nicht angenommen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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